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Seit deutsche Autoren über Amerika, genauer: die USA schreiben, geschieht dies in einer Ambivalenz von Faszination und Abwehr. Was den einen das Land der Freiheit (Goethe), ja der unbegrenzten Möglichkeiten, ist für andere eine Wüste, in der keine Nachtigall singt (Lenau). Und natürlich kontrastieren die vorgefassten, mitgebrachten Meinungen mit den neuen Wahrnehmungen vor Ort. Aber erst im 20., dem 'amerikanischen' Jahrhundert, entfalten sich diese Widersprüche in vorher nicht gekannter Breite. Zugleich aber sind sie fast allen, die nach Amerika reisen zu Schiff, durch die Luft oder auch nur…mehr

Produktbeschreibung
Seit deutsche Autoren über Amerika, genauer: die USA schreiben, geschieht dies in einer Ambivalenz von Faszination und Abwehr. Was den einen das Land der Freiheit (Goethe), ja der unbegrenzten Möglichkeiten, ist für andere eine Wüste, in der keine Nachtigall singt (Lenau). Und natürlich kontrastieren die vorgefassten, mitgebrachten Meinungen mit den neuen Wahrnehmungen vor Ort. Aber erst im 20., dem 'amerikanischen' Jahrhundert, entfalten sich diese Widersprüche in vorher nicht gekannter Breite. Zugleich aber sind sie fast allen, die nach Amerika reisen zu Schiff, durch die Luft oder auch nur im Kopf bewusster als zuvor. Dass Amerika eine Projektion des europäischen Geistes sei, hat Paul Valéry für seine europäischen Kollegen festgehalten: 'Amerika ist anders!' (Carl Zuckmayer).
Autorenporträt
Dr. Jochen Vogt lehrt Germanistik und Literaturwissenschaft an der Universität/GH in Essen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.05.2007

Der Kitt der schönen Alten Welt
Kafkas Schwert: Wie deutschsprachige Autoren Amerika sehen

Wie der rumänischstämmige Politologe und Germanist Andrei S. Markovits, der an der Universität von Michigan lehrt, unlängst in einem Artikel in "The Chronicle of Higher Education" behauptet, lassen sich die vornehmlich im westlichen Europa zu beobachtenden antiamerikanischen Vorurteile und Ressentiments keineswegs allein mit Verweis auf das politische Tagesgeschehen, also den Unmut über die Bush-Regierung und den von ihr zu verantwortenden Irak-Feldzug, erklären. Vielmehr gäbe es innerhalb Europas ein grenzüberschreitendes Einverständnis über die Minderwertigkeit amerikanischer Kultur, das historisch zwar bis in die Zeit der amerikanischen Revolution zurückreiche, sich nunmehr aber als intellektueller Kitt einer noch brüchigen, gesamteuropäischen Identität und damit als Lingua franca des europäischen Einigungsprozesses fest etabliert hätte.

Als unvermuteten Beleg seiner provokanten - wenngleich nicht ganz neuen - These führt Markovits die Fußballweltmeisterschaft 1994 an. Als feststand, dass dieses für Europa so wichtige Sportereignis in den Vereinigten Staaten stattfinden würde, hätte dies in den traditionellen Fußballnationen England, Deutschland und Italien eine Lawine antiamerikanischer Hasstiraden losgetreten. Anstatt das damit verbundene wachsende Interesse der Amerikaner am Fußball zu begrüßen, habe der öffentliche Diskurs in Europa stereotyp auf die Unwürdigkeit hingewiesen, die Weltmeisterschaft in einem Land abzuhalten, das an den kulturellen Traditionen des Sports nicht teilhabe und folglich nur am kommerziellen Erfolg der Spiele interessiert sei.

