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Ein charmant verwahrlostes Cottage in Südirland und ein Historiker, der hofft, hier sein Buch über Isaac Newton beenden zu können. Doch je länger der Sommer dauert, umso mehr fühlt er sich in seiner Abgeschiedenheit durch die Mitglieder einer enigmatischen Familie irritiert, deren Wirklichkeit seinen imaginierten Geschichten über sie keineswegs standhält. Er droht im Chaos seiner permanenten Täuschungen zu versinken.

Produktbeschreibung
Ein charmant verwahrlostes Cottage in Südirland und ein Historiker, der hofft, hier sein Buch über Isaac Newton beenden zu können. Doch je länger der Sommer dauert, umso mehr fühlt er sich in seiner Abgeschiedenheit durch die Mitglieder einer enigmatischen Familie irritiert, deren Wirklichkeit seinen imaginierten Geschichten über sie keineswegs standhält. Er droht im Chaos seiner permanenten Täuschungen zu versinken.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.03.2002

Ach, Clio
Flaschenpost aus den Achtzigern:
John Banville souffliert Newton
„Wir sind”, schrieb der französische Genetiker François Jacob einmal, „eine zweifelhafte Mischung aus Nukleinsäuren und Erinnerungen, aus Begierden und Proteinen.” So darf es nicht verwundern, dass sich ein Historiker auf einem irischen Landsitz, wo er ein Buch über Isaac Newton vollenden will, in eine doppelbödige Liebesgeschichte und schwere Zweifel verstrickt. Schließlich hat sich Sir Isaac selbst in vorgerücktem Alter mit allerlei zweifelhaften Dingen wie der Auslegung der Genesis und „dem Herumstümpern in der Alchemie” beschäftigt. Dazu gehört auch jener seltsame Brief, den er am 16. September 1693 an seinen Freund, den Philosophen John Locke, schrieb, und in dem er diesen beschuldigte, sich bemüht zu haben, ihn in Frauengeschichten zu verstricken.
„Being of opinion that you endeavoured to embroil me wth woemen & by other means”, lautete Newtons Vorwurf im Originaltext, und es sind nicht nur allgemeine Probleme „wth woemen”, die sein Biograph mit ihm zu teilen scheint. Dieser namenlose Erzähler bekommt es mit den geistigen Schoßkindern des schärfsten Kritikers der Newtonschen Optik zu tun, der die Zerlegung des Lichts in seine Spektralfarben als „ungeschicktesten Irrtum” und „Hokuspokus” abtat. Denn die Mitglieder seiner Wirtsfamilie, die bedenklicherweise auch noch Lawless heißt, hören nicht nur auf die Namen Charlotte, Edward und Ottilie, sie bilden auch sonst die Konstellationen von Goethes „Wahlverwandtschaften” nach. Auch das Kindlein und die Familie Mittler fehlen nicht.
Und bald kommt ein weiteres, diesmal jedoch fiktives Schreiben Isaac Newtons ins Spiel, als dessen Vorbild John Banville in der einzigen Anmerkung seines Büchleins Hugo von Hofmannsthals „Chandos-Brief” angibt. An den erinnert schon der erste Satz des Buchs, der da lautet: „Die Worte lassen mich in Stich, Clio.” Bei der ganzen Geschichte handelt es sich nämlich um einen Brief eines scheiternden Wissenschaftshistorikers, für den Newtons Blackout im Jahre 1693 zum Sinnbild der eigenen Krise geworden ist. Und da Klio die Muse der Geschichtsschreibung ist, dürfte die Empfängerin mit diesem Schreiben mehr anfangen können als seinerzeit John Locke mit dem seinen.
Der Niedergang des Absoluten
Bei solch illustrer Gesellschaft wagt man es kaum zu sagen, dass Banvilles schmales Büchlein auch ohne gelehrte Anspielungen die wundersame Geschichte einer Menage à quatre wäre, in der kaum etwas so ist, wie der Erzähler zunächst annimmt, und in der die Handlung immer wieder zu Gemälden und Romanszenen des viktorianischen Landlebens und gar des achtzehnten Jahrhunderts zu gerinnen scheint.
