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Eine Datscha, nicht weit, aber weit genug von der Stadt entfernt, ideal zum Arbeiten - das ist der Plan. Sergej, ein junger Schriftsteller und Vater, richtet sich dort mit seiner Frau und dem kleinen Sohn für die Sommerfrische ein. Von der Landpartie erhofft er sich die Muße, endlich in Ruhe schreiben zu können. Aber aus der Abwesenheit urbaner Zumutungen entsteht keine Konzentration, sondern eine andere Art der Unruhe, die ständig um das (Nicht-)Schreiben und seine äußeren Bedingungen kreist, um Nähe und Abgrenzung, Autonomie und Selbstorganisation.
Den herrlich atmosphärischen, oft
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Produktbeschreibung
Eine Datscha, nicht weit, aber weit genug von der Stadt entfernt, ideal zum Arbeiten - das ist der Plan. Sergej, ein junger Schriftsteller und Vater, richtet sich dort mit seiner Frau und dem kleinen Sohn für die Sommerfrische ein. Von der Landpartie erhofft er sich die Muße, endlich in Ruhe schreiben zu können. Aber aus der Abwesenheit urbaner Zumutungen entsteht keine Konzentration, sondern eine andere Art der Unruhe, die ständig um das (Nicht-)Schreiben und seine äußeren Bedingungen kreist, um Nähe und Abgrenzung, Autonomie und Selbstorganisation.

Den herrlich atmosphärischen, oft selbstironischen Alltagsbeobachtungen und -reflexionen des »Lebens bei windigem Wetter« werden die »Aufzeichnungen aus der Ecke« an die Seite gestellt - ein intimer Werkstattbericht, die Innenschau des Schreibenden, seine Notate zu Lüge und Wahrheit in der Literatur, zu Tod und Ungerechtigkeit, Traum und Wirklichkeit.

Und so ergibt sich das hinreißende Doppelbild eines jungen Mannes in den windigen Wettern zwischen Familienalltag und Werk - ein Text von großer Gegenwärtigkeit und überraschender, zeitloser Aktualität.
Autorenporträt
Bitow wurde 1937 in Leningrad geboren, veröffentlichte seit 1959 Erzählungen, Essays, Romane sowie Reiseberichte. 1990 erhielt er den russischen Puschkin-Preis. Mit dem Roman Das Puschkinhaus ist Bitow 1978 (dt. 1983) weltweit bekannt geworden. In deutscher Sprache erschienen darüber hinaus Das Licht der Toten (1990), Mensch in Landschaft (1994), Puschkins Hase (1999) und Armenische Lektionen (2002). Bitow starb am 3. Dezember 2018 in Moskau.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensentin Ilma Rakusa entdeckt Andrei Bitow neu in einem frühen, von Rosemarie Tietze "exzellent" übertragenen Text von 1963. Wie der Schriftsteller auf einer Datscha mit Frau, Kind, Schwiegereltern und seinem Werk ringt, scheint Rakusa lesenswert. Nicht unbedingt der Selbstzweifel des Ich-Erzählers wegen, aber allemal wegen der erzählerischen Brillanz, mit der Bitow vorgeht. Perspektivwechsel, Überblendungen, eine enorme Wahrnehmung bringen sogar Autofahrten, Zank mit dem Literaturbetrieb und Ehezwiste zum Leuchten, schwärmt Rakusa. Poesie, Ironie und Finesse finden hier zusammen, meint sie.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.01.2022

Zappzarapp ist dieses Literaturverständnis
Auf der Mittellinie eines Lebens zwischen Konformität und Mut: Zwei Texte aus dem Nachlass Andrej Bitows

"Danke, dass du uns umgesiedelt hast." Dieser Satz klingt im Deutschen ein wenig seltsam, beschreibt aber ziemlich genau, was in Russland im Frühsommer millionenfach geschieht. Man zieht auf die Datscha, jene kulturelle Institution der russischen und mehr noch der sowjetischen Gesellschaft, ohne die die Geschicke des Landes um einiges unspektakulärer verlaufen wären. Lenin und Stalin starben auf ihren Sommersitzen, wenn auch nicht im Sommer, Gorbatschow wurde aus dem Amt geputscht, während er in der Regierungsresidenz auf der Krim festgehalten wurde, und die Dokumentation über Putins geheimen Protzpalast am Schwarzen Meer brachte den Kremlchef zumindest kurzzeitig in Erklärungsnot. Von der russischen Literatur mit ihren meist unglücklichen Sommergästen ganz zu schweigen. Der Zustand des Sommerhauses ist seit jeher Metapher für die Verhältnisse im Land.

Andrej Bitow (1937 bis 2018) gilt als Begründer der russischen Postmoderne und als einer der wichtigsten Vertreter der Generation der "Sechziger", jener Künstler, die in den Sechzigerjahren erstmals Furore machten. Sein vielstimmiges Werk, darunter der als Klassiker geltende Roman "Das Puschkinhaus", ist stets von ironischer Verkopftheit geprägt, einem Spiegeln und Widerspiegeln des Geschehens und der Sprache aus verschiedenen Perspektiven und in wechselnden "Jahreszeiten des Bewusstseins". In der Bibliothek Suhrkamp werden jetzt zwei Texte aus dem Jahr 1963 nebeneinandergestellt, die für Bitows literarische Methode exemplarisch sind.

