Marktplatzangebote
6 Angebote ab € 9,00 €
  • Gebundenes Buch

Gegenüber der Hölle als jenseitigem von Angst- und Rachephantasien genährten Straf- und Vergeltungsort scheinen Himmel und Paradies vergleichsweise langweilig. Gerade in der theopolitischen Konstellation unserer Tage hat sich aber erwiesen, wie stark paradiesische Vorstellungen, himmlische Versprechungen und utopische Versuchungen das oft blutige Handeln von Menschen beeinflussen. Schon das wäre Grund genug, die Geschichte der Paradies- und Himmelsvorstellungen und -lehren in allen drei monotheistischen Religionen nachzuzeichnen. Der bedeutende Rahnerschüler, Theologe und Religionshistoriker…mehr

Produktbeschreibung
Gegenüber der Hölle als jenseitigem von Angst- und Rachephantasien genährten Straf- und Vergeltungsort scheinen Himmel und Paradies vergleichsweise langweilig. Gerade in der theopolitischen Konstellation unserer Tage hat sich aber erwiesen, wie stark paradiesische Vorstellungen, himmlische Versprechungen und utopische Versuchungen das oft blutige Handeln von Menschen beeinflussen. Schon das wäre Grund genug, die Geschichte der Paradies- und Himmelsvorstellungen und -lehren in allen drei monotheistischen Religionen nachzuzeichnen.
Der bedeutende Rahnerschüler, Theologe und Religionshistoriker Herbert Vorgrimler geht aber noch einen Schritt weiter. Nicht nur rekonstruiert er die Geschichte des Paradieses und des Himmels genau aus ihren religiösen, dogmatischen, literarischen und kulturhistorischen Quellen, er zeigt auch, welche Hoffnungen und Ängste sie in den verschienenen Kulturen binden und warum alle Versuche der »Eroberung des Himmels« doch immer zu dessen Gegenteil führen
Autorenporträt
Herbert Vorgrimler, geb. 1929, Dr. theol., em. Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte in Münster.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.05.2009

Lauter geläuterte Leute
Der Theologe Herbert Vorgrimler führt Gläubige wie Ungläubige durch Himmel und Hölle
„Gegenüber der Hölle . . . scheinen Himmel und Paradies vergleichsweise langweilig” zu sein – so hart beginnt der Werbetext für ein Buch mit dem Titel „Geschichte des Paradieses und des Himmels”. Der katholische Theologieprofessor Herbert Vorgrimler, der 1993 bereits eine „Geschichte der Hölle” publiziert und den insbesondere sein „Kleines Konzilskompendium” bekannt gemacht hat, vollendete das neue Buch „in seinem achtzigsten Lebensjahr” in Münster, wo er Professor für Dogmengeschichte und Dogmatik war und immer noch Klinikseelsorger ist.
Die Geschichten der Hölle und des Himmels haben ihren Platz in der akademischen Sozial- und Mentalitätsgeschichte, aber sie haben auch eine seelsorgerische Dimension, wenn sie offizielle Verlautbarungen und anerkannte Praktiken der Kirche kritisch in den Blick nehmen. Da zeigt sich sofort, dass die beiden Bücher zusammengehören, denn das eine lässt erkennen, mit welchem Zynismus geistliche Autoritäten die einfältigen Gläubigen einschüchterten; und das andere, mit welcher Chuzpe sie sie köderten. Im Mittelpunkt stehen christliche Vorstellungen, aber jüdische und islamische kommen ebenfalls zur Sprache.
