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»Peter Gordons souverän zugreifende und zugleich beharrlich subtile Interpretation bringt einen neuen Ton in die Debatte über Adornos Negativismus. Im Gespräch mit Adornos Vorlesungen zeigt er, wie die negative Dialektik dem Ausbuchstabieren eines 'richtigen' Lebens dienen soll, das sich dem direkten Zugriff von Aussagen über das 'gute Leben' entzieht.« Jürgen Habermas
Mehr als fünfzig Jahre nach seinem Tod ist immer noch höchst umstritten, worin das Vermächtnis Theodor W. Adornos besteht. Viele sehen in ihm den Philosophen der kompromisslosen Negativität, der gnostischen Finsternis, auch
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Produktbeschreibung
»Peter Gordons souverän zugreifende und zugleich beharrlich subtile Interpretation bringt einen neuen Ton in die Debatte über Adornos Negativismus. Im Gespräch mit Adornos Vorlesungen zeigt er, wie die negative Dialektik dem Ausbuchstabieren eines 'richtigen' Lebens dienen soll, das sich dem direkten Zugriff von Aussagen über das 'gute Leben' entzieht.« Jürgen Habermas

Mehr als fünfzig Jahre nach seinem Tod ist immer noch höchst umstritten, worin das Vermächtnis Theodor W. Adornos besteht. Viele sehen in ihm den Philosophen der kompromisslosen Negativität, der gnostischen Finsternis, auch der allumfassenden, maßstabslosen Kritik. Selbst in der breiteren Öffentlichkeit hat sich das Bild vom Denker der totalisierenden Verzweiflung, des »Es gibt kein richtiges Leben im falschen« verfestigt - bis zum Klischee.

Der Historiker und Philosoph Peter E. Gordon stellt dieses Bild entschieden in Frage. Adorno, so argumentiert er, ist vielmehr als ein Theoretiker zu verstehen, dessen Praxis der Kritik sich an einer unrealisierten Norm des menschlichen Gedeihens orientiert - des prekären Glücks in einer radikal unvollkommenen Welt. Diese Norm weist Gordon als das einigende Thema aus, das Adornos gesamtes Werk durchzieht, seine soziologischen Schriften ebenso wie seine Moralphilosophie, Metaphysik und Ästhetik. Prekäres Glück ist selbst ein Glücksfall: eine faszinierende Interpretation von Adornos Vermächtnis, das nun in einem völlig neuen Licht erscheint und als unverzichtbare Ressource für die kritische Theorie von heute.
Autorenporträt
Peter E. Gordon, geboren 1966, ist Amabel B. James Professor of History an der Harvard University und zugleich Mitglied des dortigen Instituts für Philosophie. Er forscht zur Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts, insbesondere zum philosophischen Denken in Deutschland und Frankreich, und gilt als international herausragender Kenner der Frankfurter Schule. Seine bisherigen Bücher, die sich u. a. mit Franz Rosenzweig, Martin Heidegger, Ernst Cassirer sowie Theodor W. Adorno und ihrer Zeit beschäftigen, wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet: dem Salo W. Baron Preis, dem Goldstein-Goren-Preis, dem Morris D. Forkosch Preis und dem Jacques Barzun Preis der American Philosophical Society. Mit Prekäres Glück liegt nun sein erstes Buch in deutscher Sprache vor.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Der hier rezensierende Soziologe Stefan Müller-Doohm wirbt um Aufmerksamkeit für das Buch des Ideenhistorikers Peter E. Gordon. Die Debatte über "das Ende der Metaphysik" und "die Universalität von ethischen Normen" führt Gordon, laut Müller-Doohm mit Blick auf Adornos Philosphie und glänzt dabei mit bedenkenswerten Argumenten. Wer Adorno als "totalen Skeptiker" begreife, gibt der Rezensent Gordons Argumentation wieder, verkenne, dass der Philosoph durch die "Benennung des Falschen " die Idee eines "richtigen Lebens" geben wolle. Der Rezensent vollzieht Gordons Argumentation nach, die ihn zum Begriff des "prekären Glücks" führt - mit der Interpretation von Adorno als radikalem Schwarzseher sei diese nicht vereinbar. Insgesamt findet Müller-Dohm überzeugend, wie Gordon in verständlicher Sprache aufzeigt, dass Adornos Theorien über den oftmals attestierten Pessimismus hinausgehen - eher weniger gelungen findet er Gordons Anliegen, eine "Tugendlehre" aus Adornos "gebrochener Glücksforderung" herzuleiten.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.01.2024