Mag sich das Amerika-Bild der Europäer aufgrund der politischen Verwerfungen nach den Ereignissen vom 11. September auch spürbar eingetrübt haben, so war es doch zu keinem Zeitpunkt in der mehr als zweihundertjährigen Geschichte der Vereinigten Staaten derart monochrom eingefärbt, wie mancher aktuelle Kommentar uns glauben machen will. Insbesondere die literarische Verarbeitung des Themas, die teils fiktionalen, teils autobiographischen Spiegelungen der "neuen" Welt in den Texten europäischer Autoren sprechen hier eine andere Sprache. Eine Anthologie mit insgesamt 24 Beiträgen zum Amerika-Bild deutschsprachiger Autoren im zwanzigsten Jahrhundert liefert zahlreiche Hinweise auf eine durchgängig differenzierte, von Selbstzweifeln, Hassliebe und utopischen Projektionen überlagerte Annäherung an Amerika.

Die chronologische Selbstbeschränkung der Herausgeber auf das zwanzigste Jahrhundert erscheint angesichts der politisch-historischen Parameter, die dieses - in Anlehnung an eine Äußerung des Presse-Moguls Henry Luce - "amerikanische Jahrhundert" markieren, durchaus sinnvoll. Die häufigen Verweise der Beiträger auf diesem Jahrhundert vorgängige Positionen (etwa von Goethe, Kürnberger oder Nietzsche) belegen jedoch, dass die hier beschriebenen Facetten des Amerika-Bilds in der modernen deutschsprachigen Literatur sich ebenso gut als Konstanten einer anhaltenden und letztlich bis in die Antike zurückreichenden utopisch-imagologischen Tradition lesen lassen.

"In the beginning, all the world was America", in dieser Bemerkung des englischen Philosophen John Locke wird nicht nur der Mythos "Amerika" als geokulturelles Versprechen eines Neubeginns an die gesamte zivilisierte Menschheit prägnant beschrieben, es deutet sich hier bereits die für die europäische Amerika-Erfahrung bestimmende Ambivalenz des "verlorenen" Paradieses an. Jene imagologische Doppeldeutigkeit, hier: das Heilsversprechen eines in Reichweite gerückten Utopia, dort: die Enttäuschung über den erneuten Sündenfall des wiedererlangten Paradieses, beherrscht seither die Erfahrungsberichte vieler Amerika-Fahrer, und zwar oft losgelöst von den jeweils tatsächlich gemachten Erfahrungen und Eindrücken in der Neuen Welt.

Für die deutschsprachige Literatur hat wohl keiner das ambivalente Verhältnis zwischen Europa und Amerika so nachhaltig symbolisch eingefangen wie Franz Kafka, dem folglich auch zwei Beiträge des Bandes gewidmet sind und dessen unvollendeter Amerika-Roman "Der Verschollene" (1927) von nicht wenigen der hier versammelten Autoren zitiert wird. Kafka, der bekanntlich selbst nie in die Vereinigten Staaten gereist war, lässt den jugendlichen Protagonisten des Romans, Karl Rossmann, "weil ihn ein Dienstmädchen verführt und ein Kind von ihm bekommen hatte", in Amerika Zuflucht aus der moralisch wie ökonomisch prekären Situation suchen. Bei seinem Eintreffen in New York wird er - wie Generationen anderer europäischer Einwanderer - an der Freiheitsstatue vorbeifahren, wobei diese nicht wie gewohnt eine Fackel (als Symbol für Freiheit und Aufklärung), sondern weithin sichtbar in ihrer rechten Hand ein Schwert in den Himmel streckt.

Diese für die Interpretation des Romans folgenreiche Substitution des Freiheits- durch ein Repressionssymbol ist in der einschlägigen Kafka-Kritik vielfach diskutiert geworden. Durch die sorgfältige Anordnung und Auswahl der einzelnen Beiträge ist es den Herausgebern gelungen, Rossmanns fiktive Einfahrt in den Hafen von New York und mithin deren literarisches Echo als leitmotivische Grundstruktur der oft disparaten Amerika-Erfahrung deutscher Autoren glaubhaft zu etablieren.

