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Das alte Europa erlebt eine Wiederauferstehung auch in überraschenden politischen Kontexten. Genuin repräsentiert ist es im alten Buch und dem Ort seiner Verwahrung, der Bibliothek. Was einst undenkbar schien, ist in den Katastrophen des 20. Jahrhunderts Wirklichkeit geworden: die flächendeckende Vernichtung kultureller Landschaften und ihrer Memorialstätten. Klaus Garber widmet sich der Rekonstruktion einer untergegangenen Welt des Buches und der Bibliothek. Königsberg, Danzig und Breslau dort, Hamburg, Nürnberg und Straßburg hier bilden Brennpunkte, in denen die Versehrung von Tradition sich…mehr

Produktbeschreibung
Das alte Europa erlebt eine Wiederauferstehung auch in überraschenden politischen Kontexten. Genuin repräsentiert ist es im alten Buch und dem Ort seiner Verwahrung, der Bibliothek. Was einst undenkbar schien, ist in den Katastrophen des 20. Jahrhunderts Wirklichkeit geworden: die flächendeckende Vernichtung kultureller Landschaften und ihrer Memorialstätten. Klaus Garber widmet sich der Rekonstruktion einer untergegangenen Welt des Buches und der Bibliothek. Königsberg, Danzig und Breslau dort, Hamburg, Nürnberg und Straßburg hier bilden Brennpunkte, in denen die Versehrung von Tradition sich paradigmatisch spiegelt. Zugleich bleibt das zusammenwachsende Europa kulturell geprägt von absurden Trennungen seines Erbes im bibliothekarischen Raum: Berlin und Krakau, Dresden und Moskau, Hamburg und St. Petersburg stehen als Beispiele dafür. Zugewandt aber ist das Buch der Zukunft. Erinnerung und Trauerarbeit gelten einem zukünftigen Europa, das seine geistigen Grundlagen nicht zuletzt
im alten Buch und den Schatzhäusern seiner Überlieferung besitzt.
Autorenporträt
Klaus Garber war Professor für Literaturtheorie und Geschichte der Neueren Literatur, seit 1992 Direktor des Interdisziplinären Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Osnabrück.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.12.2006

