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Die Gegenfrage, ob dann nicht die Wirklichkeit in räsonierende Provinzen ohne philosophische Hauptstadt auseinanderbräche, kann nur dann verneint werden, wenn es beispielhafte Formen des Wirklichen gibt, die uns unterstützen, alle anderen Formen des Wirklichen uns zugänglich und verständlich zu machen. Diese Voraussetzung führt weiter zu den Fragen, wie die so beschriebene Wirklichkeit dem Menschen offen steht. Auf welche Kriterien können wir uns verlassen, wenn wir uns der Wirklichkeit versichern wollen? Ein so grundsätzliches Thema bedarf vielfältiger Zugänge, wie der Psychologie, Medizin,…mehr

Produktbeschreibung
Die Gegenfrage, ob dann nicht die Wirklichkeit in räsonierende Provinzen ohne philosophische Hauptstadt auseinanderbräche, kann nur dann verneint werden, wenn es beispielhafte Formen des Wirklichen gibt, die uns unterstützen, alle anderen Formen des Wirklichen uns zugänglich und verständlich zu machen.
Diese Voraussetzung führt weiter zu den Fragen, wie die so beschriebene Wirklichkeit dem Menschen offen steht. Auf welche Kriterien können wir uns verlassen, wenn wir uns der Wirklichkeit versichern wollen?
Ein so grundsätzliches Thema bedarf vielfältiger Zugänge, wie der Psychologie, Medizin, Wissenschaftsgeschichte und Theologie.
Der Großteil der Beiträge stammt aus den verschiedenen Richtungen der Philosophie wie der Ontologie, Ethik, Naturphilosophie, Philosophiegeschichte.
Autorenporträt
Thomas Buchheim, geb. 1957, Studium der Philosophie, Gräzistik und Soziologie in München. 1993-1999 Professor in Mainz; seit 2000 Ordinarius für Philosophie an der LMU München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.05.2002

Damit wir nicht alles gutreden
Charme des Normativen: Eine Festschrift ehrt Robert Spaemann

Der Satz, daß Sein und Sollen am Ende gleichen Umfang und Ursprung haben, ist eine These, die Begriffsrealisten von einst leicht von den Lippen ging. Zu leicht, meinte der Nominalismus, der diese These zum "naturalistischen Fehlschluß" erklärt hat, dabei freilich nicht immer bedachte, daß "Sein" sehr vielfach ausgesagt werden kann und kaum jemand, der an dem "ens et bonum convertuntur" festhielt, alles, was es bloß "gibt", damit schon gutreden wollte. Georg Jelineks "Normativität des Faktischen" dagegen ist unter nominalistischen Prämissen formuliert. Sie ist eine empirische These über die das empirische Bewußtsein bindende Macht empirischer Tatsachen. Daß es die Unfreiheit gibt, heißt nach Hegel nicht, daß sie sein soll; daß Freiheit wirklich ist, heißt, daß sie selbst ihr Seinsollen zeigt. Wer weiß, was er tut, kann von einer "Normativität des Wirklichen" sprechen - wie dies in der Festschrift getan wird, die Robert Spaemann zu seinem am 5. Mai gefeierten Fünfundsiebzigsten ehrt.

