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Seit seinen aufsehenerregenden und höchst folgenreichen Anfängen ist der Film Gegenstand theoretischer überlegungen gewesen. Die vorliegende Sammlung macht die zentralen Texte der Theoriegeschichte des Films zugänglich und ordnet die Originaldokumente sowohl zeitlich wie auch nach unterschiedlichen Themengebieten. Dabei wird eine Entwicklung deutlich, die von der Frage nach der Abbildung der Wirklichkeit über die Theorie der Schauspielkunst bis hin zu Fragen des Schnitts und der Montage reicht. Eine ausführliche Einleitung zeichnet die Zusammenhänge der unterschiedlichen Texte nach und gibt…mehr

Produktbeschreibung
Seit seinen aufsehenerregenden und höchst folgenreichen Anfängen ist der Film Gegenstand theoretischer überlegungen gewesen. Die vorliegende Sammlung macht die zentralen Texte der Theoriegeschichte des Films zugänglich und ordnet die Originaldokumente sowohl zeitlich wie auch nach unterschiedlichen Themengebieten. Dabei wird eine Entwicklung deutlich, die von der Frage nach der Abbildung der Wirklichkeit über die Theorie der Schauspielkunst bis hin zu Fragen des Schnitts und der Montage reicht. Eine ausführliche Einleitung zeichnet die Zusammenhänge der unterschiedlichen Texte nach und gibt weiterführende Informationen. Neben ästhetischen werden auch wahrnehmungs- und kunsttheoretische Fragen ausführlich diskutiert und in ihrem historischen Kontext detailliert dargestellt.

Mit diesem Band liegt ein umfassendes Kompendium der ersten fünfzig Jahre der Filmtheorie vor, das historische wie theoretische Aspekte des Films gleichermaßen berücksichtigt und damit zugleich eine konzise Einführung in die Geschichte und Theorie des Films bietet.
Autorenporträt
Helmut H. Diederichs ist Professor für Medienpädagogik am Fachbereich Soziales der Fachhochschule Dortmund.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.02.2004

Sobald der Projektionsapparat rattert
Helmut Diederichs dokumentiert eine Geschichte der Filmtheorie von Meliès bis Arnheim

Im Jahr 1907 entstanden die "Demoiselles d'Avignon" - das Bild, mit dem Pablo Picasso der klassizistischen Simultaneität des gefrorenen Moments die Möglichkeit der Sukzession und damit auch einer Vielheit des Betrachterblicks eröffnete. 1913 sah ein unabhängiger Geist wie Julius Meier-Graefe den Untergang des Ideals vom schöpferischen Individuum heraufdämmern: Zwei Momente in der Kunstgeschichte der Moderne, die man, von heute aus gesehen, durchaus als Reaktion auf den jüngsten Sproß im Kreis der Künste nehmen kann - den Film. Von heute aus deshalb, weil es keinem Zeitgenossen eingefallen wäre, die Elle des Films an eine der noch regierenden Hochkünste anzulegen. In umgekehrter Richtung dagegen wird der Vergleich mit geradezu manischer Besessenheit angeführt.

In den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg gab es in Deutschland ein außerordentliches Interesse an den laufenden Bildern. Aus dieser Zeit stammt die Hälfte aller Texte einer Anthologie, die "Geschichte der Filmtheorie" heißt. 1913 gilt als das erste "Autorenjahr" - ein Jahr also von Filmen mit unverwechselbarem Charakter. Expressionistische Dichter versammeln ihre Ideen in einem "Kinobuch". Durchweg den Willen zum eingreifenden Gestalten atmen auch die nun erstmals verfügbaren Texte von Kinoreformern und anderen Pädagogen. Der Durchschnittsfilm ist schlecht: Schund ist das Wort der Stunde. Also muß er besser gemacht werden, zumindest auf dem Papier. Ist es aber bereits Filmtheorie, wenn Georges Meliès aus der Hexenküche seiner optischen Tricks berichtet? Wenn der allem Modernen abgeneigte Konrad Lange aus ästhetischen Gründen die Zensur des Staates fordert? Wenn Hermann Häfker gravitätisch behauptet, die Natur selbst sei eine fertige Dichtung?

Eine verständliche Hilflosigkeit spricht aus vielen frühen Äußerungen, dem Neuen des Films systematisch gerecht zu werden. Von Anfang an aber wird das bewegte als Extension des ruhenden Bildes begriffen. Die Essenz des "Kinographen" (Häfker), des Bewegungs-Schreibers, liegt in der Wiedergabe von "Gras und Laub im Wind", in "sturmbewegten Landschaften mit schwankenden Bäumen". Noch dominiert nicht der anthropozentrische Blick auf die Welt. "Der Mensch, der sich fotografiert weiß, verdirbt jedes Bild", heißt es bei Häfker. Hier gründet der Quantensprung, den der Film für die darstellenden Künste bedeutet. Das Neue muß nicht erst von Künstlerhand geschaffen werden. Es ist, sobald der Projektionsapparat läuft, immer schon da.