Bemerkenswert ist schon gleich, dass die Menschheit eine Hölle nur in endzeitlicher Perspektive imaginiert hat, während sie für die Gefilde der Glückseligkeit eine Ursprungs- und eine Zielvorstellung anbietet: das Paradies und den Himmel. Sie müssen zwar zunächst getrennt behandelt werden, aber gehören natürlich zusammen, insofern sie zu Synonymen werden und der Garten Eden eine Art Grundausstattung für die himmlischen Wohnungen liefert. Mit der Ausmalung des Himmels wollen die Religionen zwar immer auf rein geistige Freuden begierig machen, und oft genug betonen besonders im Christentum die weisen Theologen, dass die Seligkeit in der Anschauung Gottes besteht. Das bleibt freilich für Kinder, Jugendliche und für den durchschnittsfrommen Erwachsenen als erstrebenswertes Lebensziel sehr abstrakt. Gerade die theologisch unhaltbaren Himmelsphantasien waren aber die mächtigsten – und haben fromme Kämpfer befähigt und befähigen sie immer noch, freudig in den Tod zu gehen und freudig zu töten.
Dem Paradies ist ein kurz gefasster wohldokumentierter erster Teil (Bibel, Judentum, Islam, Alte Kirche, Mittelalter, Neuzeit) gewidmet, mit ein paar eher zufälligen Textzitaten aus Literatur und Medien, aber auch einem Exkurs über Utopie. Darin leuchten Gedanken auf, die man mutig nennen darf, wenn sie aus der Feder eines katholischen Theologen geflossen sind, beispielsweise zu Marx: „Seine Programme . . . können nicht in jeder Hinsicht für überholt gelten.”
Der große zweite Teil konzentriert sich auf den Himmel: aus einer „kosmographischen Größe” wird eine „religiöse Metapher”. Dabei geraten unweigerlich die entscheidenden Fragen der christlichen Religion in den Mittelpunkt: Unsterblichkeit der Seele, Auferstehung des Fleisches, Jüngstes Gericht, ewiges Leben. Wie für das Paradies wird nun die Geschichte der Himmelsvorstellungen anhand der wichtigsten Quellen durchlaufen: Altes Testament und Judentum, Neues Testament, Apokryphen, Kirchenväterzeit, mittelalterliche Theologie, Mystik und Visionen, Dichtung, Reformation, Aufklärung, Theologie des 19. und 20. Jahrhunderts. Die kleine Sammlung zur Dichtung (Dante) ist wieder schwach, aber in den anderen Kapiteln findet man Auszüge, die besonders der Laie oder historisch weniger versierte Leser nie zu Gesicht bekommen würde und die wiederum allein durch ihr Vorhandensein und ihre Reihung auch eine seelsorgerische Funktion erfüllen: Es ist rührend und ernüchternd zugleich, was Menschen über den Himmel geglaubt und geschrieben haben. Und heute?
Die kirchenamtlichen Verlautbarungen, nicht nur des nachtridentinischen Catechismus Romanus von 1566, sondern vor allem jüngste Äußerungen bis zum „Welt-Katechismus” (1993) werden in Auszügen zitiert, aber anders als im Höllenbuch gibt der Autor hier nicht den leisesten Kommentar. Am Welt-Katechismus hatte er damals beispielsweise bemängelt, dass dieser „vorgibt zu wissen, was nach dem Tod der Fall sein wird”. Das gilt doch aber wohl auch, wenn der Welt-Katechismus lehrt: „Die in der Gnade und Freundschaft Gottes sterben und völlig geläutert sind, leben für immer mit Christus.” Der Katechismus verspricht ihnen „kraft Apostolischer Autorität” den Himmel als „Zustand höchsten, endgültigen Glücks”.
Das ist zurückhaltend, wenn man bedenkt, dass die Autoren des Katholischen Katechismus der Bistümer Deutschlands von 1956 dem lieben Gott noch viel freimütiger in die Karten geschaut hatten, als sie zum Auswendiglernen formulierten: „Wer in der Gnade Gottes stirbt und frei von allen Sünden und Sündenstrafen ist, kommt nach dem Tode sofort in den Himmel (. . .)Im Himmel finden sie DIE SELIGEN]auch alle Verwandten und Freunde wieder, die im Herrn entschlafen sind.”
