Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 29,90 €
  • Gebundenes Buch

Wilhelm II. ist bis heute eine Reizfigur, voller innerer Widersprüche und vielen gegensätzlichen Urteilen unterworfen. Gerade deswegen bleibt das Interesse an seiner Person groß. Wolfgang König, Professor für Technikgeschichte an der TU Berlin, entdeckt ganz neue Seiten an Wilhelm II. er rückt zum erstenmal die Bedeutung der modernen Technik und der neuen technisch-industriellen Welt für Weltsicht, Lebenswelt und praktische Politik des letzten deutschen Kaisers in den Mittelpunkt. Seine spannende Teilbiographie korrigiert viele falsche Überlieferungen und wirft neues Licht auf die…mehr

Produktbeschreibung
Wilhelm II. ist bis heute eine Reizfigur, voller innerer Widersprüche und vielen gegensätzlichen Urteilen unterworfen. Gerade deswegen bleibt das Interesse an seiner Person groß. Wolfgang König, Professor für Technikgeschichte an der TU Berlin, entdeckt ganz neue Seiten an Wilhelm II. er rückt zum erstenmal die Bedeutung der modernen Technik und der neuen technisch-industriellen Welt für Weltsicht, Lebenswelt und praktische Politik des letzten deutschen Kaisers in den Mittelpunkt. Seine spannende Teilbiographie korrigiert viele falsche Überlieferungen und wirft neues Licht auf die Persönlichkeit Wilhelms II. und die nach ihm benannte Zeit. Wilhelm II. war Reaktionär und Modernist in einem, der Tradition und Vergangenheit verhaftet und zugleich der Zukunft zugetan. Neuerungen wie Elektrizität, Automobile, Eisenbahnen, Funk und Flugzeuge erweckten wenn auch nicht immer sofort und nicht immer gleichermaßen sein Interesse, von seiner Begeisterung für neue Entwicklungen für die Kriegsmarine ganz zu schweigen. Wolfgang König relativiert zwar die technische Kompetenz und Konsequenz des Kaisers, schreibt ihm aber durchaus beträchtliche politische Einflüsse und gesellschaftliche Wirkmächtigkeit zu. Der Kaiser initiierte Entscheidungen und Gesetze, wenn auch eine kohärente Technologie- und Industriepolitik daraus nicht erwuchs. Seine Aktivitäten werteten Bildung und Wissenschaft, Technik und Industrie sowie Ingenieure und Industrielle auf und leisteten damit einen Beitrag zur Modernisierung Deutschlands.
Autorenporträt
Wolfgang König ist Professor für Technikgeschichte an der TU Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.10.2007

