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Es waren kleine Fotografien, aufgenommen von ihrem Vater in den Fünfzigerjahren, die Angela Krauß zu diesem ungewöhnlichen Bekenntnis bewegten. Aus Mutter, Vater, Kind tritt der Mensch in die Welt. Mit der ihr eigenen sublimierenden Kraft erkennt Angela Krauß ihn inmitten seiner Geborgen- und Verlorenheit. Mit diesem Buch wagt sie »die einzig ersehnte Konsequenz des Dichtens: dass meine Person in ihrer poetischen Gestalt restlos auf- also untergeht«.Eine Wiege ist eine Rede in Versen, die uns daran erinnert, wo wir inmitten rasanter Bewegungen zuhause sind.

Produktbeschreibung
Es waren kleine Fotografien, aufgenommen von ihrem Vater in den Fünfzigerjahren, die Angela Krauß zu diesem ungewöhnlichen Bekenntnis bewegten. Aus Mutter, Vater, Kind tritt der Mensch in die Welt. Mit der ihr eigenen sublimierenden Kraft erkennt Angela Krauß ihn inmitten seiner Geborgen- und Verlorenheit. Mit diesem Buch wagt sie »die einzig ersehnte Konsequenz des Dichtens: dass meine Person in ihrer poetischen Gestalt restlos auf- also untergeht«.Eine Wiege ist eine Rede in Versen, die uns daran erinnert, wo wir inmitten rasanter Bewegungen zuhause sind.
Autorenporträt
Krauß, AngelaAngela Krauß wurde am 2. Mai 1950 in Chemnitz geboren. Sie studierte an der Fachhochschule für Werbung und Gestaltung in Berlin und arbeitete dort für Messen und Ausstellungen. Von 1976 bis 1979 besuchte sie das Literaturinstitut »J.R. Becher« in Leipzig. Seit Anfang der 1980er Jahre veröffentlicht sie Prosawerke. Vortrags- und Lesereisen führten sie unter anderem an Universitäten in den USA und Kanada. An der Universität Paderborn war Angela Krauß Gastdozentin für Poetik. Sie ist Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste und Mitglied der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Im Sommersemester 2004 hielt sie die Poetik-Vorlesung an der Universität Frankfurt unter dem Titel Die Gesamtliebe und die Einzelliebe. 2013 erhielt sie den Wilhelm-Müller-Preis des Landes Sachsen-Anhalt für ihr schriftstellerisches Gesamtwerk. Sie lebt als freie Schriftstellerin in Leipzig.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.08.2015

