Marktplatzangebote
3 Angebote ab € 9,70 €
  • Gebundenes Buch

Die Abtreibung gehört auch heute noch zu den umstrittensten Fragen unserer Gesellschaft. Weder findet sie eine breite gesellschaftliche Akzeptanz, noch wird offen über sie gesprochen. Abtreibung ist nach wie vor ein gesellschaftliches Tabu. Eine merkwürdige Grauzone umgibt sie. Das mag durchaus überraschen, da die Abtreibung in den westlichen Ländern unter bestimmten Voraussetzungen legal ist. Das Recht auf Abtreibung gehört zudem zu den Errungenschaften der Frauenbewegung und des Kampfes um die Selbstbestimmung der Frau. Der französische Soziologe Luc Boltanski versucht, diese paradoxe…mehr

Produktbeschreibung
Die Abtreibung gehört auch heute noch zu den umstrittensten Fragen unserer Gesellschaft. Weder findet sie eine breite gesellschaftliche Akzeptanz, noch wird offen über sie gesprochen. Abtreibung ist nach wie vor ein gesellschaftliches Tabu. Eine merkwürdige Grauzone umgibt sie. Das mag durchaus überraschen, da die Abtreibung in den westlichen Ländern unter bestimmten Voraussetzungen legal ist. Das Recht auf Abtreibung gehört zudem zu den Errungenschaften der Frauenbewegung und des Kampfes um die Selbstbestimmung der Frau. Der französische Soziologe Luc Boltanski versucht, diese paradoxe Situation zu erklären. Dabei greift er zum einen auf ausführliche Interviews mit einhundert Frauen zurück, die von ihren persönlichen Erfahrungen mit der Abtreibung berichten, und rekonstruiert zum anderen eine umfassende Geschichte der gesellschaftlichen Abtreibungspraxis von der Antike bis zur Gegenwart. Die Entscheidung für oder gegen Abtreibung, so skizziert Boltanski seine Hauptthese, erweist
sich dabei als unauflösbarer Widerspruch, der der gesellschaftlichen Ordnung insgesamt innewohnt: Einerseits ist jedes einzelne menschliche Wesen einzigartig und unersetzbar, andererseits ist seine Austauschbarkeit Grundvoraussetzung dafür, daß sich die Gesellschaft fortwährend demographisch erneuert. Diese Paradoxie wiederholt sich in der symbolischen Ordnung, die der Schwangerschaft, der Geburt und der Abtreibung ihre gesellschaftlichen Regeln gibt. Boltanskis Buch führte in Frankreich zu einer heftigen und überaus kontroversen Debatte, in der es um nichts weniger ging als um die Grundregeln der gegenwärtigen Gesellschaft.
Autorenporträt
Luc Boltanski, geboren 1940, Schüler von Pierre Bourdieu, ist einer der gegenwärtig prominentesten französischen Soziologen und Forschungsdirektor an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris. International bekannt wurde er sowohl durch seine maßgeblichen Beiträge zur Theorie einer pragmatischen Soziologie der Kritik als auch durch seine Analysen des neuen Geists des Kapitalismus.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.09.2007

