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Neue Forschungen zur Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg

Produktbeschreibung
Neue Forschungen zur Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg
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Autorenporträt
Andreas Frewer lehrt und forscht am Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin in Hannover. Günther Siedbürger, Kulturwissenschaftler und Volkskundler in Göttingen, hat mehrere Projekte zum Thema Zwangsarbeit durchgeführt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Von Glück sogar mußte reden, wer noch lange schuften konnte
In Kliniken, Heilanstalten und Krankenhäusern: Studien zur Lage der Zwangsarbeiter aus dem Osten im Nationalsozialismus

"Die Hunde und Katzen werden heutzutage von Ostarbeitern usw. verzehrt und nicht mehr als Versuchstiere verkauft", klagte der Professor für Physiologie an der Universität Göttingen, Hermann Rein, Ende 1943 und hatte dabei lediglich die logistischen Probleme bei seinen Tierversuchen und nicht die Mangelernährung der 5,5 Millionen ausländischen Zwangsarbeiter auf dem Gebiet des Großdeutschen Reiches im Auge. Wie schlecht die Ernährung dieser Menschen in der Regel war und welche gesundheitlichen Folgen der ständige Hunger hatte, wird in einem Sammelband deutlich, der erstmals eine übergreifende Darstellung der Situation von Zwangsarbeitern im Gesundheitswesen des Dritten Reiches bietet.

Die sogenannten "Ostarbeiter" waren aus rassenideologischen Gründen nicht in das System der gesetzlichen Krankenversicherung eingegliedert, erhielten aber gleichwohl eine zeitlich limitierte medizinische Versorgung. Allerdings hatten sie im Unterschied zu den "Westarbeitern" keinen Anspruch auf Lebensmittelzulagen im Krankheitsfall. Auch waren sie bei einem notwendigen Krankenhausaufenthalt getrennt von den "deutschen Volksgenossen" unterzubringen. In Schleswig-Holstein führten die wegen des Arbeitskräftemangels erfolgte Ausweitung des maximalen Behandlungszeitraums für polnische Zwangsarbeiter auf acht Wochen sowie die fehlende Bettenkapazität und sich verschlechternde medizinische Versorgung der Bevölkerung in den letzten Kriegsjahren dazu, daß spezielle Krankenbaracken für Ostarbeiter errichtet wurden. Auch wurde nichtdeutsches Ärzte- und Pflegepersonal - häufig schlecht ausgebildet - mit der eigentlichen Krankenversorgung unter schwierigsten materiellen Bedingungen betraut. Sehr viele der chronisch Kranken, die anfangs mit einer Rückführung in ihre Heimat rechnen mußten, später wegen der Lage an der Front zwar bleiben konnten, aber Gefahr liefen, in die Euthanasie-Aktionen mit einbezogen zu werden, litten an Tuberkulose. Wer das Glück hatte, nicht als dauerhaft arbeitsunfähig abgestempelt und statt dessen in ein normales Krankenhaus eingeliefert zu werden, der konnte in der Regel damit rechnen, nach den Regeln der ärztlichen Kunst behandelt zu werden. Das geht jedenfalls aus den erhaltenen Krankenakten hervor. Anders sah es bei der ambulanten medizinischen Versorgung aus. Hier waren die Zwangsarbeiter meist stark benachteiligt, wie die Fallstudie von Annette Grewe an Einzelbeispielen belegt.

Bislang wußte man auch wenig über die nicht gerade geringe Zahl der Zwangsarbeiter, die im Gesundheitswesen beschäftigt waren. Nicht nur an Universitätskliniken (Freiburg/Breisgau) und in Landesheilanstalten (Westfalen), sondern auch in evangelischen Krankenhäusern waren Zwangsarbeiter nicht nur als Patienten untergebracht, sondern auch als billige Arbeitskräfte tätig. Daß die Arbeitsbedingungen in den konfessionellen Krankenhäusern generell besser waren als in denen, die einen anderen Träger hatten, ist eine These, die, wie Ulrike Winkler zeigt, noch an anderen Quellen und in weiteren Fallstudien überprüft werden muß.

Die erschütterndsten Beiträge dieses Sammelbandes behandeln das Schicksal der Kinder von Zwangsarbeiterinnen. Entweder wurden diese erst gar nicht geboren, also abgetrieben, oder sie starben meist kurz nach der Geburt in "Ausländerkinderpflegestätten" an Unterernährung und mangelnder Hygiene. In diesen Einrichtungen, die mittlerweile gut erforscht sind, betrug die Säuglingssterblichkeit teilweise vierzig Prozent.

ROBERT JÜTTE

Andreas Frewer, Günther Siedbürger (Hrsg.): "Medizin und Zwangsarbeit im Nationalsozialismus". Einsatz und Behandlung von "Ausländern" im Gesundheitswesen. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2004. 415 S., br., 39,90 [Euro].

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07.01.2005, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Von Glück sogar mußte reden, wer noch lange schuften konnte: "Der Sammelband bietet erstmals eine übergreifende Darstellung der Situation von Zwangsarbeitern im Gesundheitswesen des Dritten Reiches."

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Aufschlussreich findet Rezensent Robert Jütte diesen von Andreas Frewer und Günther Siedbürger herausgegebenen Band, der eine übergreifende Darstellung der Situation von Zwangsarbeitern im Gesundheitswesen des Dritten Reiches bietet. Jütte berichtet etwa von der miserablen medizinischen Versorgung der Arbeiter und hebt in diesem Zusammenhang Annette Grewes Fallstudie hervor. Er berichtet weiter von den Zwangsarbeitern, die als billige Arbeitskräfte an Universitätskliniken, in Landesheilanstalten und auch in in evangelischen Krankenhäusern tätig waren. Dass die Arbeitsbedingungen in den konfessionellen Krankenhäusern generell besser waren als in denen, die einen anderen Träger hatten, sei eine These, die, wie Ulrike Winkler zeige, noch an anderen Quellen und in weiteren Fallstudien überprüft werden müsse. Am "erschütterndsten" findet Jütte die Beiträge, die das Schicksal der Kinder von Zwangsarbeiterinnen behandeln. Diese Kinder wurden entweder gleich abgetrieben, oder sie starben meist kurz nach der Geburt in "Ausländerkinderpflegestätten" an Unterernährung und mangelnder Hygiene.

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Von Glück sogar mußte reden, wer noch lange schuften konnte
"Der Sammelband bietet erstmals eine übergreifende Darstellung der Situation von Zwangsarbeitern im Gesundheitswesen des Dritten Reiches." (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.01.2005)