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Wenn Juristen wie Smend, Heller oder Carl Schmitt über den Staat nachdachten, entwarfen sie dabei auch Modelle der Gesellschaft. Die Protagonisten dieser »heroischen« Phase der Staatstheorie bestimmen bis heute die Debatte, ausgerechnet Schmitt inspiriert nun Vertreter der radikalen Linken. In seinem Essay zeichnet Christoph Möllers die Geschichte dieser Disziplin in der Bundesrepublik nach. Er zeigt, daß man die Entwicklung dieser Disziplin nur verstehen kann, wenn man gesellschaftliche Prozesse im Blick behält. Dies gilt insbesondere in einer Zeit, in der sich unsere Vorstellungen von…mehr

Produktbeschreibung
Wenn Juristen wie Smend, Heller oder Carl Schmitt über den Staat nachdachten, entwarfen sie dabei auch Modelle der Gesellschaft. Die Protagonisten dieser »heroischen« Phase der Staatstheorie bestimmen bis heute die Debatte, ausgerechnet Schmitt inspiriert nun Vertreter der radikalen Linken. In seinem Essay zeichnet Christoph Möllers die Geschichte dieser Disziplin in der Bundesrepublik nach. Er zeigt, daß man die Entwicklung dieser Disziplin nur verstehen kann, wenn man gesellschaftliche Prozesse im Blick behält. Dies gilt insbesondere in einer Zeit, in der sich unsere Vorstellungen von Souveränität angesichts von Globalisierung und Europäisierung radikal verändern.
Autorenporträt
Möllers, ChristophChristoph Möllers, geboren 1969, lehrt Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.10.2008

