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Produktdetails
  • Verlag: Czernin
  • Seitenzahl: 310
  • Deutsch
  • Abmessung: 195mm
  • Gewicht: 422g
  • ISBN-13: 9783707601312
  • ISBN-10: 3707601315
  • Artikelnr.: 09808543

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Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

So ganz mag Udo Bermbach der Absicht von Robert Schlesinger, die Geschichte der Aufklärung, des 19. und 20. Jahrhunderts auf 279 Seiten neu zu schreiben, nicht zustimmen. Das wesentliche Element dieser Zeiten sei eine emotionale Revolution gewesen, die sich besonders deutlich in der nachbarocken Oper manifestiert habe, referiert der Rezensent die Thesen des Autors. Immer dann, wenn einer mit Wissensbeständen abrechne, werde vereinfacht, die eigene These zur Obsession, warnt Bermbach. Trotzdem findet er die Abhandlung von Schlesinger lesenswert, denn sie enthalte überraschende Einsichten und Anregungen, mit dem vorhandenen Wissen über diese Epochen kritischer ins Gericht zu gehen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.01.2002

Sturm und Gefühl
Die Entstehung der Revolution aus dem Geist der Oper
Die Absicht des Autors ist klar: Er will – auf 279 Seiten! – „die Geschichte der Aufklärung, des 19. und 20. Jahrhunderts neu schreiben”, und das am Beispiel der Oper als dem „wichtigsten künstlerischen Ausdrucksmittel der Moderne”. Ein hybrider Anspruch, gewiss, aber das Ergebnis lohnt die Lektüre dann doch. Schlesingers Hauptthese ist rabiat: im Unterschied zu gängigen Geschichtsinterpretationen sieht er der Französischen Revolution von 1789 und der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert als den beiden entscheidenden Ereignissen der Neuzeit eine „emotionale Revolution” vorangehen, die im ausgehenden 18. Jahrhundert durch Veränderung der mittelalterlichen Gefühlswelt einen neuen Menschen etabliert.
Emotionale Revolution, das bedeutet: Explosion der Gefühle; Entdeckung und Entwicklung des Individuums; Selbstbeobachtung, verbunden mit dem Willen, das eigene Leben aktiv zu gestalten; Entwicklung der Familie als Ort emotionaler Zuneigung, Hochschätzung der Kindheit, Liebe zwischen Mann und Frau, von Eltern zu Kindern. Das alles werde, so die These, zur Grundlage einer neuen kulturellen Orientierung, die ihrerseits erst die späteren gesellschaftlichen und politischen Revolutionen ermöglicht habe.
In der nachbarocken Oper finde diese „emotionale Revolution” ihren Ausdruck, denn in ihr wird der herrschende „Gefühlshaushalt” reflektiert und weiterentwickelt: die Psychologie der Figuren, die vertieften und individualisierten Gefühle zwischen Mann und Frau, die Mutterliebe, die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, Freundschaft und Selbstverwirklichung: Das alles seien Topoi einer neuen Gefühlskultur, die in der Moderne über die Musik, vor allem über die Oper einem sozial breiter werdenden Publikum zugänglich gemacht werde. Aus diesem Vorgang erklärt der Autor auch, weshalb das Opernrepertoire bis in die Gegenwart gleich geblieben ist: der menschliche Gefühlshaushalt habe sich bis heute nicht sehr verändert. Die Avantgarde habe diesen Grundbefund offensichtlich nicht begriffen, denn sie ziele mit ihrem Musiktheater nicht auf Gefühle, sondern auf den Verstand.
Man weiß: wenn prinzipiell mit vorhandenen Wissensbeständen abgerechnet wird, geht die Rechnung zumeist nicht auf. Da wird vieles vereinfacht, werden bekannte Tatbestände in neue und nicht immer überzeugende Zusammenhänge gebracht, wird eine einzige These zur obsessiven Behauptung. Aber es gibt überraschende Einsichten und Anregungen – wie immer, wenn eine neue Schneise durch gewachsenes Unterholz geschlagen wird.
UDO BERMBACH
ROBERT SCHLESINGER: Die Emotionale Revolution. Die Oper als Schlüssel zu den 150 Jahren des 19. Jahrhunderts. Czernin, Wien 2001. 310 Seiten, 23 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.05.2002

Ein bißchen zu emotiviert sind die Leut'
Robert Schlesinger grantelt sich durch die Operngeschichte des neunzehnten Jahrhunderts

So viel demonstratives Selbstbewußtsein ist selten: Der Wiener Historiker, Journalist und Opernenthusiast Robert Schlesinger hat sich nichts Geringeres vorgenommen, als die Operngeschichte total umzuwerten und neu zu schreiben. Als Basis seiner Beweisführung dient ihm eine Hypothese: Nicht Bürgertum und Kapitalismus hätten das neunzehnte Jahrhundert geprägt, sondern Gefühle, die erst gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts als "Emotionale Revolution" ausgebrochen seien. Daraus folgert er, daß die Oper keine bürgerliche Kunstform gewesen sei, weil es ein Bürgertum als geschlossene Gesellschaftsschicht nicht gegeben habe. Die Oper des neunzehnten Jahrhunderts, die von Mozarts "Entführung aus dem Serail" (1782) bis zu Puccinis "Turandot" (1926) reiche, sei vielmehr die entscheidende künstlerische Ausdrucksform der neuen Gefühlsintensität gewesen. Der Konflikt zwischen moderner und vormoderner Gefühlseinstellung sei so das zentrale Thema der Oper im "langen" neunzehnten Jahrhundert gewesen.

