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Der Traum des montierten Menschen ist der Entwurf einer technischen Welt, der das 20. Jahrhundert nachhaltig geprägt hat.Ein technisches Zeitalter ist angebrochen, konstatiert man einhellig zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Und so träumt man von einem neuen, einem technischen Menschen, der zuallererst neu zu erschaffen, zu konstruieren sei. Die Montage ist in den 1920er und 1930er Jahren dasjenige Verfahren, das von den Fabriken über die Kinos bis hin zu den Zeitschriften und dem Alltagsleben genau dieser Aufgabe dient. Es findet sich in allen Feldern der Technik und Ästhetik, versteht sich als…mehr

Produktbeschreibung
Der Traum des montierten Menschen ist der Entwurf einer technischen Welt, der das 20. Jahrhundert nachhaltig geprägt hat.Ein technisches Zeitalter ist angebrochen, konstatiert man einhellig zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Und so träumt man von einem neuen, einem technischen Menschen, der zuallererst neu zu erschaffen, zu konstruieren sei. Die Montage ist in den 1920er und 1930er Jahren dasjenige Verfahren, das von den Fabriken über die Kinos bis hin zu den Zeitschriften und dem Alltagsleben genau dieser Aufgabe dient. Es findet sich in allen Feldern der Technik und Ästhetik, versteht sich als visuelle Alphabetisierung, Psycho- und Medientechnik und zugleich auch als Vermittler zwischen den politischen Extremen. Taylorismus und Fordismus, aber auch Reflexologie, Arbeitswissenschaft und Psychotechnik sind die Strategien einer Neukonstruktion des Menschen und der Gesellschaft in den Vereinigten Staaten, in Europa, aber auch im revolutionären Sowjetrussland. Zwischen Utopie und Dystopie pendelnd wird das Leben in einer technischen Welt entworfen. Der montierte Mensch, dessen Geschichte hier nachgezeichnet wird, hat jene des 20. Jahrhunderts in entscheidender Weise geprägt.
Autorenporträt
Bernd Stiegler, geb. 1964, studierte Literaturwissenschaft und Philosophie in Tübingen, München, Paris, Berlin, Freiburg und Mannheim. Von 1999 bis 2007 arbeitete er als Programmleiter Wissenschaft im Suhrkamp Verlag. Seit Herbst 2007 ist er Professor für Neuere deutsche Literatur mit Schwerpunkt 20. Jahrhundert im medialen Kontext an der Universität Konstanz.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.02.2017

Das Gesetz der Maschine
Bernd Stiegler seziert den „montierten Menschen“
In den frühen Achtzigern gab es einen überaus erfolgreichen Film, in dem sich ein amerikanischer Jüngling in den Kopf setzt, eine ostasiatische Kampfkunst zu erlernen. Ein alter Japaner soll ihn ausbilden. Doch erlebt „Karate Kid“ eine heftige Enttäuschung, als ihn der Lehrer, anstatt ihn das Schlagen und Treten zu lehren, zunächst mit lauter niederen Tätigkeiten beschäftigt: Er muss einen Zaun streichen und ein Auto polieren. Erst im Nachhinein erweist es sich, dass die dafür notwendigen, einfachen, aber beinahe endlos wiederholten Bewegungen als einzelne Momente oder Module in die angestrebte Kampftechnik eingehen. Man muss die individuellen Bewegungen montieren, damit sie ein Ganzes ergeben, das viel mehr ist als die Summe seiner Teile.
Die Botschaft dieses Films hat insofern wenig mit fernöstlichen Weisheiten zu tun. Im Gegenteil, was darin gepredigt wird, gehört – die Lehre der fraglosen Demut vielleicht ausgenommen – zu den Grundlagen der industriellen Produktion. Es bedurfte indessen wohl des Umwegs über eine angeblich japanische Tradition, um diese Prinzipien wieder als ästhetisch genießbar (falls es denn so ist) erscheinen zu lassen.
