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Die KZs: isolierte, beinahe geheime Lager, in denen die SS unbemerkt ihre grenzenlose Gewalt entfalten konnte? Stimmt dieses Bild? Wie erklärt sich, daß das von Unterversorgung und extremen Gewaltverhältnissen geprägte Lagersystem auch dann noch funktionierte, als es mit hunderten von Außenlagern sichtbar in die Öffentlichkeit drang ? Am Beispiel der "SS-Baubrigaden", die als mobile Kommandos mit KZ-Häftlingen ab dem Herbst 1942 zu Aufräumarbeiten, zum Bergen von Leichen und zum Bombenräumen in rund fünfzig Städte und Gemeinden des Reiches geschickt wurden, wird das Verhalten der deutschen…mehr

Produktbeschreibung
Die KZs: isolierte, beinahe geheime Lager, in denen die SS unbemerkt ihre grenzenlose Gewalt entfalten konnte? Stimmt dieses Bild? Wie erklärt sich, daß das von Unterversorgung und extremen Gewaltverhältnissen geprägte Lagersystem auch dann noch funktionierte, als es mit hunderten von Außenlagern sichtbar in die Öffentlichkeit drang ? Am Beispiel der "SS-Baubrigaden", die als mobile Kommandos mit KZ-Häftlingen ab dem Herbst 1942 zu Aufräumarbeiten, zum Bergen von Leichen und zum Bombenräumen in rund fünfzig Städte und Gemeinden des Reiches geschickt wurden, wird das Verhalten der deutschen Gesellschaft am Lagerzaun ausgelotet. Einbezogen wird die Geschichte der ab Herbst 1944 als "Konzentrationslager auf Schienen" aufgestellten SS-Eisenbahnbaubrigaden. Das Buch stellt erstmals diese Außenlager dar, für die männliche Häftlinge aus Auschwitz, Buchenwald, Dachau, Neuengamme und Sachsenhausen herangezogen wurden. Sie entwickelten sich aus den Plänen des Reichsführers SS Heinrich Himmler, mit mobilen Häftlingsarbeitern "den Osten deutsch zu machen", Pläne, die dann aber angesichts des alliierten Bombenkriegs im Westen des Reiches geändert werden mußten. Andererseits war da die große Nachfrage der kriegszerstörten Kommunen nach Hilfskräften für die Trümmerbeseitigung. Entsprechend deutlich wird die enge Kooperation von Städten wie Berlin, Bremen, Düsseldorf, Duisburg, Hamburg, Osnabrück, Wilhelmshaven und Wuppertal) mit der SS bei der Einrichtung und dem Betrieb der Lager. Auch den Lebensbedingungen in den Lagern geht die Autorin nach. Warum starb in dem einen Lager "nur" ein Häftling, während in einem andern jeder dritte sein Leben verlor? Ein Vergleich der unterschiedlichen Gesellschaften, in die die Lager eingebettet waren (die Baubrigaden waren auch im besetzten Frankreich, Belgien und auf den Kanalinseln eingesetzt) zeigt: Es war die deutsche Kriegsgesellschaft selbst, die einen Teil des Lagerzauns bildete. Die SS-Baubrigaden waren aber auch Zeugnis für die dynamische Ausbreitung des KZ-Systems, die durch die Kooperation von Hans Kammler, dem Leiter des SS-Bauwesens, und Albert Speer, dem Rüstungsminister, ab 1943 einsetzte. Sowohl bei der Verlagerung der Rüstungsindustrie unter die Erde als auch bei der Produktion und dem Einsatz von V-Waffen sollten die SS-Baubrigaden eingesetzt werden. Hunderte von Häftlingen starben, weil die Option auf den "Endsieg" bis in die letzten Kriegstage hinein aufrecht erhalten wurde. Das gut geschriebene Buch legt die gesellschaftliche Verankerung der KZs offen und ist damit ein wichtiger Beitrag für eine "Sozialgeschichte des Terrors", die das überlieferte Bild einer Gesellschaft, die bei den Verbrechen immer nur daneben gestanden hat, demontiert.
Autorenporträt
Karola Fings, Dr. phil., geb. 1962, promovierte mit dieser Arbeit an der Univ. Düsseldorf. Als Historikerin hat sie Studien zur nationalsozialistischen Zigeunerverfolgung, zu Zwangsarbeit, KZ-Außenlagern und zur Remigration in die Bundesrepublik publiziert.
Sie ist stv. Direktorin im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2005