Spuren des Guten
Der amerikanische Philosophiehistoriker Peter E. Gordon will mit dem Mythos
vom Ultrapessimisten Adorno aufräumen. Kann das gutgehen?
„Ich bin der Geist, der stets verneint“, spricht der Mephisto in Goethes „Faust“. Es scheint aber, als ob dieser Geist erst im 20. Jahrhundert auf die Erde kam. Und zwar in Gestalt eines glatzköpfigen Intellektuellen, der durch dicke Brillengläser einen kritischen Blick auf die ganze Welt wirft. Theodor W. Adorno war der Philosoph, der Nein zu allem sagte, was seine Gegenwart ausmachte. So das Klischee.
Das populäre Urteil über den berühmtesten Mitbegründer der Kritischen Theorie lautet entsprechend: Er war ein Schwarzmaler, dessen Denken zwar bei Marx und Hegel seine Wurzeln hat, für den aber jegliche Hoffnung auf eine bessere Welt verloren ist. Sentenzen wie „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“ oder „Fun ist ein Stahlbad“ sind, meist aus dem Kontext gerissen, geflügelte Worte des intellektuellen Pessimismus geworden.
Der in Harvard lehrende, preisgekrönte amerikanische Philosophiehistoriker Peter E. Gordon will mit dem Mythos vom Ultrapessimisten Adorno jetzt aufräumen. In seinem neuen – und ersten auf Deutsch vorliegenden – Buch „Prekäres Glück. Adorno und die Quellen der Normativität“ versucht der 57-jährige Forscher, die weniger finsteren Aspekte von Adornos Philosophie herauszuarbeiten. Er wagt sogar, Adorno zu einem Philosophen des Glücks zu erklären.
„Prekäres Glück“ ist nicht das erste Werk, in dem sich Peter E. Gordon mit Adorno auseinandersetzt. Bereits 2016 beschäftigte er sich in „Adorno and Existence“ mit dem schwierigen Verhältnis des Frankfurter Denkers zur Existenzphilosophie. Die These damals war auch schon provokant: Adorno und die Existenzphilosophie (der er süffisant einen „Jargon der Eigentlichkeit“ diagnostizierte) seien nicht bloß Gegenspieler gewesen. Das neue Projekt ist nicht weniger gewagt.
In dem Buch wehrt sich Gordon entschieden gegen jede Deutung, die Adorno zum Denker einer Negativität macht, die jede Facette des modernen Lebens durchdringt. Die Schwierigkeit dieser populären Interpretationen verdeutlicht er am Problem der immanenten Kritik: Die Mittel, mit denen sich die Kritik gegen die Gesellschaft richtet, sind selbst aus dieser Gesellschaft hervorgegangen. Anders gesagt: Wenn man eine Gesellschaft von innen kritisiert, hat man nur die Werkzeuge zur Verfügung, die die Gesellschaft bereitstellt. Irgendwo in der Gesellschaft finden sich also immerhin noch Spuren des Guten, mit denen wir die Dominanz des Schlechten erkennen können.