Kein Wille zum Staat?
Das wäre nicht das Schlimmste, meint Christoph Möllers. „Der vermisste Leviathan” befasst sich mit der Staatstheorie der Bundesrepublik Deutschland
Erleben wir das Ende des Staates, die Auflösung seiner Souveränität? Die Phänomene sind vertraut. Von außen drängen Probleme wie der weltweite Klimawandel und ein internationaler Terrorismus, die sich von einem Staat allein nicht bewältigen lassen. Die Bedingungen einer globalen Ökonomie bringen Staaten untereinander in ein Konkurrenzverhältnis, von dem nur marktliberale Hardliner glauben können, es sei dem Gemeinwohl förderlich. Und ohnehin ist ein Staat wie die Bundesrepublik inzwischen in so viele internationale Beziehungen eingespannt, dass er nur mehr weniges im klassischen Sinne souverän entscheidet. Im Inneren hat sich der mächtige Leviathan in einen korporatistischen Kokon eingesponnen und als zahmes Tierchen entpuppt. In seiner Verflechtung mit gesellschaftlichen Organisationen zeigt insbesondere der soziale Wohlfahrtsstaat Ermüdungserscheinungen. Wohin ist jene Gewalt, der auf Erden keine gleichkommt? Doch man sollte auch nicht untertreiben. Der Terrorismus hat den Sicherheitsstaat aus seinem Schlummer geweckt und dazu veranlasst, Gesetze der Angst zu erlassen. Dem Bürger werden Fingerabdrücke abgenommen. Es wird Krieg geführt. Die Staatsquote ist weiterhin immens. Der Staat rettet Banken, Markt und Kapitalismus und schließlich ist auch die Rindfleischetikettierung gesetzlich geregelt.
Dem vermissten Leviathan hat sich Christoph Möllers, der in Göttingen Öffentliches Recht lehrt, in seinem neuesten Buch gewidmet. Es zeichnet skizzenhaft die Verwendung nach, die der Gedanke des Staates in Staatstheorie und Verfassungsrecht der Bundesrepublik gefunden hat, mit einem kurzen Abriss zur Weimarer Vorgeschichte und nicht mehr als einem Exkurs in die Zeit des Nationalsozialismus. Der deutsche Wille zum Staat, der Generationen in Philosophie und Geschichte, Politik und Staatslehre geprägt hat, ist erlahmt. Dass Thomas Hobbes’ Sinnbild eines mythischen Ungeheuers seine Macht über den staatstheoretischen Diskurs in der Bundesrepublik verloren hat, ist für Möllers jedoch kein Anlass, melancholisch zu werden. Transformationen des Staates und die Verflechtung der Wissenschaften, die ihn zum Gegenstand haben, lassen sich so nüchtern konstatieren und fortschreiben. Michel Foucault hat einmal die Geschmeidigkeit staatlicher Strukturen so beschrieben, dass ihr Verhalten an manchen Punkten wie ein Zurückweichen des Staates erscheinen kann.
In kompakter Form zeigt Möllers, warum grundlegende Probleme des öffentlichen Rechts eher unter dem Begriff der Verfassung als dem des Staates diskutiert werden. Nicht zuletzt trägt dazu die rechtliche wie politische Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik Deutschland bei. Staatstheoretische Grundsatzdebatten werden in die kleinere Münze verfassungsrechtlicher Entscheidungen getauscht, als Interpretation der Verfassung nach den Regeln juristischer Auslegungskunst diszipliniert und so veralltäglicht. Begrifflich vom Staat auf die Verfassung umzustellen, bestimmte auch das sprachpolitische Manöver, im Lob des Verfassungspatriotismus noch die sittliche und emotionale Bindung der Bürger an ihr Gemeinwesen auf den universalistischen Gehalt des Grundgesetzes zu beziehen.
Staatstheorie sei zu einem Nebenschauplatz und zu einem – wie es doppeldeutig heißt – hintergründigen Phänomen geworden. Hier lässt sich leicht Interdisziplinarität begrüßen. Möllers will insbesondere den Gesprächsfaden zwischen Staatsrechtslehre und Politikwissenschaft fortspinnen. Offen bleibt jedoch, welche konkreten rechtsdogmatischen Konsequenzen er aus seiner Erkenntnis ziehen will, dass auch juristische Argumente an allgemeinen Plausibilitätsstandards teilhaben und besonders im Verfassungsrecht mit beiden Beinen in den Begrifflichkeiten der politischen Theorie stehen. Hält er es vielleicht mit Hermann Heller, dessen interdisziplinäre Perspektiven eröffnende Staatslehre als „Wirklichkeitswissenschaft” das eine, dessen normative verfassungsrechtlich-dogmatische Argumentation dann aber doch das ganz andere ist?
Die Perspektive des Buches ist eine dezidiert demokratische. Was die Freunde des Leviathan unter den deutschen Staatsrechtslehrern als Krisenphänomene des inneren Staatszerfalls beklagen, lässt sich laut Möllers auch als Demokratisierungsfolge deuten. Die Sichtweise hängt letztlich davon ab, ob und inwieweit man bereit ist, den Staat als Funktion der Selbstorganisation der Gesellschaft zu begreifen. Sein Vorschlag, juristische Staatstheorie in Demokratietheorie zu überführen, um sozialwissenschaftlich und international anschlussfähig zu sein, ist zunächst nicht mehr als ein programmatischer Ausblick.
Wer über die demokratietheoretischen Andeutungen von Möllers mehr erfahren will, muss ohnehin sein ebenfalls in diesem Jahr erschienenes handliches Buch zur Demokratie zu Rate ziehen. Die Modularisierung der Studiengänge scheint den Buchmarkt zu erreichen. „Juristische Staatstheorie können wir uns heute weniger denn je als das große Buch denken, das alles Wissen über ‚den Staat’ zusammenbindet.” Das mag so sein, aber besteht die Alternative wirklich in einer Reihe marktgängiger Taschenbücher?
Der Verfasser ist ehrlich und spricht von einer „kleinen Historie der rechtswissenschaftlichen Staatstheorie in der Bundesrepublik Deutschland”. So etwa dürften Überblicksvorlesungen in einem möglichen BA-Studiengang Öffentliches Recht aussehen. Wirklich verstehen aber lassen sich die theoretisch anspruchsvollen Debatten zwischen Schmitt und Kelsen, Heller und Smend sowie deren Nachfolgern in der Bundesrepublik auf diese Weise kaum. Der Verlag verkauft den schmalen Band denn gleich als Essay, eine reine Verlegenheitsbezeichnung für kompaktes und informatives, durchaus gut geschriebenes wissenschaftliches Daumenkino. Wer bereit ist, sich etwas mehr Zeit zu nehmen, der greife besser gleich zu Möllers gediegener Dissertation „Staat als Argument” und warte derweil gespannt auf die Ausarbeitung jener Möglichkeiten, das staatstheoretische Projekt unter den Bedingungen der Transformation des Staates fortzusetzen, die Möllers in Aussicht stellt. Ein Buch über den vermissten Leviathan nämlich kommt gegenwärtig ohnehin zu spät. DIRK LÜDDECKE
CHRISTOPH MÖLLERS: Der vermisste Leviathan. Staatstheorie in der Bundesrepublik. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 153 Seiten, 8,50 Euro.
Der Göttinger Staatsrechtler Christoph Möllers Foto: dpa
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nicht so ganz zufrieden ist Dirk Lüddecke mit diesem Buch über die Staatstheorie in der Bundesrepublik Deutschland von Christoph Möllers. Zwar schätzt er die Darstellung einerseits durchaus als "kompakt", "informativ" und "gut geschrieben. Aber Möllers' Abriss des Gedankens des Staats in Staatstheorie und Verfassungsrecht samt Abstecher in die Weimarer Zeit und in den Nationalsozialismus findet er ein wenig dünn. So stellt sich Lüddecke eher eine "Überblicksvorlesung in einem möglichen BA-Studiengang Öffentliches Recht" vor. Die anspruchsvollen Debatten deutscher Staatstheoretiker lassen sich in seinen Augen damit nicht wirklich verstehen. Er rät dem Leser, besser zu Möllers' Dissertation "Staat als Argument" zu greifen.

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