Die Schmelze des barocken Eisbergs
Unterwegs in Schatzhäusern: Klaus Garber bereist die Bibliotheken des alten Europa
Als der Bonner Germanistikdoktorand Klaus Garber im Sommer 1963 unter der Anleitung von Richard Alewyn eine Dissertation über einen besonders apokryphen Gegenstand, die Schäfer- und Landlebendichtung des 17. Jahrhunderts, in Angriff nahm, konnte er nicht ahnen, dass sich diese Arbeit zu einem Lebenswerk ausweiten würde. Garber begann seine Recherchen in der Staats- und Universitätsbibliothek seiner Heimatstadt Hamburg.
Doch diese stand nicht mehr an ihrem angestammten Platz, dem Speersort im Zentrum der Stadt, im Verbund mit dem akademischen Gymnasium, dem Johanneum. Sie war, kriegsbedingt, im Gebäude des Wilhelms-Gymnasiums am Bahnhof Dammtor untergebracht. Von den einst reichen Buchbeständen waren nur noch Reste vorhanden. Die Mehrzahl der Bücher war verlagert, vermisst oder verbrannt. Hamburg war nicht die einzige deutsche Bibliothek, die durch Bombenkrieg und Auslagerung schweren Schaden genommen hatte. Die Sächsische Landesbibliothek in Dresden hatte nicht nur wichtige Bestände verloren, sondern das Gerettete war durch Löschwasser schwer beschädigt.
Königsberg war noch härter getroffen, fast seine gesamte Bibliotheks- und Archivlandschaft ausgelöscht. Breslau und Danzig waren an Polen gefallen, aus anderen Bibliotheken waren umfangreiche Bestände in die Sowjetunion und nach Polen verbracht worden. Dafür gab es in Städten mit einst blühender deutscher Kultur, die längst nicht mehr deutsch waren, wie Straßburg, Prag oder die Hauptstädte des Baltikums, nie erfasstes Schriftgut aus dem Barockzeitalter. Meist handelte es sich um Kleinschrifttum aus städtischem Umfeld: Schul- und Akademieprogramme, Dissertationen, Hochzeits- und Leichenschriften, Stadtchroniken, naturgeschichtliche Abhandlungen, lokale Dichtungen.
Garber entschloss sich, möglichst viele dieser Bibliotheken aufzusuchen und sich vor Ort ein Bild von ihren Beständen zu machen. Seit 1980 fand er die Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, konnte immer wieder den Eisernen Vorhang durchqueren und zum Brückenbauer zwischen osteuropäischen Bibliothekaren und Germanisten und ihren westdeutschen Kollegen werden. Konrad Gajek und Marian Szyrocki in Breslau, Elida Maria Szarota in Warschau und Alexander Michailow in Moskau sind an erster Stelle unter denen zu nennen, die den ihnen anvertrauten deutschen Buchbeständen pflegliche Aufmerksamkeit zuwandten und sie deutschen Forschern zugänglich machten.
Es waren die Jahre eines methodischen Aufbruchs in den Geisteswissenschaften, wo sich der Blick von der Höhenkammliteratur auf die Randgattungen verlagerte und die Rezeption nicht minder wichtig wurde als die Produktion. Dies bedeutete eine nicht unerhebliche Ausweitung des Forschungsgegenstandes, und Garber erfand den plakativen Terminus von der „Schmelze des barocken Eisberges”.
Damit wollte er zum Ausdruck bringen, dass sich die Erforschung des Barockzeitalters nicht allein auf die bekannten Werke der kanonischen Autoren beschränken dürfe, sondern das Kleinschrifttum mit einbeziehen müsse. Als sich im Herbst 1980 unter der Ägide der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Bonn zwei Dutzend Bibliothekare und Fachwissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen trafen, um VD 17, ein „Verzeichnis der deutschen Drucke des 17. Jahrhunderts”, zu planen, nachdem VD 16 bereits in Arbeit war, war Garber dabei. Die eigentliche Katalogisierung konnte erst 1996 beginnen. Die Datenbank enthält gegenwärtig 233 760 Titelaufnahmen mit mehr als 414 874 Besitznachweisen und über einer halben Million digitaler Images ausgewählter Seiten.
Der vorliegende Band versammelt Aufsätze, in denen Garber von seinen Reisen, Begegnungen und Trouvaillen berichtet. Die positiven Erfahrungen vermögen nicht die Trauer und Melancholie auszulöschen, die den Leser angesichts der unwiederbringlichen Kriegsverluste ergreifen. Die Wunden, die die „arma” den „litterae” nicht nur im letzten Weltkrieg geschlagen haben, sind nie wieder zu heilen. Die europaweite Erfassung des barocken Schrifttums gleicht diese Verluste jedoch ein wenig aus. Ohne die Pionierarbeit von Klaus Garber wäre Barockforschung, die diesen Namen verdient, nicht möglich.
FRANK-RUTGER HAUSMANN
KLAUS GARBER: Das alte Buch im alten Europa. Auf Spurensuche in den Schatzhäusern des alten Kontinents. Wilhelm Fink Verlag, München 2006. 765 Seiten, 78 Euro.
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Der Rezensent Frank-Rutger Hausmann gerät ins Schwärmen über die vorliegende Aufsatzsammlung, vorrangig allerdings über deren Autor, den Barock-Spezialisten Klaus Garber. Dessen jahrzehntelange Bemühungen, deutsche Bibliotheksbestände, die während des Zweiten Weltkrieges und danach nach Osteuropa gelangten, zu sichten und schon zu Zeiten des Eisernen Vorhangs für deutsche Forscher zugänglich zu machen, sowie seine Mitwirkung an der Erstellung des europäischen "Verzeichnisses der deutschen Drucke des 17. Jahrhunderts" sind für die Barock-Forschung von unschätzbarem Wert, so der Rezensent. Und so sind Garbers Aufsätze, in denen er von seinen Reisen, Begegnungen und Funden erzählt, von zweierlei Stimmung gekennzeichnet: vom Glück über jeden einzelnen Fund und von der Trauer über jene Bestände, die im Krieg vernichtet wurden und unwiederbringlich verloren sind.

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