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'Man kann einfach nicht in Frieden leben. Als eines schönen Sonntags Guerilla-kämpfer in Mariquita einfallen und den Frauen ihre Männer stehlen, ist der Jammer groß. Verlassen von Gott und Regierung droht Mariquita im Elend zu versinken. Bis Doña Rosalba viuda de Patiño, die Frau des ehemaligen Dorfpolizisten, genug hat von all dem Chaos um sie herum. Resolut betritt sie das verwaiste Rathaus, lüftet kräftig durch und verteilt die Arbeit. Und siehe da, über die Jahre entsteht ein weibliches Utopia, das, so will es die Ironie, genau der Gesellschaftsordnung entspricht, für die die Guerillas…mehr

Produktbeschreibung
'Man kann einfach nicht in Frieden leben. Als eines schönen Sonntags Guerilla-kämpfer in Mariquita einfallen und den Frauen ihre Männer stehlen, ist der Jammer groß. Verlassen von Gott und Regierung droht Mariquita im Elend zu versinken. Bis Doña Rosalba viuda de Patiño, die Frau des ehemaligen Dorfpolizisten, genug hat von all dem Chaos um sie herum. Resolut betritt sie das verwaiste Rathaus, lüftet kräftig durch und verteilt die Arbeit. Und siehe da, über die Jahre entsteht ein weibliches Utopia, das, so will es die Ironie, genau der Gesellschaftsordnung entspricht, für die die Guerillas morden und plündern. Wenn nur das Problem mit der Zeugung von Nachkommen nicht wäre, doch auch dafür scheint bald eine Lösung in Sicht möge Gott dem Priester seine Sünden vergeben. Ein Roman voller Wunder über die Absurdität des Krieges, erzählt in der Tradition der großen südamerikanischen Literatur. Staunend folgt man James Cañón in seine Heimat, an einen Ort, an dem die Zeit einfach stehen bleibt, als die Männer im Krieg endlich zu weinen beginnen.
Autorenporträt
James Canón, geboren 1968 in Kolumbien, ging nach Abschluss einer Ausbildung in der Werbebranche nach New York, um Englisch zu lernen. An der Columbia University studierte er Creative Writing. Einige seiner Erzählungen wurden in verschiedenen literarischen Zeitschriften veröffentlicht. 2001 wurde er mit dem Henfield Prize for Excellence in Fiction ausgezeichnet.

Sky Nonhoff, geboren 1962, hat als Kritiker u.a. für die "Süddeutsche Zeitung" geschrieben. Er lebt in München und St. Davids, Wales.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.06.2008

Zauberhafter Zickenzirkus

Freud und Leid des Matriarchats: James Cañón hat eine angewandte Gender-Studie vorgelegt, die an "Herr der Fliegen" erinnert, nur ohne Fliegen und Herren.

Auf Postkarten kursiert seit Jahren ein Spruch, den ausschließlich Angehörige eines Geschlechts amüsant finden: "Was wäre die Welt ohne Männer? Keine Kriege, keine Verbrechen und lauter glückliche, dicke Frauen!" Ein Schwarzweißfoto aus den dreißiger Jahren mit tatsächlich ziemlich rund und fidel aussehenden Damen ziert die Karten. Ganz ähnlich hat man sich die Belegschaft des Romans "Der Tag, an dem die Männer verschwanden" vorzustellen - nur ohne Kleider.

Der Erstling des Kolumbianers James Cañón spielt allerdings nicht in den Dreißigern, sondern um die Jahrtausendwende im Heimatland des Autors. Das kleine Dorf Mariquita wird von Guerrilla-Gruppen schikaniert, die in Kolumbien seit vierzig Jahren einen bewaffneten Konflikt gegen Polizei und Paramilitärs führen. Eines Tages geben diese sich nicht mehr mit Nahrungsmitteln zufrieden, sondern nehmen etwas Wertvolleres mit - die Männer. Wer zu flüchten versucht, wird erschossen. Alle anderen sind sich schon auf dem Weg aus dem Ort sicher, dass sie ihn niemals wiedersehen werden. An dieser Stelle beginnt im Roman die Aufspaltung der Gesellschaft. Denn nachdem die Frauen ihren Kummer verarbeitet haben, arrangieren sie sich mit der Situation und miteinander. So manches läuft besser ohne die Männer, auch wenn Emanzipation hier ein Fremdwort ist und eine weibliche Bürgermeisterin anfangs unvorstellbar erscheint. Das entmannte Mariquita ist auf einem guten Weg. Zwischen den utopischen Passagen lässt Cañón immer wieder die grausame Realität aufblitzen: Details aus einem Bürgerkrieg, in dem selbst dreizehnjährige Jungen verheizt werden.

Es sind Nachrichten aus der Männerwelt, die Cañón einschaltet. Ein Söldner der Regierung beispielsweise stellt im Dschungel mit seiner Truppe einen Indianer. Weil vermutet wird, die Indianer unterstützten die Rebellen, foltert man den Gefangenen, um deren Aufenthaltsort zu erfahren. Der aber sagt nichts, nur ein Gurgeln ist zu vernehmen. Der Gruppenführer erschießt ihn. Später erfahren die Söldner, dass die Rebellen den Indianern die Zungen herausgeschnitten haben. Eine weitere, für Bürgerkriege geradezu klassische Situation treibt das Entsetzen auf die Spitze: Ein Söldner entdeckt seinen eigenen Bruder unter den toten Feinden und wagt nicht, dies dem Kommandanten gegenüber zuzugeben.

