Produktdetails
  • Heute Morgen
  • Verlag: Suhrkamp
  • Seitenzahl: 159
  • Abmessung: 176mm x 106mm x 14mm
  • Gewicht: 162g
  • ISBN-13: 9783518409886
  • Artikelnr.: 24431080
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.11.1998

So schauste aus
Rainald Goetz rackert sich weiter ab: Wo Sprache war, soll Rhythmus sein, und wo Haß war, sieht man nur noch Schweiß / Von Florian Illies

Auch Rainald Goetz hat Probleme. Die gezielte Einnahme von Drogen und Techno-Musik vermag den Helden und dem Ich-Erzähler in den beiden neuesten Büchern von Goetz zwar immer wieder, wie er sagt, "den Kopf freizumachen". Dennoch schützt dieses Verfahren nicht vor eklatanten Verwechslungen. So verwechselt Rainald Goetz seit er sich vor weiland fünfzehn Jahren in Klagenfurt die Stirn aufschlitzte, die Bundesrepublik Deutschland mit dem Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. Nur daß es inzwischen nicht mehr Blut ist, das auf seine Texte tropft, sondern der nächtliche Schweiß des Techno-Tänzers.

Die Juroren von einst jedoch bekommt er trotz allen Freimachens nicht aus dem Kopf. Wenn man die Multimedia-Performance des Rainald Goetz in den vergangenen Monaten aufmerksam verfolgt hat, sein "Abfall für alle" genanntes Tagebuch im Internet, seine seltsamen Auftritte bei der Frankfurter Poetik-Dozentur, seine Bücher "Rave" und, seit kurzem vorliegend, "Jeff Koons", dann merkt man, wie Goetz sich abrackert, damit am Ende des Tanzes die Punktrichter die Kärtchen mit den höchsten Noten heben.

Er selbst sieht das natürlich ganz anders. Nach Meinung von Rainald Goetz ist Rainald Goetz das große enfant terrible der deutschen Literatur. Er glaubt ernsthaft, daß seine seitenlangen Stakkato-Elogen auf die Freuden des nächtlichen Durchtanzens, des Zechens, des rhythmischen Beischlafs in ihrem Hedonismus noch Provokationskraft besitzen. Er verkennt dabei, daß all diese netten Eskapaden nur deshalb möglich sind, daß sie nur deshalb überhaupt noch wahrgenommen werden, weil Goetz seit Jahren am Hofe der deutschen Literatur die Position des beamteten Berufsjugendlichen und Hofnarren besetzt, inklusive Urlaubsanspruch und Schlechtwettergeld.

Es mag sein, daß ihn das Gefühl, wider Willen zum Teil des Apparates geworden zu sein, so unruhig macht. Goetz selber glaubt nämlich vielmehr, daß mit ihm der Charisma-Begriff der deutschen Romantik wiederbelebt werde. Von Paganini hat er gelernt, daß es in Zeiten, wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, durchaus angeht, daß der Künstler selbst zur Hauptfigur wird. Anders als Schriftsteller der Romantik, der im einsamen Umgang mit der Sprache sein Selbst zu "veredeln" versuchte, beharrt Goetz geradezu penetrant auf einer Reaktion des Publikums. Es ist nun das Tragische für Rainald Goetz, daß, wie Richard Senett einmal nachdrücklich gezeigt hat, unter modernen Verhältnissen, Menschen, die in den Bann eines "Akteurs" geraten, diesem lediglich noch zuschauen können. So erklärt sich die große, brennende Sehnsucht von Goetz, in einer jugendlichen "Szene" aufzugehen, daher sein eifriges Bemühen, in seinen Büchern die Palette seiner Duzfreundschaften auszubreiten, seine sexuelle Potenz, seine Anziehungskraft.

