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Was bedeutet es, wahrhaftig zu sein? Welche Rolle spielt Wahrheit in unserem Leben? Was verlieren wir, wenn wir Wahrhaftigkeit als Wert zurückweisen? In seinem neuen Buch erkundet der englische Philosoph Bernard Williams den geschichtsträchtigen und zentralen Begriff der Wahrheit und zeigt uns, daß wir einerseits mehr, andererseits weniger von ihm erhoffen können, als wir uns vielleicht vorstellen wollen. In der Moderne herrschen zwei Haltungen zur Wahrheitsfrage vor: einerseits die Furcht vor Täuschung, denn niemand möchte an der Nase herumgeführt werden, andererseits der Skeptizismus…mehr

Produktbeschreibung
Was bedeutet es, wahrhaftig zu sein? Welche Rolle spielt Wahrheit in unserem Leben? Was verlieren wir, wenn wir Wahrhaftigkeit als Wert zurückweisen? In seinem neuen Buch erkundet der englische Philosoph Bernard Williams den geschichtsträchtigen und zentralen Begriff der Wahrheit und zeigt uns, daß wir einerseits mehr, andererseits weniger von ihm erhoffen können, als wir uns vielleicht vorstellen wollen.
In der Moderne herrschen zwei Haltungen zur Wahrheitsfrage vor: einerseits die Furcht vor Täuschung, denn niemand möchte an der Nase herumgeführt werden, andererseits der Skeptizismus hinsichtlich objektiver Wahrheiten, denn niemand möchte naiv sein. Diese Spannung ist kein abstraktes, rein philosophisches Paradox, sondern hat ganz konkrete politische Auswirkungen für unsere Gesellschaft. Sie reicht bis in Begründungsfragen hinein und berührt damit den zentralen Kern unserer Kultur.
Williams nähert sich dem Problem aus der nietzscheanischen Perspektive einer Genealogie und blendet philosophische, historische und fiktionale Zugänge übereinander, um zu erzählen, wie die Meinungen der Menschen über das Problem der Wahrheit entstanden sein könnten. Ohne die Zufälligkeit vieler unserer Meinungen über dasjenige, was angeblich wahr ist, zu bestreiten, verteidigt er Wahrheit als intellektuelles Ziel und kulturellen Wert, indem er zwei Grundtugenden der Wahrheit identifiziert: Genauigkeit und Ernsthaftigkeit. Die erste hilft dabei, die Wahrheit zu finden, und die zweite, diese auch zu verbreiten. Williams beschreibt verschiedene psychologische und soziale Formen, welche diese beiden Tugenden angenommen haben, und erkundet, durch welche Ideen sie heute am sinnvollsten plausibel gemacht werden können.
Wahrheit und Wahrhaftigkeit ist eine klare und überzeugende Stellungnahme gegen die weitverbreitete Haltung, daß Wahrheit keinen Wert mehr habe, ohne gleich davon auszugehen, daß ihr Wert schon an sich gegeben wäre. Bernard Williams zeigt, was wir verlieren, wenn wir den Sinn für den Wert von Wahrheit verlieren: Es könnte vielleicht alles sein.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Ich bin doch nicht so blöd, jedermann Rede und Antwort zu stehen
Kant hat die ganze moralische Welt verzeichnet: Bernard Williams erklärt uns vollblütig, aber etwas halbherzig, wozu die Wahrheit gut ist / Von Wolfgang Kersting

Zu Unrecht wird Nietzsche von den Dekonstruktivisten, Postmodernisten und Pragmatisten als Kronzeuge benannt. Diese "Verneiner der Wahrheit", wie Bernard Williams sie nennt, verkennen die Bedeutung, die die Wahrheit und das Streben nach ihr für Nietzsche besaß. Der Kampf gegen die Wahrheiten der Religion und der Metaphysik mündete bei Nietzsche nicht in einen Indifferentismus, der alles für möglich und nichts für wichtig erachtet. Gerade dem Desillusionierer ist es ernst mit der Wahrheit; nur der leidenschaftliche Wille zur Wahrheit kann den Verlockungen des religiösen Trostes und der metaphysischen Geborgenheit widerstehen. Nur die, die den unbedingten Willen zur Wahrheit haben, halten die Unwirtlichkeit der gottverlassenen Welt aus.

