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Romana ist eine Frau, die Geschichten zusammensetzt und Erinnerungen sammelt: eine Archivarin. Sie glaubt, in einem namenlosen Soldaten, der 2014 schwerverletzt aus dem Krieg im Donbass zurückkehrt, ihren verschollenen Ehemann Bogdan zu erkennen: Der Mann ist zu verstümmelt, um identifiziert zu werden, und zu traumatisiert, um sich zu erinnern. Romana versucht, Bogdan erzählend Gedächtnis und Identität zurückzugeben. Einst hat er ihr einen geheimnisvollen Koffer mit Fotos und Dokumenten übergeben. Dieser Koffer wird zum Ausgangspunkt einer Suche nach der gemeinsamen Vergangenheit. Vielleicht…mehr

Produktbeschreibung
Romana ist eine Frau, die Geschichten zusammensetzt und Erinnerungen sammelt: eine Archivarin. Sie glaubt, in einem namenlosen Soldaten, der 2014 schwerverletzt aus dem Krieg im Donbass zurückkehrt, ihren verschollenen Ehemann Bogdan zu erkennen: Der Mann ist zu verstümmelt, um identifiziert zu werden, und zu traumatisiert, um sich zu erinnern. Romana versucht, Bogdan erzählend Gedächtnis und Identität zurückzugeben. Einst hat er ihr einen geheimnisvollen Koffer mit Fotos und Dokumenten übergeben. Dieser Koffer wird zum Ausgangspunkt einer Suche nach der gemeinsamen Vergangenheit. Vielleicht ist Romana aber nur eine unzuverlässige Erzählerin, die einem fremden Soldaten eine Biografie anbietet...
Autorenporträt
geboren 1982 in Iwano-Frankiwsk, Ukraine. Sie lebt in Kiew als Schriftstellerin, Übersetzerin und Essayistin. Sie ist die Tochter des Autors Jurij Andruchowytsch und hat seit 2002 mehrere Prosabände veröffentlicht. 2014 gelang ihr der literarische Durchbruch mit dem Roman ¿Der Papierjunge¿, der in mehrere Sprachen übersetzt sowie verfilmt wurde und 2016 im Residenz Verlag erschienen ist. Ihre große Roman-Trilogie ¿Amadokä erschien 2020 in der Ukraine und löste heftige Diskussionen über die Rolle der Ukraine während des Nationalsozialismus sowie über die Krim-Annexion von 2014 aus.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Vorsichtiges Lob von Rezensent Jörg Plath für diesen Roman, der der erste Band einer Trilogie ist. Sofia Andruchowytsch, Tochter des ukrainischen Schriftstellers Juri Andruchowytsch, erzählt über drei Generationen, von den zwanziger Jahren bis heute, eine "Gewaltgeschichte" der Ukraine als Familienroman. Das ist interessanter, als es erst mal klingt, versichert der Kritiker, weil Andruchowytsch erstens gut erzählen kann und zweitens dabei krumme Wege geht: Die Russen sind hier nicht alle eindeutig die Bösen und die Ukrainer der Guten, so Plath. Beide sind in diesem Roman beides, Täter und Opfer, deren Identitäten auch noch durch teilweise falsche Erinnerungen konstruiert sind. Plath findet das ausgesprochen lesenswert, nur bleiben am Ende alle Handlungsfäden unverknüpft, klagt er. Denn Teil 2 und 3 der Trilogie erscheinen erst im Herbst beziehungsweise nächstes Jahr.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.01.2023