Die Datscha, in die sich der Schriftsteller Sergej mit seiner kleinen Familie zurückzieht, hat wenig Grandeur. Niemals fertiggebaut gleicht sie eher einer "Art Landhaus", so wie das klapprige Auto aus DDR-Produktion, mit dem der Vater den Sohn umsiedelt, eben auch nur "eine Art Auto" ist. Dennoch will der junge Autor im zugigen, undichten Dachgeschoss nördlich von Petersburg, das damals noch Leningrad hieß, endlich in Ruhe schreiben. Doch worüber schreiben, wenn die Zeit regungslos bleibt, die Tage aber wie im Nu vergehen? In der Ehe kriselt es, ruhelos flieht er in die Großstadt, aus der er zermürbt und unverrichteter Dinge zurückkehrt. Die Schwiegersippe, der die Datscha ja eigentlich gehört, meldet sich zum sonntäglichen Besuch an, was zu urkomischen Verwicklungen führt. Sommergäste langweilen, das Wetter ist wechselhaft, windig und kalt, bis sich am Ende doch so etwas wie Ruhe einstellt und man über das schreiben kann, worüber gute Schriftsteller schreiben: das Leben.

Während die Erzählung "Leben bei windigem Wetter" die kreative Wiedergeburt des Autors durch die Alltäglichkeiten thematisiert, geht es in den gleichzeitig entstandenen Tagebuchaufzeichnungen "Um die Ecke" um sehr viel Existenzielleres, um Leben und Tod unter den Bedingungen einer Diktatur. Während die Erzählung geschrieben wurde, um gedruckt zu werden, war an eine Publikation dieser Tagebuchnotizen nicht zu denken. Während die Erzählung im Rahmen der damaligen kulturpolitischen Möglichkeiten manövriert, einem Schreiben über das Schreiben, das dem Autor den Vorwurf des Formalismus hätte einbringen können, zeugen die "Aufzeichnungen eines Einzelkämpfers", so der Untertitel des Tagebuchs, von Skepsis und Enttäuschung, vom Hadern mit der "Theorie der Seifenblasen", jener verlogenen Diktatur der Ideen, die angeblich die Welt verändern soll, und der Kraft, die es braucht, in dieser Gemengelage Schönheit zu verstehen. Ist die Erzählung ein heiter bis melancholisches Stück à la Tschechow, wirkt das parallel entstandene Tagebuch des damals gerade einmal sechsundzwanzigjährigen Bitow düster und zugleich beißend scharf.

Als "Verrichtung seelischer Notdurft" bezeichnet Bitow seine nächtlichen Auslassungen über einen Dozenten, der von der "wachsenden Verelendung der arbeitenden Massen im Kapitalismus" spricht, die empirisch natürlich nicht zu belegen, wohl aber in der "Tendenz" vorhanden sei. Die Korrumpierung der Literaten durch staatliche Alimente wird mit Sarkasmus entlarvt und die Schwarz-Weiß-Malerei in Staatskonforme einerseits und Oppositionelle andererseits, in "legale und illegale Perioden" des Schaffens als bizarres "Zappzarapp" bloßgestellt: "Sie haben nicht die Bohne verstanden. Auf alles senkt sich ein kühlender grammatischer Nebel, sei es Gegenwärtiges in der Vergangenheit, sei es längst Vergangenes in der Zukunft."

Bitow, der nach seiner Mitarbeit an dem 1979 im Westen herausgebrachten Sammelband "Metropol" jahrelang in seiner Heimat nicht publizieren konnte, ließ sich ideologisch nicht vereinnahmen. Rosemarie Tietze, die seit Jahrzehnten seine Werke sowie die von Tolstoi, Gasdanow und anderen russischen Autoren übersetzt, hat auch diese beiden Prosaminiaturen kongenial ins Deutsche gebracht und mit einem klugen Nachwort und hilfreichen Anmerkungen versehen. Die Mittellinie seines Lebens ergibt sich, so Bitow 1963, aus den Schwankungen zwischen Zügellosigkeit und Diszipliniertheit, "beim Frühstück sparen, fährst nicht Taxi, sondern mit der Metro, Butter ersetzt du durch Sonnenblumenöl, doch abends trinkst du eine Flasche Wodka, die verschluckt die gesparten Kopeken im Meer ihrer Kopeken . . . Soll doch, wer über mich urteilt, einen Kloß in den Hals kriegen." Seinen letzten Sommer verbrachte Andrej Bitow wieder auf seiner Datscha in Toksovo, im Dezember 2018 starb er in Moskau. SABINE BERKING

Andrej Bitow: "Leben bei windigem Wetter".

Aus dem Russischen von Rosemarie Tietze. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 154 S., geb., 20,- Euro.

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»Der russische Autor Andrei Bitow glänzte durch Unaufgeregtheit und Detailliebe ...« Ilma Rakusa Neue Zürcher Zeitung 20220518