Nun ist ja der Wunsch, geliebt zu werden, an und für sich nicht ungewöhnlich. Doch das Problem von Goetz ist, daß er zugleich immer auch gehaßt werden möchte. Hören wir dazu den Dichter selbst. In seinem neuen Buch "Jeff Koons" schreibt er: "Es geht um einen Augenblick/den es auch gibt/ im Menschenleben kurz/ zumindest manchmal/ gibt es das,/ es geht,/ so blöd das klingt, um Harmonie./Stimmt gar nicht,/ halt, stop, Lüge, falsch,/ im Gegenteil,/ es geht ums Nie der Harmonie." Ganz präzise hat Goetz hier sein eigenes Dilemma beschrieben: Eine Sehnsucht nach Zustimmung, nach erfreuten Juroren, die er sich selbst nicht eingestehen mag, zugleich aber eine ebenso tiefe Sehnsucht nach erfolgreicher Provokation. Doch wer musikalisch so auf dem mainstream schwimmt und von der eigenen Sprache so beglückt vor sich hin brabbelt wie Goetz, dem widerfährt am Ende weder das eine noch gelingt ihm das andere. Was bleibt, ist Achselzucken.

Struktur und Inhalt von "Rave" und "Jeff Koons" sind, auch mit besten Absichten, nur in Ansätzen zu verstehen. Doch während "Rave" immmerhin noch zusammenhängende Texte vorzuweisen hatte, ja fast eine Geschichte erzählte, ist es nun, als sei der Goetzsche Wortschwall in den Teilchenzertrümmerer geraten. "Jeff Koons" nennt sich "Stück", was aber im Grunde nichts bedeutet. Auch daß es "Jeff Koons" heißt, meint nicht allzuviel. Am Ende handeln zwar dreißig Seiten von einem Künstler, den man anhand der beschriebenen Werke als den amerikanischen Kitschkunst-Artisten gleichen Namens identifizieren kann, doch was Goetz da an Kritik an der deutschen Vernissage-Kultur unterbringt, an Kritik am hohlen Diskursgerede über Aufgaben moderner Kunst, war schon zur Genüge ironisiert, als es Jeff Koons noch gar nicht gab.

Interessant ist darum vielmehr der kompositorische Rahmen des Buches. Die Seiten sind in etwa so locker bedruckt wie eine Kommentarspalte der neugestylten "Zeit"; will sagen: die Versprosa der 159 Seiten hätte, rückte sie etwas zusammen, durchaus auf dem normalen booklet einer Techno-CD Platz. Auch geographisch gehört die Prosa von Goetz in diese kleinen Plastikhüllen. Denn es ist nicht nur so, daß das Wummern der Techno-Bässe, die durchtanzten Nächte den permanenten Hintergrund dieses Buches bilden. Es ist vor allem auch das große Verdienst von Goetz, den pochenden Rhythmus dieser neuartigen Musik in eine rhythmische Sprache übertragen zu haben. Diese durchaus geglückte Mimesis ist der interessanteste Aspekt des Phänomens Goetz. Seinem Kellerdisco-Naturalismus scheint es streckenweise tatsächlich zu gelingen, die wogende Authentizität einer Samstagnacht in Prosa zu überführen. Es ist nur die Frage, ob man das so exzessiv auf Bucheslänge überführt haben möchte.

"Jeff Koons" besteht aus einer ungezählten Anzahl kurzer, numerierter Texte, die meist kaum zwei Seiten füllen, also die durchschnittliche Länge eines Songtextes aufweisen. Auch die Verse von "Jeff Koons" sind darum insgesamt nur so zusammenhängend wie die von zwölf Titeln auf einer CD. Das größte Verbindungselement ist die Stimmung, die sex, drugs and rock'n' roll in die neunziger Jahre hinüberzuholen versucht. Doch diese Motivkreise leihen in Wahrheit nur die Vokabeln aus. Rhythmus ist der einzige Inhalt dieser Prosa. "es geht/es geht/ es geht/ es geht/ Moment/ es hängt/ es hängt gerade/ okay/ ich warte/ Augenblick/ wie steht's?/ Momentchen noch/ Moment/ noch hängts".