Zustande gekommen ist ein stattlicher Band, den prominente Namen zieren und dessen Beiträge sich in den meisten Fällen zwanglos als Versuche über die Reichweite "realistischen" Denkens heute verstehen lassen. Den Reigen eröffnet Rémi Brague mit einer historischen Studie über die Zweitheit des Sollens, das nur als Seinsdefekt und Mangel des Guten bewußt wird, daher in der antiken Ethik kaum herauspräpariert, geschweige denn zur Ethikbegründung herangezogen wurde und erst bei Anselm von Canterbury als Signatur der conditio humana ausgesprochen ist. Brague weist darauf hin, daß diese Depotenzierung des Sollens nur die Kehrseite einer Vollkommenheitsmetaphysik ist, deren kosmologischer Seite Rolf Schönberger in einem Beitrag über das Fortleben einer bei Platon ausdrücklich gemachten "Bestandsgarantie" der Welt im Mittelalter nachgeht. Schönberger zeigt, daß auch das Mittelalter nicht nur in apokalyptischen Farben malte, ja den Gedanken einer wirklichen "Annihilation" der Schöpfung zurückwies. Methodische "Annihilation" von Welt, schon von Descartes in "Le Monde" als Bedingung ihrer theoretischen Rekonstruktion aufgezeigt, liegt dagegen in Kants Metaphysikkritik, und es nimmt nicht wunder, daß jetzt das Sollen "früher" ist als das Sein, der Kampf gegen das Sinnliche Pflicht.

Tatsächlich aber kämpft bei Kant, so Thomas Buchheim, Vernunft nicht gegen "das", sondern gegen "den" Sinnlichen, das andere Subjekt, das ich gerade im Lichte des Sollens selber bin. Das Problem der "vielen Subjekte" und "Handlungskeime" in mir soll man jedoch nicht mit Hume durch Streichung der Subjektkategorie umschiffen. Buchheim plädiert im Sinne nicht überhaupt praktischer, sondern Praxis initiierender Vernunft vielmehr für die aristotelische Tugend, welche vernunftgeleitete Personeinheit gerade auch "vielfärbiger Subjekte" (Kant) zu denken erlaubt. Kant hätte Effektivitätskriterien in der Ethikbegründung freilich zurückgewiesen. Es ist eine Frage der Ontologie, die man hat, ob das "gute Leben" die Normen gibt oder diese, freiheitsgezeugt, das Leben von innen heraus erst gut sein lassen.

Die angesprochenen Themen führen bereits auf Problemkreise, die Robert Spaemann wiederholt fundamentalphilosophisch beschäftigt haben. Spaemann steht wie wenige heute für ein nicht-reduktionistisches Wirklichkeitsdenken, in dessen Namen er - für Fachgenossen wie dank seiner jargonfrei-frischen Essayistik auch für das größere Publikum - Themen reaktiviert hat, die zum Kernbestand europäischen Denkens zählen, dennoch aber an die Peripherie gerückt sind und (mit Spaemann zu reden) der "gebildeten Menschen" harren, die sie in die Sprache der Philosophie zurückholen: Themen wie Natur und Vernunft, Religion und Gott, Teleologie. Peter Geach hat als unverdächtiger Zeuge im vorliegenden Band die relative Nichteliminierbarkeit teleologischen Denkens noch aus der Sprache der Physik, aus der Konstitution von Kausalität aufgezeigt; im Ausgang von Mill schlägt er die Rekonstruktion von Kausalitäten in einer "Logik des Imperativs" vor, die keineswegs zwingend sogleich einen Befehlenden voraussetzt, aber Räume für Kontingenzen läßt. Der Sache nach wird hier am Ende ein Rüstzeug geliefert, den kühnen Gedanken Leibnizens von der "Existenzprätention" des Möglichen durchzubuchstabieren, Teleologie also nachgerade ontologisch zu verankern.

Weniger die Theologie als vielmehr der weiland politische Arm der Kirche ist das Thema in Richard Schröders Beitrag über den "Fall Galilei". Schröder bietet eine fundierte Kritik immer noch grassierender "Galilei-Legenden", lesenswert auch dann, wenn eigentlich neue Details nicht auftauchen. Schröder pointiert, versteht sich ohne den Prozeß, der in dieser Form eine Neuerung war, zu rechtfertigen, insbesondere auf einen Gegensatz in der Einschätzung mathematischer Wissenschaft als Schlüssel zu äußerer Wirklichkeit hin. Nur ist die Frage hier nicht, ob Galilei in der Tat in einigen Punkten geirrt oder die Kurie nicht doch auch ihrerseits "Gründe" gehabt hat - und sei es, wie der Anachronismus es will, das "Prinzip Verantwortung" in der Erkenntnis. Das Problem ist vielmehr, daß hier eine Erkenntnisfrage auf das falsche Forum geraten ist, wie denn selbst, wer meint, die Erde drehe sich um den Mond, sich nicht von Kardinälen, sondern von Astronomen muß rezensieren lassen.

