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Diese Ausgabe versammelt alle von Friederike Mayröcker als abgeschlossen, gültig, angesehenen Prosaarbeiten aus einem Zeitraum von über fünfzig Jahren. Beginnend mit Texten vom Ende der vierziger Jahre, die in ihr Debüt Larifari. Ein konfuses Buch aufgenommen worden sind, bis hin zu noch unveröffentlichter Prosa aus dem Jahr 2001 werden in dieser Ausgabe die Sammlungen und die umfänglichen Einzelveröffentlichungen sowie die verstreut publizierten oder unveröffentlicht gebliebenen Arbeiten chronologisch geordnet vorgestellt, so dass ihr innerer Zusammenhang sichtbar wird. Die Weiterformung von…mehr

Produktbeschreibung
Diese Ausgabe versammelt alle von Friederike Mayröcker als abgeschlossen, gültig, angesehenen Prosaarbeiten aus einem Zeitraum von über fünfzig Jahren. Beginnend mit Texten vom Ende der vierziger Jahre, die in ihr Debüt Larifari. Ein konfuses Buch aufgenommen worden sind, bis hin zu noch unveröffentlichter Prosa aus dem Jahr 2001 werden in dieser Ausgabe die Sammlungen und die umfänglichen Einzelveröffentlichungen sowie die verstreut publizierten oder unveröffentlicht gebliebenen Arbeiten chronologisch geordnet vorgestellt, so dass ihr innerer Zusammenhang sichtbar wird. Die Weiterformung von Passagen, die zunächst in kleiner Form Gestalt annehmen und dann in die großen Werke, etwa Lection, aufgenommen werden, vermittelt eine Vorstellung vom Arbeitsprozess: »Das ist das ganze Geheimnis, das sind eben nicht landläufige Erzählstrukturen, sage ich zu Blum, sondern etwas ganz anderes, das ich nicht zu bezeichnen vermag: halbe Jahre vermutlich Zungen Werkstatt, auf den Kopf gestellte Partitur, usw.« Neben Nachworten der Bandherausgeber enthalten die Bände jeweils ein zweites Nachwort von Schriftstellern bzw. Literaturwissenschaftlern, die sich aus subjektiv sehr unterschiedlichen Perspektiven mit einzelnen Aspekten der Werke beschäftigen und die Strahlkraft des Schaffens von Friederike Mayröcker bezeugen.
Autorenporträt
Mayröcker, FriederikeFriederike Mayröcker wurde am 20. Dezember 1924 in Wien geboren und starb am 4. Juni 2021 ebendort. Sie besuchte zunächst die Private Volksschule, ging dann auf die Hauptschule und besuchte schließlich die kaufmännische Wirtschaftsschule. Die Sommermonate verbrachte sie bis zu ihrem 11. Lebensjahr stets in Deinzendorf, welche einen nachhaltigen Eindruck bei ihr hinterließen. Nach der Matura legte sie die Staatsprüfung auf Englisch ab und arbeitete zwischen 1946 bis 1969 als Englischlehrerin an verschiedenen Wiener Hauptschulen. Bereits 1939 begann sie mit ersten literarischen Arbeiten, sieben Jahre später folgten kleinere Veröffentlichungen von Gedichten.Im Jahre 1954 lernte sie Ernst Jandl kennen, mit dem sie zunächst eine enge Freundschaft verbindet, später wird sie zu seiner Lebensgefährtin. Nach ersten Gedichtveröffentlichungen in der Wiener Avantgarde-Zeitschrift "Plan" erfolgte 1956 ihre erste Buchveröffentlichung. Seitdem folgten Lyrik und Prosa, Erzähl

ungen und Hörspiele, Kinderbücher und Bühnentexte.

Beyer, MarcelMarcel Beyer, geboren am 23. November 1965 in Tailfingen/Württemberg, wuchs in Kiel und Neuss auf. Er studierte von 1987 bis 1991 Germanistik, Anglistik und Literaturwissenschaft an der Universität Siegen; 1992 Magister artium mit einer Arbeit über Friederike Mayröcker. Der Autor erhielt zahlreiche Preise, darunter 2008 den Joseph-Breitbach-Preis und 2016 den Georg-Büchner-Preis. Bis 1996 lebte Marcel Beyer in Köln, seitdem ist er in Dresden ansässig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.06.2002