Diese Problematisierung der immanenten Kritik ist dabei kein bloßer Taschenspielertrick Gordons, mit dem er die Vertreter einer rein negativistischen Adorno-Lesart schachmatt setzen will. Vielmehr ist es eine Grundannahme zu Adornos Gesellschaftskritik, deren Prinzipien Gordon genau analysiert. Adornos Gesellschaftskritik kam demnach nicht aus einem Elfenbeinturm aus Selbstmitleid, in dem es sich bequem jammern lässt, wie schlecht doch alles da draußen sei. Vielmehr sei Adornos ganze Kritik durchzogen von normativen Implikationen. Und ins Zentrum dieser Normativität setzt Gordon einen Begriff, den man bislang eher selten mit der Kritischen Theorie verband: Glück.
An der Gesellschaft seiner (unserer) Zeit sieht Adorno zweifellos fast nur das Schlechte. Dass aber das Glück dem Menschen nicht länger verwehrt sein soll, deutet Gordon als zentrale normative Forderung, die sich durch Adornos Gesellschaftskritik zieht. Dass Adorno aufzeige, was in der Gesellschaft alles schlecht ist, sei also kein Selbstzweck, sondern immer auch verbunden damit, eine Besserung zu fordern.
In diesem Zusammenhang steht für Gordon ebenso die „Ästhetische Theorie“ Adornos. Auch hier gibt es eine Interpretation, die fast zum Klischee geworden ist: Adorno habe Jazz und populäre Musik verdammt und von allen verlangt, sich durch unzugängliche atonale Zwölftonmusik zu quälen. Dagegen wird Gordon nicht müde zu betonen, dass Adornos Ästhetik kein elitäres Gehabe mit verächtlichem Blick auf die Massenkultur ist. Adorno erkannte die Kunst vielmehr als Produkt der Gesellschaft. Wobei sich auch die gute Kunst nicht der Gesellschaft entziehen kann, die sie hervorbringt. Was sie für Adorno aber sehr wohl kann, ist, sich gegen diese Gesellschaft zu wehren und das Bessere vorwegzunehmen.
Gordons Thesen über Adorno mögen gewagt sein, sie bleiben aber nie unbegründet. Gordon geht im besten Sinn analytisch vor: Grundlage seiner Überlegungen ist immer eine sehr genaue Lektüre von Adornos Werken. Wichtige Begriffe werden akribisch unter die Lupe genommen, Stichwörter wie „emphatisch“ oder „nichtidentisch“ sollen bloß nicht rätselhaft bleiben. Ebenso wenig wie Adornos Materialismus, seine Idee einer „Negativen Dialektik“ oder sein Verhältnis zu Hegel, Marx und Nietzsche.
Mit Wörtern wie „Hoffnung“ oder „Optimismus“ ist Peter E. Gordon dann allerdings doch sehr zurückhaltend. Wenn er sich gegen eine Lesart stellt, die Adorno zum Denker einer allumfassenden Negativität macht, dann nicht, um ins krasse Gegenteil zu verfallen. Der Denker der „Negativen Dialektik“ wird nicht zum Optimisten umgedeutet. Der verneinende Geist Adornos verschwindet nicht, nur der Blick auf das Verneinen ist nach der Lektüre ein anderer.
Es wurde eben aus der Überzeugung geboren, dass dem Menschen das Glück nicht länger verwehrt bleiben sollte. Das ist vielleicht ein kleiner, aber doch kein unwesentlicher Unterschied.
LUKAS KLUS
„Fun ist ein Stahlbad“: Theodor W. Adorno.
Foto: dpa
Peter E. Gordon: Prekäres Glück. Adorno und die Quellen der Normativität. Aus dem Englischen von Frank Lachmann. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022.
470 Seiten, 38 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.03.2024

