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Die Soziale Marktwirtschaft gilt als eines der Fundamente des ökonomischen Wohlstands und damit auch der politischen Legitimität der Bundesrepublik. Zu den wesentlichen Prinzipien dieses ordnungspolitischen Konzepts gehört die Koordination von Angebot und Nachfrage durch Preise, die sich ohne staatliche Beeinflussung auf Wettbewerbsmärkten bilden. Tatsächlich wurden in den fünfziger Jahren jedoch die Preise für einen erheblichen Teil des privaten Verbrauchs staatlich administriert. Der Lebensstandard der Bevölkerung, der für die gesellschaftliche Akzeptanz eines neuen Wirtschafts- und…mehr

Produktbeschreibung
Die Soziale Marktwirtschaft gilt als eines der Fundamente des ökonomischen Wohlstands und damit auch der politischen Legitimität der Bundesrepublik. Zu den wesentlichen Prinzipien dieses ordnungspolitischen Konzepts gehört die Koordination von Angebot und Nachfrage durch Preise, die sich ohne staatliche Beeinflussung auf Wettbewerbsmärkten bilden.
Tatsächlich wurden in den fünfziger Jahren jedoch die Preise für einen erheblichen Teil des privaten Verbrauchs staatlich administriert. Der Lebensstandard der Bevölkerung, der für die gesellschaftliche Akzeptanz eines neuen Wirtschafts- und Herrschaftssystems von erheblicher Bedeutung war, wurde also in nicht unerheblichem Maße durch eine staatliche Preispolitik beeinflusst, die eigentlich im Widerspruch zu diesem System stand und dennoch seinen Erfolg absicherte.
Die Studie untersucht Motive, Akteure und Ergebnisse der staatlichen Preispolitik in der Ära des Wirtschaftsministers Ludwig Erhard und eröffnet damit eine neue Perspektive auf die praktische Umsetzung des Konzepts der Sozialen Marktwirtschaft.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2006

Lückenhafte Liberalisierung
Irmgard Zürndorf analysiert die staatliche Preispolitik 1949 bis 1963

Zeitgleich mit der Währungsreform zum 20. Juni 1948 erklärte Ludwig Erhard im Rundfunk die Freigabe der bislang eingefrorenen Preise - und gab damit den Startschuß für die westdeutsche Marktwirtschaft. Juristische Grundlage des gewagten Schritts war das "Leitsätzegesetz", das Erhard gegen alle Warnungen vor einem "Sprung ins eiskalte Wasser der freien Preise" durchsetzte. Sobald die staatliche Bewirtschaftung endete und die Preise wieder reale Knappheitsgrade ausdrücken konnten, wurden Rohstoffe und Waren nicht mehr gehortet, sondern ihrer produktivsten Verwendung zugeführt. Der zuvor blühende Schwarzmarkt trocknete aus, die offizielle Produktion schnellte in die Höhe.

Allerdings war die Freigabe der Preise keinesfalls vollständig. Für eine Reihe von wichtigen Gütern, allen voran für viele Lebensmittel sowie für einige Rohstoffe wie Kohle, blieb eine administrative Preisbindung bestehen. Auch der knappe Wohnraum wurde - was angesichts der Bombenschäden und des Flüchtlingselends politisch nicht verwunderlich ist - bis in die fünfziger Jahre staatlich bewirtschaftet, die Tarifpolitik der Bahn unterstand unmittelbar der Regierung. Die Bedeutung dieser fortgesetzten staatlichen Preispolitik wird bis heute kontrovers diskutiert. Nach der klassischen Schätzung des Wirtschaftshistorikers Knut Borchardt konnte der Wirtschaftsdirektor 1948 rund 90 Prozent aller Preisvorschriften außer Kraft setzen; dagegen steht beispielsweise Ludger Lindlars fragwürdige Behauptung, Erhard habe "bestenfalls eine ,50-Prozent-Marktwirtschaft' hergestellt".