Der aller angestammten Überzeugungen beraubte Freigeist Nietzsches ist kein leichthändiger Ironiker Rortyschen Zuschnitts, schon gar nicht ein pragmatistischer Händler, der Wahrheit gegen Nützlichkeit eintauscht. Er weiß, daß sein Wahrheitswille selbst noch metaphysisches Aroma besitzt und ein ethisches Rätsel ist. In seiner Unbedingtheit zehrt er noch, wie Nietzsche in der Genealogie der Moral schreibt, von dem "Brande", den der Glaube der Christen, der auch der Glaube Platons war, "entzündet hat . . . , daß Gott die Wahrheit ist, daß die Wahrheit göttlich ist". Die Entmachtung von Religion und Metaphysik entdeckt sich somit als unvermeidbare Folge ihres immanenten Wahrheitsethos.

Dieses aber ist von eigenem Wert und von unverlierbarer Bedeutung. Daher muß es aus den Trümmern der platonischen und christlichen Metaphysik gerettet und auf ein neues Fundament gestellt werden. Und genau das war nach Williams Nietzsches eigentliche Mission. Und so versteht er auch sein eigenes Buch: als Beitrag zum Projekt der Rettung der Wahrheit vor ihren modischen Verneinern, die glauben, mit der Metaphysik der Wahrheit auch die Ethik der Wahrheit aufgeben zu dürfen. Daher fällt seine Untersuchung auch nicht ins Gebiet der Erkenntnistheorie, sondern der Moralphilosophie. Sie fügt den zahllosen Versuchen der analytischen Philosophie, Begriff und Kriterien der Wahrheit zu klären, keinen weiteren hinzu. Williams geht es um den Wert der Wahrheit und die Tugenden, die ihm gerecht werden: Aufrichtigkeit, Ernsthaftigkeit und Genauigkeit. Und er untersucht ihre Bedeutung besonders dort, wo die Sinne dem Objektivitätsanspruch wenig Beistand leisten und das Korruptionsrisiko beträchtlich ist: in den Geisteswissenschaften, den politischen Legitimationskonzepten und den sinnstiftenden Geschichten.

Um die Wertschätzung der Wahrheit auf eine garantiert unverdächtige Grundlage zu stellen, erzählt auch Williams eine Abstammungsgeschichte. Während Nietzsche jedoch eine diskreditierende Genealogie der Moral vorträgt, die die niedere Herkunft der noblen Moral der Philosophen ans Licht zerren will, skizziert Williams eine rechtfertigende Genealogie, die die Entstehung und Etablierung der Wahrheitstugenden aus den Bedingungen menschlicher Kooperation im Rahmen eines Naturzustandsmodells erklären möchte. Die Menschen lernen, daß Genauigkeit und Aufrichtigkeit von Vorteil ist, da Bestand und Entwicklung ihrer Gesellschaft von verläßlichem Wissenserwerb und wechselseitigem Vertrauen abhängt.

Die im Kontext gemeinsamer Problemlösung entstandenen Wahrheitstugenden dürfen nicht mit den Konstruktionen der modernen Moralphilosophie verwechselt werden. Daß insbesondere die Kantische Pflichtenethik die moralische Welt verzeichnet, ist eine tiefe Überzeugung des Aristotelikers Williams. Die genealogisch explizierte Wahrhaftigkeit ist anders als das strikte Lügenverbot Kants mit dem Common sense verträglich. Sie versteht Handeln nicht als blinde Anwendung einer ausnahmslos gültigen Regel, sondern läßt sich von einer praktischen situationskompetenten Vernunft leiten, die Unterschiede zu machen vermag und weiß, wer Aufrichtigkeit verdient und wer nicht.

Freilich wird nicht plausibel, wie die vorteilhafte Aufrichtigkeit innerhalb dieser funktionalistischen Darstellung je den ihr von Williams zugeschriebenen intrinsischen Wert erhalten kann. In diesem intrinsischen Wert überlebt nicht nur schemenhaft der platonisch-christliche Glaube von der Göttlichkeit der Wahrheit, er markiert auch die Differenz zwischen einer moralischen Eigenschaft und einer zweckdienlichen Neigung. Aber auch wenn die Überzeugung der Menschen, daß Aufrichtigkeit eine intrinsisch wertvolle Tugend ist, ihrerseits notwendig ist, damit die Aufrichtigkeit innerhalb der gesellschaftlichen Kooperation die gewünschte Wirksamkeit entfalten kann und nicht durch kluge Einzelfallerwägungen durchlöchert wird, wird dadurch nicht ihre instrumentelle Herkunft abgeschüttelt. Innerhalb des funktionalistischen Erklärungsmodells kann die Emergenz des Moralischen nicht verständlich gemacht werden.