Die versprengte Farbe im Grau
Peter Gordon spürt den Gegenmomenten zum negativen Ganzen bei Theodor W. Adorno nach

Auch schwermütigen Sentenzen wachsen manchmal Flügel. Aus Theodor W. Adornos Denkbilder-Buch "Minima Moralia" ist ein Sinnspruch entflogen, der einiges dazu beigetragen haben dürfte, dass sein Autor zuzeiten im Ruf eines Unheilspropheten stand: "Es gibt kein richtiges Leben im falschen." Sogar die Gedenktafel, die an Adornos Frankfurter Wohnstätte im Westend angebracht ist, ist versehen mit dem Diktum - und erweckt, quasi halbamtlich, den Eindruck, als resümiere sich darin die denkerische Quintessenz des Philosophen. Peter E. Gordon hat ein aufklärendes Buch geschrieben, dessen Hauptaufgabe es erklärtermaßen ist, das Bild von Adorno als Schwarzmaler, das sich auf den Flügeln nicht nur jenes Zitats verbreitet hat, zu korrigieren. Es ist aus den Frankfurter Adorno-Vorlesungen hervorgegangen, die der in Harvard lehrende Ideenhistoriker und Philosoph im Jahr 2019 gehalten hat.

Das leicht von der Zunge gehende Bonmot, das verrät bereits das Denkstück, dem es entstammt, ist nicht Adornos Antwort auf die Frage nach der "Normativität", nach der möglichen Richtschnur für ein richtiges Leben. Es beschließt vielmehr eine mehrseitige Reflexion über Wohnen und Privateigentum und gibt von zwei gegenläufigen Ansichten, die Adorno pointiert nachzeichnet, sich aber nicht als solche zu eigen macht, die eine wieder - eine Art Ausrede. Das mag hier auf sich beruhen, zumal Gordon diesen Kontext gar nicht einblendet. Aber selbst wenn das Diktum "programmatisch" zu verstehen wäre, gäbe es keine eindeutige Antwort. "Es gibt kein richtiges Leben im falschen" ähnelte dann eher einem Orakelspruch, der so oder anders ausgedeutet werden könnte. Legt er Resignation und Passivität nahe, eine quietistische Lebenshaltung? Oder stellt er einen nihilistischen Freibrief aus für enthemmten Aktivismus, für ein gewissenloses Leben jenseits von Richtig und Falsch?

Zudem ruft die Behauptung von der Unmöglichkeit eines Richtigen im Falschen eine erkenntnispraktische Frage auf den Plan: Wie ließe sich überhaupt wissen und sodann beklagen, dass "das Leben" - lies: das menschliche Zusammenleben - "falsch" ist? Wäre dann, wenn es sich so verhielte, nicht der "Verblendungszusammenhang", von dem Adorno ebenfalls spricht, ein "totaler"? Wäre nicht jede Lebensäußerung, einschließlich der Äußerung der fraglichen Behauptung, notwendig falsch? Und wenn Letztere gleichwohl Richtigkeit beanspruchte: Woher käme der Maßstab der Kritik? Von "außerhalb"? Ein anderer herumgeisternder Aphorismus der "Minima Moralia" verkündet ja tatsächlich und lapidar: "Das Ganze ist das Unwahre." Leben wir in einer geschlossenen Anstalt, aus der es kein Entkommen gibt?

Solche und verwandte Probleme lernt jeder Adorno-Leser kennen, und sie stellen jede systematische Adorno-Interpretation auf die Probe. Ein Hinweis, wie der hermeneutischen Herausforderung begegnet werden könnte, findet sich bereits auf der ersten Seite der "Reflexionen aus dem beschädigten Leben" (wie der Untertitel der 1951 erstmals gedruckten moralphilosophischen Essay- und Aphorismensammlung lautet). Die "Wahrheit" über das Leben könne heute nur noch erfahren, liest man dort, wer "dessen entfremdeter Gestalt" nachforsche. Eingehender erläutert Adorno, worauf er zielt, in einer 1963 gehaltenen Vorlesung über Probleme der Moralphilosophie: "Wir mögen nicht wissen, was das absolut Gute, was die absolute Norm, ja auch nur, was der Mensch oder das Menschliche und die Humanität sei, aber was das Unmenschliche ist, das wissen wir sehr genau. Und ich würde sagen, dass der Ort der Moralphilosophie heute mehr in der konkreten Denunziation des Unmenschlichen als in der unverbindlichen und abstrakten Situierung etwa des Seins des Menschen zu suchen ist."

Eine geschichtsphilosophische Epochendiagnose geht mit einer erkenntnispraktischen Maxime einher: Wir wissen nicht mehr, wer wir als Menschen sind und was wir als Menschen zu sein haben, wir wissen nicht, was wir sollen - aber wir wissen, was nicht sein soll. Und an diesem Nicht-sein-Sollenden, am Unmenschlichen, das es zu "denunzieren" gelte, findet die moralphilosophische Kritik eine erste Orientierung in orientierungsloser Zeit. Man kann diesen Grundgedanken "negativistisch" nennen, wie Michael Theunissen es getan hat, von dem Gordon sich anregen lässt. Theunissen kennzeichnet mit dem Etikett "Negativismus" einen eigenen Typus von Philosophie, der um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts aufkommt, als Reaktion auf Orientierungskrisen, die der geschichtliche Aufbruch in die Moderne mit sich bringt.