Kathpedia gegen Wikipedia
Eine heilsame Relativierung dogmatischer Weisheiten findet statt, und wenn es uns gelingt, die bange Frage abzuwehren, ob wir im entscheidenden Augenblick „völlig geläutert” sein werden, bleibt doch eine allgemeine Frage bestehen: Kann die Menschheit sich ohne eine religiöse Perspektive definieren? Darum findet sich am Ende eine theologische Schlussbetrachtung. Sie besteht in der Hauptsache aus Fragen und predigt Zurückhaltung. Aber die Religion kann auf Hoffnung nicht verzichten! Hier manifestiert sie sich diskret als „Vorschuss des Vertrauens zum göttlichen Geheimnis”. Der Vorschuss des Vertrauens ist nun aber ein Terrain, auf dem sich nicht nur Katholiken, nicht nur Christen, nicht nur Gläubige verschiedenster Religionen, sondern alle Menschen guten Willens treffen können.
Das Buch ist „dem Andenken an Frau Dr. Sigrid Loersch” gewidmet, was man vielleicht als privates Anliegen des Autors gar nicht erwähnen würde. Aber er besteht im Vorwort ausdrücklich auf dieser Widmung und weist uns selber ins Internet, wo wir zwei Vorgrimlers entdecken, einen guten (unter Wikipedia), der „die Vision einer dialogfähigen, lernbereiten und erneuerungswilligen Kirche” unterstützt habe und einen bösen (unter Kathpedia), der „Sympathien für den Kommunismus und die Freimaurerei” hege und von Kardinälen als „Dialog-Narr” und „theologischer Falschmünzer” bezeichnet worden sei – und habilitiert ist er auch nicht.
Im selben Artikel findet man das Bild eines Grabsteins mit den Namen Sigrid Loersch 1936 – 1995 und Herbert Vorgrimler 1929, dazu den Kommentar: „Vorgrimler hat sich schon zu Lebzeiten ein Grabdenkmal gesetzt, um seine Verbundenheit mit der vorverstorbenen Sigrid Loersch zu bekunden.” Das soll ihn nun wohl definitiv disqualifizieren. Diese Widmung ist also nicht privat, sondern gehört in den schmerzlichen Prozess einer versandenden kirchlichen Erneuerung. Unsereiner versteht nun auch, warum der Autor an die Definition des Begriffs „Kirchenväter” einen subtilen Gedankenschlenker anhängt: „Für Frauen, die dieser Definition ebenfalls entsprachen, hat sich kein entsprechender Begriff eingebürgert.” Aber nicht nur deswegen ist diese Geschichte des Paradieses und des Himmels den Gläubigen wie den Ungläubigen mit gleicher Aufrichtigkeit zu empfehlen. HANS-HERBERT RÄKEL
HERBERT VORGRIMLER: Geschichte des Paradieses und des Himmels. Mit einem Exkurs über Utopie. Wilhelm Fink, München 2008. 327 Seiten, 39,90 Euro
Wie entkommt man der Verdammnis? Ausschnitt aus einem das Jüngste Gericht darstellenden Fresko der Brüder Allegrino, Ermete und Francesco Scanzi, frühes 16. Jahrhundert, in der Kirche S. Maria delle Grazie in dem oberitalienischen Städtchen Soncino (Lombardei). Foto: AKG/PA
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Bernhard Lang gibt Entwarnung: Nichts für Spekulanten in diesem Buch des Münsteraner Theologen Herbert Vorgrimler. Wenn der Autor dem Zeitgeist eine stärkere Wirkungsmacht zutraut als der absoluten Wahrheit, so findet Lang das zeitgemäß. Die Frage nach dem christlichen Einfluss auf den Geist der Zeit und die Gesellschaft beantwortet Vorgrimler dem Rezensenten ebenso frisch mit dem Entwurf einer Rolle des "verhinderten Störfaktors" und empfiehlt im übrigen, vor allem bezüglich spekulativer Himmelslehren, "gläubiges Schweigen". Die Himmelslehren darf Lang mit Vorgrimler zwar kulturgeschichtlich durchforsten, er vermisst dabei allerdings die umfassende interpretatorische Unterstützung des Autors. Um so mehr, als das wenige, was der Autor anbietet, Lang bedenkenswert erscheint.

© Perlentaucher Medien GmbH