Erzählerin der Ukraine
Die Schriftstellerin Sofia Andruchowytsch hat mit ihrer Trilogie
„Amadoka“ das Vorwort zum Krieg geschrieben. Ein Kennenlernen
Der Amadoka war einst der größte See Europas, 100 Quadratkilometer Wasseroberfläche, gelegen im Westen der heutigen Ukraine zwischen Wolhynien, Galizien und der Bukowina. Herodot erwähnte den riesigen Amadoka, mittelalterliche Karten verzeichneten ihn. Dann verschwand er.
Oder doch nicht? Wo ist er hin, der große See? Hat es ihn überhaupt gegeben? Wer hat über den Amadoka geschrieben und warum? Die ukrainische Schriftstellerin Sofia Andruchowytsch lebt in Kiew und hat pünktlich zum Videointerview einen Ort mit Starlink-Internet und Strom gefunden. Zwei Stunden Elektrizität am Tag habe sie derzeit zuhause in Obolon, einem Stadtteil, wo bereits zu Beginn des Krieges Raketen einschlugen. „Ja, wir waren sehr nah dran“, sagt sie auf Englisch: „Andererseits sind in der Ukraine alle nah dran.“
„Amadoka“ ist der Titel ihrer Trilogie, die 2020 auf Ukrainisch erschienen ist. Der erste Teil „Die Geschichte von Romana“ kommt in diesen Tagen auf Deutsch heraus. Und auch wenn das literarische Jahr erst angebrochen ist, kann man festhalten: Wenn je ein Roman eine Form und einen Ton gefunden hat für die Geschichte der Ukraine in all ihrem Leid und mit all ihren Abgründen, dann ist es dieses schwindelerregende Epos. „Amadoka“ handelt von den furchtbarsten Katastrophen des 20. Jahrhunderts, von der stalinistischen Repression gegen Intellektuelle, dem millionenfachen Hungertod, vom Holocaust, aber auch vom Krieg im Donbass 2014. Und als würde ein hinterlistiger Gott dem Werk noch ein wenig mehr Bedeutung aufladen, erscheint es auf Deutsch in einer Zeit, in der die Menschen in der Ukraine um ihr Überleben kämpfen – wieder einmal. „Tief im Inneren wussten wir immer, dass es einen großen russischen Angriff geben würde“, sagt Sofia Andruchowytsch in Kiew: „Mein Roman ist ein Vorwort zu dem, was heute geschieht.“
Ihr Vater Juri Andruchowytsch hat der ukrainischen Literatur mit seinen wilden, burlesken Romanen den Weg in die europäische Wahrnehmung geebnet, aber vielleicht brauchte es eine Autorin ihrer Generation – Sofia Andruchowytsch ist 1982 im westukrainischen Iwano-Frankiwsk geboren –, um sich an Stoffe zu wagen, die in der ukrainischen Literatur fast keine Rolle spielten, die von der Sowjetunion verboten, von der Gesellschaft verdrängt und verschwiegen wurden. „Ich war selbst überrascht, aber die Leser schienen bereit zu sein, als hätten sie auf etwas Derartiges gewartet“, erinnert sie sich.
In der „Amadoka“-Trilogie entfaltet Andruchowytsch ein gewaltiges Panorama, verwebt Dutzende Stimmen und Schicksale, reale Vorbilder, Archetypen, fiktionale Charaktere. Der erste Teil, „Die Geschichte Romanas“, entwirft die Rahmenhandlung, die fast Mystery-hafte Geschichte eines rätselhaften Gedächtnisverlustes. Ein Mann, Bohdan, liegt im Krankenhaus, nachdem er an der Front im Donbass verwundet wurde. Er ist auf grausame Weise, nein: bis zur Unkenntlichkeit entstellt, und erinnert sich an nichts. Bis seine Frau auftaucht, Romana, die entschlossen ist, ihn dem Vergessen zu entreißen, ihn durch ihre Liebe zu retten. Aber sind es wirklich seine Erinnerungen oder ihre eigenen, die sie ihm ins Gedächtnis zurückrufen will? Und welches Recht hat sie, ihn in sein altes Ich zu zerren? Zu dieser Geschichte habe sie der Bericht eines Psychiaters inspiriert, der Soldaten aus dem Krieg im Donbass nach einem Gedächtnisverlust behandelte, erzählt Andruchowytsch. Einer der Männer habe den Arzt gefragt: „Warum wollen Sie eigentlich, dass ich mich an mein früheres Leben erinnere? Was, wenn es keine angenehmen Erinnerungen sind? Wenn ich eine Person war, die ich nicht mehr mag und die ich jetzt nicht mehr sein will?“
Diese Sätze finden sich fast wörtlich am Ende der „Geschichte Romanas“. Da da hat man längst begriffen, dass Sofia Andruchowytsch die Erinnerung an Schmerz und Schuld zwar für unerlässlich hält, um zu einer vollständigen Identität zu gelangen – sei es die Identität eines Menschen, einer Gesellschaft oder eines Landes. Man hat allerdings auch begriffen, dass sie keine Illusionen darüber hat, wie hoch der Preis für dieses Erinnerns sein kann.
