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Afrika ist kein schriftloser Kontinent, schon gar nicht, wenn man seine Nordküste miteinbezieht: In Alexandria entwickelten sich vor mehr als zwei Jahrtausenden Verfahren des Umgangs mit Schriften, die heute Philologie heißen. Robert Stockhammer diskutiert Beiträge zur afrikanischen Philologie, von Herodot über Augustinus bis Saro-Wiwa und Coetzee: Epen, Romane, Reiseberichte, historische, philosophische und rhetorische Traktate. Dabei zeigt sich unter anderem, dass Afrika jenseits von geographischen Festlegungen ein Schauplatz von Globalisierungsprozessen war und ist, die von philologischen Praktiken ebenso befördert wie reflektiert werden.…mehr

Produktbeschreibung
Afrika ist kein schriftloser Kontinent, schon gar nicht, wenn man seine Nordküste miteinbezieht: In Alexandria entwickelten sich vor mehr als zwei Jahrtausenden Verfahren des Umgangs mit Schriften, die heute Philologie heißen. Robert Stockhammer diskutiert Beiträge zur afrikanischen Philologie, von Herodot über Augustinus bis Saro-Wiwa und Coetzee: Epen, Romane, Reiseberichte, historische, philosophische und rhetorische Traktate. Dabei zeigt sich unter anderem, dass Afrika jenseits von geographischen Festlegungen ein Schauplatz von Globalisierungsprozessen war und ist, die von philologischen Praktiken ebenso befördert wie reflektiert werden.
Autorenporträt
Stockhammer, RobertRobert Stockhammer ist Professor für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der LMU München.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Stefan Weidner entdeckt Schwächen in der Arbeit des Literaturwissenschaftlers Robert Stockhammer über eine Randdisziplin. Wie der Autor den Nachweis zu führen versucht, dass afrikanische Philologie auf postkolonialem Denken basiert und kontroverse Haltungen zur Existenz der Disziplin darstellt, findet Weidner einerseits gut verständlich, andererseits gespickt mit ahistorischen Überlegungen, etwa zum Arabischen. Als großen Mangel empfindet er die Abwesenheit afrikanischer Sprachen und Literaturen im Band.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.04.2016

Kontinent
der Andersheit
Robert Stockhammers „Afrikanische Philologie“
wagt sich ins Minenfeld postkolonialer Diskurse
VON STEFAN WEIDNER
Der Münchner Literaturwissenschaftler Robert Stockhammer hat ein Buch über eine Disziplin geschrieben, die es dem Namen nach an deutschen Universitäten nicht mehr gibt. „Afrikanische Philologie“ unterscheidet sich von der Ethnologie und den Regionalwissenschaften zum einen dadurch, dass ihr Gegenstand Texte sind, nicht Menschen oder Gesellschaften; zum anderen durch eine Selbstreflektion, die ihrerseits auf postkolonialen, oft in afrikanischen Kontexten entstandenen Denkansätzen gründet. Afrikanische Philologie ist damit immer auch die Frage nach der Bedingung ihrer eigenen Möglichkeit.
  Das beste Beispiel dafür sind die kontroversen Haltungen zur Existenz einer afrikanischen Philosophie, die Stockhammer gut verständlich und zum Mitdenken einladend referiert. Sie führen zum Kern des zeitgenössischen Denkens über Afrika. In diesem Kern aber wird der Kontinent zur Chiffre von Andersheit und die afrikanische Philologie darin zur rettenden Insel: „Wenn es keine afrikanische Philosophie gibt, so gibt es doch jedenfalls afrikanische Philologie.“
  Dass es keine afrikanische Philosophie geben könne, behauptete Philippe Lacoue-Labarthe 1991 bei einem Vortrag in Benin. Nicht weil Afrikaner zum Philosophieren nicht in der Lage seien, sondern weil das, was Philosophie genannt wird, von vornherein eine westlich konnotierte Disziplin sei, die keine Andersartigkeit zulasse. Selbst dann, wenn Afrikaner in Afrika Philosophie betrieben, bliebe diese ein europäisches Geschäft. Lacoue-Labarthes Diktum ist keine Abwertung des afrikanischen Denkens, sondern der europäischen Philosophie, deren Universalitätsanspruch damit widerlegt wird. Was Descartes, Kant oder Heidegger dachten, bedeutet in Afrika wenig.