In der zweiten Hälfte seines Buches verläßt Williams die imaginäre Genealogie und wendet sich der wirklichen Geschichte zu. In ausgesuchten Kapiteln aus der europäischen Kulturgeschichte des Wahrheitsethos berichtet er über Voraussetzungen und wichtige Weichenstellungen, die uns unsere eigenen Wahrheits- und Aufrichtigkeitsvorstellungen besser begreifen lassen. Der Zusammenhang zwischen den beiden Genealogien ist jedoch völlig unklar. Alles, was aus der wirklichen Geschichte der Aufrichtigkeit berichtet wird, ist in seinem Verständnis völlig unabhängig von dem mißglückten genealogischen Experiment. Mit dem Übergang zur realen Geschichte ändern sich Stil und Temperament der Darstellung. Die Rolle des historischen Aufklärers behagt Williams offensichtlich. Die diffuse Polemik gegen die Verneiner weicht der Konzentration auf die Sache. Die Schwerfälligkeit genealogisch-analytischer Argumentation macht souveräner und gelehrter Auslegungsarbeit Platz. Diese präsentiert jedoch keine geschlossene Entwicklungsgeschichte. Sie reiht nur Momentaufnahmen aneinander, die unterschiedliche Facetten des der europäischen Kultur eigenen Wahrheitsverständnisses beleuchten.

Das beste Stück davon ist die folgende Skizze. Sie konfrontiert das Rousseausche Aufrichtigkeitsideal mit dem Aufrichtigkeitsideal Diderots und rehabilitiert das Bild moderner Subjektivität, das uns Diderot besonders einprägsam in Rameaus Neffe präsentiert. Rousseau versteht Aufrichtigkeit als Transparenz, als Befreiung des authentischen Selbst von allen gesellschaftlichen Verkrustungen und kulturellen Verstellungen. Diderot teilt dieses simple Subjektivitätsverständnis nicht. Personen sind für ihn nicht bereits fertige Subjekte, die in einer korrumpierten Gesellschaft um authentischen Selbstausdruck kämpfen, sondern stets und immer auf der Suche nach sich selbst, kontingenzsensible Selbsterfinder und Selbstwiderrufer. Nicht substantielle Eindeutigkeit steht für ihn im Zentrum moderner Authentizität, sondern erfahrungsoffene Mehrdeutigkeit. Die Wendigkeit und Flüchtigkeit von Rameaus Neffen, die ihn für Hegel in seiner Phänomenologie zum Inbegriff moderner Zerrissenheit machte, interpretiert Williams als Ausdruck der Schwierigkeiten, einem zufallsausgesetzten, mit Ängsten und Hoffnungen, Bildern und Begriffen gefüllten Subjekt leidliche ethische Stabilität zu verschaffen.

Zum Schluß seines gedankenreichen Buches spricht Williams von der Hoffnung. Und diese letzten Sätze können angesichts seines kürzlichen Todes als Vermächtnis gelesen werden, als Vermächtnis eines liberalen Humanisten, der die Wertschätzung freiheitlicher Gesellschaft nicht davon abhängig macht, daß ihre Verfassung mit deontologischer Ewigkeitsgeltung ausgestattet wird. Es genügt, daß sie der Wahrhaftigkeit die besten Entfaltungschancen bietet.

Bernard Williams: "Wahrheit und Wahrhaftigkeit". Ein genealogischer Versuch. Aus dem Englischen von Joachim Schulte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 432 S., geb., 34,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung

Es geht nicht ohne sie
Bernard Williams weiß, warum wir die Wahrheit brauchen
Der Wahrheit geht es wie dem Wohlfahrtsstaat. Ihr kommen die Fürsprecher abhanden. Nietzsches berühmte Sentenz, es gebe keine Tatsachen, sondern nur Interpretationen, markierte den Auftakt für den Sirenengesang der zeitgenössischen Wahrheitsnihilisten. Und mittlerweile ist er in den Geschichts-, Sozial- und Kulturwissenschaften fast all überall zu hören. Nur die Naturwissenschaften beheimaten noch kleine gallische Dörfer, deren Bewohner dem wissenschaftlichen Tagewerk vergleichsweise unirritiert nachgehen. Sie halten am Unterschied zwischen objektivem Faktum und subjektiven Meinen fest, obwohl die Truppen einer konstruktivistisch aufgerüsteten Wissenschaftsgeschichte die Palisaden bestürmen.
So war zu erwarten, dass ein berufener Mund den Gebildeten unter den zeitgenössischen Verächtern der Wahrheit einmal die Stirn bietet. Der Aufgabe hat sich Bernard Williams, unlängst verstorbener Philosoph von internationalem Rang, in einer minutiös argumentierenden und glasklar geschriebenen Monographie unterzogen. Die deutsche Übersetzung seines gewichtigen Buches liegt jetzt vor, nachdem das englische Original im vorletzten Jahr (SZ vom 17. Juni 2003) erschienen war. Facettenreich, phänomennah und elegant ist Williams’ Kontroverse mit den Wahrheitsnihilisten angelegt, weil sie es nicht bei dem unter Logikern geschätzten Einwand belässt, der schon Nietzsches Zwischenruf hatte neutralisieren sollen: Wer die Wahrheit leugne, so der Gedanke, beanspruche seinerseits, eine wahre Behauptung aufzustellen, verstricke sich folglich in einen unauflöslichen Widerspruch.
Bei diesem simplen Bescheid mag Williams es nicht bewenden lassen. Vielmehr spitzt er Nietzsches Frage nach dem „Wert der Wahrheit” auf die mit den formalen Mitteln der Logik gar nicht zu entscheidende Problemstellung zu, ob die Erzählungen „wahrheitsfähig” sind, „die das Verstehen unserer selbst, unserer Mitmenschen und der Gesellschaften, in denen wir leben, stützen”. Damit ist der normative Kern der Debatte herausgeschält. Zudem aber auch sichtbar geworden, worin ein besonderes Verdienst von Williams’ Buch besteht.
Es liefert eine ebenso originelle wie instruktive Auseinandersetzung mit Nietzsches Philosophie als einer Genealogie der Wahrheit. Durchaus in deren Sinne, wiewohl im Widerspruch zu ihren Schlussfolgerungen, sucht Williams zu klären, ob die von den Wahrheitsnihilisten empfohlene Gleichgültigkeit gegenüber dem Wahrhaftigkeitsgebot mit unserem persönlichen, gesellschaftlichen und politischem Selbstverständnis vereinbar sei. Die Antwort fällt entschieden negativ aus, und Williams begründet sie, hier neuerlich mit Nietzsche gegen Nietzsche denkend, in Gestalt einer rechtfertigenden Genealogie. Sie legt dar, warum Gesellschaften, die auf der Kooperation und dem Informationsaustausch zwischen ihren Mitgliedern beruhen, sowohl der „Genauigkeit” im Beobachten wie der „Aufrichtigkeit” im Kommunizieren bedürfen. Schließlich kann diese Genealogie über den Funktionssinn des Gattungsbedürfnisses nach Wahrheit hinaus aber auch sinnfällig machen, was die Menschen zu diesen beiden „Tugenden der Wahrheit”, wie Williams sie nennt, motiviert. Es ist ihr wohlverstandenes Interesse an individueller Freiheit, das den intrinsischen Wert der Wahrheit begründet.
MARTIN BAUER
BERNARD WILLIAMS: Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Deutsch von Joachim Schulte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 429 Seiten, 34,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Bernhard Williams' Unterfangen, den Wahrheitsbegriff moralphilosophisch zu rehabilitieren, hat Rezensentin Käthe Trettin bei allem Wohlwollen, das sie Williams entgegen bringt, nicht wirklich überzeugt. Der Versuch des Oxforder Philosophen, den Wert der Wahrheit über die menschliche Gemeinschaft zu begründen und sich dabei einer Methode Nietzsches, der Genealogie, zu bedienen, erscheint ihr zwar interessant, aber letztlich missglückt. Die Entstehungs- und Abstammungsgeschichte der Wahrheit, die Williams erzählt, findet sie "nicht stimmig", weil einseitig positiv. Unklar ist ihr weiterhin, wie eine funktionalistische Wahrheitstheorie die Wahrheit als intrinsischen Wert begründen kann. Und schließlich erscheint ihr auch die polemische Intention von Williams' Anliegen in Gefahr, da er den Wert der Wahrheit letztlich aus ihrer Funktion für ein demokratisches Gemeinwesen begründet. Warum Williams sich überhaupt der Methode der Genealogie bedient, ist Trettin alles in allem schleierhaft, zumal sie seine Genealogie nur dem Namen nach für eine solche hält. Im Grunde sieht sie hier eine anthropologische These am Werk, wonach Menschen schlicht die Neigung haben, erstens zu einer richtigen Meinung zu gelangen und diese, zweitens, auch einander mitzuteilen.

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