Adorno verschrieb sich keinem "totalen" Negativismus. Ein solcher käme einem Nihilismus gleich, dem Nihilismus im vulgären Sinn, der die Sinnlosigkeit von allem konstatieren zu können glaubt und vor dem "Negativen der bestehenden Welt" (so die berühmte zeitdiagnostische Wendung des jungen Hegel) kapituliert. Die Differenz markiert aufs Schönste, in beinahe poetischem Gewand, ein Satz aus Adornos "Negativer Dialektik": "Bewusstsein könnte gar nicht über das Grau verzweifeln, hegte es nicht den Begriff von einer verschiedenen Farbe, deren versprengte Spur im negativen Ganzen nicht fehlt."

Gordon, könnte man sagen, sichert sorgfältig die Spuren, die jene vom Grau "verschiedene Farbe" in Adornos Werk, in Metaphysik und Ästhetik, in der Sozial- und Moralphilosophie, hinterlassen hat. Die Spuren führen ihn, einen kundigen und subtilen Leser, auf weitläufigem Parcours zu Adornos "Quellen der Normativität". Der Titel "Prekäres Glück" deutet auf das Gesuchte voraus. Es sind demnach nicht zuerst Begriffe, die den Ursprungsort von so etwas wie Normativität bilden, es sind elementare Erfahrungen, solche des Leids und solche des Glücks; eines Glücks, das sich laut Adorno an "aufgehobenem Leid" entfaltet, das sich aber auch in unreglementiertem Erleben einstellen kann, etwa in kindlichen Spielen, die er einmal als "bewusstlose Übungen zum richtigen Leben" charakterisiert, oder in Situationen erfüllenden ästhetischen Empfindens.

Die Norm, die durch entsprechende Erfahrungen innerviert ist und die Gordon als Maßstab der "Kritikpraxis" Adornos nachzuzeichnen versucht, weist über das Neinsagen zum Unmenschlichen hinaus. Der Autor nennt sie die Idee "menschlichen Gedeihens" - eine naturgemäß nicht ganz unbekannte Idee, die zumindest an die Idee eines gelingenden, glückenden oder guten Lebens anklingt. Inmitten des "falschen Zustands" sei dies "andere" Leben unrealisiert und unrealisierbar, aber eben gleichwohl in Momenten intensiver Erfahrung antizipierbar. Mögen wir auch nicht mehr wissen, was "der Mensch" sei, so sieht Gordon in Adornos Schriften doch das "Porträt einer moralisch responsiven Persönlichkeit" Kontur annehmen, die ebenso offen wie verletzlich sei - ein emphatisches Gegenbild zu einem vom "falschen Leben" beschädigten Charakter. Das Fazit: Adorno habe mehr zu bieten als "die negative Ethik eines weniger falschen Lebens".

Mit einem Mangel allerdings sind die Quellen, aus denen Adorno geschöpft haben mag, in den Augen Gordons behaftet. Es seien lediglich Quellen - und keine Begründungen von Normen, die philosophischen Rationalitätsstandards genügen könnten. Adorno tue mitunter so, als würden unmittelbare Erfahrungen prekären Glücks oder auch verzweifelten Leids "sich selbst beglaubigen", als enthielten sie in sich selbst bereits eine ethische Richtschnur oder unwidersprechliche moralische Wahrheit, die sich nicht mehr argumentativ ausweisen müsse. Diese Annahme laufe womöglich auf einen Mythos hinaus, auf den "Mythos des normativ Gegebenen". Darum erwägt Gordon zum Schluss, Adorno unter die Arme zu greifen und dessen moralische Phänomenologie durch eine Theorie intersubjektiver Rechtfertigung von Normen zu ergänzen - durch das also, was die jüngere Frankfurter Schule von Jürgen Habermas bis Axel Honneth und Rainer Forst in die Waagschale der Geistesgeschichte geworfen hat. Ob Adorno damit einverstanden wäre, lässt sein Interpret klüglich offen. UWE JUSTUS WENZEL

Peter E. Gordon: "Prekäres Glück". Adorno und die Quellen der Normativität.

Aus dem Englischen von Frank Lachmann. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023.

470 S., geb., 38,- Euro.

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»Das neue Buch des amerikanischen Ideenhistorikers Peter E. Gordon verdient Aufmerksamkeit. ... [Er] schreibt verständlich, und es ist faszienierend, wie er es schafft, einen Adorno zum Sprechen zu bringen, dessen Denken sich nicht im Pessimismus erschöpft.« Stefan Müller-Doohm Neue Zürcher Zeitung 20240328