Im Vorwort versucht Schlesinger mögliche Einwände auszuhebeln, indem er sie in "Hinweise(n) für meine Rezensenten" vorwegnimmt. Er nennt unter anderem Anmaßung, verwurstete Erkenntnisse anderer Forscher, fehlende wissenschaftliche Methodik. Leider liefert er damit Munition gegen sich selbst, denn die Einwände treffen nur allzusehr zu. Mit Bergen aus Lesefrüchten aller möglichen Wissensgebiete versucht er die moderne Gefühlsgesellschaft nachzuweisen, die er stolz wortschöpferisch "emotiviert" nennt. Doch als Historiker sollte Schlesinger wissen, daß geschichtliche Entwicklungen nie linear oder monokausal ablaufen.

Gefühlsäußerungen im emphatischen "modernen" Sinn habe es im Barock nicht gegeben. Dies findet Schlesinger bestätigt in formelhaften Abläufen der Barockoper, in Terrassendynamik ("Im Barock hatte es nur zwei Lautstärken gegeben: forte und piano, dazwischen nichts") oder im angeblich stark gerundeten barocken Streicherbogen, der ebenfalls nur zu dynamischen Extremen fähig gewesen sei. Daß schon Claudio Monteverdi dynamische Zwischenstufen vorschrieb, daß sie im übrigen - weil Allgemeingut und improvisatorisch affektgebunden - nicht eigens notiert wurden, entgeht dem Verfasser. Außerdem typisierte sich die Barockoper erst gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts, also fast hundert Jahre nach ihrer Entstehung, zur Formelsprache der Opera seria, in der tatsächlich der abstrakte Kunstwerkcharakter die Affekte weitgehend formalisierte. Und der sogenannte Rundbogen ist, wie man schon seit Jahrzehnten weiß, eine Erfindung des zwanzigsten Jahrhunderts.

Die Tatsache, daß das Opernrepertoire bis heute hauptsächlich aus Werken von Mozart bis Puccini besteht, erklärt Schlesinger aus der emotionalen Thematik dieser Opern, die den Gefühlserfahrungen des Publikums entspräche. Zum "Nachweis" erzählt er seitenlang Operninhalte nach, wobei er geschickt Handlungsstränge mit Gefühlsbeziehungen herausschält, die gegen "vormoderne" Anschauungen anzukämpfen haben. Doch die wenigsten Opernhandlungen erschöpfen sich in dem einsträngigen Schema, das Schlesinger aus ihnen herausliest. Und da er zudem die Musik, die in der Oper ja gerade in Gefühlsdingen entscheidend mitspielt, beiseite läßt, kommt er zu seltsamen Schlußfolgerungen. Da Wagner dieselben Gegensätze zwischen traditioneller und "emotivierter" Gesellschaft thematisiere wie in den übrigen Opern des neunzehnten Jahrhunderts, unterschieden sich Wagners Werke formal nicht von Opern Lortzings, Webers oder Meyerbeers; daß Wagner seine Werke "Musikdramen" nannte, sei "nichts weiter als Propaganda des Marketinggenies Richard Wagner". Daß Wagner mit "Musikdrama" das von der traditionellen Oper seiner Zeit deutlich unterschiedene Gesamtkunstwerk meinte, entgeht dem Autor.

Die einseitige Textbezogenheit seines "kleinen ,emotivierten' Opernführers" verleitet Schlesinger zu der absurden Feststellung, man könne "ohne weiteres Mozart mit Offenbach, Verdi mit Max von Schilling und Donizetti mit Richard Strauss vergleichen", da ja alle in ihren Opern die gleichen Geschichten erzählten, die dem Publikum so sehr gefallen. Die eminenten musikstilistischen Unterschiede zwischen diesen Komponisten sind Schlesinger unwichtig.

Die Gattung Oper und ihre Geschichte ist eben doch reicher und unberechenbarer, als Schlesingers verengte Sicht es erkennen läßt. Allzuviel ist unbekümmert hingeplaudert, wenig systematisch und oft unscharf dargestellt. Ohnehin ist die emotionale Individualisierung der Gesellschaft nur ein Hintergrund für die Popularisierung der Oper im neunzehnten Jahrhundert. Mindestens ebenso wichtig sind politische, musikstilistische und -betriebliche Entwicklungen im Zusammenhang mit den Nachbarkünsten. Vielleicht will Schlesinger mit seiner anfechtbaren These ja tatsächlich nur seine eigene Vorliebe für das Zentralrepertoire begründen. Das wäre dann der dritte Punkt in seiner Liste "für meine Rezensenten": "Pseudowissenschaftlich verbrämte Geschmacksurteile; dem Autor gefällt ganz einfach die Neue Musik (zu ergänzen wäre: die Musik vor Mozart) nicht."

ELLEN KOHLHAAS

Robert Schlesinger: "Die Emotionale Revolution". Die Oper als Schlüssel zu den 150 Jahren des 19. Jahrhunderts. Czernin Verlag, Wien 2001. 311 S., geb., 23,- [Euro].

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