Hegel hat aus Anlaß des Falls Galilei gesagt, daß "die Freiheit des Denkens und der Wissenschaft" vom Recht und von Staat und von niemanden sonst ausgehe. Das muß nicht blind für die Tatsache machen, daß es nicht auch gesellschaftlich-staatliche "Tendenzen der Moralisierung kognitiver Meinungsgehalte" gibt; Hermann Lübbe der das Problem anspricht, diagnostiziert vielmehr gerade für unsere Gegenwart ein "komplementäres" Anwachsen dessen, "was nicht wahr sein darf", bei wachsendem "Komplexitätsgrad der kognitiven Prämissen". Erkenntisverbote sind so gesehen "modernitätsabhängig", sie sind eine Antwort auf die "Verunsicherung" durch immer neue Erkenntisoptionen, die Handlungsoptionen nicht zu erweitern, sondern nur zu suspendieren scheinen. Sie, nicht der Diskurs, entsprechen der "Rationalität" der Moderne - was doch nur anzeigen kann, daß Wahrheit eben in keinem Fall eine "gesellschaftlich vermittelte" ist.

Den Band beschließen noch einmal französische Denker, Paul Ricoeur zunächst, dessen Recht und Moral versöhnungslyrisch mischende Thesen über den "Skandal des Strafens", der "Gewalt" im Recht (einst hatte Antiphon die Rechtspflege selbst deshalb "Unrecht" genannt) freilich ein gerüttelt Maß an Fragezeichen verdienen, wie zuletzt mit Jean-Luc Marion ein profilierter Vertreter der neueren Phänomenologie in Frankreich. Marion traktiert auch hier sein zentrales Thema der "Gabe", die, so sehr sie in ihrer reinen Gestalt nicht dem Bewußtsein (der Berechnung, dem zureichenden Grund) entstammt, vielmehr sich selbst dem Bewußtsein erst gibt und sich darin zum "reinen Phänomen", zum Ursinn der Phänomenalität weitet. Die Illusion, berechnend verwalten zu können, was "es gibt", ist aus dem Horizont des Sich-Gebens, in dem alleine aller Reichtum und Überfluß wohnt, schon gefallen. Der schöne Text beschließt eine schöne Gabe. Das Sollen im Sein ist kein Praeteritum.

THOMAS SÖREN HOFFMANN.

"Die Normativität des Wirklichen". Über die Grenzen von Sein und Sollen. Herausgegeben von Thomas Buchheim, Rolf Schönberger, Walter Schweidler. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2002. 520 S., geb., 50,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Diese Festschrift zum 75. Geburtstag des Philosophen Robert Spaemann liest sich, so Thomas Sören Hoffmann, in weiten Teilen als Untersuchung zur "Reichweite 'realistischen' Denkens" in der heutigen philosophischen Diskussion. Realismus bedeutet hier, natürlich, die Gegenposition zum begriffsskeptischen Nominalismus, und, ethisch gewendet, die Ansicht, dass aus dem Sein ein Sollen abzuleiten ist. Damit überein kommen Versuche im Geiste Spaemanns, Teleologie "ontologisch zu verankern", also wiederum: der Natur einen Zweck abzulesen. Hermann Lübbe denkt über von staatlicher Seite nahegelegte "Erkenntnisverbote" nach und findet Hoffmanns Zustimmung, während Paul Ricoeurs "versöhnungslyrische" Gedanken zur Gewalt des Rechts dem Rezensenten offenbar gar nicht gefallen haben. Insgesamt aber würdigt er die Geburtstagsgabe als "stattlichen Band".

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