Angesichts der Newton-Passagen könnte man aber auch versucht sein, das Buch als eine schöne Vorlage für die aktuellen Versuche der Verschmelzung von Wissenschaft und Feuilleton anzusehen. Doch „The Newton Letter” ist im Original bereits im Jahre 1982 erschienen, zu einem Zeitpunkt also, da wir Feuilletonisten noch als Blinde durch den Irrgarten der Naturkunde irrten. Und John Banvilles Buch ist schon 1983 von Kevin Billington verfilmt worden. Mit seinem Untertitel „Ein Zwischenspiel” bildet es den dritten Teil eines vierbändigen Zyklus, zu dem die historischen Romane „Doctor Copernicus” (1976) und „Kepler” (1981) sowie der 1986 erschienen Roman „Mefisto” zählen, in dem es unter anderem um Chaostheorie geht.
Banvilles Opusculum liest sich heute schon wie eine Art Flaschenpost der Postmoderne an unsere Gegenwart und ist so mittlerweile wirklich zum „Zwischenspiel” geworden. „Newtons Brief” reflektiert im Medium des Kunstromans den Paradigmenwechsel zwischen dem Absolutheitsanspruch einer Naturwissenschaft, zu deren Gründervätern Newton zählt und die noch auf „gewisse absolute Größen” angewiesen war, und dem Relativismus physikalischer, literarischer und postmoderner Unschärferelationen und Chaostheorien, die uhren Adepten die Kategorien der klassischen Physik wie modrige Pilze auf der Zunge zergehen lassen.
In gewisser Weise nahm Banville damit auch jenen Schwindel vorweg, mit dem Alan Sokal 1996 die Zeitschrift „Social Text” die Hochstapelei mit naturwissenschaftlicher Terminologie blamierte. Nicht nur die Worte lassen Banvilles Helden im Stich, sondern alle jene Gegenstände, über die sich in literarischer Sprache nicht sinnvoll reden lässt. Statt den Kräften der Gravitationslehre unterliegt er nun der „chymischen Hochzeit”, den erotischen Wahlverwandtschaften, die ihn erst mit Ottilie, dann mit Charlotte verbinden und vor denen er am Ende an eine nordskandinavische Universität geflohen ist, in „eisige Weiten”, wo man die Wölfe heulen hört und dem Lehrpersonal Zeit und Muße zum Briefschreiben gewährt.
Das sei ein etwas unbefriedigender Schluss, mögen die einen sagen. Doch so kurze Bücher müssen ja einmal zu Ende sein, und John Banville schafft es im letzten Satz immerhin, auch den Romantikern und Freunden des Fragments noch einen kurzen Gruß zu entbieten: „Werde ich in einigen Monaten, in einigen Jahren, gebrochen und getäuscht inmitten neuer Ruinen aufwachen?”
ULRICH BARON
JOHN BANVILLE: Newtons Brief. Ein Zwischenspiel. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2002. 96 Seiten, 6,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Der Roman ist im Original bereits 1982 erschienen (und wurde bereits im darauffolgenden Jahr verfilmt), sein Untertitel "Ein Zwischenspiel" weist darauf hin, dass er in einen größeren Zyklus des Autors gehört: er ist der dritte Band einer Tetralogie, der auf Bücher zu Kopernikus und Kepler folgte. Das ganze liest sich, wie Ulrich Baron - eher ohne das zu werten - meint, "wie eine Flaschenpost aus der Postmoderne" Viel Fiktives hat Banville in seine "Biografie" hineingewirkt, von einer "Menage à quatre" als direkter Anspielung auf Goethes "Wahlverwandtschaften" und Hofmannsthals "Chandos-Brief". Zugleich kann man den Roman, meint Baron, aber auch als vorweggenommener Kommentar zur später entflammten Debatte ums Verhältnis von Natur- und Geisteswissenschaften nehmen.

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