Geliebte Fetzensprache
Gerupft, gehegt, gesammelt: Friederike Mayröckers Prosa

Am Beginn steht ein kleines, aber kein unbeschriebenes Blatt: "Es darf kein großes Blatt sein, sonst wird zuviel erwartet; auch soll es lieber nicht weiß sein: es verlangt, voll beschrieben zu werden, und gerade das erscheint mir am Anfang immer unerreichbar." Ein Zimmer, eine Schreibmaschine, Papier, der Zweifel - schon die ersten Sätze des ersten Buchs von Friederike Mayröcker versammeln die wenigen Utensilien, aus denen Literatur - ihre und eigentlich alle - gemacht ist. Gut vierzig Jahre später ist alles noch an seinem Platz, das Zimmer und vor allem der Zweifel, nur daß der Wagen der Schreibmaschine inzwischen an den Papierstößen aneckt. Was ist in der Zwischenzeit geschehen? Viel, sehr viel: Vor allem hat sich dieser Wagen hin und her bewegt, unaufhörlich, stetig. Das Papier füllt nun das ganze Zimmer.

Dieses Schreibzimmer ist natürlich vor allem ein Lesezimmer. "Eine Prise Benn, eine Prise Brecht, eine Prise St. John Perse, Salvador Dalís geheimnisvolle Lebensberichte, Jean Paul, Freud, Francis Ponge, viel Breton, Michaux, Duras, einiges von Roland Barthes, Jacques Derrida, Botho Strauß, und immer wieder, und abermals, Samuel Beckett, den unvergleichlichen Meister der Moderne." Wie ein Kochrezept klingt eine der zahlreichen Selbstcharakterisierungen Mayröckers, die ihr Werk gern als Kompendium moderner Literatur, als eine Art organischer Verbindung von - höchst reaktiven - denkerischen und dichterischen Elementarteilchen bestimmt. In ihrer Rede zur Verleihung des Hölderlin-Preises - dessen Namensgeber in der illustren, nicht entfernt vollständigen Reihe noch zu ergänzen wäre - bemüht Mayröcker das Bild der kommunizierenden Gefäße oder spricht von einem "sympathetischen System von Gefühls- oder Gedankenkanälen oder Kanülen", um ihr Verhältnis zur Schreibtradition zu bezeichnen. So sehr ihr Werk als ein ununterbrochenes Selbstgespräch erscheint, so sehr ist es auch Dialog - mit bildenden Künstlern, Musikern, anderen Lyrikern, vom ständigen Austausch mit dem Lebensgefährten Ernst Jandl gar nicht zu reden. Immer wieder nimmt sie Anstoß am Werk anderer, als brauche ihr Wortstrom Anlässe, sich zu konkretisieren, zu stauen und zu einem Text zu verdichten.

Die Literaturwissenschaft, die hier gern von "Intertextualität" spricht, kennt daher im Werk Mayröckers einen willkommenen Gegenstand. Doch findet dieses "Jahrhundertwerk" - so etwa das emphatische Urteil des Mitherausgebers Marcel Beyer im Nachwort zum ersten Band - nur wenige Leser. Das wird sich auch durch die nun vorliegende fünfbändige Sammlung ihrer Prosa - von der ersten Buchveröffentlichung "Larifari" von 1956 bis zum Requiem für Ernst Jandl aus dem Jahr 2000 - kaum ändern. Was dieses Werk, das in der Konsequenz und Kompromißlosigkeit seiner Bemühung, ein ganzes Leben in Sprache zu verwandeln, vielleicht nur noch mit der "Spielregel" Michel Leiris' vergleichbar ist, seinen Lesern zumutet, ist der Mayröcker bewußt. "Die Lust des Schreibens und die Lust des Gelesenwerdens sind zweierlei", heißt es bündig in "Das Herzzerreißende der Dinge". Und doch erweisen diese gut dreitausend Seiten hochkonzentrierte Sprachkunst, daß Mayröcker nicht nur lesenswert, sondern auch lesbar ist.

Der erste Band umfaßt einen größeren Zeitraum als die anderen vier zusammen, von 1949 bis 1977. Nach ihrem Debüt veröffentlichte sie jahrelang kaum etwas, erst mit ihrem Durchbruch als Lyrikerin Ende der sechziger Jahre - und der als Befreiung erlebten Aufgabe ihres Brotberufs als Fremdsprachenlehrerin - setzt eine hochproduktive Phase ein, die mit unterschiedlichsten Textformen und -formaten experimentiert. Vor allem im ersten Band wird man nicht jeder Sprachbewegung folgen wollen oder können. Wen etwa die wunderbar bitteren "Mythologischen Stücke" aus "Larifari" entzücken, der mag ratlos vor den hermetischen Experimenten in "Minimonsters Traumlexikon" stehen. Doch spätestens mit "Das Licht in der Landschaft", der ersten zusammenhängenden längeren Prosaarbeit von 1975, ist ein Ton gefunden, ein Textfluß in Gang gesetzt, der Autobiographie und Poetik, Reflexion und Assoziation zu einer "Reise durch die Nacht" des Bewußtseins verwebt, die nie an einen Endpunkt gelangt und die herkömmlichen Verkehrsmittel der Erzählung meidet.

