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Wissenschaftsdiplomatie gilt neuerdings als Hoffnungsträger in der Bewältigung der globalen Herausforderungen der internationalen Politik. Zugleich rückt das Zusammenspiel von Wissenschaft und Diplomatie während des Kalten Krieges in den Fokus der Wissenschaftsgeschichte. Die Max-Planck-Gesellschaft verfolgte hier eine eigene Agenda. Nach der verbrecherischen Teilhabe ihrer Vorgängerin, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, an der NS-Expansions- und Vernichtungspolitik drängte es sie zwar zurück in die internationalen Scientific Communities, aber nicht auf die internationale politische Bühne. Die…mehr

Produktbeschreibung
Wissenschaftsdiplomatie gilt neuerdings als Hoffnungsträger in der Bewältigung der globalen Herausforderungen der internationalen Politik. Zugleich rückt das Zusammenspiel von Wissenschaft und Diplomatie während des Kalten Krieges in den Fokus der Wissenschaftsgeschichte. Die Max-Planck-Gesellschaft verfolgte hier eine eigene Agenda. Nach der verbrecherischen Teilhabe ihrer Vorgängerin, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, an der NS-Expansions- und Vernichtungspolitik drängte es sie zwar zurück in die internationalen Scientific Communities, aber nicht auf die internationale politische Bühne. Die Studie untersucht, wie sich die MPG im Feld der internationalen Politik positionierte, wann sie mit der Außenpolitik der Bundesrepublik kooperierte, wann sie sich davon abgrenzte und wie sie ihre Rollen als nationaler, europäischer und globaler wissenschaftspolitischer Akteur kombinierte.
Autorenporträt
Carola Sachse ist Universitätsprofessorin (i.R.) am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien und hat dort von 2004 bis 2016 unterrichtet. Seit 2017 ist sie Gastwissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Thomas Speckmann findet bei der Zeithistorikerin Carola Sachse die Geschicke und das Wirken der Max-Planck-Gesellschaft in den "politischen Gemengelagen" der Bundesrepublik genau beschrieben. Sachse umreißt laut Speckmann nicht nur präzise die wissenschaftsaußenpolitischen Leitlinien und Interessen der MPG und ihre Grenzen, sondern auch die Herausforderungen, vor die sich die MPG während des Kalten Krieges, nach der Wiedervereinigung und im Zeitalter der Globalisierung gestellt sah. Welche Risiken und Chancen der MPG durch Xis China und Putins Russland begegnen, erörtert die Autorin auch, weiß Speckmann.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.08.2023

Vom Leid der Leitlinie

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Der Weg der Max-Planck-Gesellschaft durch die politischen Gemengelagen der Bundesrepublik

Umsetzung von Politik beginnt oft mit einer Leitlinie. Hier bildet die Wissenschaftsaußenpolitik der Max-Planck-Gesellschaft keine Ausnahme. Carola Sachse zählt zu ihren Prüfsteinen die institutionelle Autonomie bei der prioritär wissenschaftsintrinsisch getriebenen Auswahl ihrer internationalen wissenschaftlichen Kooperationspartner sowie die größtmögliche finanzielle und vertragliche Flexibilität bei der weiteren Ausgestaltung dieser Beziehungen. Die-se Orientierungspunkte waren für Sachse, die als Gastwissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin das Wirken der MPG im Feld der internationalen Politik von der unmittelbaren Nachkriegszeit des Zweiten Weltkrieges bis zur Jahrtausendwende in einer umfangreichen, tief gehenden, dabei aber zugleich auch für Laien der Wissenschaftsgeschichte leicht nachvollziehbaren Darstellung detailliert beleuchtet, zunächst kaum mehr als eine unartikulierte Reaktion der bereits seit Mitte der 1930er-Jahre und noch bis 1960 von Generalsekretär Ernst Telschow geführten Generalverwaltung auf die ebenso berechtigten wie existenzbedrohenden Vorhaltungen der Alliierten. Die warfen der Vorläuferorganisation, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, vor, allzu eng mit der Rassen- und Expansionspolitik, vor allem aber mit der Rüstungswirtschaft des nationalsozialistischen Regimes verknüpft gewesen zu sein.

Die dann in der Bundesrepublik folgende Wissenschaftsaußenpolitik bezeichnet Sachse "in statu nascendi" als ein Derivat der apolitisch, zweck- und interessenfrei verstandenen Grundlagenforschung, auf die sich die MPG als ihre alleinige Raison d'être fortan berufen habe. Nach Sachses Analyse wurde diese nicht nur außenpolitikferne, sondern auch an sich politikferne Selbstpositionierung der MPG durch die in den 1950er-Jahren reorganisierten Strukturen des bundesdeutschen Wissenschaftssystems unterstützt, in dem die Deutsche Forschungsgemeinschaft als primäre Repräsentantin der Wissenschaft im Ausland fungierte und andere Organisationen wie die Alexander-von-Humboldt-Stiftung, der Deutsche Akademische Austauschdienst oder die Goethe-Institute als Träger der auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik zur Verfügung standen.