Schwangerschaft als Krankheit
Wenn Menschsein sich nicht mehr von selbst versteht: Luc Boltanski entwirft eine Soziologie der Abtreibung
Von 1980 bis 1996 sank in Frankreich die Zahl der Abtreibungen um etwa
40 000. Um die 50 Prozent der Frauen, die 1996 abgetrieben haben, waren verheiratet oder lebten mit ihrem Partner zusammen. Das ist der faktische Hintergrund, vor dem Luc Boltanski seine umfängliche Studie über die Abtreibung schreibt. Diese möchte er so betrachten, als handelte es sich um einen beliebigen soziologischen Gegenstand, den man im Sinne Max Webers möglichst ethisch neutral und objektiv analysieren muss. Dieser Forschungsansatz verwundert nicht, wenn man an die vehementen Attacken vor allem klerikaler Abtreibungsgegner, aber auch an die eifrige Verteidigung derselben durch Befürworter denkt. Eine solche Problemlage gebietet geradezu die Anstrengung um ethische Neutralität. Schließlich geht es hier entweder um das absolute Gebot des Lebensschutzes oder um den höchsten Wert individueller Freiheit. Doch wenn sich hier wie an kaum an einer anderen Stelle bestenfalls pragmatische Kompromisse abzeichnen – wie etwa die deutsche Abtreibungsregelung –, bestätigt sich Nietzsches Behauptung der fehlenden gemeinsamen obersten Normen. Was bleibt dann anderes als eine ethische Neutralität?
Die Untersuchung beginnt mit einer anthropologischen Betrachtung über Abtreibung: In allen bekannten Gesellschaften steht Wissen über die Abtreibung zur Verfügung und wird angewendet. Daraus folgert Luc Boltanski: „Die Möglichkeit, den Fötus vor der Geburt aus der Gebärmutter zu holen, in der Absicht ihn zu vernichten, scheint also zu den Grundlagen des menschlichen Daseins in einer Gesellschaft zu gehören.”
Gleichzeitig aber wird die Abtreibung selten öffentlich thematisiert. Sie ist in fast allen Gesellschaften Gegenstand allgemeiner Missbilligung. Allerdings weiß man gemeinhin darum, dass Abtreibung üblich ist. Insofern, so Boltanski, pfeifen die Spatzen dieses Geheimnis von den Dächern. Die Abtreibung nennt er daher nicht offiziell, sondern offiziös.
Abtreibungen, die seit dem 19. Jahrhundert zunehmend spezialisierte Ärzte vornehmen, wurden lange Zeit von Seiten des Staates bekämpft, ohne dass dieser ihr irgendwie Herr zu werden vermochte. Aber Opfer und Täter vereint eine gemeinsame Absicht, die sich nun mal nicht leicht enthüllen lässt. Insofern kann man die Abtreibung als soziale Plage bezeichnen.
Ein Kind wird bestätigt
Zunehmend wird heute in der westlichen Welt die Abtreibung weniger ausdrücklich verboten. So entsprang das französische Abtreibungsgesetz aus dem Jahr 1975 nicht der Wirkungslosigkeit der Gesetze, sondern eher einem veränderten Bewusstsein. Von einem bestimmten Zeitpunkt an leisteten die Staaten nur noch geringen Widerstand gegenüber den Forderungen, das Verbot der Abtreibung abzuschaffen. Vor allem der Feminismus brachte das Weibliche aus dem Verborgenen in die Öffentlichkeit. Abtreibung gehörte zu den Fragen, die die Gleichheit der Geschlechter beförderten. Sie transformierte sich derart von einem sittlichen Verbot in eine moralische Bürde des Individuums, in die sich der laizistische Staat nicht mehr weiter einmischen wollte.
Sie eröffnet Frauen die definitive Option, Sexualität und Zeugung voneinander zu trennen. Die Abtreibung führt vor, dass Zeugung zur Menschwerdung alleine nicht ausreicht. Vielmehr muss die Schwangere bewusst einen Beschluss fassen, das Kind zur Welt zu bringen. Fleisch und Wort stellen zwei voneinander getrennte Ebenen dar. Ein Kind muss vom Wort bestätigt werden. Boltanski konstatiert: „Alles geht also vor sich, als ob heute die Autorität der Frauen, unter den Wesen, die in der Folge eines Geschlechtsverkehrs in ihr Fleisch kommen, diejenigen auszuwählen, die sie adoptieren werden, indem sie sie durch das Wort bestätigen, voll und ganz anerkannt wäre (wenn auch in einem Kompromiss mit der Autorität des Staates).” Das Buch bekräftigt mit zahlreichen Einzelfallstudien diesen Befund.