Auch Techno ist nur Rhythmus. Aber Techno ist eben Musik. Die Prosa von Goetz ist aber Prosa. Wenn man sie laut vor sich hin liest, dann geht es, aber sehr oft hängt es eben auch. Am Ende hat man das Gefühl, zwei Stunden lang etwas gehört zu haben, nicht gelesen. Als wolle Rainald Goetz mit dem geschriebenen Wort zeigen, wie die Wirkung des geschriebenen Wortes nie an die der Techno-Rhythmen heranreicht.

Wenn das Verrat ist, dann ist Rainald Goetz ein sympathischer Verräter, denn anders als die Vertreter der Techno-Generation, die es offenbar gar nicht mehr für nötig befinden, sich überhaupt in Form von Literatur zu äußern, demonstriert der fünfundvierzigjährige Techno-Opa Goetz permanent seine Verankerung im literarischen Kanon. Darüber können auch seine ständigen Versuche, diese Tradition ironisch zu brechen, nicht hinwegtäuschen. Goetz hat einen Hang zur Gesamtausgabe, doch damit es origineller wirkt, beginnt er nun mit Buch Numero 5. Buch 5.1 war die "Erzählung", die er "Rave" nannte. "Jeff Koons", das er "Stück" betitelt, ist Buch 5.2. Sein Internettagebuch ist Band 5.4.1, das, wie er schreibt "im Kontext von ,Jeff Koons' und ,Rave' läuft". Da scheint jemand die eigene Ironisierung zu ernst zu nehmen, ein penibler Archivar des rasenden Zeitgeistes. Leitzordner voll Schweiß. Auch daß er glaubt, es sei frech, ein "Stück" mit dem "Dritten Akt" zu beginnen, und dann erst den ersten folgen zu lassen, zeigt, wie sehr Goetz noch immer an die Provokation glaubt, die aus der Unterhöhlung von Traditionen erwächst. Vor allem zeigt es aber auch, wie sehr Goetz an die Tradition selbst glaubt.

Wenn man nun also Techno der Musik zurechnet, die Bücher von Goetz aber der Literatur, kommt man in Nöte. Es scheint, wie man aus vereinzelten, zustimmenden Reaktionen erkennen kann, notwendig zu sein, mehrere Dutzend Nächte zu Techno-Rhythmen durchtanzt zu haben, um ins Innerste der Goetzschen Prosa vorzudringen. Als brauche man das nervtötende Piepen der gedemütigten Trommelfelle im Ohr, um ihn überhaupt lesen zu können. Literatur also für Spezialisten. "Jeff Koons", ein Sachbuch.

Zu einem Sachbuch gehört natürlich auch ein gehöriges Maß an Intellektualität. Goetz glaubt dies dadurch zu leisten, daß er verzichtet. Er verzichtet auf einen großen sinnstiftenden Bogen in seinem Buch. Er verzichtet auf Moral, predigt vielmehr den fröhlichen Werterelativismus. Er verzichtet vor allem auch darauf, die Wortfetzen, Gesprächsfäden, die er in Diskotheken, auf Partys und in Betten aufgeschnappt hat, in irgendeiner Weise zu verändern. Wir lesen also: "Sollen wir mal aufstehen?/ nö, wieso?". Wir lesen auch: "können wir noch was/ zu trinken haben?/ Wir machen so langsam Schluß/ echt?/ jetzt schon?/ weißt du wieviel Uhr/ wir haben?/ nö/ so schauste auch aus."

Goetz glaubt, der alten Pop-art-Tradition folgend, man könne low culture zu Hochkultur machen, wenn man sie nur in den richtigen Rahmen stellt. Man könne das Banale adeln, wenn man es in die Literatur überführt und in so schöne knallig rote Umschläge einpackt, wie in "Jeff Koons". Rainald Goetz vergißt jedoch, daß das Banale mitunter auch einfach nur banal bleibt.

Rainald Goetz: "Jeff Koons". Stück. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1998. 160 S., br., 34,- DM.

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