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Die bisherige Forschung vertritt die Auffassung, dass der Deutsche Bund eine mit der deutschen Nationsbildung grundsätzlich unvereinbare politische Ordnung gewesen sei. Diese Studie zeigt dagegen, dass der Bund ein entwicklungsfähiges Gebilde darstellte, das durch seine Politik auf den Prozess der deutschen Nationsbildung im 19. Jahrhundert erheblich einwirken konnte - und dies nicht nur in negativer Hinsicht. Vor allem nach der Revolution von 1848/49 versuchten die wiederhergestellte Bundesversammlung in Frankfurt sowie zahlreiche einzelstaatliche Regierungen, durch eine umfassende Reform der…mehr

Produktbeschreibung
Die bisherige Forschung vertritt die Auffassung, dass der Deutsche Bund eine mit der deutschen Nationsbildung grundsätzlich unvereinbare politische Ordnung gewesen sei. Diese Studie zeigt dagegen, dass der Bund ein entwicklungsfähiges Gebilde darstellte, das durch seine Politik auf den Prozess der deutschen Nationsbildung im 19. Jahrhundert erheblich einwirken konnte - und dies nicht nur in negativer Hinsicht. Vor allem nach der Revolution von 1848/49 versuchten die wiederhergestellte Bundesversammlung in Frankfurt sowie zahlreiche einzelstaatliche Regierungen, durch eine umfassende Reform der Bundesverfassung dem Deutschen Bund eine nationale Funktion zu geben und ihn als eine föderative Ordnung zu profilieren.
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Autorenporträt
Dr. Jürgen Müller ist Privatdozent am Historischen Seminar der Universität Frankfurt.

Müller, JürgenDr. Jürgen Müller ist Privatdozent am Historischen Seminar der Universität Frankfurt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.05.2006

Hundertmal auf einem Fuße
Föderalismus, Nation, EU: Ist der Deutsche Bund ein Vorbild?
Ob sich der Wandel politischer Ordnungen allmählich und evolutionär oder in Sprüngen oder gar Revolutionen vollzieht, ist eine Frage, die von historischer und aktueller Bedeutung ist. Der Übergang zu einer Europäischen Union mit einer Verfassung wurde in der politischen Öffentlichkeit sowohl als Fortsetzung älterer Integrationsprozesse als auch als qualitativ neue Stufe des Einigungsprozesses wahrgenommen. In der Bevölkerung überwog aber die Angst vor dem Neuen. Entsprechend haben die Franzosen und Holländer abgestimmt. Historisch ist der Sprung in die neue politische Ordnung der EU vergleichbar mit dem Übergang von der vornationalen zur nationalen Ordnung, in Deutschland mithin vom Deutschen Bund zum Deutschen Reich von 1871.
Der Deutsche Bund hat in der deutschen Nationalgeschichte eine chronisch schlechte Presse. Die nationalliberale Historiographie der Droysen, Sybel und Treitschke sah in ihm das Gegenbild zur im Deutschen Reich geeinten Nation. Als Staatenbund schien er nicht die Einheit zu bieten, die eine Nation verlangte. Die Lokomotive des Fortschritts Preußen dagegen sollte den kleindeutschen Karren ziehen - unter Ausschluss Österreichs. Nach der Reichsgründung wurde denn auch „die ganze Weltgeschichte von Adam an siegesdeutsch angestrichen und auf 1870/1 orientirt”, wie Jacob Burckhardt kommentierte.
Die preußenzentrierte Sichtweise diente der rückwärtigen Legitimation eines Herrschaftsanspruches und verklärte die historische Rolle ihrer Verkünder. Die Verherrlichung Preußens, Deutschland mit einem siegreichen Ruck in die Nationalstaatlichkeit geführt zu haben, verdeckte andere Linien und Ordnungen, die ebenfalls national waren. Dazu gehörte vor allem die Vorstellung einer „föderativen Nation”, die Georg Schmidt und Dieter Langewiesche herausgearbeitet haben. Sie war älter als der nationale Einheitsstaat und basierte auf variablen, flexiblen föderalen Strukturen, die noch lange nach 1871 wirkten. Nation und Nationalstaatlichkeit waren nicht dasselbe, zumal dann nicht, wenn sie kleindeutsch verengt wurden.