Eine Liebkosung vor allen Gedanken
Angela Krauß’ Gedichte tasten sich an die frühe Kindheit heran und das Rätsel des eigenen Lebens
Je älter man wird, desto mehr wundert man sich über das große Rätsel des eigenen Lebens: dass man offenbar trotz allem immer noch derselbe Mensch ist wie vor vielen Jahrzehnten. Alles um einen herum hat sich gewandelt, es leben andere Zeitgenossen, und auch man selbst ist längst der Kindheit entwachsen. Alles hat sich geändert außer der Form des Ich, die auch das Fremdeste noch aufbewahrt, den ersten Schnee des Winters, gesehen vom Wohnzimmer der Großeltern, die große Freude, wenn man zum fünften Geburtstag einen Malkasten geschenkt bekam. Der Schnee ist seither vierzigmal geschmolzen, und mit dem Malkasten wüsste man, wenn er in einem Winkel wieder auftauchte, nichts anzufangen. Aber man fühlt ihn noch.
  „Ich bin ein Kind“, schreibt Angela Krauß zu Beginn ihres Gedichtbands „Eine Wiege“, „aber nicht dieses. / Ich bin das andere, / das mich bewohnt.“ Der Leser ist zunächst verwirrt, weil er nicht weiß, wohin das Pronomen „dieses“ zielt. Doch dann blättert er um und sieht ein kleines Schwarzweißfoto. Es zeigt ein Mädchen, vielleicht drei Jahre alt, mit rundem Gesicht und rundem blonden Haarschnitt, das mit seinem Tretroller am Rand einer kopfsteingepflasterten Straße steht. Es sieht in Richtung des Betrachters, sein Ausdruck lässt sich nur schwer bestimmen; doch erscheint er offen und erwartungsvoll. Über die Entstehungszeit des Bildes kann man nichts Genaues sagen; die Schatten, das Pflaster, sogar den Roller gibt es so noch heute. Es ist ein typisches Familienfoto aus den Zeiten, als die Filme noch in Dosen kamen und die Bilder erst auf Papier und dann ins Album wanderten; als man sich, mit einem Wort, noch zusammennahm, wenn man knipste, da man wusste: 36 Stück hat man, dann ist Schluss.
  Ein Wagnis ist es, solche frühesten Bilder von sich selbst der Öffentlichkeit darzubieten. Was einem da entgegenblickt, ist so weich, so ungeprägt, so vorpersonal – und dennoch gibt es den ebenso dünnen wie starken Faden der Erinnerung, der sich von damals ins Heute spannt. So schuld- und schutzlos war das Ich einmal: das anzuschauen hält man vor Rührung kaum aus – und jetzt sollen es auch noch die anderen sehen?
  Immer wieder erscheint das Mädchen mit dem Roller, mal schiebt es ihn eine sonnig-schattige Allee entlang, mal kauert es sich auf ihm nieder und hebt die Arme zum Lenker empor, und immer allein. Aber der Betrachter weiß, dass die Einsamkeit solcher Bilder natürlich trügt, dass sie vielmehr erfüllt sind vom Ernst der Liebe, der Liebe eines fotografierenden Vaters zu seiner kleinen Tochter, der seinerseits deren ernste Liebe zu ihrem Roller festhält, dem ersten wichtigen Ding ihres nun schon ziemlich langen Lebens.
  65 Jahre hat Angela Krauß mittlerweile hinter sich. 1950 in Chemnitz geboren (das damals noch so hieß, drei Jahre ehe es sich in Karl-Marx-Stadt umbenannte und vierzig Jahre, ehe es zu seinem alten Namen zurückkehrte), begann sie in den Siebzigerjahren zu schreiben, damals als eine der jungen Hoffnungen des sozialistischen Romans. Immer knapper ist seither geworden, was sie hervorbringt, bis jetzt zu diesen Gedichten, die man Gedichte kaum mehr nennen mag, weil sie zu so durchlässiger Leichtigkeit gediehen sind, dass sie die alten Lichtbilder in sich aufzunehmen vermögen.
  „Meine Mutter trat aus dem Haus / auf Schuhen mit himmelblauen Riemchen. / Sie rankten sich über den Absätzen / an ihren schönen Beinen empor.“ So blickt das Kind, seine fraglose Liebe nimmt den Weg von unten nach oben; die Beine der Mutter stehen ihm näher als das Gesicht, und nicht der Himmel liefert die himmelblaue Epiphanie, sondern, viel dichter, die Riemchen der Schuhe.
  Und der Vater? „Mein Vater hochaufgerichtet, in Zivil. / Er hatte einen königlichen Gang; / das Gewitter zog weiter.“ Dass er „in Zivil“ auftritt, ist dem Kind schwerlich bewusst gewesen: Das ist Zutat der gereiften Dichterin, die darin erstaunt die Diskrepanz aufspannt zwischen dem nüchternen Befund von heute und dem einstigen märchenhaften Stolz über einen Vater, der wie inkognito durch die Welt ging.
  Was damals vorging, war, in seinem Missverhältnis von geringfügigem Anlass und Intensität des Erlebnisses, namenlos und gewaltig. „Ich stand auf der Straße / inmitten von etwas. / Es liebkost / ehe der Mensch anfängt, / sich Gedanken zu machen.“ Die Erinnerung daran ist süß; aber sie enthält auch etwas ratlos Drängendes. Dem rückblickenden Erwachsenen muss es vorkommen, als wäre ihm damals – nicht in Worten, eher wie eine Melodie – etwas versprochen worden, was dann aber ausblieb. „Ich habe mir immer ein großes Finale vorgestellt, / die Mühe der Geburt, / dann das Leben. Das alles verlangt nach Krönung.“
  Es liegt im Wesen der Sache, des Lebens, dass es zu dieser Krönung nie kommen kann. Denn die Tiefe der Erfahrung bleibt gebunden an die Kleinheit des jungen Menschen, der sich zwar sehnsuchtsvoll ausmalt, was er tun wollte, wenn er nur endlich groß wäre, der aber, wenn er es wirklich geworden ist, feststellen muss, dass die Empfindung dabei nicht proportional mitwächst, sondern im Gegenteil schrumpft: eine höchst bedauerliche Phasenverschiebung der Verlaufskurven von äußerem und innerem Leben, die verhindert, dass dem Menschen jemals das volle Glück zuteil wird.
  So geschieht es, dass sich gerade in den Rückblick auf den frühesten Anfang das Motiv des Todes mischt. Die Erfahrungen werden welthaltiger, spezifischer, dabei aber blasser. Schulkameraden tauchen auf, ein bulgarischer Brieffreund; eine Schildkröte auch, die man im Frühling aus dem Winterschlaf hervorholt, „bis jemand sagte: die ist tot.“ Unordnung und frühes Leid: Der Vater, der König der Kindheit, erschießt sich. Danach ist alles anders.
  Wie aber schließt sich das Leben zum Ganzen? Wer es als einen in sich zurückkehrenden Kreis deutet, der macht sich was vor. Nicht einmal ein Pfeilschuss ist es, der nach unverrückbaren Gesetzen aufsteigt und sich senkt. Was man sieht, von einem gewissen Alter an, ist die Endlichkeit: „Eines Tages werde ich gelebt haben.“ Das ist gesagt im Futur Exakt, der in der Zukunft abgeschlossenen Handlung. Und doch hat dieses sich an die Zeit verlierende Dasein seinen lockenden Reiz. Die ältere Frau, die Angela Krauß nunmehr ist, denkt an die „junge Unbekannte“, die, in Rückenansicht auf einem Feldweg, vor dem Auge der Betrachterin hergeht. „Rechts und links vereinzelte alte Bäume, / die sich nach ihrem jungen Blick verzehren.“
  Nichts verbürgt den Zusammenhang solchen menschlichen Lebens als das Gedächtnis des Einzelnen; wenig ist es, aber zäh. Dann wird es mit einem Male ausgelöscht. „Und wohin / werden all unsere Gedächtnisse geschüttet / zu guter Letzt, / wer ordnet sie in was ein?“ Die Antwort kann natürlich nur lauten: nirgendhin – niemand – in nichts. Nicht das animalische Sterbenmüssen ist das traurig erschreckende Faktum; sondern die Plötzlichkeit, mit der ein Vorrat, der unaufhörlich angewachsen war, jäh annulliert wird.
  „Wonach suchst du? / Setz dich her, / sagt meine Mutter.“ Ist das zu wenig, um ein Gedicht zu sein? Es ist zuletzt alles, was bleibt.
BURKHARD MÜLLER
Angela Krauß: Eine Wiege. Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 120 Seiten, 18 Euro.
„Ich bin ein Kind, aber nicht
dieses. / Ich bin das andere, /
das mich bewohnt.“
Gedichte, durchscheinend wie Lichtbilder: Angela Krauß.
Foto: Isolde Ohlbaum/laif
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.08.2015