Unheimlich innovativ
Wolfgang König über den modernen Kaiser Wilhelm II.
Das Foto sagt alles. Wilhelm II., in vollem Wichs, hoch zu Ross, eben angelangt auf dem Tempelhofer Feld bei Berlin, um die Frühjahrsparade der Leibgarde abzunehmen; im Hintergrund stehen die Automobile, mit denen Kaiser und Hofstaat angerückt kamen. Solch ein Bild verdeutlicht geradezu paradigmatisch das Selbstverständnis eines Monarchen, der Rituale im historischen Gewand pflegte und der sich dabei Bequemlichkeiten des Fortschritts nicht verschloss. Historismus und Innovation verbanden sich zum Amalgam, aus dem die Medaille des Wilhelminismus geschmiedet ward – und ihre beide Seiten verkörpern die symbolischen und realen Aspekte des kaiserlich-deutschen Machtanspruchs.
Denn nur mit technischer Innovation konnte das weltweite Rennen um den Platz an der Sonne geführt werden, den Wilhelm so vehement einforderte. Um aber diesen imperialistischen Ehrgeiz zu repräsentieren, musste das Inszenierungsrepertoire des barocken Absolutismus herhalten, ein neues war nämlich noch nicht erfunden. So verkürzt sich die Botschaft solcher Fotos zur knappen Formel: durch Technik zum neuen Gottesgnadentum, durch beides zur Weltherrschaft.
Stahl, Beton und Hünengrab
Der Historiker Wolfgang König, der an der TU Berlin Technikgeschichte lehrt, präsentiert in „Wilhelm II. und die Moderne” das Wechselspiel von Tradition und Erneuerung zwischen 1888 bis 1918. „Moderne” bezeichnet dabei die Auswirkung der industriellen Revolution auf Politik und Kultur: das Zyklopische des Maschinenzeitalters als Aufforderung, endlich auch die Fesseln des Denkens zu lösen. Vielleicht zeigt die Denkmalpolitik um 1900 am klarsten, dass solche Entgrenzung Innovation und Affirmation zugleich bedeuten konnte: Erfindungsreiche Stahl- und Betonkonstruktionen überspannen monumentale Kuppelhallen, die sich nach außen als mittelalterliche Bergfriede und germanische Hünengräber tarnen.
Nur das Interessensgeflecht einer entstehenden Weltmacht vermochte solche Widersprüche zu überbrücken: Allmachtsphantasie als grundlegendes Denkmuster – an diesem Punkt trafen sich Wilhelm und die künstlerisch-technische Avantgarde. Wenngleich der Kaiser die ästhetische Revolution ablehnte und als „Kunst” allein den Historienstil der Akademie gelten ließ, blieb die Industrie immer das tertium comparationis: Bosch, Rathenau oder Siemens mochten als herausragende Repräsentanten von Reformkultur und Bürgertum den Standesdünkel des Monarchen herausfordern; doch jenseits von kulturellen Geschmacksfragen, wenn es um Technik, Wirtschaft, Fortschritt und Außenpolitik ging, zog man selbstverständlich am gleichen Strang.
Wolfgang König flicht in seine materialreiche Studie immer wieder biographische Fakten über die éducation Wilhelms II. ein, ohne den oft betonten Drang zur Kompensation seiner angeborenen Behinderung zu strapazieren. Gleichwohl wird allein im Vergleich mit den Vorgängern Wilhelms Hang zur „Übermännlichkeit” deutlich. Frühere Hohenzollernprinzen verbrachten die Wartezeit auf den Thron mit kultureller Sublimation: Friedrich II. war Philosoph, Friedrich Wilhelm IV. transformierte die Rheinprovinz zur Museumslandschaft, Friedrich III. förderte die Künste. Wilhelm II. aber spielte am liebsten Krieg, zeichnete noch als Kaiser gern Phantasieschiffe, die schwerem Seegang trotzen.
So erstaunt es kaum, dass in den Händen des Monarchen alle Technik hinsichtlich ihres Wertes für den bewaffneten Kampf gewogen wurde: Zeppeline, Autos, Funk und andere Neuerfindungen kamen schließlich zum Einsatz. Selbst der vermeintlich friedliche Gebrauch hatte Hintergedanken; Forschung, etwa an den intensiv geförderten Kaiser-Wilhelm- (heute: Max-Planck-) Instituten, war nie allein auf positivistische Welterkenntnis, sondern auf praktischen Nutzen ausgerichtet – ganz ähnlich, wie man es heute sogenannten „Schurkenstaaten” unterstellt.
Die frappierende Modernität des Kaiserreichs erscheint in dem vorliegenden Buch von Wolfgang König derart schlüssig, als habe es niemals eine andere Auffassung vom Wilhelminismus gegeben. Tatsächlich aber brauchte es Zeit, bis sich die Historiker von ihren Ressentiments befreiten. Wilhelm, der zum Vorläufer Hitlers dämonisierte erzreaktionäre Kriegstreiber – dieses Bild, genau wie das Gegenbild vom „modernen” Bürgertum, musste erst aufweichen. Auch Königs Technikgeschichte zeigt daher exemplarisch die klassen- und ideologieübergreifenden Allianzen des Kaiserreichs und fordert auf, vermeintliche Gegensätze zusammenzudenken. Nach den Kultur- und Technikhistorikern dürfte es nur ein Frage der Zeit sein, bis bald weitere Disziplinen den innovativen Zeitgeist des Kaiserreichs entdecken. Die Neubewertung des Wilhelminismus jedenfalls ist in vollem Gange. CHRISTIAN WELZBACHER
WOLFGANG KÖNIG: Wilhelm II. und die Moderne. Der Kaiser und die technisch-industrielle Welt. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn, München, Wien, Zürich 2007. 330 Seiten, 34,90 Euro.
Nehmen wir heute das Auto oder das Pferd? Wilhelm II. vor der Frühjahrsparade des Gardecorps auf dem Tempelhofer Feld (1913) Abb. aus dem besprochenen Band
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Überzeugt zeigt sich Rezensent Christian Welzbacher von der Studie des Technikhistorikers Wolfgang König über die "frappierende Modernität des Kaiserreichs" unter Wilhelm II.. Welzbacher verortet Königs Arbeit im Kontext eines sich gegenwärtig abspielenden Deutungswandels, der den preußischen Kaiser - bisher entweder als reaktionärer Kriegsherr und Vorläufer Hitlers oder als Advokat eines neuen, modernen Bürgertums gehandelt - in ein differenzierteres Licht rückt. König gelinge es, so der Rezensent lobend, beide Positionen zusammen zu denken und mittels umfangreichen Materials zu belegen, dass Wilhelm II. dem  Fortschritt gegenüber aufgeschlossen war, während er zugleich die Tradition pflegte. Denn seinem imperialistischen Anspruch habe der kriegsliebende Kaiser nur durch technische Innovation gerecht werden können, dabei aber musste "das Inszenierungsrepertoire des barocken Absolutismus herhalten, ein neues war nämlich noch nicht erfunden".

© Perlentaucher Medien GmbH