Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 18,00 €
  • Gebundenes Buch

Am 19. Februar 1937 wurde Friedrich Weißler leblos in seiner Zelle im KZ Sachsenhausen aufgefunden. Wie sich herausstellte, war er von einem SS-Totschlägerkomplott zu Tode geprügelt worden. Weißler war Sohn des renommierten jüdischen Juristen Adolf Weißler und in der Zeit der Weimarer Republik selbst ein hochbefähigter, aufstrebender Jurist, zuletzt Landgerichtsdirektor in Magdeburg. Nach seiner Entlassung 1933 schloss er sich in Berlin der Bekennenden Kirche an. Im Jahr 1936 war er mitbeteiligt an einer nichtöffentlichen, an Hitler gerichteten Denkschrift der Kirchenopposition und geriet in…mehr

Produktbeschreibung
Am 19. Februar 1937 wurde Friedrich Weißler leblos in seiner Zelle im KZ Sachsenhausen aufgefunden. Wie sich herausstellte, war er von einem SS-Totschlägerkomplott zu Tode geprügelt worden. Weißler war Sohn des renommierten jüdischen Juristen Adolf Weißler und in der Zeit der Weimarer Republik selbst ein hochbefähigter, aufstrebender Jurist, zuletzt Landgerichtsdirektor in Magdeburg. Nach seiner Entlassung 1933 schloss er sich in Berlin der Bekennenden Kirche an. Im Jahr 1936 war er mitbeteiligt an einer nichtöffentlichen, an Hitler gerichteten Denkschrift der Kirchenopposition und geriet in Verdacht, diese ohne Befugnis an die Auslandspresse weitergereicht zu haben. Nach vier Monaten Gestapohaft wurde Weißler in das Lager Sachsenhausen eingeliefert, wo er zu Tode kam. Schon bald galt er als »erster Märtyrer der Bekennenden Kirche«. Dieses Buch erzählt die Familiengeschichte der Weißlers seit 1900 und bettet sie in umfassender Weise in die politik- und kulturgeschichtlichen Kontexte des 20. Jahrhunderts ein. Das Buch ist zugleich ein Aufruf, diesen mutigen bekennenden Christen, der unter höchstem persönlichen Risiko bereit war, Widerstand gegen die Hitler-Diktatur zu leisten, mehr zu ehren, als dies bisher geschehen ist.
Autorenporträt
Prof. Dr. Manfred Gailus lehrt Neuere Geschichte am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin. Er hat zahlreiche Bücher und Aufsätze über die Geschichte des Protestantismus seit dem Kaiserreich verfasst.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.02.2018

Haarsträubende Vorgänge
Niemand solidarisierte sich 1936 mit Friedrich Weißler

Vor achtzig Jahren, im Februar 1937, starb im KZ Sachsenhausen der Gefangene Friedrich Weißler. Er wurde zu Tode geprügelt. Zunächst hieß es, Weißler habe Selbstmord begangen. Eine Untersuchung erwies aber, dass SS-Wachleute ihn so sehr misshandelt hatten, dass er seinen Verletzungen erlag. Seine Geschichte ist so ungewöhnlich, dass es in historischer und in ethischer Perspektive wichtig ist, an sie zu erinnern.

Manfred Gailus, Historiker des modernen Protestantismus in Deutschland, hat bereits früher Skizzen zu Weißlers Schicksal veröffentlicht. Nun widmet er dessen Leben, Sterben und Andenken auf der Grundlage des Familiennachlasses eine ausführliche Darstellung, die Weißlers Weg in eine mehrere Generationen umfassende Geschichte der Familie einbettet. Dabei springt ins Auge, dass die Weißlers bei allen individuellen Zügen zugleich repräsentativ für ein großes, belastetes Kapitel deutscher Geschichte waren. Die jüdische Familie stammte aus Oberschlesien. Bei Friedrichs Vater war die Religionszugehörigkeit einer säkular-deutschpatriotischen Haltung gewichen.

Adolf Weißler war ein Jurist, der mit geradezu religiösem Eifer die deutsche Kultur vergötterte und auf die Emanzipation und "Assimilation" der Juden im Kaiserreich vertraute, trotz aller Diskriminierungen, die er erlebte. Seine Söhne ließ er protestantisch taufen. 1915 verfasste er eine Schrift, die in hohem Ton klagte, der Krieg sei dem Reich, das jetzt einen defensiven Überlebenskampf führen müsse, aufgezwungen worden. Niederlage und Kriegsschuld ertrug er nicht: 1919 nahm er sich wegen der "Schmach", wie es in seinem Abschiedsbrief heißt, das Leben. Aber in den guten Jahren zu Beginn des Jahrhunderts, als er glaubte, sozial und kulturell angekommen zu sein, hatte er die Geschichte seiner Familie als Meistererzählung von Integration, Aufstieg und bürgerlichem Selbstverständnis aufgezeichnet. Sie ist für Gailus eine wertvolle Quelle.