Nicht nur der Held Bohdan ist deformiert, auch über Romanas Bauch zieht sich eine lange Narbe, und in der Wohnung von Bohdans Vater, einem Schönheitschirurgen, hängen unheimliche Bilder seiner Patienten. Andruchowytsch spielt alle erdenklichen Metaphern des Erinnerns durch – den versunkene See Amadoka, einen Koffer mit Bildern, den Bohdan Romana aufdrängt, Romanas Arbeit in einem Archiv unter der Kiewer Sophienkathedrale –, und jede einzelne könnte schlicht, alle zusammen in der Summe morbide wirken, würde die Sprache nicht plötzlich ins Helle und Aufgekratzte umschlagen: „Auf Friedhöfen waren die Pflanzen immer so ungestüm und lebendig.“
Ohnehin herrscht in Andruchowytschs Prosa ein eigenartiger Schwebezustand, der sich in der Beurteilung der Vergangenheit nicht festlegt. Diese Offenheit mag ein Grund dafür sein, dass das ukrainische Publikum selbst die schlimmsten Wiedergänger seiner Geschichte hinnahm wie etwa jenen Folterknecht des sowjetischen Geheimdienstes NKWD, der jeden Abend mit zerschlagenen Knöcheln nach Hause kommt und sich bei seiner Frau beschwert: „Ich wollte mit ganzem Herzen dabei sein, ich wollte jeden Menschen besonders behandeln, für jeden eine ganz eigene Herangehensweise haben, so wie echte Spezialisten, wie dein Großvater. Aber geht das denn, wenn es jeden Tag so viele von ihnen gibt“? Die Charaktere in ihrem Roman seien nicht alle gute Menschen, sagt Andruchowytsch: „Sie üben Verrat, sie töten, sie sind schwach. Ich wollte die Ukrainer nicht als Heilige oder nur als Opfer darstellen.“
Die Ambivalenztoleranz des ukrainischen Publikums sank naturgemäß mit dem russischen Überfall. Andruchowytsch sieht es nicht ohne Bedauern. Sie ist überzeugt, dass Kompromisslosigkeit und Schwarz-Weiß-Denken eine natürliche Folge des Krieges sind: „Man muss die Dinge vereinfachen, um zu überleben“, sagt sie. Zugleich fürchtet sie die Polarisierung, die Autoaggression. Während der Westen des Landes vor dem Krieg eine fertige ukrainische Identität besaß, und die Menschen sich dort in ihrem Ukrainischsein wohl und intakt fühlten, sei das im Osten anders gewesen. Lange Zeit waren viele Ukrainer dort dem Russischen verbunden: „Nun ist alles Russische feindlich, und sie müssen sich von etwas trennen, was ein Teil von ihnen war. Oft sind sie dabei zu streng. Das führt zu großen Spannungen.“
Heute liest das Publikum auch die Amadoka-Trilogie anders als vor dem Krieg. Ein Leser habe ihr vorgeworfen, dass sie einem Soldaten der moskautreuen Separatisten im Donbass menschliche Züge verliehen habe. „Ich sei zu idealistisch, schrieb er. Wie könne ein solcher Mensch gute Eigenschaften besitzen?“, sagt sie: „Es stimmt, wir erleben täglich, wie diese Soldaten Verbrechen verüben. Ich verstehe den Leser.“ Könnte sie heute einen solchen Roman schreiben? „Ich glaube nicht. Es gäbe im Publikum keine Akzeptanz dafür. Und was mich persönlich angeht: Ich glaube sonst immer an die Freundlichkeit der menschlichen Natur, aber im Augenblick gelingt mir das nicht.“ Aber es wird ja wieder geschrieben werden, es wird auch über diesen Krieg geschrieben werden. „Wir haben den Fehler begangen, dass wir zu früh vergessen haben, deshalb mussten wir bestimmte Situationen immer von Neuem durchleben“, sagt sie: „Jetzt haben wir die Chance, es noch einmal zu versuchen, in allen Details, und uns selbst dabei nicht zu idealistisch zu betrachten. Wir werden nicht mehr vergessen.“
SONJA ZEKRI
Derzeit, sagt die Autorin, gelinge
es ihr nicht, an die Freundlichkeit
der Menschen zu glauben
„Ich wollte die Ukrainer nicht als Heilige oder nur als Opfer darstellen“: die Schriftstellerin Sofia Andruchowytsch.
Foto: Valentyn Kuzan
Sofia Andruchowytsch: Die Geschichte von Romana, Residenz Verlag, Wien 2023, 304 Seiten, 25 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.07.2023

