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Die ehemaligen sowjetischen Militärbasen im Osten Deutschlands sind ein vergessenes und verkanntes Kulturerbe, das keinen Platz im kollektiven Gedächtnis Deutschlands erhalten hat. Sowjetische Orte sind zu lost places geworden, die aus der Geschichte "herausgefallen" sind. Um sie in Erinnerung zu halten, braucht es Fotografen wie Stefan Neubauer, der sie wie ein Archäologe oder gar ein Forensiker mit seiner Kamera dokumentiert und die Atmosphäre der verlassenen Orte in mehr als 1000 Fotografien eingefangen hat.Die in diesem Bildband gezeigten Fotografien sind in einem Zeitraum von über zehn…mehr

Produktbeschreibung
Die ehemaligen sowjetischen Militärbasen im Osten Deutschlands sind ein vergessenes und verkanntes Kulturerbe, das keinen Platz im kollektiven Gedächtnis Deutschlands erhalten hat. Sowjetische Orte sind zu lost places geworden, die aus der Geschichte "herausgefallen" sind. Um sie in Erinnerung zu halten, braucht es Fotografen wie Stefan Neubauer, der sie wie ein Archäologe oder gar ein Forensiker mit seiner Kamera dokumentiert und die Atmosphäre der verlassenen Orte in mehr als 1000 Fotografien eingefangen hat.Die in diesem Bildband gezeigten Fotografien sind in einem Zeitraum von über zehn Jahren entstanden. Es sind verborgene Schätze aus einer längst vergangenen Zeit, diesen Zeugnissen aus dem Kalten Krieg, den verlassenen Kasernenanlagen, den überdimensionalen Propagandabildern und zum Teil skurril anmutenden Wandmalereien.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.02.2022

Wovon Verteidiger des Imperiums träumen

Auch ein Teil der deutsch-russischen Geschichte: Stefan Neubauer fotografiert Interieurs verlassener sowjetischer Kasernen in den östlichen Bundesländern.

Über mehr als zehn Jahre ist der Fotograf Stefan Neubauer nach dem Abzug der russischen Streitkräfte durch die östlichen Bundesländer gereist und hat in mehr als sechzig verlassenen Kasernenanlagen vor allem die Interieurs aufgenommen. Nachdem er anfangs noch kein Gespür hatte für die Bildkraft der grandiosen Ruinen mit ihren verwitterten Wandgemälden, wie er selbst eingesteht, schlugen ihn die leeren Festsäle, Sporthallen, Theaterbühnen mit ihren Resten von sowjetpatriotischem Dekor, aber auch soldatischer Amateurerotik mit der Zeit immer mehr in den Bann.

Die ehemaligen Militärbasen, von der DDR-Bevölkerung abgeschirmt und bis zuletzt im Rahmen des Warschauer Pakts dem Moskauer Oberkommando unterstellt, gehörten zum tragenden Skelett des deutschen Teilstaats - und sind somit ein Teil der russisch-deutschen Geschichte, das aber im kollektiven Gedächtnis der Republik keinen Platz erhalten hat. Um Gerechtigkeit herzustellen und vieles, was inzwischen verloren ging, wenigstens zu dokumentieren, hat Neubauer aus seinem reichen Schatz einen voluminösen Bildband mit dem Titel "Kulturerbe" bestückt, der mit einer Standortkarte und instruktiven Kurztexten von Andreas Hilger, Christoph Meissner und Tanja Zimmermann ergänzt wurde - in sowohl deutscher, russischer als auch englischer Sprache, wie es einem Kulturvermittlungswerk gebührt.