Auch die Frage nach den "eigenen Gesetzen des Films" wird früh erhoben, 1914, von einem Autor mit dem sprechenden Namen Lux. Der klassischen Filmtheorie der zwanziger und vor allem der dreißiger Jahre gelingen umfassendere Antworten. Sie finden sich im zweiten Teil der "Geschichte der Filmtheorie" anthologisiert. Aus dem schlanken Stamm wird nun unversehens ein in voller Blüte stehender Baum. Seine Früchte waren freilich schon andernorts zu bewundern, sprich: der Band versammelt von hier an kanonische, zudem leicht erreichbare Texte. Der Herausgeber nutzt die einschlägigen Editionen, um den Korpus eines auf die Form hin orientierten Nachdenkens über Film zu entwerfen. Freilich trügt der Eindruck, daß man dies einst vor allem in Deutschland und der Sowjetunion tat. Hier spielen die heutigen Kosten von Neu-Übersetzungen hinein. Auf den Sammelband, der den filmischen Realismus der dreißiger Jahre als stilistische Option wertet, muß man weiter warten. Er hätte auch französische und italienische Texte zu berücksichtigen.

Das Gebäude der klassischen Filmtheorie wurde nicht am Katheder entworfen. Praktiker und die in der Kunstgeschichte so gern geschmähten Kenner schrieben ihre im Atelier oder im Kino erworbenen Erfahrungen auf. Induktion hieß der Königsweg. Filmtheoretische Texte, so überzeitlich sie klingen, entstanden stets à jour. Die Bandbreite zeigt der Herausgeber mit Kategorien auf, die jeweils den Interessen und Möglichkeiten eines Zeitabschnitts verpflichtet sein sollen: Nichts weiter als eine Hilfskonstruktion, wie die Emphase für ein Filmen "al fresco" zeigt, das bereits durch die Frühzeit wandert, aber noch den späten Kracauer zu seinem Theorieentwurf inspirierte. Es läßt sich so weniger der Bauplan angeben als das Material zu einem Gebäude, das nur auf dem Reißbrett existiert.

Welche Autoren ein angekündigter Folgeband dieser Theoriegeschichte versammelt, wird man sehen. Bei der Fortsetzung bis in die Gegenwart dürfte sich die Aktualität eines Hugo Münsterberg erweisen, der bereits 1916 mit dem Beobachten des Beobachters im Kino begann. Dagegen läßt sich heute ein Bedeutungsschwund all jener Theorien feststellen, die vom Film als Akt auktorialer Rede ausgehen, die intellektuelle Montage eingeschlossen. Das Numinose der technischen Bilder bleibt unberührt von jeder Sprachanalogie.

Nimmt der Leser die Prämissen des Bandes über die "formästhetischen Mittel" der Filmkunst auf, findet er sich am Ende mit einem glänzenden Stück Wissenschaftsprosa belohnt. Es stammt von Rudolf Arnheim, der seit einem lauwarmen Aufguß der Laokoon-These in den dreißiger Jahren zu Filmdingen geschwiegen hatte. Im Verweis auf Kracauers vermeintliche Spiegeltheorie arbeitet Arnheim noch einmal heraus, wie trügerisch das technische Bild "Realität" vermittelt: Realismus als Element eines allumfassenden Stils, der vor allem dem jeweiligen Medium verpflichtet ist. Der Beweis, es mag verblüffen, wird mit Jean Dubuffet angetreten: "Hier offenbart sich die realistische Tendenz als Verzicht auf das aktive Erfassen von Bedeutung." Wohl nicht jeder Kinoreformer hat diesen archimedischen Punkt in der Geschichte der Filmtheorie für sich verinnerlicht.

THOMAS MEDER

Helmut H. Diederichs (Hrsg.): "Geschichte der Filmtheorie". Kunsttheoretische Texte von Meliès bis Arnheim. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 419 S., br., 14,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Thomas Meders Besprechung dieser von Helmut H. Diederichs herausgegebene Anthologie konzentriert sich vor allem auf eine Kritik der Text-Zusammenstellung. Die Hälfte der hier abgedruckten Texte stammt aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg, und hier fragt sich der Rezensent, ob es sich überhaupt um filmtheoretische Texte handelt: "Ist es bereits Filmtheorie, wenn Georges Melies aus der Hexenküche seiner optischen Tricks berichtet?" Und hinsichtlich der Texte aus den zwanziger und dreißiger Jahren, die der Band dann im zweiten Teil versammelt, kritisiert der Rezensent, dass der Eindruck entstehe, in dieser Zeit sei nur in Deutschland und der Sowjetunion anspruchsvoll über Film nachgedacht worden. Und die "formästhetische Mittel" und Kategorien des Herausgebers schließlich, mit deren Hilfe er die Texte zu ordnen versuche, sind für Meder außerdem bloß "Material zu einem Gebäude, das nur auf dem Reißbrett existiert". Freude hatte der Rezensenten nur an einem "glänzenden Stück Wissenschaftsprosa" von Rudolf Arnheim in diesem Band.

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