Der 1891 geborene Sohn Friedrich kam mit den Verhältnissen der Weimarer Republik gut zurecht und machte in den zwanziger Jahren als Richter Karriere. 1933 endete die glückliche Lebensphase. Weißler galt als "Nicht-Arier"; er wurde aus dem Staatsdienst entlassen, und sofort distanzierten sich seine "arischen" Kollegen und vermeintlichen Freunde von ihm. Rassismus wurde salonfähig und mal verdruckst, mal hemmungslos geäußert. Für Weißler begann eine hochgradig ambivalente Beziehung zur Evangelischen Kirche, die wie durch ein Brennglas die damalige Zerrissenheit des Protestantismus offenlegt, auf die Gailus ausführlich eingeht.

Während die "Deutschen Christen" ihr völkisch-antisemitisches Credo proklamierten, versuchte die Opposition der Bekenntniskirche, loyal zum Staat und kritisch-distanziert zum neuen Regime aufzutreten. Immerhin: Bei der "Bekennenden Kirche" in Berlin erhielt Weißler ersatzweise eine Anstellung als Büroleiter der Kirchenkanzlei. In dieser Funktion sah er sich jedoch dem Verdacht des schweren Geheimnisverrats ausgesetzt, als seine Kirche 1936 mit einer direkt an Hitler zu richtenden Denkschrift auf die Missstände der Glaubenssituation im Reich aufmerksam machen wollte.

Das Ringen um diese Denkschrift und die Affäre um deren vorzeitige Veröffentlichung sind von der wissenschaftlichen Religions- und Kirchengeschichte ausgeleuchtet worden, und Gailus rekapituliert die haarsträubenden Vorgänge, die darin gipfelten, dass die Berliner Kirchenleitung die Gestapo um Unterstützung bei der Aufklärung des als skandalös empfundenen Falls bat. Alles sollte getan werden, um von der Kirche den Verdacht nationaler Unzuverlässigkeit oder gar landesverräterischer Aktionen fernzuhalten. Niemand solidarisierte sich mit Weißler, im Gottesdienst wurde nicht für ihn gebetet. Er geriet in die Mühlen von polizeilichen Ermittlungen und Inhaftierungen, deren letzte Etappe das Lager Sachsenhausen war, wo er totgeschlagen wurde. Seine Mutter kam 1943 in Theresienstadt um.

Gailus betont die Opportunismen, Ängste und Fehleinschätzungen der Repräsentanten der protestantischen Kirche im NS-System. Dahinter treten die Verdienste der "Bekennenden Kirche" zurück. Der Autor fragt, ob es ausgerechnet im Jahr 2017, dem Jubiläum der Reformation, nötig sei, die düsteren Kapitel erneut aufzuschlagen, und antwortet mit einem programmatischen Ja! Gerade an dieser sensiblen Stelle bleibt seine Argumentation jedoch diffus: Friedrich Weißlers Tragödie kann sicherlich helfen, jegliche protestantische Selbstzufriedenheit in die Schranken zu weisen.

Zwei Schlüsselmotive der Erinnerung an dieses Schicksal bleiben gleichwohl problematisch: "Martyrium" und "Widerstand". Gailus selbst klärt darüber auf, dass die tödliche Gewalt gegen Weißler im Lager eben nicht dessen christlichem Glaubenszeugnis galt, sondern der allgemeinen antisemitischen Hassstimmung zuzuschreiben ist, die jeglichen Übergriff gegen "Nicht-Arier" irgendwie zu rechtfertigen schien. Vor diesem Hintergrund wirkt die Debatte letztlich kleinlich und abwegig, ob Weißler nun der "erste Märtyrer" der Protestantischen Kirche war oder nicht. In gleicher Weise erscheint die Zuordnung Weißlers zum "Widerstand gegen Hitler", wie der Untertitel des Buchs lautet, als unnötig inflationäre Strapazierung des Konzepts von "Widerstand". Weißler hatte Mut zu Kritik und Dissens, wie Gailus zeigt. Das ist Ehrentitel genug.

CHRISTIANE LIERMANN

Manfred Gailus: Friedrich Weißler. Ein Jurist und bekennender Christ im Widerstand gegen Hitler.

Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, Göttingen 2017. 316 S., 30,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr