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Kaum ein anderes Phänomen ist in den unterschiedlichsten Disziplinen so sehr in den Mittelpunkt begrifflicher Auseinandersetzung geraten wie die vielfältige Kultur der Bilder. Gibt es eine Wissenschaft vom Bild? Oder nur Wissenschaften von Bildern? Das Buch gibt einen Überblick über die verschiedenen - historischen wie aktuellen - Theorien und Methoden des vielzitierten iconic turn. Zugleich bietet dieser Überblick die Grundlage für eine neu zu definierende Ikonologie, in der nicht nur die Vielfalt der Bildphänomene aus unterschiedlichen Kulturen integriert, sondern auch die unterschiedlichen…mehr

Produktbeschreibung
Kaum ein anderes Phänomen ist in den unterschiedlichsten Disziplinen so sehr in den Mittelpunkt begrifflicher Auseinandersetzung geraten wie die vielfältige Kultur der Bilder. Gibt es eine Wissenschaft vom Bild? Oder nur Wissenschaften von Bildern? Das Buch gibt einen Überblick über die verschiedenen - historischen wie aktuellen - Theorien und Methoden des vielzitierten iconic turn. Zugleich bietet dieser Überblick die Grundlage für eine neu zu definierende Ikonologie, in der nicht nur die Vielfalt der Bildphänomene aus unterschiedlichen Kulturen integriert, sondern auch die unterschiedlichen Modelle zu einer möglichst umfassenden Bildwissenschaft verknüpft werden können.
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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.05.2006

Was da lebt, sind wir
Hirnspiegelung: Neues zum Stand der Bildwissenschaft
Der vor gut zehn Jahren in den USA und in Deutschland proklamierte „Iconic Turn” hat im deutschsprachigen Raum zu einer Reihe transdisziplinärer Vorhaben geführt, die sich als Entwürfe für eine neue Wissenschaft namens Bildwissenschaft verstehen. Hierzulande sind es Vertreter der Kunstgeschichte, die das Projekt initiiert haben, und auch die Philosophie hat die oft von ihr verunglimpften Bilder als Objekt theoretischer Reflexionen wiederentdeckt. Einig sind sich beide Disziplinen darin, dass die Bilder so etwas wie den blinden Fleck in unserer Wissenskultur darstellen und dass es einer Heuristik und Systematik aller Bilder bedarf. Die geplanten Forschungsfelder sind so vielfältig wie die Bilder selbst, die, da sie sich bisher so hartnäckig dem rationalen Zugang widersetzen konnten, in vielen Fächern keine Beachtung fanden.
Während viele Kunsthistoriker eigentlich keine Notwendigkeit einer Öffnung ihres Gegenstands hin zu allen Bildern sehen - haben sie doch ihr Ansehen mit der Deutungshoheit über ein kleines exklusives Bilderkorpus gewonnen -, verstehen sich junge, (nicht nur) mit der Medienkunst befasste Kollegen bereits als Bildwissenschaftler. Sie etablieren Bilder als eigene Wissens- und Erkenntnisform, die in allen kulturellen Bereichen wirkt.
Liebesleben im Archiv
Der amerikanische Initiator des Pictorial Turn, William T. J. Mitchell, schließt mit seinem Buch „What Do Pictures Want?” an seine „Picture Theory” (1994) an, die mit dem Nachweis begann, wie sehr die sich bilderfeindlich gebende Sprachphilosophie von einer Angst vor visueller Repräsentation getrieben wurde, was Mitchell damals als Indiz für eine Wende zum Bild wertete. In dem neuen Buch entfaltet er das ganze Spektrum der Bilder als machtvolle Entitäten, die als Quasi-Lebewesen einen Subjektstatus in unserer Kultur beanspruchen. Damit greift Mitchell den alten Topos des „lebendigen Bildes” auf, der sich in der Bildgeschichte erst mit der Naturphilosophie, dann mit der Naturwissenschaft kreuzte und in der Kunsttheorie der dissimulatio artis seine visuell vollendete Form ausprägt.
Es geht Mitchell nicht länger um eine Rhetorik oder Hermeneutik der Bilder, sondern eine „poetic of pictures”, die ihr „Leben” gleichermaßen in den ältesten Idolen wie den heutigen künstlichen Lebensformen der Cyborgs und Klone entfalten. Mitchell definiert das Bild als ein „paradoxes Geschöpf, konkret und abstrakt zugleich, zugleich spezifisches, individuelles Ding und eine symbolische Form, die eine Totalität umfasst” und bettet diesen Befund in die westliche Diskursgeschichte der Bilder ein. Das radikal ikonologische Konzept, das Mitchell verfolgt, verstrickt Bilder und Bildbetrachter in eine Dialektik von Macht und Begehren. Ob Goldenes Kalb oder Klonschaf Dolly: Bilder sind mit einer Allmacht ausgestattet, die für kaum einen Menschen je erreichbar wäre. Erstaunt müssen wir feststellen, dass wir gegen die Bilder, die wir uns ja selber machen, und ihre raffinierte Psychologie machtlos sind, ihr Begehren unsere Ratio unterwandert und sie uns Dinge tun lassen, die wir gar nicht wollen.
Mitchells Studie, so erhellend und klug sie über die uralten, ständig sich erneuernden Konzepte von Idol, Fetisch und Totem aufklärt, bedient sich einer metaphorischen Redeweise und verliert deshalb nur allzu oft aus den Augen, dass wir selbst es sind, die ihre Phantasien von Allmacht, ihr Begehren, ihre Obsessionen und Ängste auf eine tote Materie projizieren, die zu nichts anderem dient, als von uns selbst zum Leben erweckt zu werden. Das „Liebes-Leben der Bilder” ist unser eigenes Leben - ein anderes, nicht lebbares Leben mit all seinen Verwerfungen und Abgründen. Der Blick auf die Bilder ist letztlich ein Blick in den Spiegel. Insofern ist Mitchells Studie eine unausgesprochene Kulturanthropologie, die über den Weg der uns zwar vertrauten, aber rational (noch) kaum durchdrungenen, geschweige denn zu beherrschenden Bilder zu uns selbst führt. Die „paradoxical creatures” sind wir.
Bildwissenschaft als Kulturwissenschaft, so zeigt nicht nur Mitchells Studie, will Bilder in ihrer weiten zeitlichen (mythischen) Dimension erfassen, um die Kontinuität ihrer Pragmatik, die allen historischen und kulturellen Brüchen zu trotzen scheint, sichtbar zu machen. An die Stelle der fehlenden Grammatik tritt das Kontinuum der Bildpraxis. Das kollektive Unbewusste, das Imaginäre und Kulturüberschreitende, das im globalen Bildarchiv verborgen liegt, soll, anknüpfend an die Philosophie(kritik) Nietzsches, an Freuds Psychoanalyse und Aby Warburgs Kulturtheorie der Mnemosyne, ans Licht gebracht werden.
Neben den kulturwissenschaftlichen formieren sich Entwürfe für eine allgemeine Bildwissenschaft, die von Vertretern der Philosophie und der soziologisch ausgerichteten Kunstgeschichte stammen. Auf die erste systematische Studie des Magdeburger Philosophen Klaus Sachs-Hombach („Das Bild als kommunikatives Medium”, 2003) folgt das Buch des Stuttgarter Kunsthistorikers Hans-Dieter Huber, der seine Bild- als Rezeptionstheorie an Niklas Luhmann und die neueste Hirnforschung anschließt. Letztere legt nahe, dass nur ein geringer Teil des sensorischen Inputs dem Bewusstsein zugänglich ist und das meiste unter der Bewusstseinsschwelle verarbeitet wird. Das Übersehen wichtiger Teile eines Bildes ist, so Huber mit Bezug auf Gerhard Roth und andere Neurobiologen, die Regel, das bewusste Registrieren die Ausnahme.