Kafkas - im Freudschen Sinne - "unheimliche" Vertauschung von Fackel und Schwert weist nämlich auf ein tiefenpsychologisches Grundmotiv jener Amerika-Literatur voraus, in der Verfolgung, Vertreibung und Emigration aus Europa zu einem ähnlich gespaltenen, "kafkaesken" Amerika-Bild führen. So beschreiben etwa Rose Ausländers und Mascha Kalékos tastende, lyrische Annäherungen an die "neue" Heimat genau jene Gemengelage von kultureller Isolation, Schuldgefühlen gegenüber den Zurückgebliebenen und neugieriger Dankbarkeit für das Gastland, die für viele Autoren im amerikanischen Exil vor und während des Zweiten Weltkriegs prägend war. Hatte die heftig und kontrovers geführte Amerikanismus-Debatte der Neuen Sachlichkeit die Wahrnehmung emigrierter deutscher Intellektueller - von Thomas Mann bis hin zu Brecht und Adorno - noch zusätzlich getrübt, so waren es in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts vor allem der Kalte Krieg sowie die drängende Aufgabe einer Neupositionierung der deutschen Literatur nach Auschwitz, die zu Fehleinschätzungen und Dissonanzen im deutsch-amerikanischen Verhältnis geführt haben. Wie belastet dieses Verhältnis im Grunde bis heute geblieben ist, belegt die ablehnende, ja geradezu feindselige Haltung junger deutscher Autoren gegenüber ihren - oft kommerziell erfolgreicheren - amerikanischen Kollegen, die in ihrer kleinmütigen Peinlichkeit im abschließenden Essay des gelungenen Bandes scharfsinnig und kenntnisreich entlarvt wird.

Etwa zeitgleich mit dem Erscheinen von Markovits' Kritik am tiefsitzenden europäischen Misstrauen gegenüber dem amerikanischen Lebens- und Geschäftsmodell am Beispiel der Fußball-Weltmeisterschaft berichtete die "New York Times" von der Entscheidung des Bürgermeisters der in Georgia gelegenen Kleinstadt Clarkston, das Spielen von Soccer in den öffentlichen Football-Arenen seiner Stadt kategorisch zu verbieten. Durch eine steigende Zahl von Kriegsflüchtlingen aus Ländern mit Fußballtradition hätte sich dieses seinem Wesen nach unamerikanische Spiel derart ausgebreitet, dass die Gemeinde vor kultureller Überfremdung geschützt werden müsse. Beide Beispiele, die zumeist überhebliche Blindheit der Europäer einerseits und die oft provinzielle Selbstbezogenheit Amerikas anderseits, sprechen anschaulich für die von Alexander Stephan, dem Mitherausgeber des Bandes, aufgestellte These, dass "mit einem gesunden Wettbewerb der Systeme, in dem sich beide Seiten lernfähig zeigen, viel gewonnen wäre, für die Alte, die Neue und die restliche Welt".

KLAUS BENESCH.

"Das Amerika der Autoren. Von Kafka bis 09/11". Hrsg. von Jochen Vogt und Alexander Stephan. Wilhelm Fink Verlag, München 2006. 473 S., br., 59,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Klaus Benesch lobt diese Anthologie zum Amerika-Bild deutschsprachiger Autoren des 20. Jahrhunderts als erhellend und stellt fest, dass sich aus den Texten der darin versammelten Schriftsteller eine durchaus "differenzierte" Sicht von Amerika ergibt. Als besonders prägend habe das symbolisch überhöhte Amerika von Franz Kafkas Romanfragment "Der Verschollene" gewirkt und sich unabhängig von den tatsächlich gemachten Erfahrungen auf die Erwartungen und Haltungen der verschiedenen Autoren ausgewirkt, entnimmt der Rezensent interessiert diesem Band. Besonders erfreut hat sich Benesch am letzten Beitrag dieses Bandes, in dem die durch Ablehnung geprägte Haltung heutiger Autoren gegenüber ihren amerikanischen Kollegen als "kleinmütige Peinlichkeit" entlarvt wird.

© Perlentaucher Medien GmbH