Trotzdem erweist sich die damit verbundene Verantwortung bei genauerem Hinsehen als beschränkt. Frauen verweisen nämlich gerne auf Zwangslagen, die sie für ihre Entscheidung verantwortlich erklären. Boltanski versteht das als eine Variante von Unaufrichtigkeit, wenn der Einzelne letztlich doch ahnt, dass er sich hier etwas vormacht.
Doch heute avanciert auch angesichts der zunehmenden Verbreitung von Verhütungsmitteln die Elternschaft zu einem Projekt, über das Menschen sich genauso klar werden müssen, wie über die Abtreibung. „Projekt” ist ein zentraler Terminus in den Arbeiten Boltanskis. Er veröffentlichte 1999 zusammen mit Eve Chiapello die Studie „Der neue Geist des Kapitalismus”, in der er diesem eine Projektorientierung attestierte. Diesen Begriff entnimmt er der Sprache des Managements. Mit dem Terminus „projektorientierte Polis” weist er auf eine zunehmend inkohärente Arbeitswelt hin, die durch Flexibilität, Mobilität und ständige Aktivität permanent neue Konnexionen herstellt, die ein eher instabiles Netz ergeben, dem immer die Fragmentierung droht. Diese konnexionistische Arbeitswelt wirkt sich auch auf die Lebenswelt der Menschen aus und verunsichert deren Perspektiven. Kinder in die Welt zu setzen avanciert derart zu einem gewagten „elterlichen Projekt”.
Die Optionalität der Geburt erhöht indes die Bedeutung des geplanten Kindes. Gleichzeitig ermöglicht die Medizin, dem Werden des Menschen im Detail zuzuschauen. Alle möglichen Formen der Vorbereitung der Geburt und der Beratung bekräftigen diese Perspektive noch. Andererseits betrachtet man heute die Abtreibung zumeist als einen chirurgischen Eingriff, dessen Wirkung darauf abzielt, den Fötus als praktisch nicht existent zu entwerten. Just in diesem Sinne unterscheidet Boltanski zwischen einem authentischen Fötus und einem tumoralen. Ersterer verkörpert das „elterliche Projekt” Kind, letzterer reduziert die Schwangerschaft auf eine Krankheit.
Den tumoralen Fötus zieht keinerlei Zukunft an, er wird vielmehr ins Nichts verschoben, während im Ultraschall seine werdenden Eltern den authentischen schon als richtiges Baby antizipieren. Boltanski konstatiert: „Seit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Rebellion der Frauen gegen die Beherrschung, deren Gegenstand sie waren, die Abtreibung aus dem Dunkel geholt hat, und der Fötus, obschon aus ganz anderen Gründen, ein soziales Wesen unter anderen geworden ist, verlangt es unsere historische Lage, dass wir uns mit einem Menschsein auseinandersetzen, das sich nicht mehr von selbst versteht und das nicht mehr einfach gegeben ist.”
Doch vor allem angesichts der zunehmenden Verbreitung von oral einzunehmenden Mitteln, die eine Abtreibung bewirken, plädieren nicht wenige für eine Entdramatisierung der Debatte. Schließlich sehen sich Frauen heute mit weit weniger medizinischen Risiken, geringerem staatlichen Druck und weniger beunruhigenden religiösen Sittlichkeitspostulaten konfrontiert. Ist das die ethische Neutralität oder stellt diese doch wieder eine Partei in der Debatte dar? Entdramatisierung hören vor allem die Gegner der Abtreibung nicht gern.
HANS-MARTIN SCHÖNHERR-MANN
LUC BOLTANSKI: Soziologie der Abtreibung. Zur Lage des fötalen Lebens. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 542 Seiten, 29,80 Euro.
1989: Etwa 5000 Demonstranten ziehen durch die Kleinstadt Memmingen, um gegen den Paragraphen 218 und Abtreibungsprozesse zu protestieren. dpa
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.07.2007