Der Grundgedanke von Hubers „systemischer Bildwissenschaft” liegt darin, dass die Bildqualität und das Urteil eines Beobachters nicht in einem gegebenen Bild und seinen Eigenschaften, sondern in der autopoietischen Funktionsweise des Gehirns zu suchen sind. Bilderfahrung und -interpretation geschieht in einem Horizont von Möglichkeiten, aus denen der Beobachter durch Unterscheiden und Bezeichnen eine ganz bestimmte auswählt. Die hochgradige Kontingenz der Bilderfahrung sieht Huber in das soziale Milieu des Beobachters eingebettet, das die Bildrezeption bestimmt. Hubers in sich schlüssige Parameter mögen ihr Potenzial in der bildanalytischen Praxis erweisen. Die Neurobiologie fungiert hier allerdings kaum als Begründung, vielmehr als eine willkommene, aber nachträgliche Bestätigung bereits bekannter Wahrnehmungstheorien.
Klaus Sachs-Hombach, der sich mit einer begriffsanalytischen Systematik in den Kreis der Bildwissenschaftler eingeführt hat, führt in einem Sammelband nun alle Teildisziplinen zusammen, für die er einen gemeinsamen Theorierahmen bereitstellen will. Knapp 30 mit Bildern arbeitende oder über sie reflektierende Wissenschaftler stellen hier ihre Forschungsfelder vor, wobei vor allem eine verwirrende Vielfalt der Fragestellungen, Methoden und auch der bildtheoretischen Niveaus deutlich wird. Das Buch dient zu einem Überblick über die Disziplinen; erst die Zukunft wird zeigen, welche davon sich der Bildwissenschaft in gewinnbringender Weise öffnen.
Keine Post-Disziplin
Martin Schulz gelingt in seiner Einführung eine erste Synthese der verschiedenen historischen und aktuellen bildwissenschaftlichen Positionen. Aus der an Hans Beltings „Bildanthropologie” (2001) anschließenden Systematik von Bild, Körper, Medium entfaltet Schulz in klarer und konziser Diktion das gesamte vielfältige Forschungsfeld. Dieses Buch hat den Vorzug, die Zusammenhänge zwischen den Teildisziplinen aus ihren historischen Traditionen darzustellen, sodass Bildwissenschaft nicht als eine „Post-Disziplin”, sondern als eine Zusammenführung von Fragestellungen einer ganzen Reihe von Einzeldisziplinen erscheint. Schulz’ Einführung liefert einen Ausgangspunkt, von dem aus sich die Wende zum Bild als Wissenschaftsmodell, als Paradigma, begreifen lässt, an dem viele Disziplinen arbeiten, um Bilder als eine eigene Wahrnehmungs-, Wissens- und Erkenntnisform verstehen zu lernen.
CHRISTIANE KRUSE
WILLIAM J. T. MITCHELL: What Do Pictures Want? The Lives and Loves of Images. The University of Chicago Press, Chicago und London 2005. 380 Seiten, ca. 30 Euro.
HANS DIETER HUBER: Bild - Beobachter - Milieu. Entwurf einer allgemeinen Bildwissenschaft. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern-Ruit 2004. 223 S., 25 Euro.
KLAUS SACHS-HOMBACH (Hrsg.): Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen, Methoden. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2005. 431 Seiten, 15 Euro.
MARTIN SCHULZ: Ordnungen der Bilder. Eine Einführung in die Bildwissenschaft. Wilhelm Fink Verlag, München 2005. 163 Seiten, 29,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Erhellend findet Rezensentin Christiane Kruse diese "Einführung in die Bildwissenschaft", die Martin Schulz vorgelegt wird. Sie sieht darin eine gelungene Synthese verschiedener historischer und aktueller bildwissenschaftlichen Positionen und bescheinigt dem Autor, das gesamte Forschungsfeld in "klarer und konziser Diktion" darzulegen. Besonders die Darstellung der Zusammenhänge zwischen den Teildisziplinen aus ihren historischen Traditionen heraus hat Kruse überzeugt. Die Bildwissenschaft erscheine damit nicht als eine "Post-Disziplin", "sondern als eine Zusammenführung von Fragestellungen einer ganzen Reihe von Einzeldisziplinen".

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