Als die Schildkröte einmal beinahe gestorben wäre
"Eine Wiege" von Angela Krauß schaukelt den Leser zwischen den großen Fragen des Daseins hin und her

Wo ein Weg zu Ende geht, der eines Lebens, womöglich sogar der eines Zeitalters, da richtet sich der Blick oftmals sehnsüchtig noch einmal auf den Anfang. Angela Krauß' schmaler Band "Eine Wiege" ist ein solcher Blick zurück auf die Anfänge des eigenen Daseins. Ein suchender, tastender, fragender Blick ist diese "Rede in Versen", wie das Buch in einer der vorangestellten Zeilen genannt wird. Kein klassischer Gedichtband mithin, sondern ein zusammenhängender, wenngleich nicht fließender Text, der mit Fotos aus den frühen Kinderjahren von Angela Krauß durchzogen ist. Ob Krauß diese Bilder, die ihr zum Schreibanlass werden, nach dem Tod ihrer Mutter entdeckt hat, mit dem das Buch endet, bleibt offen, liegt aber nahe.

Momentaufnahmen vom Beginn der eigenen Biographie werden hier betrachtet in der leisen Hoffnung, dass sich daraus mit einer sinnstiftenden Zwangsläufigkeit alles Folgende hat ergeben mögen und dass man es nun entdecken, herauslesen könne aus den Fotos.

