Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 10,00 €
  • Gebundenes Buch

Im Juli 2006 wurde bei Prag ein Musuem für Karel Gott eröffnet. "Gottland" prangt in Neonlettern über dem Eingang. Das Personal führt die Besucher in drei Sprachen durch die Räume. "Eine Welt ohne Gott ist nicht möglich, deshalb spielt der Sänger im atheistischsten aller Länder die entsprechende Rolle", bemerkt Mariusz Szczygiel, der diesem Land eine Reportagensammlung gewidmet hat. Sie gehört zum besten, was zur Zeit an polnischer Literatur zu lesen ist.
Szczygiel erzählt von Menschen des 20. Jahrhunderts, die im kollektiven Bewußtsein bis heute eine Rolle spielen: von der Schauspielerin
…mehr

Produktbeschreibung
Im Juli 2006 wurde bei Prag ein Musuem für Karel Gott eröffnet. "Gottland" prangt in Neonlettern über dem Eingang. Das Personal führt die Besucher in drei Sprachen durch die Räume. "Eine Welt ohne Gott ist nicht möglich, deshalb spielt der Sänger im atheistischsten aller Länder die entsprechende Rolle", bemerkt Mariusz Szczygiel, der diesem Land eine Reportagensammlung gewidmet hat. Sie gehört zum besten, was zur Zeit an polnischer Literatur zu lesen ist.

Szczygiel erzählt von Menschen des 20. Jahrhunderts, die im kollektiven Bewußtsein bis heute eine Rolle spielen: von der Schauspielerin Lída Baarová, der Geliebten von Goebbels, dem Bildhauer Otokar Svec, der das Stalin-Denkmal in Prag schuf und an diesem monströsen Werk zugrunde ging, bis hin zu der Sängerin Marta Kubisová, die nach jahrzehntelangem Verbot erst nach 1989 wieder auftreten durfte. Mit trockenem Humor, prägnant und ohne ein überflüssiges Wort schildert er die oft tragischen, absurden Lebensläufe: ein fortlaufender Bericht aus einem kafkaesken Land, in dem die Angst die Hauptrolle spielte, eine Angst, wie sie in Polen nicht denkbar gewesen wäre. Vermutlich ist es die Erfahrung dieses kleinen, aber bedeutsamen Unterschieds, die "Gottland" - oder "Kafkania" - seine Eindringlichkeit und Allgemeingültigkeit verleiht.
Autorenporträt
Pollack, Martin
Martin Pollack, geboren 1944 in Bad Hall (Österreich), studierte Slawistik und Osteuropäische Geschichte in Wien und Warschau. Bereits während des Studiums begann er seine Tätigkeit als Übersetzer und Journalist, der er bis heute nachgeht. Martin Pollack lebt in Wien.

Kinsky, Esther
Esther Kinsky wurde 1956 in Engelskirchen geboren und lebt in Berlin. Für ihr umfangreiches Werk, das Übersetzungen aus dem Polnische, Russischen und Englischen ebenso umfasst wie Lyrik, Essays und Erzählprosa, wurde sie vielfach ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.07.2008