Die Wahrheit liegt dazwischen, wie Irmgard Zündorf in ihrer detaillierten Studie über die Entwicklung staatlicher Preispolitik von 1948 bis 1963 darstellt. Während der gewerbliche Bereich bald weitgehend dereguliert war, blieben in den fünfziger Jahren die Preise von etwa 30 Prozent der Güter des privaten Verbrauchs staatlich administriert. Zündorf untersucht kritisch die Motive der beteiligten Akteure, von der Regierung und der Opposition, den Gewerkschaften, Verbänden und der Agrarlobby bis hin zu den Verbrauchern. Letztere waren nur schwach organisiert, hatten aber als Fürsprecher den Wirtschaftsminister, der mehr Wettbewerb als beste Garantie für bezahlbare Preise sah. Staatliche Eingriffe, wie sie Adenauer aus wahltaktischen Gründen immer wieder erwog, scheute Erhard. Maßnahmen wie das "Jedermann-Programm" waren eher auf psychologische Wirkung angelegt. Wenn die Inflation im Zuge allzu stürmischer Konjunktur anzuziehen drohte, drang Erhard auf eine weitere Liberalisierung des Außenhandels, um mit verbilligten Importen die Lebenshaltungskosten niedrig zu halten.

Besonders die Landwirtschaft blieb nach 1948 bis heute vom marktwirtschaftlichen Wettbewerb ausgenommen. Zündorf zeichnet die Entwicklung der westdeutschen Agrarpolitik nach, die zunächst als Ziele stabile Preise und Versorgungssicherheit proklamierte, aber unter dem Einfluß des Bauernverbandes immer mehr zu einer Dauersubventionierung der Landwirte auf Kosten von Verbrauchern und Steuerzahlern verkam. Mittels protektionistischer "Marktordnungen" wurden den Bauern von den frühen fünfziger Jahren an staatliche Abnahmepreise garantiert, die über dem Weltmarktpreis lagen, zu unökonomischer Überproduktion anregten und den unvermeidlichen Strukturwandel verzögerten. Erhard kämpfte vergeblich gegen diesen Protektionismus, den die EWG-Agrarpolitik nahtlos weiterführte.

In der Wohnwirtschaft gab es in den späten fünfziger Jahren eine zaghafte Lockerung der Mietobergrenzen. Zuvor hatten die auf sehr niedrigem Niveau festgeschriebenen Mieten die Rentabilität von Immobilien beeinträchtigt; entsprechend gering war die private Bautätigkeit, an deren Stelle ein umfangreicher öffentlicher Wohnungsbau trat. Dies sind Musterbeispiele für die von Ludwig von Mises früh beschriebene Interventionsspirale: Ein Eingriff zieht notwendig den nächsten nach sich.

Obwohl Zündorf die wohlfahrtsschädigenden Ergebnisse staatlicher Preisinterventionen stellenweise andeutet, zieht sie dennoch eine positive Bilanz: Die administrative Festlegung niedriger Preise bestimmter wichtiger Güter und Dienstleistungen habe die Akzeptanz des liberalen wirtschaftlichen und politischen Systems der jungen Bundesrepublik gefördert. Zu fragen wäre, ob nicht eine beherzte Liberalisierung beispielsweise der Agrarwirtschaft auf Dauer den Lebensstandard der Bevölkerung und damit ihre Zustimmung zum neuen Staat weit mehr gehoben hätte.

PHILIP PLICKERT.

Irmgard Zündorf: Der Preis der Marktwirtschaft. Staatliche Preispolitik und Lebensstandard in Westdeutschland 1948 bis 1963. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2006, 313 Seiten, 62 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Offenbar mit Interesse hat Rezensent Philip Plickert diese "detaillierte Studie" gelesen, in der Irmgard Zündorf die staatliche Preispolitik der Bundesrepublik in den Jahren 1948 bis 1963 untersucht. Besonders berücksichtige die Autorin die Entwicklung in der Wohnwirtschaft und auf dem Agrarmarkt, der bis heute nicht dem marktwirtschaftlichen Wettbewerb unterliegt. Dabei geht sie auf die Motive der verschiedenen Beteiligten wie Regierung, Verbände, Lobbies und Verbraucher ein. Der Rezensent findet an alldem offenbar nichts zu kritisieren, hegt jedoch leise Zweifel an der These der Autorin, dass staatliche Interventionen in die Marktwirtschaft deren Akzeptanz in der Bevölkerung der jungen Bundesrepublik befördert haben, und fragt sich, ob eine weiter gehende Liberalisierung sich nicht positiver auf den Lebensstandard und die Zustimmung der Bevölkerung ausgewirkt hätte.

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