Auch im Ablauf ihres und überhaupt jedes Lebens sehe sie keinerlei "storyähnliche Erscheinungen", äußerte sie einmal in einem Interview, an anderer Stelle spricht sie von der "Biographielosigkeit" als Lebenshaltung, der freilich das "rücksichtslose" Wuchern der eigenen Vergangenheit in den Texten gegenüberstehe. Der Verzicht auf Handlung, auf Spannung, auf Chronologie erfordert freilich eine Lektürehaltung, die sich nicht in permanenter Suche nach Hierarchien, Bedeutungen und logischer Kausalität abnutzt. Mit dem Vorwurf der Unverständlichkeit ist man in der Prosa rascher als in anderen Kunstformen bei der Hand. Doch undurchdringlich ist nicht die Form, sondern der Gegenstand, die im Bewußtsein gebrochene Welt. Einmal spricht sie von ihrer "hermetischen Kindheit".

Wie Kontemplation einst nicht als Gegensatz zur Ratio, sondern als edlere Form der Geistestätigkeit galt, ist die Hingabe an eine Ästhetik der Sprache die angemessene Aufnahmehaltung. Reine Liebhaberei? Durchaus, das Herz ist für Mayröcker stets gleichberechtigtes Wahrnehmungsorgan; der Schreibtrieb ein überströmender Enthusiasmus, dessen Kanalisierung in gleichmäßigen Zeilenfluß die tägliche Fron des Schriftstellers ist. In ihrem poetologischen Schlüsseltext "Mail Art" ist einmal vom "euphorischen", vom "erotisch antizipierenden Auge" die Rede, bei welchem "in einer einzigen Augenbewegung das innerste Wesen des Liebesgegenstandes erfaßbar scheint". In einem Interview definiert sie mit Rilke Schreiben als Liebesakt, der emotionale Anstoß "wirft sozusagen, schleudert, die ersten Worte heraus, das alles hat sehr viel mit körperlichen Dingen zu tun, ich meine, auch mit erotischen Dingen". Voraussetzung dafür ist ein Gefühl der Verbundenheit mit allen Dingen, die jedoch immer wieder poetisch herzustellen ist: Sprache nicht als Gegenstand, sondern als Komplement der Welt.

"Man wirft seine Gedanken und Affekte gerade so auf das Papier wie sie dem Körper entspringen" - mit diesem Diderot-Zitat scheint sie so etwas wie dichterische Entsprechung des action painting anzustreben, in dessen Hochphase kaum zufällig ihre dichterischen Anfänge fallen. Immer wieder nimmt ihr Werk Bezug auf bildende Kunst. In einem kurzen Text über Thomas Kling vergleicht sie dessen Verfahren mit den Bildern Francis Bacons. Wie Kling, "geläufige Sprachästhetiken zerhackend, eine neue Ahnung von Schönheit beschwört, die uns Zerfetzt," so wirkten auch jene "aufreizend gräßlich schönen Gemälde" Bacons, die "Zerfetzt, lidaufreißend uns martern, entzünden, erschauern machen". Karl Heinz Bohrer hat an der Ästhetik Bacons die Gewalt als Prinzip moderner Kunst herausgearbeitet. Auch die Spätsurrealistin Mayröcker operiert mit dem schockhaften, gewaltsamen Zusammentreffen. Der Seziertisch, auf dem sich nach dem Wort Lautréamonts Regenschirm und Schreibmaschine zufällig begegnen, ist der geheime Ort ihrer einschneidenden Sprachoperation. Das offene Lid, eine durch die Konventionalismen der Vernunft per Wortkurzschluß umgehende, ungefilterte Wahrnehmung, prägt ihren assoziativ-reihenden Stil. Wahrnehmen nicht nur als passive Rezeption, sondern als durchaus gewaltsamer Akt des Benennens, Unterscheidens, der auch dem liebenden Erkennen eigen ist. Nach einer regelrechten Bezeichnungsorgie ruft sie einmal aus: "Ach diese meine pneumatische Fetzensprache, wie ich sie liebe."