Schöne Melodien zum Marsch in ein glückliches Leben
Wie die Tschechen nach dem Prager Frühling mit der Tristesse der Unfreiheit lebten – Mariusz Szczygiels Reportagen aus „Gottland”
Es kommt nicht alle Tage vor, dass sich ein Pole für die Tschechen interessiert. Oder ein Tscheche für die Polen, oder ein Spanier für die Portugiesen oder was der Beispiele mehr wären. So ist es nun einmal mit den Nachbarn, auch wenn die politische Rhetorik gern zu „Brückenschlägen” aufruft: sie lassen uns kalt. Oder sie gehen uns auf die Nerven. Sie sind nicht wie wir, aber dafür sie sind uns zu nah. Was nun speziell Polen und Tschechien angeht, so wenden sie sich traditionell den Rücken zu. So war es vor dem Kommunismus, so war es unter dem Kommunismus, und so ist es, bei aller europäischen Öffnung, noch heute.
Um so besser, dass es Mariusz Szczygiel gibt, einen Reporter aus der polnischen Schule. Diese Schule, eng verbunden mit der Tageszeitung „Gazeta Wyborcza” hat eine Schar großartiger, literarisch erzählender Reporter hervorgebracht, als deren Urvater Ryszard Kapuscinski gelten darf. Der heute von Szczygiel geleitete Reportageteil der Zeitung sucht wahrscheinlich auf der Welt seinesgleichen. Wo gäbe es sonst so viel Platz für lange, nicht an Tagesaktualitäten gebundene, manchmal essayistische Reportagen? Die polnischen Reportagen haben einen ethnographischen Blick für das scheinbar Nebensächliche und Unsensationelle. Mit diesem Blick hat Marius Szczygiel das rätselhafte Nachbarland erforscht, und zwar nicht nur die Tschechische Republik von heute, sondern mehr noch das Land, das einmal CSSR hieß und das wegen seines Mangels an Freiheitsrechten und seines Überflusses an Nahrungsmitteln auf die Polen einen zwiespältigen Eindruck machte.
Szczygiels „Gottland” zeichnet von der Tschechoslowakei der so genannten Normalisierungs-Zeit von 1968 ab ein Bild, das dem Kapuscinskis vom Äthiopien des Negus Haile Selassie nicht ganz unähnlich ist. Es faszinieren ihn also die absurden und tragikomischen Aspekte der kommunistischen Herrschaft ganz besonders. Zum Beispiel das wechselvolle Schicksal der Schuh-Dynastie Bata aus dem mährischen Zlin unter fünf politischen Systemen, oder das Los der Schauspielerin und kurzzeitigen Goebbels-Geliebten Lída Baarová, die nach dem Krieg der Kollaboration verdächtigt, aber nie überführt wurde, die ins österreichische Exil ging und bei ihrer Rückkehr nach Prag 1989 von ihren alten Fans belagert wurde. Das spezifisch polnische Interesse an den Tschechen, das diese Reportagen leitet, lässt sich vielleicht so umschreiben: wie konnte es geschehen, dass eine notorisch freiheitsliebende und unterwerfungsresistente Nation wie die tschechische mit einem so grauen und tristen Regime wie dem der Post-69er-CSSR zu leben lernte? Wie konnte es geschehen, dass der Prager Frühling in einen zwanzigjährigen Prager Winter überging, der an Unfreiheit kaum irgendwo auf der Welt überboten wurde? In Polen und Ungarn wäre das nicht möglich gewesen.
Szczygiel gibt keine Antworten auf diese Fragen, aber er erzählt böhmische Geschichten, Geschichten von Anpassungskünstlern. Etwa von Karel Gott, der am 4. Februar 1977 im Prager Nationaltheater als Reaktion auf die „Charta 77” eine Solidaritätsadresse an die Regierung abgab. Mit anderen staatsnahen Künstlern unterschrieb er eine Erklärung, in der es hieß: „Als Künstler dieses Landes wollen wir alles tun, um mit noch schöneren Melodien einen Beitrag für den Marsch in ein glückliches Leben unseres Vaterlandes zu leisten.”
Karel Gotts Unterwerfungsgeste hat seiner immerwährenden Popularität keinen Abbruch getan. Vielleicht hält er sich ja selbst für einen zweiten Schwejk, dessen Anpassung wie Subversion aussieht, aber doch nur dem eigenen Überleben dient. Schwejk, so zitiert Szczygiel den tschechischen Schriftsteller und Philosophen Jan Jedlicka, sei „ein Philosoph der vorübergehend zwingenden Umstände”, und das gilt für fast alle in seinem Buch porträtierten Figuren. Für Einen, der nur eine Nebenrolle spielt, gilt es nicht: für Václav Havel. Die Heldenrolle des Dissidenten aber hat, auch das zeigt Szczygiel, ihren Glanz verloren. Die Massen halten es heute lieber mit Karel Gott – er ist ihnen einfach ähnlicher. CHRISTOPH BARTMANN
MARIUSZ SZCZYGIEL: Gottland. Reportagen. Aus dem Polnischen von Esther Kinsky. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 276 S., 19, 80 Euro.
Ein Kapuscinski-Enkel: Mariusz Szczygiel Foto: Ekko von Schwichow
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.10.2008

Stalin im Großhirn
Mariusz Szczygiel zeigt den echten Kommunismus

Wer weiß schon, dass in Prag einmal das größte Stalin-Denkmal des gesamten Ostblocks stand? Über dreißig Meter hoch war der Koloss aus Granit, von dem heute nur noch der Sockel übrig ist. 1949 hatte die Partei die Ausschreibung eines Wettbewerbs beschlossen, den der Bildhauer Otakar Svec gegen seinen Willen gewann - denn sich zu entziehen war unmöglich. Es folgten Jahre des zermürbenden Ringens um die Details des Monuments, das Stalin an der Spitze der üblichen Gruppe "aus dem Volk" - Soldaten, Bäuerin, Partisanin, Arbeiter, Wissenschaftler - zeigte. Als das Denkmal 1955, zwei Jahre nach Stalins Tod, enthüllt wurde, hatte sich sein Schöpfer schon das Leben genommen.

In einer grandiosen Reportage hat Mariusz Szczygiel, Jahrgang 1966 und Leiter des Reportageteils der "Gazeta Wyborcza", die Vorgänge um das Stalin-Denkmal recherchiert und als erster Journalist das amtliche Dossier zum Tod Svecs eingesehen. Demnach hat der Bildhauer fünfzig Tage bei aufgedrehtem Gashahn tot in seiner Wohnung gelegen, bevor die Polizei die Tür aufbrach - nur wenige Tage vor Einweihung des Denkmals, das 1962 wieder gesprengt wurde. Der Befehl an den zuständigen Ingenieur, dessen Nervenkostüm seitdem ruiniert ist, lautete: "Sprengen Sie es würdevoll!" Auf keinen Fall wollte man den Kopf der Stalin-Figur explodieren sehen. Inzwischen sind über vierzig Jahre vergangen. Trotzdem stand Szczygiel bei seinen Recherchen immer wieder vor einer Mauer des Schweigens. Beteiligte ließen sich aus Angst oder Scham verleugnen. Der Reporter kommt zu dem Schluss: "Es gibt also doch ein Stalin-Denkmal in Prag" - nämlich in den Köpfen und Herzen der Menschen. Wer das Tschechien des zwanzigsten Jahrhunderts verstehen oder wissen will, wie der Kommunismus funktionierte, der sollte "Gottland" lesen. In sechzehn formal eigenwilligen Reportagen bringt Szczygiel, ausgehend von minimalistischen Szenen, komplexe Geschichte auf den Punkt.