Es sind nur wenige, kleinformatige Schwarzweißaufnahmen aus den fünfziger Jahren. Verschiedene von ihnen zeigen auf einer von Bäumen gesäumten, ansonsten leeren Straße ein kleines Mädchen, das einen Holzroller über das Pflaster schiebt: die Autorin selbst. Dazu gibt es Fotos der Mutter, wie sie im Gras schläft oder mit ihren Kindern einen Feldweg entlangspaziert. Auf zwei Aufnahmen nur ist der Vater von Angela Krauß zu erkennen. Nicht nur, weil er sich, wenige Jahre nachdem die Fotos entstanden sind, das Leben nahm, erscheint er in den Versen als eine fragile, gefährdete Gestalt. Eindrücklich die Episode, als er, der leidenschaftliche und gute Schwimmer, eines Tages unter seinem gekenterten Boot vor der Küste treibt, die Familie kann vom Strand die Not nur hilflos und voller Angst beobachten.

Angela Krauß lässt, verstärkt wohl nicht zuletzt durch die Leere, die auf den Bildern gerade in den verschiedenen Straßenszenen herrscht, Szenen einer universellen Verlorenheit entstehen. Das Wissen um den Tod scheint dieses Dasein zu begleiten - oder ist es eher umgekehrt: In der rückblickenden Betrachtung schreibt er sich in die Verse ein? So bricht sich einmal die Erinnerung an eine geliebte Schildkröte Bahn. Stolz wird sie beim Besuch der Verwandten präsentiert. Aber wie groß ist das Erschrecken, als einer der Anwesenden zu bemerken meint, dass das Tier tot sei. Auf wenige Verse verdichtet, enthüllt sich an dieser vordergründig nur in den Augen des Kindes bedeutsamen Szene die Ambivalenz des Daseins, das beständig zwischen Hoffnung und Enttäuschung, Glück und Trauer oszilliert: "Das war am ersten Sonntag im März 1957, / als meine Schildkröte beinahe gestorben war. Und ich in ein Schreien ausbrach." Dieses Schreien vertreibt die Gäste, der Leser wiederum mag schon lächeln in Erwartung der frohen Auflösung dieser Episode. Die allerdings bleibt ihm verwehrt: "Dabei war mein kleines Kind / an diesem ersten Sonntag im März gar nicht gestorben. / Es war heimlich schon seit dem Winter tot."

Mit beinahe beiläufigen Szenen rührt Angela Krauß immer wieder an etwas ganz Wesentlichem. Deshalb wirken diese Momente sehr viel stärker als jene Passagen, in denen Krauß unmittelbar und mit einem etwas aus der Bahn schlagenden Furor die Fragen der Existenz diskutieren möchte.

Gerade aber mit den stillen Szenen, die auf eine vollends unprätentiöse Weise mit den privaten Aufnahmen korrespondieren, häufig allein durch das Arrangement auf den Seiten, setzt Krauß beim Leser etwas in Gang. Die Eingangsverse etwa, die allein für sich auf einer Seite stehen, lauten: "Ich bin ein Kind, / aber nicht dieses. / Ich bin das andere, / das mich bewohnt." Blättert man eine Seite weiter, wartet dort das erste der Fotos, zum ersten Mal steht dort das kleine blonde Mädchen mit seinem Roller, das dem Betrachter ins Gesicht blickt. Das Rätselhafte und zugleich Verlorene, das die Verse genauso wie das Bild grundiert, schickt den Leser auf eine gedankliche Reise, deren Ziel kaum zu benennen ist. Wohl auch deshalb nicht, weil die folgenden Verse das Denken wieder in eine andere Richtung tragen. Wie es der Titel verheißt, ist die Lektüre dieses Bandes wie eine sanfte Wiegebewegung, die mal hier, mal da die großen existentiellen Fragen streift.

Unvermeidlich scheint, dass Bücher wie diese, die ihre poetische Kraft gerade aus der Bescheidenheit des Materials - den wenigen Kinderfotos - schöpfen, immer seltener werden in Zeiten, in denen jeder Moment der Kindheit auf den Speicherkarten der Smartphones festgehalten und häufig wenig später sogleich auch in die Welt geblasen wird. Mag sein, dass das Wissen um das Ende dieser Möglichkeit den melancholischen Blick, den Angela Krauß offenbart, noch einmal intensiviert.

WIEBKE POROMBKA

Angela Krauß: "Eine Wiege".

Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 120 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Der Strom des Lebens ist von Angela Krauß in den Zustand zartester Poesie überführt. Eine Empfehlung für Leserinnen und Leser, die Kunststücke zu schätzen wissen.« Michael Hametner MDR 20190211