Das Wort „Montage“, erklärt der Konstanzer Literaturwissenschaftler Bernd Stiegler in seinem Buch „Der montierte Mensch“, habe eine doppelte Bedeutung: Zum einen bezeichne es ein künstlerisches Verfahren, bei dem, vor allem in Fotografie und Film, vorhandene Elemente oft disparater Herkunft zu einer neuen Komposition zusammengefügt werden. Zum anderen beziehe es sich auf eine industrielle Fertigungstechnik, in der ein neuer Gegenstand aus Teilen zusammengesetzt werde, die von vornherein zur Montage bestimmt waren. Doch so einfach und gebräuchlich diese Unterscheidung sei, erklärt Bernd Stiegler, aufrechterhalten lasse sie sich nicht. Erkennbar sei dies vor allem an der Vision des wie eine Maschine funktionierenden Menschen, die vor etwas mehr als Hundert Jahren, kurz vor dem Ersten Weltkrieg, mit Macht in die westlichen wie in die sozialistischen Gesellschaften getreten sei. Von Anfang an sei diese Vision doppelt bestimmt gewesen, technisch ebenso wie künstlerisch – bis sie dann wieder verschwand, irgendwann in den Dreißigern oder auch erst in den frühen Vierzigern.
Bernd Stiegler legt sein Buch in mehreren großen Bögen an. Der erste führt von der Psychotechnik, dem Beginn der Arbeit am industrialisierten Menschen in Deutschland, zur Universalisierung des Effizienzgedankens bei Frank Bunker Gilbreth. Der zweite beginnt mit russischen Propagandafilmen, die der „Programmierung“ des Menschen dienen sollen, und mündet in die Diskussion der Fotomontage als einer Kunst von „Ingenieuren“, wie der Dadaist Raoul Hausmann behauptete. Der dritte Bogen setzt bei der Behauptung des Populärwissenschaftlers und Informationsdesigners Fritz Kahn an, man habe sich den Menschen als „Industriepalast“ vorzustellen, und er endet bei der Lehre, das Maschinenwesen sei ein eigenes hermeneutisches System, für das man den Arbeiter erst noch zu alphabetisieren habe, anhand von Fotografien, selbstverständlich. In einem Epilog geht es um die Vorstellungen Ernst Jüngers, die eigentliche technische Mobilmachung der Gesellschaft stehe noch bevor und sei unausweichlich.
Es ist nicht die totale Fixierung auf die Arbeit, die im Programm des „montierten Menschen“ am meisten irritiert. Zwar weist sie, indem sie jeden Menschen in einen Soldaten des Fortschritts verwandelt, auf den Faschismus voraus. Arbeit als Arbeit an und für sich hat indessen, vielleicht mehr noch als das Geld, seit dem frühen zwanzigsten Jahrhundert ihren Charakter als zentrale Instanz der gesellschaftlichen Vermittlung behalten. Viel mehr beunruhigt der Optimismus dieser Visionen einer bis ins Innerste industrialisierten Gesellschaft. Von heute aus betrachtet erscheint es offensichtlich, dass diese radikalen Zukunftshoffnungen nur um ein Geringes vom Katastrophischen getrennt sind – also von der mit Maschinen ausgeübten kriegerischen Gewalt. Und doch scheint dieser Übergang den zahllosen Propheten des technischen Fortschritts nicht einen Augenblick in den Sinn zu kommen. Diese Nähe zum Untergang gegenwärtig zu machen, sie aus dem Material zu entwickeln, ohne sie auszuführen (was nur um den Preis einer moralischen Lektion zu haben gewesen wäre), darin liegt das eigentliche Verdienst dieser Arbeit.
Warum aber verschwanden schließlich die Visionen vom Maschinenmenschen, um nur noch vereinzelt weiterzuleben, im „Karate Kid“ zum Beispiel oder im „Terminator“? Vielleicht, weil sich die technische Produktion veränderte und der Arbeiter weniger als Teil einer Maschine zu dienen hatte, als dass er sie selber bediente. Vielleicht aber auch, weil das Maschinenwesen so selbstverständlich wurde, dass man sich um die Anpassung des Menschen daran keine Gedanken mehr machen musste. Darüber beruhigen kann man sich nicht.
THOMAS STEINFELD
Bernd Stiegler: Der montierte Mensch. Eine Figur der Moderne. Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2016. 378 Seiten, 39,90 Euro.
Ein Mensch soll wie eine Maschine
funktionieren, das leuchtete ein
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