Ein Paradebeispiel dafür ist der Text über den Trivialautor Eduard Kirchberger, der später als Karl Fabián den ersten realsozialistischen Roman der Tschechoslowakei schrieb. In rückgratlosen Briefen diente sich der ehemalige Antikommunist 1948 der Partei an, bevor ihm die Flucht nach Deutschland misslang. Aber es gibt noch eine Vorgeschichte. Während der deutschen Besatzung war der Widerständler Kirchberger jahrelang in Gestapo-Haft. Im Kommunismus hätte das eine Trumpfkarte sein können - doch Kirchberger schwieg, weil er unter der Folter alle Mitglieder seiner Untergrundorganisation verraten hatte. Szczygiel bezeichnet diesen Mann als "kubistische Person": "Wie ein Gegenstand oder eine Figur in einer kubistischen Darstellung ist seine Persönlichkeit in vielfacher Brechung begriffen." Eduard Kirchberger wurde 1912 in Prag geboren, wo im selben Jahr die erste kubistische Büste entstand.

Außerdem treten auf: die Schuhdynastie Bata mit ihren beiden zwischen Genie und Wahn schwankenden Begründern, die Schauspielerin und Goebbels-Geliebte Lída Baarová und eine noch in Prag lebende Nichte Kafkas, die den Reporter auf sehr kafkaeske Weise ins Leere laufen ließ. Erschütternd lesen sich die Texte über die "Normalisierung" nach dem Prager Frühling. Die Geheimpolizei ruinierte reihenweise Existenzen. Künstler und Intellektuelle wurden systematisch verleumdet, mussten erniedrigende Arbeiten annehmen, für manchen fand sich kaum ein Platz auf dem Friedhof. Sein Buch hat Szczygiel nach dem Phänomen Karel Gott benannt. Der populärste lebende Tscheche hat sich 2006 mit dem Museum "Gottland" nahe Prag ein Denkmal gesetzt, das besonders ältere Leute anzieht. So gern der Künstler sein Privatleben ausstellt, so indigniert ist er, wenn man nach seinem politischen Verhalten in der Tschechoslowakei fragt. Den Vorwurf, er habe damals durch einen Fernsehauftritt gegen die von Václav Havel initiierte Charta 77 Partei ergriffen, lässt er nicht gelten. In Karel Gott erblickt Szczygiel eine Identifikationsfigur für viele Tschechen. "Sie liebten Gott und haben mit ihm zusammen im Kommunismus überdauert", schreibt er über die Goldene Stimme. "Der Besuch in Gottland ist wie eine Absolution: Die Vergangenheit ist okay."

JUDITH LEISTER

Mariusz Szczygiel: "Gottland". Reportagen. Aus dem Polnischen übersetzt von Esther Kinsky. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 271 S., geb., 19,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Von der "meisterlichen Prosa" des polnischen Reporters Marius Szczygiel ist Rezensent Karl-Markus Gauß restlos begeistert. Zwei dieser Reportagen über Tschechien scheinen den Rezensenten, der vom "überzeugenden Erfindungsreichtum" des "originellen literarischen Arrangeurs" Szczygiel schwärmt, auch inhaltlich besonders beeindruckt zu haben: Zum einen der Bericht über Bau und Demontage des größten Stalin-Denkmals der Welt auf einem Hügel über Prag. Dessen "aberwitzige Geschichte" vermittelt Szczygiel, indem er die Geschichte des Bildhauers Otakar Svec erzählt, der das Denkmal, an dem sechs Jahre gebaut wurde, entworfen hat, nur um zuzusehen, wie es sechs weitere Jahre später, 1961, gesprengt wurde. Es ist aber auch die Geschichte des Sprengmeisters, der das Ungetüm in die Luft jagen musste, ohne ganz Prag dabei mitzunehmen - und auch, ohne allzuviel Eifer an der Arbeit zu zeigen, was ihm als Antikommunismus hätte ausgelegt werden können. Ausgezeichnet fand Gauß auch die Reportage über die "tschechische Nachtigall" Karel Gott, dem der Band auch seinen Namen "Gottland" verdankt. Der Schlagersänger hat offenbar eine Neigung zum Vergessen und Relativieren der eigenen Verstrickungen in die Diktatur - für den Rezensenten ist er damit auch ein Repräsentant von "Millionen Verstrickter", die in Karel Gott eine Legitimationsfigur für ihr eigenes Fehlverhalten erblicken.

© Perlentaucher Medien GmbH
…mehr