Die Bilder von zumeist stark ramponierten, vielfach noch in preußischer Zeit errichteten und teils inzwischen abgerissenen Großbauten veranschaulichen zunächst einmal den Umfang der in Ostdeutschland stationierten Sowjettruppen, mit 350 000 bis 600 000 Mann das größte Kontingent außerhalb der Sowjetunion. Zum Zeitpunkt seiner Auflösung besaß der Sowjetstaat in Ostdeutschland 36 000 Gebäude, es gab achthundert Militärstädtchen, die die DDR zu unterhalten hatte, 243 000 Hektar, die Fläche des Saarlandes, waren militärisches Sperrgebiet. Diese Heeresgruppe war die schlagkräftigste der Sowjetarmee, sie hatte die NATO, seit 1959 auch mit Nuklearwaffen, abzuschrecken. Ihre Verbände schlugen 1953 den Aufstand in der DDR nieder, und 1968 beteiligten sie sich am Einmarsch in die Tschechoslowakei, der den Prager Frühling beendete.

Neubauers monumental-elegische Bildersammlung vermittelt eine Ahnung vom kulturellen Gepäck der Kämpfer. Doppelseitige Aufnahmen mit der Panoramakamera vergegenwärtigen Wandmalereien im Stil des Sozialistischen Realismus mit einem zuversichtlich ins Weite schauenden Lenin, unerschrockenen Kosmonauten, Athleten sowie Panzern, Raketen und heroischen Soldaten, die all dies bewachen. Dass sich die recht schablonenhaft verfertigten Bildwerke im Zustand der Verwahrlosung und physischen Auflösung befinden, verleiht ihnen fast so etwas wie antikische Grandezza. Von herbem Reiz sind die Reliefbilder von Soldaten und Kampffliegern am verlassenen Flugplatz Rangsdorf oder des gleichsam im Gleichschritt in die Zukunft fliegenden Sportlerpaars an der ehemaligen Kaserne Krampnitz bei Berlin. Manch wertvolle Werke wie der revolutionsmythologische, möglicherweise von den mexikanischen Muralisten inspirierte Bilderzyklus in der psychiatrischen Klinik Teupitz wurden bei Renovierungsarbeiten leider zerstört.

Um die Stimmung der Patienten aufzuhellen, wurden im Militärhospital von Jüterborg die Wände mit bunten Bildern des sowjetischen Comicarztes Doktor Aibolit (zu Deutsch "Doktor Aututweh") nach dem legendären Kinderpoem von Kornej Tschukowski geschmückt. Abblätternde Gemälde zeigen, wie der gütige weißbärtige Aibolit unter seinem Praxisbaum zahme, aber auch wilde Tiere therapiert, einer Bärin die verletzte Pranke verbindet und sogar in Afrika zum Einsatz kommt. Doch erst in der Sauna kam die sowjetrussische Soldatenseele zu sich selbst. An den Wänden früherer Schwitzbäder prangen freche Hobbygemälde von schlanken Badenixen, aber auch einer teufelsgeschwänzten Bacchantin, die sich zum fröhlich im heißen Kessel Badenden gesellt, sowie eines dösenden Nackedeis mit schäumendem Bierhumpen und versetzen in Träume von privaten Glücksmomenten. KERSTIN HOLM

Stefan Neubauer: "Kulturerbe".

Mit Beiträgen von Andreas Hilger, Christoph Meissner und Tanja Zimmermann.

Könemann Verlag, Köln 2021. 420 S., Abb., geb., 29,95 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Kerstin Holm ist ganz gerührt von den Fotografien in diesem Bildband von Stefan Neubauer. Die verlassenen Kasernen und die langsam verblassenden Wandmalereien der russischen Streitkräfte in den östlichen Bundesländern haben es ihr angetan. Sichtbar wird auf den Bildern für sie zum einen die schiere Größe des Kontingents der Sowjettruppen, aber auch private Träume und ideologisches Marschgepäck der Stationierten. Neben leeren Festsälen und Schwitzbädern dokumentiert Neubauer erotische Amateurzeichnungen, heroische Kosmonauten, Athleten und Soldaten von "antikischer Grandezza" im Panoramaformat, schwelgt Holm.

© Perlentaucher Medien GmbH