Jemands Anfang in der Schwebe
Luc Boltanski entwirft eine Soziologie der Abtreibung

Die konkrete Erfahrungswirklichkeit der betroffenen Frauen stellt der renommierte französische Soziologe Luc Boltanski ins Zentrum seines eindringlichen Buches über die Abtreibung als Schicksalserlebnis.

Auf die heikle Lage der Sexualität "zwischen dem Zufälligen und dem Etablierten, dem Spiel und dem Ritual, dem Kurzlebigen und dem Dauerhaften, dem Individuellen und dem Kollektiven, zwischen dem, was im alltäglichen Leben am unheiligsten ist, und dem, was am heiligsten ist", gründet der bekannte französische Soziologe Luc Boltanski ein eindringliches Werk, das auf Deutsch ziemlich platt "Soziologie der Abtreibung", auf Französisch hingegen weitaus treffender "La condition foetale" heißt.

Die ambivalente Rolle der Sexualität hat nämlich tiefgreifende Auswirkungen auf die Lage, die conditio des Fötus. Wie Boltanski zeigt, ist die Einfügung der aus einem Geschlechtsverkehr hervorgegangenen Menschenwesen in die Gesellschaft eine zu wichtige Sache, als dass sie allein dem Walten der Natur überlassen würde. Das naturhafte Menschsein bedürfe vielmehr der kommunikativen Bestätigung. Zur "Zeugung durch das Fleisch" müsse die "Zeugung durch das Wort" hinzutreten, erst dann sei ein Menschenwesen vollständig. Mit seiner Bestätigung durch das Wort verliere der Fötus das Merkmal der Austauschbarkeit und erwerbe jene Eigenschaft, die für seine Anerkennung als Mensch wesentlich sei, seine Einzigartigkeit.

Die Frucht einer weitgehenden Abkoppelung der Sexualität von der Zeugung ist das "projektgebundene Kind". Der Fötus muss in das "elterliche Projekt" hineinpassen. "Es handelt sich um ein spezifisches Projekt, das die Partner in Hinblick auf ein genaues Ziel bewusst in Angriff nehmen. Aber diese Entscheidung wird als unerlässlich erachtet, damit das ins Fleisch gekommene Wesen sich dort nicht irgendwie ,durch Zufall' befindet und damit es sich so entwickeln kann, dass sein Menschsein zu einer vollständigen Entfaltung gelangt."

Daraus folgt einerseits eine extreme Höherbewertung des Kindes, wenn es in jenes Projekt integriert werden kann, und andererseits eine nicht weniger extreme Entwertung des Fötus, der zu einer derartigen Integration nicht geeignet ist. In Boltanskis Worten steht dem "authentischen" der "tumorale" Fötus gegenüber. Im authentischen Fötus wird das zukünftige Kind gesehen und angenommen. Der tumorale Fötus hingegen wird in das Nichts abgeschoben, aus dem er gerade erst hervorgekommen ist: "Er soll so wenig Spuren wie möglich in der Welt hinterlassen, selbst im Gedächtnis, wenn auch nicht der Frau selbst, so doch im Gedächtnis der anderen."

Mit dem Ideal des projektgebundenen Kindes scheint die Autonomierhetorik der philosophischen und publizistischen Abtreibungsbefürworter sich durchgesetzt zu haben. Wie Boltanski auf der Basis zahlreicher Gespräche mit betroffenen Frauen darlegt, ist dem aber keineswegs so. Die Abtreibung wird nur selten auf einen angeblichen Anspruch der Frau auf Unabhängigkeit gestützt. Weitaus häufiger wird sie "als das Ergebnis eines Schicksalsprozesses beschrieben, der beinahe nicht vom Willen der Frau abhängt". So wie die Dinge lagen, erschien es der Schwangeren unmöglich, das zukünftige Kind "dem Zufall zu entreißen und ihm ein vollständiges Menschsein mitzugeben". Es wird also einer passivischen Deutung des Abtreibungsgeschehens der Vorzug gegeben. Kaum eine der Gesprächspartnerinnen, so Boltanski, vermag sich der Empfindung zu entziehen, dass das Wesen, welches in ihr wächst, trotz allem Fleisch von ihrem Fleisch und deshalb kein Fremdling, sondern ein Anderes ihrer selbst sei.