Ihr persönliches Monster
Aus der Ukraine: Sofia Andruchowytschs "Die Geschichte von Romana"

Verständlich, dass seit einiger Zeit in der Ukraine Romane geschrieben werden, in denen die Zeitgeschichte des Landes die Hauptrolle spielt. Denn der Bedarf an Kontinuität steigt, wenn sich alles rapide verändert wie spätestens seit den Protesten auf dem Maidan, der russischen Annektion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine. In solchen gesellschaftlichen Problemlagen kann die Literatur relativ schnell zur Stelle sein. Denn Schnittmusterbögen für Kontinuitätserzählungen gibt es seit mehreren Jahrhunderten: Es sind Familienromane, in denen das Individuelle mit dem Allgemeinen vernäht wird - in der Regel so, dass sich im Kleinen das große Ganze ausdrückt. Die guten und die bösen Rollen sind in diesen Werken klar verteilt, die Moral auch. An dieser Literatur finden Seelen wie Nationen Remedur.

Auch Sofia Andruchowytschs neues Buch scheint auf den ersten Blick ein literarisches Heilmittel zu sein. "Die Geschichte von Romana" ist der erste Teil des dreiteiligen "Amadoka-Epos", in dessen Mittelpunkt Frauen stehen. Da "Amadoka" eine Metapher sei für das Land, so heißt es in der Verlagswerbung griffig, riefen die Geschichten von Romana, Uljana und Sofia die Historie der Ukraine von den Zwanzigerjahren bis in die Gegenwart auf.

Glücklicherweise zieht Andruchowytsch die krummen und Umwege den Parallelen vor. Die 1984 geborene Tochter des Schriftstellers Jurij Andruchowytsch erzählt fragmentiert und konzentriert von prägnanten Situationen. Ein mikroskopischer Blick richtet sich auf Versehrte sowie zerstörte oder unzugängliche Erinnerungen gleichermaßen. Nicht nur Amadoka - so soll eine ukrainische Legende um einen verschwundenen See heißen - ist eine Metapher, alles in dem dreiteiligen Epos ist es. Was Sofia Andruchowytschs erzählerische Kraft und Intensität über weite Strecken erfolgreich vergessen lässt.

In den besten Passagen lässt ihr schmerzhafter Zugriff auf zerstörte Körper und Erinnerungen an die Prosa von Reinhard Jirgl denken. Etwa wenn Romana auf den entstellten Bohdan blickt: "Er sieht aus wie ein Tier, das im Schlachthof von Fleischern zerteilt wurde, dessen einzelne Stücke aber dann aus irgendeinem Grund wieder zusammengewachsen sind. Sein Gesicht hat wenig Ähnlichkeit mit dem Gesicht eines Menschen: die Gesichtszüge unstimmig und zusammenhanglos, die Nasenlöcher verdreht, die Konturen von Kiefer und Schädelknochen zeichnen sich unnatürlich unter der Haut ab, dunkle eingefallene Stellen bedecken Wangen und Stirn. Sie zittert, während sie ihn betrachtet. Das ist ihr Mann. Das ist ihr persönliches Monster."