In Mariquita entstehen unterdessen zahlreiche andere Probleme. Die unverheirateten Frauen des Dorfes leiden unter dem Männer-Entzug und stören sich daran, dass die leichten Mädchen aus der "Casa de Emilia" ihre Kunden aus den umliegenden Orten akquirieren. Weil den Dorfbewohnerinnen weit und breit kein Mann zur Verfügung steht - nur der Priester ist noch da -, bilden sie eine Art Straßenstrich ohne Bezahlung, damit die Sache moralisch einwandfrei bleibt. Im Austausch gegen ein Liebesgedicht oder eine Blume gibt es Sex in einem Zeltlager, das regelmäßig umzieht.

Die Absurdität der Situation nimmt kontinuierlich zu. Als die Frauen beschließen, es müssten nun Söhne gezeugt werden, stehen sie vor einer schwierigen Entscheidung: Soll der von der Idee begeisterte Priester als letzter Mann sein Keuschheitsgelübde brechen? Sollen die vier ältesten Jugendlichen sich an das ihnen unbekannte Tätigkeitsfeld wagen? Es sei verraten, dass alle Versuche scheitern, allerdings stets auf höchst unterhaltsame Art und Weise. Die alten Frauen im Dorf schert das weiter nicht: "Es wollte ihnen beim besten Willen nicht einleuchten, weshalb überhaupt irgendeine Frau, ob alt oder jung, auch nur im entferntesten daran interessiert sein sollte, männliche Nachkommen zu zeugen. Hatten etwa alle vergessen, wie schlecht sie von den Männern behandelt, wie oft sie gedemütigt und mit Missachtung gestraft worden waren?"

Cañón wagt eine leicht märchenhafte Wendung der Geschichte. Das geht gut mit seiner schwelgerischen Sprache zusammen, die in der besten Tradition südamerikanischen Erzählens steht. Doch immer wieder auch demonstrative Brechungen: Nachdem mit dem Stehenbleiben der Kirchturmuhr Zeit und Ordnung verlorengegangen scheinen, provoziert eine junge Frau namens Magnolia durch öffentliche Darmentleerung am helllichten Tag. Daraufhin schlägt die Bürgermeisterin vor, eine neue Zeitrechnung müsse her: die Menstruationszeit, rückwärts gerechnet und von einem fünfköpfigen Komitee nach seinem Zyklus bestimmt. Die Lehrerin entgegnet, die Idee gefalle ihr: "Aber ich denke, es sollte wenigstens einen definierten Parameter geben, sonst riskieren wir am Ende zehn Magnolias, die nackt durch die Gegend laufen und behaupten, Zeit sei eine ... nun ja, eine entblößte Brustwarze oder sonst etwas in dieser Art."

Weder zur allgemeinen Entblößung noch zur gleichgeschlechtlichen Liebe ist der Weg noch weit. James Cañón hat mit "Der Tag, an dem die Männer verschwanden" einen facettenreichen Debütroman vorgelegt, der in seiner Bildhaftigkeit mehr ist als nur eine Allegorie von Gender-Debatten. Der Vierzigjährige war zuvor in der Werbebranche tätig und hat kreatives Schreiben an der Columbia-Universität studiert. Ein Spätberufener also, aber ein Berufener in jedem Fall: Sein Roman besticht durch Humor, Liebenswürdigkeit, Sensibilität und einen kritischen Verstand.

JULIA BÄHR

James Cañón: "Der Tag, an dem die Männer verschwanden". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Sky Nonhoff. Ullstein Verlag, Berlin 2008. 396 S., geb., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Abgründig und irgendwie faszinierend findet Rezensent Manuel Karasek diesen, aus seiner Sicht ”bemerkenswerten” kolumbianischen Roman, der die Geschichte des fiktiven Dorfes ”Mariquita” erzählt, wo eines Nachts alle Männer von Menschenfleisch verschlingenden Amazonen verschleppt werden. Die zurückbleibenden Frauen versuchen, das Leben in der Gemeinde aufrecht zu erhalten. Zunächst befremdet ihn angesichts der unheimlichen Geschichte der antipsychologische, ”schlichte Erzählton”, erscheinen ihm die Dialoge mit ihrem kindlichen Einschlag zunächst etwas hölzern. Doch bald erkennt er die geschickte Methode dahinter: nämlich den Stoff wie ein Märchen zu behandeln, mit einer ”banalen Oberfläche” anzutäuschen, um dann die Beschreibungen der Gewalt umso schockierender hervorbrechen zu lassen. Auch die zwischengeschalteten Reportagekapitel über Kindersoldaten oder Kriegskrüppel vertiefen den Eindruck, den das Buch, in dem Karasek auch einen homosexuellen Subtext ausmacht, auf ihn hat.

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