Doch auch die Nichtumsetzung von Politik beginnt oft mit einer Leitlinie. Und auch hier bildet die Wissenschaftsaußenpolitik der MPG keine Ausnahme. Sachse, die bis 2016 als Universitätsprofessorin am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien unterrichtet hat, arbeitet heraus, dass die an sich konstante wissenschaftsaußenpolitische Leitlinie der MPG immer wieder herausgefordert wurde - und zwar zuallererst durch die Außenpolitik im Allgemeinen und die Außenwissenschaftspolitik der Bundesregierungen im Besonderen. Sie setzten nach dem Urteil von Sachse während der gesamten Epoche des Kalten Krieges den wissenschaftsaußenpolitischen Interessen der MPG immer wieder Grenzen - vor allem dann, wenn sich diese Interessen auf die Länder hinter dem Eisernen Vorhang, insbesondere die Sowjetunion, gerichtet hätten. Nur gelegentlich, in spezifischen außenpolitischen Konstellationen, hätten sich die wissenschaftsaußenpolitischen Interessen der MPG und die außen-wissenschaftspolitischen Ziele der Regierung komplementär zueinander verhalten und sich gegenseitig befördern können. Sachses Fazit: "Von einer abgestimmten Wissenschaftsdiplomatie konnte keine Rede sein."

Der Niedergang des sowjetischen Imperiums und die Wiedervereinigung Deutschlands stellten dann auch die MPG vor neue Herausforderungen: Nun galt es, in Übereinstimmung mit der Bundesregierung und gemeinsam mit den anderen westdeutschen Forschungsorganisationen die Erweiterung des Wissenschaftssystems in das "Beitrittsgebiet" hinein möglichst strukturkonform zu bewerkstelligen. Denn an den etablierten kulturföderalen und forschungsorganisatorischen Eigentümlichkeiten der alten Bundesländer und vor allem an der in der MPG institutionalisierten Sonderrolle der außeruniversitären Grundlagenforschung sollte nicht gerüttelt werden.

Nach Sachses Beobachtung engagierte sich die MPG - ob Präsident, Generalverwaltung, einzelne Institute, Forschungs-gruppen oder MPI-Direktoren - in hohem Maße und gemessen an ihren eigenen Zielen mit durchschlagendem Erfolg: Die MPG habe nicht nur den höchsten Zuwachs an neuen Instituten seit den Wirtschaftswunderjahren verzeichnet. Es sei ihr auch gelungen, diesen Zuwachs strukturkonform und ohne identitätsgefährdende Zugeständnisse an das sich auflösende Wissenschaftssystem der DDR und seine verbliebenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu bewältigen.

Mit Blick auf die MPG startete nach Sachses Untersuchung die jüngste - mit Russlands Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 womöglich beendete - Phase der Globalisierung bereits Mitte der 1970er-Jahre und damit rund eineinhalb Jahrzehnte bevor der Globalisierungsbegriff seinen um das Jahr 2005 kulminierenden multilingualen Steilflug begann. So vereinbarten schon 1974 die MPG und die Chinesische Akademie der Wissenschaften ihr erstes Austauschprogramm, das bis heute kontinuierlich ausgebaut und fortgeführt wird.

Doch gerade in Bezug auf das China Xi Jinpings und noch stärker auf das Russland Putins sieht Sachse angesichts der Wertekonflikte zwischen Geopolitik und international vernetzter, hochgradig technologisierter Umwelt- und Klimaforschung die MPG als institutionelle Akteurin herausgefordert, ihre Rolle in der neuerlichen geopolitischen Konfrontation in Europa und darüber hinaus in der internationalen Politik ein weiteres Mal zu definieren. Auch in dem über Jahrzehnte mühevoll und nach wie vor unzureichend ausgestalteten Forschungsraum der EU-Mitgliedstaaten müsse sich erst noch erweisen, ob die MPG mit ihren bilateralen Instrumenten wissenschaftlicher Kooperation den derzeit zunehmend zentrifugalen Kräften nationalstaatlicher Interessenpolitiken tatsächlich - wie erhofft - entgegenwirken könne. Hier sei etwa an die für beide Seiten gravierenden Folgen des Brexits zu denken, die auch Wissenschaft und Forschung betreffen, oder an die wissenschaftspolitischen Restriktionen, die etwa in Polen oder Ungarn autonom gestaltete Forschungskooperationen mit der MPG behinderten.

In den Jahrzehnten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Maxime einer möglichst außenpolitikfernen, autonomen und flexiblen, ausschließlich den Forschungsinteressen von MPG-Angehörigen dienenden Wissenschaftsaußenpolitik jedoch nicht nur von außen von der bundesdeutschen Außenpolitik sowie von Europäisierungs- und Globalisierungsprozessen infrage gestellt. Sachse führt ebenfalls vor Augen, wie sich auch MPG-Angehörige nicht immer an ihre eigene Maxime hielten, sondern sich gerade als Wissenschaftler hin und wieder veranlasst sahen, zu außenpolitischen Entwicklungen Stellung zu beziehen. Dabei sei die Trennung von wissen-schaftlicher und staatsbürgerlicher Persona, von Institution und Individuum keineswegs selbstverständlich, nicht immer alltagstauglich, manchmal auch nicht gewollt, dafür oft umstritten gewesen. Unumstritten dürfte hingegen Sachses Forschungsleistung sein, den Weg der MPG durch die politischen Gemengelagen der Bundesrepublik präzise wie prägnant beschrieben zu haben. THOMAS SPECKMANN

Carola Sachse: Wissenschaft und Diplomatie. Die Max-Planck-Gesellschaft im Feld der internationalen Politik (1945-2000).

Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, Göttingen 2023. 594 S., 80,- Euro.

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