Der Frankfurter Historiker Jürgen Müller macht sich in seiner Habilitationsschrift daran, die von der borussischen Tradition immer geleugnete nationale Politik des Deutschen Bundes zu rekonstruieren. Seine These ist, dass sie nicht nur in ihrer Wirkung messbar, sondern auch in ihrer Intention fassbar wird. Müller setzt sich damit entschieden von allen Versuchen ab, den Deutschen Bund national abzuwerten und zur Sackgasse der deutschen Geschichte zu stilisieren.
In einem ersten großen Teil schildert Müller die politische Geschichte des Deutschen Bundes aus der Perspektive seiner Mitglieder und der Bundesversammlung. Im Zentrum stehen die Pläne zur Bundesreform: von der Umgestaltung der Bundesversammlung hin zu einem legislativen Organ 1848 über die zahlreichen Reformpläne der deutschen Mittelstaaten bis zum Bündnis Österreichs mit den süddeutschen Staaten vor 1866. Müller möchte damit die objektive Ausrichtung der Bundespolitik auf die „föderative Nation” zeigen.
Eine Wirtschaft, nicht ein Land
Gleichwohl unterschlägt Müller konkurrierende Modelle, vor allem das 70-Millionen-Reich als Staatenbund in der Mitte Europas, das der österreichische Minister Schwarzenberg als Lösung der deutschen Frage nach 1849 anstrebte - kein Ausweis nationaler Politik. Die Reformpläne blieben zudem Absichtserklärungen. Ihre Autoren drehten sich hundertmal auf einem Fuße herum, ohne vom Fleck zu kommen, wie Heine feststellte. Ihre Politik war deutsch, aber nicht national. In der Schlussphase des Deutschen Bundes, auf die Müller so großen Wert legt, reagierten sie vor allem auf die Dominanz Preußens in der Handelspolitik, den Ausschluss Österreichs aus dem deutsch-französischen Handelsvertrag von 1862 und die so offensichtlich gewordene ökonomische Marginalisierung des Kaiserstaates, die seinen politischen Ausschluss 1866 vorwegnahm.
In seinem zweiten Teil zeigt Müller anhand der Gesetzgebung in den Bereichen Wirtschaft, Handel und Heimatrecht Schritte hin zu einem gemeinsamen Bundesrecht auf. Nicht zufällig betreffen die meisten Beispiele die wirtschaftliche Integration: Es ging um die Vereinheitlichung der rechtlichen Rahmenbedingungen für den länderübergreifenden Handel, um Schulverhältnisse, Maße, Münze und Gewichte, Urheberrecht, Patentrecht, Migration und um die Zuständigkeit für die Versorgung im Verarmungsfall. Die Gesetzesentwürfe der Bundesversammlung für eine Zivilprozessordnung stellten Vorarbeiten für spätere Reichsgesetze dar. Anders als es Müller andeutet, waren sie aber weit davon entfernt, Vorbilder zu sein. Nationalliberale wie Johannes Miquel, Rudolf von Bennigsen, Ludwig Bamberger und vor allem Eduard Lasker sorgten dafür, dass die Reichsgesetze weit über die vor 1866 vorgesehene Rechtseinheit hinausgingen.
Dem europäischen wirtschaftlichen und politischen Einigungsprozess nicht unähnlich arbeitete sich der nicht parlamentarisierte und nicht konstitutionalisierte Deutsche Bund besonders an Währungsfragen ab. Die Forderung nach einer einheitlichen Währung war populär und wurde von den Gremien des Deutschen Bundes aufgenommen. War sie auch national? Hier beschleichen den Leser Zweifel. Wie die gemeinsame europäische Währung in unseren Tagen offensichtlich noch keinen Rückschluss auf eine politische Vertiefung der Gemeinschaft erlaubt, so ging auch die Regelung des einheitlichen Wirtschaftsraumes im Deutschen Bund durchaus nicht mit einem nationalen Bekenntnis einher.
Turner mussten draußen bleiben
Wichtige Akteure des nationalen Einigungsprozesses und der nationalen Marktbildung fanden sich nicht in der Bundesversammlung und den Kommissionen des Deutschen Bundes, sondern im Nationalverein, im Zollverein oder in der Fortschrittlichen Volkspartei. Die Profiteure der Rechtsvereinheitlichung in Handel, Wirtschaft und Verkehr waren zwar national eingestellt, gehörten aber nicht zu den Trägerschichten des Bundessystems. Die Achillesferse dieses Buches ist das Verhältnis von Marktbildung und Nationsbildung.