Die einmal in einem der allerjüngsten Texte des letzten Bandes zitierte Bemerkung Paul Valérys, daß in der Kunst das Verstehen eine Art Niederlage sei, sollte nicht davon ablenken, daß auch Mayröcker deutbar ist. Allein der Bezug auf die Freudsche Psychoanalyse erschließt vieles. Die Übersetzungsfehler zwischen Sprache und Wirklichkeit, die Wackelkontakte des Zeichenapparats werden vermerkt als Symptome des Unbewußten. Verschreibungen und Wortähnlichkeiten, die dem gelockerten Bewußtsein auffallen, bedeuten zwar nichts, sind aber "von Bedeutung". Fast wie in der biologischen Evolution ist der Fehler zugleich Motor der Entwicklung, wenn Schreiben ein "Rupfen in fremden Gärten" ist: "Sie schaut ab, sie kopiert, sie exzerpiert, sie übermalt, das Auge funktioniert als automatischer Modifikator: es liest über die alltäglich-vertraute Vokabel hinweg, läßt aber deren innewohnende Magie in Erscheinung treten, indem es Minimalveränderungen vornimmt." Lesen als Verlesen - auch der sprachliche und motivische Wiederholungszwang, die Selbstzitate, das ständige "usw." und "etc." sind Ausdruck dieser poetischen Erotomanie, des "verbal-erotischen Begehrens", wie es in "Lection" heißt. In der Tat erinnert dieses nervöse, sich überstürzende, nie zur Ruhe kommende Schreiben an Zustände schlimmster amouröser Aufregung: Sie ist - ergreifend, aber gar nicht schlicht - wortverliebt und zieht aus diesem Außer-sich-Sein die sprachbildende Antriebskraft ihrer poetischen Maschinerie.

In den späten Texten häufen sich die Vanitas-Motive: "Und ich frage mich immer wieder, mitten drin, im hingerissenen Schreiben: wohin soll das alles führen, was ist der Zweck dieses Schreibens, nach 1 paar Jahren wird alles vergessen, verloren sein, alle Bücher, die ich geschrieben habe, längst vergriffen, alles, alles verweht, alles vergeblich, jegliche Welle, jeglicher Atemzug, jeglicher Blitzgedanke wie nie gewesen, meine Bücher verramscht, vom Markt gedrängt, ich glaube, es hat mich nie gegeben." Und wenige Seiten weiter ist vom "Angstfach" die Rede, in dem sie "tätig", auf das sie "spezialisiert" sei. Die Urangst des Schreibenden ist das Verbleichen der Schrift. Die Zettel im Zimmer sind stets durch Brand oder Überflutung bedroht; schon eine verschüttete Kaffeetasse macht Blätter unlesbar, läßt die Buchstaben ineinanderlaufen, ist Vorbote endgültigen Verschwindens. Diese Ausgabe immerhin ist ein vorläufiger Sieg über die unaufhaltsam drohende Entropie: Triumph des Sprachchaos, des Sprachkosmos.

Friederike Mayröcker: "Gesammelte Prosa". Herausgegeben von Klaus Reichert in Zusammenarbeit mit Marcel Beyer und Klaus Kastberger. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 5 Bände, zusammen etwa 3000 S., geb., 128,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Durch fünf Bände, 3000 Seiten Mayröckerscher Prosa hat der Rezensent Richard Kämmerlings sich gelesen, und was er dabei vorgefunden hat, ist ein wahres "Kompendium moderner Literatur". Gewiss wird das nie ein Werk für große Leserzahlen sein, räumt Kämmerlings ein, dafür ist Mayröcker zu kompromisslos, dafür hat sie zu wenig Interesse an Dingen wie Handlung oder Spannung, der geduldige Leser aber wird, verspricht er, reich belohnt. Spätestens mit dem Beginn ihrer produktiven Phase nach 1975, mit der Veröffentlichung von "Das Licht in der Landschaft", hatte Mayröcker, so Kämmerlings, ihren "Ton gefunden". Die Prosatexte der Autorin findet er erotisch in ihrer Wortverliebtheit, herausfordernd als Parallelunternehmung zum künstlerischen "action painting" und wirklichkeitserschließend gerade im Ausstellen der "Wackelkontakte des Zeichenapparats". Es handelt sich, alles in allem, schwärmt Kämmerlings um einen "Triumph des Sprachchaos, des Sprachkosmos."

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