Boltanskis Befunde zeigen, dass die großen philosophischen Kontroversen um die Personalität des Fötus an der Erfahrungswirklichkeit der konkret Betroffenen weitgehend vorbeigehen. Einerseits interpretieren die Frauen die Abtreibung statt als Ausübung eines Notwehrrechts gegen den Eindringling in ihrem Inneren zumeist als eine auch für sie schmerzliche "Maßnahme zuungunsten des künftigen Kindes". Die Reformierung des moralischen Empfindens gehört nach einer Bemerkung Boltanskis nun einmal "nicht zu der Art von Dingen, die durch ein Dekret seitens der Philosophischen Fakultäten der großen amerikanischen Universitäten eingeführt werden können".

Andererseits nehmen die von Boltanski befragten Frauen es hin, dass dem zur Abtreibung bestimmten Fötus eine Behandlung zugemutet wird, die man gegenüber einer ausgebildeten Person niemals in Betracht ziehen würde. Wer sonst darf allein deshalb getötet werden, weil er ungelegen kommt? Boltanski beschreibt die vorherrschende Tendenz so, dass eine Pflicht zur Respektierung fremder Integrität, wie sie ansonsten im Hinblick auf Personen selbstverständlich ist, gegenüber dem Fötus nicht anerkannt wird. Deshalb zieht seine Vernichtung zumeist auch kein Schuldgefühl nach sich, sondern eher ein Gefühl der Trauer, des Verlustes und der Leere.

Der Fötus, "dieses ungewisse Wesen, in der Schwebe zwischen Nichtexistenz und Existenz, zwischen dem Limbus und der Welt, zwischen der Zugehörigkeit zu einem anderen und der Zugehörigkeit zu sich selbst, zwischen dem Nichts und dem Ganzen, zwischen dem Wirklichen und dem Virtuellen, zwischen der Sphäre der Tatsachen und der Sphäre des Projekts", ist demnach in der Sicht derer, die über sein Schicksal entscheiden, weder Person noch Nichtperson. An ihm bricht sich die binäre Logik des Rechts. Boltanski hält daher die Abtreibung zwar einerseits für nicht legitimierbar, andererseits aber auch für nicht strafbar. Rechtswidrig, aber straflos - der deutsche Leser kennt diese Formel. Ihre Unentschiedenheit ist heftig kritisiert worden. Aber vielleicht lässt sich über die Abtreibung, will man den gesellschaftlichen Überzeugungshaushalt nicht überstrapazieren, wirklich nicht mehr sagen als dies.

MICHAEL PAWLIK

Luc Boltanski: "Soziologie der Abtreibung". Zur Lage des fötalen Lebens. Aus dem Französischen von Marianne Schneider. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 542 S., geb., 29,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Interessiert hat Hans-Martin Schönherr-Mann diese soziologische Studie über Abtreibung von Luc Boltanski gelesen. Er attestiert dem Autor, seinen Gegenstand ethisch neutral und objektiv zu analysieren, eine Anstrengung, die er angesichts der hochemotionalen Problemlage nur begrüßen kann. Nach einer anthropologischen Betrachtung der Abtreibung und einem Blick auf ihre Geschichte geht der Autor auf die gegenwärtige Entwicklung ein. Dabei konstatiere er bei der Abtreibungsfrage einen Rückzug des Staats und damit auch einen Wandel vom sittlichen Verbot zu einer individuellen moralischen Angelegenheit. Schönherr-Mann hebt insbesondere Boltanskis Analyse hervor, wonach Abtreibung den Frauen die Option eröffne, Sexualität und Zeugung zu trennen. Deutlich werde, dass Zeugung zur Menschwerdung allein nicht ausreiche. Zustimmend äußert sich Schönherr-Mann auch über die Ausführungen des Autors, Kinder in die Welt zu setzen avanciere unter gegenwärtigen Bedingungen zu einem gewagten "elterlichen Projekt".

© Perlentaucher Medien GmbH