Ein überregionales Gemeinschaftsgefühl - ob national oder europäisch - setzt ein gemeinsames Parteiensystem und eine übergreifende Öffentlichkeit voraus. Genau das aber bildete sich weder im Deutschen Bund noch in der Europäischen Union bis heute gehaltvoll aus. Alle Formen der politischen Vereinsbildung mussten an den Grenzen Österreichs halt machen. Der Vielvölkerstaat sah sich - mit Recht - durch ein nationales Vereinswesen eher bedroht als gestützt. Die national eingestellten Turner, Germanisten und Sänger mussten draußen bleiben. Österreichs Politik war deutsch, aber nicht national ausgerichtet. Die Öffentlichkeit, die sich ausbildete, kritisierte den Deutschen Bund und seine langsame, beschlussunfähige Bundesversammlung. Der Grundwiderspruch des Bundes war, dass sich sein Zentralismus, der durchaus stärker als derjenige des Reiches von 1871 war, gegen die nationale Öffentlichkeit richtete. Der Deutsche Bund besaß ein Überprüfungsrecht der Landesverfassungen sowie der Wahl-, Presse- und Vereinsgesetze, das er auch durchsetzte. Eine vereinheitlichende Politik musste nicht national sein. Und dass die nationalliberalen Historiker den Deutschen Bund hassten, wertet ihn noch nicht auf.
Wichtiger als die nationale Ordnung war dem Deutschen Bund die Aufrechterhaltung einer Friedensordnung aus dem Geiste der konservativen Monarchien - nicht irrational, bedenkt man die kriegerischen Gelüste der Nationalbewegung in der 1848er Revolution. Einheit bedeutete für die Führungsmächte Preußen und Österreich nicht nationale Einheit, sondern den Ausbau eines gemeinsamen Marktes unter dem Dach geteilter antirevolutionärer und antidemokratischer Überzeugungen. Die politische Reaktion fand im Deutschen Bund eine effektive Handlungsebene. Bundesexekutionen waren ein Kennzeichen des Deutschen Bundes, nicht des Kaiserreiches und bis 1923 auch nicht des Deutschen Reiches. Der Deutsche Bund kannte die gesamtstaatliche Ebene, ohne dass diese national bestimmt war. Die nationale Frage dagegen hing in erster Linie mit der Verfassungsfrage zusammen, die in Preußen, Österreich und im Deutschen Bund nicht freiheitlich beantwortet war. Auch 1871 wurde die nationale Frage nicht freiheitlich gelöst. Es galt der Vorrang der Einheit vor der Freiheit. Erst die Weimarer Reichsverfassung beantwortete die Freiheitsfrage. Fortschritte der Freiheit scheinen einen Sprung vorauszusetzen.
SIEGFRIED WEICHLEIN
JÜRGEN MÜLLER: Deutscher Bund und deutsche Nation 1848-1866. Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 71. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005. 637 S., 68,90.
Die Schlacht von Königgrätz als endgültiges Todesurteil für den Deutschen Bund - Karikatur von 1866
Foto: SV-Bilderdienst
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nicht immer auf einer Linie ist Rezensent Siegfried Weichlein mit dieser Arbeit über die nationale Politik des Deutschen Bundes zwischen 1848 und 1866, die der Historiker Jürgen Müller vorgelegt hat. Mit seiner These, die nationale Politik des Deutschen sei nicht nur in ihrer Wirkung messbar, sondern auch in ihrer Intention fassbar, wendet sich Müller nach Ansicht Weichleins gegen alle Versuche, "den Deutschen Bund national abzuwerten und zur Sackgasse der deutschen Geschichte zu stilisieren". Müller schildere zunächst die politische Geschichte des Deutschen Bundes, wobei er die Pläne zur Bundesreform ins Zentrum rücke, um dann anhand der Gesetzgebung in den Bereichen Wirtschaft, Handel und Heimatrecht Schritte hin zu einem gemeinsamen Bundesrecht aufzuzeigen. Weichlein erwähnt zwar Müllers Beispiele von Bemühungen des Deutschen Bundes um eine wirtschaftliche Integration und eine einheitliche Währung. Im Gegensatz zu Müller unterstreicht er aber, dass dem Deutschen Bund die Aufrechterhaltung einer Friedensordnung aus dem Geiste der konservativen Monarchien letztlich wichtiger als eine nationale Ordnung gewesen sei.

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