Romana hat Bohdan kennengelernt, als er einige Koffer mit Fotografien und Hinterlassenschaften im Archiv für Literatur und Geschichte abgab. Für den damals gut aussehenden groß gewachsenen Archäologen sind es wichtige Dokumente der Familiengeschichte, für die Archivarin Romana nur Plunder von Unbekannten. Als sie sich überraschend wiederbegegnen, verführt Bohdan sie ruppig, um dann spurlos in einer Militäroperation im Osten zu verschwinden. Romana beugt sich nun doch über die Fotografien in den muffigen Koffern und sucht als Putzfrau die Nähe zu Bohdans Vater, um mehr über Familie und Sohn zu erfahren. Doch Professor Krywodjak, offenbar traumatisiert von gewalttätigen Ereignissen, vermag von beidem nicht zu erzählen. Eine andere Geschichte drängt aus ihm heraus.

Romana erfährt von der Affäre des plastischen Chirurgen mit einer Patientin, der er ungeachtet deren vollkommener Schönheit ein neues Gesicht verschafft, weil sie ihrem Leben entkommen will - einem Folterer des sowjetischen Geheimdienstes als Ehemann und einem hohen Offizier ebendieses NKWD als Großvater. Der Offizier beendet Professor Krywodjaks lang anhaltende Affäre mit Zoya mit wenigen Worten in einer Verhörzelle und deutet an, für seine Zeugung verantwortlich zu sein. Davon hat Andruchowytsch zuvor erzählt: Wie der NKWD-Offizier nach dem Krieg den Priester und Untergrundkämpfer Matwej Krywodjak für die gerechte Sache gewinnen will und ihm den Kontakt zur geliebten Uljana erlaubt. Weil Matwej jedoch unbeugsam bleibt, wird er in den Gulag deportiert und ermordet.

Sofia Andruchowytsch erzählt verwickelte Gewaltgeschichten aus drei Generationen auf dem Gebiet der Ukraine von der frühen Souveränität bis zum Krieg im Osten. Täter und Opfer lassen sich in ihnen nicht fein säuberlich entweder Russen oder Ukrainern zuordnen, was in dem von Putin angegriffenen Land nicht jedermanns Zustimmung findet. Zudem sind die traumatischen Ereignisse nur teilweise zugänglich, und es ist unsicher, ob sie wahr sind: Ist Bohdan, das "Monster", dessen Gedächtnis im Krieg, der seinen Körper zerfetzte, vollkommen ausgelöscht wurde, wirklich Romanas Mann? Immerhin erinnert sie sich an seine Schuhgröße falsch. Romana erlaubt sich keinen Zweifel und erzählt dem zusammengestückelten Bohdan, den sie nicht wiedererkennt und der sie nicht wiedererkennt, ihre gemeinsame Geschichte. Identitäten und Erinnerungen, das zeigt die Autorin mit der Archivarin und dem unter retrograder Amnesie leidenden Archäologen, sind konstruiert, auch rekonstruiert. Beliebig aber sind sie nicht: Die Zeitgeschichte zieht den Fiktionen Grenzen.

Erzählerisch und intellektuell macht Sofia Andruchowytsch also alles richtig. Nur hängen nach der Lektüre des ersten Epos-Teils fast alle Fäden in der Luft, ergeben die von Alexander Kratochvil und Maria Weissenböck zupackend übersetzten und aufeinander verweisenden Gewaltgeschichten ein recht löchriges Netz. Die wiederholte Andeutung nicht erzählbarer Traumata droht den fasziniertesten Leser aus der Bahn zu werfen, der warten muss: Die Teile zwei und drei des Epos mit den Geschichten von Uljana und Sofia erscheinen erst im Oktober 2023 und Oktober 2024. Das Original wurde 2020 in einem Band publiziert, und auch der Residenz Verlag sah alle drei Teile für Herbst 2024 vor. Aber nach dem russischen Angriff auf die Ukraine beschloss der Verlag, "Die Geschichte von Romana" vorzuziehen. Sofia Andruchowytschs komplexe Erzählung sollte in Zeiten der Vereinfachung präsent sein. JÖRG PLATH

Sofia Andruchowytsch: "Die Geschichte von Romana". Amadoka-Epos 1.

Aus dem Ukrainischen von Alexander Kratochvil und Maria Weissenböck. Residenz Verlag, Salzburg 2023. 303 S., geb., 17,99 Euro.

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