  Weniger kategorisch positioniert sich Jacques Derrida, der die Frage nach der afrikanischen Philosophie lieber offenlässt und damit in das von Stockhammer bevorzugte, vermeintlich sichere Terrain der Philologie verschiebt. Als in Algerien gebürtiger Jude lässt sich Derrida seinerseits zu den Afrikanern rechnen und ist damit nicht nur Akteur, sondern ebenso sehr Gegenstand der afrikanischen Philologie, wie der über Afrika schreibende Grieche Herodot (mit dem diese „Afrikanische Philologie“ beginnt), wie der Kirchenvater Augustinus oder wie der südafrikanische Literaturnobelpreisträger J. M. Coetzee.
  Man sieht: Griechisch und Latein sind das Alpha, Englisch und Französisch das Omega dieser afrikanischen Philologie. Aller postkolonialen Selbstreflexivität zum Trotz bleibt sie damit eurozentrisch, bleibt der afrikanische Philologe euroglott. Als einzige mächtige Schrifttradition auf dem afrikanischen Kontinent, die nicht europäischen Ursprungs ist, wird von Stockhammer das Arabische identifiziert. Aber auch das Arabische, fügt er eilig hinzu, sei dem Kontinent von Kolonisatoren auferlegt worden; sei also nicht afrikanischer als die europäischen Sprachen.
  Aber dieses Argument ist ahistorisch. Zum entscheidenden Zeitpunkt, dem der Entkolonialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg, war das Arabische eben keine Kolonialsprache mehr, sondern war von diesen an den Rand gedrängt worden. Stockhammer macht diesen Unterschied klein, während er ihn an anderer Stelle zuungunsten des Arabischen betont. Um „Unterschiede zwischen den Kulturen des arabischen und des lateinischen Alphabets nicht zu verschleifen“, bemüht Stockhammer die ansonsten von ihm verworfenen Thesen Jack Goodys über die eingeschränkte Schriftlichkeit Afrikas. Wegen ihrer Rückbindung an die mündliche Überlieferung sei die arabische Schrift weniger gut als die griechisch-lateinischen Schriftsysteme dazu geeignet, „sich kritisch mit Vergangenem (. . .) in Beziehung zu setzen und damit nicht zuletzt die Entstehung der Demokratie“ zu befördern.
  Die für jeden, der das Arabische kennt, unsinnige Behauptung, man könne „nicht jeden beliebigen Text aus diesen Buchstaben zusammensetzen“, wird schließlich durch die Aussage gekrönt, dass „ein bestimmter Typ von Rationalität mit der Alphabetisierung nach griechisch-lateinischem Muster“ zusammenhänge. Während Stockhammer ansonsten eine wirklich bewundernswerte Meisterschaft darin an den Tag legt, Aussagen von Romanfiguren zu hinterfragen, wird als „strukturelle Bestätigung“ (was immer das sei) für diese Großthese ausgerechnet eine Romanfigur von Cheikh Hamidou Kane angeführt. Ein postkoloniales Denken, das seinem Gegenstand, sobald er die gewohnten sprachlichen Kontexte verlässt, einen „bestimmten Typ von Rationalität“ abspricht, läuft Gefahr, sich an der eigenen Nabelschnur zu erhängen.
  Hier scheinen die Grenzen und Abgründe dieses Projektes auf, nämlich die frappante Abwesenheit afrikanischer Sprachen und Literaturen, Sprachen, von denen ja doch zumindest einige, wie Stockhammer auch andeutet, eine lange Kulturgeschichte haben, etwa das Swahili. Zwar ist richtig, dass Englisch und Französisch im afrikanischen Kontext eben als afrikanische Sprachen gelten müssen. Wenn man aber ernsthaft postkoloniale afrikanische Philologie betreiben will, wird man den Horizont erweitern müssen. Zumindest mithilfe von Übersetzungen, auf die Stockhammer auch sonst zurückgreift, hätten nicht-europäischsprachige Literaturen miteinbezogen werden müssen, etwa das umfassende, im Milieu der Tuareg spielende und die autochthone Mythologie wiederbelebende Romanwerk des auf Arabisch schreibenden Libyers Ibrahim al-Koni, das nahezu vollständig auf Deutsch vorliegt.
Robert Stockhammer: Afrikanische Philologie. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Berlin 2016. 310 Seiten, 18 Euro.
Als in Algerien gebürtiger
Jude lässt sich Derrida seinerseits
zu den Afrikanern rechnen
Garantiert nur das griechisch-
lateinische Alphabet einen
gewissen Typus von Rationalität?
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