Volksgenossen als Lagerzaun
KZ-Häftlinge der SS-Baubrigaden mußten durch Luftangriffe verwüstete Städte aufräumen

Karola Fings: Krieg, Gesellschaft und KZ. Himmlers SS-Baubrigaden. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2005. 412 Seiten, 45,- [Euro].

Über das nationalsozialistische Konzentrationslagersystem sind zahllose wissenschaftliche Arbeiten erschienen. Aber der "SS-Staat" (Eugen Kogon) war so komplex, daß immer noch neue Forschungsergebnisse zutage gefördert werden können. Wer weiß schon, daß 1943/44 Tausende von KZ-Häftlingen in den zerbombten deutschen Städten unter den Augen der Bevölkerung Trümmer beseitigten und Leichen bargen? Wer weiß schon, daß im letzten Kriegsjahr in Deutschland Eisenbahnzüge als "mobile Konzentrationslager" unterwegs waren, deren schwerbewachte Insassen die durch alliierte Luftangriffe zerstörten Gleisanlagen reparieren mußten?

Dieses düstere Kapitel in der Geschichte des NS-Terrorsystems, über das in der bisherigen Literatur nur verstreute Hinweise zu finden sind, wird jetzt von Karola Fings erstmals in zusammenhängender Weise dargestellt - auf der Grundlage gründlicher Quellenrecherche und in einer dem Gegenstand angemessenen Sprache. Das Interesse gilt dabei zum einen Organisation und Tätigkeit der fünf SS-Baubrigaden (zu denen 1944 noch acht Eisenbahnbaubrigaden hinzukamen), zum anderen dem Verhalten der deutschen "Umgebungsgesellschaft" gegenüber den Häftlingen. Waren die Baubrigaden doch der für eine breitere Öffentlichkeit am frühesten sichtbar werdende Teil des Lagerkosmos.

In Erwartung einer baldigen Unterwerfung der Sowjetunion ließ Heinrich Himmler Ende 1941 ein "vorläufiges Friedensbauprogramm" entwickeln: Unter Einsatz von KZ-Häftlingen sollten im Deutschen Reich und in den eroberten Ostgebieten Großbauten für SS und Polizei errichtet werden. Doch als man 1942 mit der Aufstellung der Baubrigaden begann, hatte sich die Kriegslage entscheidend verändert. Mit dem Beginn der alliierten Luftoffensive gegen deutsche Städte im Frühjahr 1942 wurde Deutschland zum "Heimatkriegsgebiet" (Hermann Göring), und so waren es zunächst die durch Flächenbombardements verwüsteten Städte Köln, Düsseldorf, Duisburg, Essen und Osnabrück, in denen im Herbst 1942 die Baubrigaden zum Einsatz kamen. Zum erstenmal arbeiteten große Häftlingskommandos weit entfernt von den Hauptlagern inmitten von Städten.

Die Baubrigaden - mehrere tausend aus den Konzentrationslagern Buchenwald, Neuengamme und Sachsenhausen rekrutierte Häftlinge überwiegend sowjetrussischer und polnischer Nationalität - wurden, oft provisorisch und primitiv, in zentraler Lage der Städte untergebracht. Während die Lagerleitung und der Wachdienst von der SS mit der üblichen Brutalität ausgeübt wurden, hatten die am Häftlingseinsatz stark interessierten Kommunalverwaltungen für Unterkunft und Verpflegung zu sorgen (die dort Beschäftigten konnten daher von den Zuständen in den Lagern erfahren).

Eingehend beschreibt Fings die Arbeit des Häftlingskommandos und die unmenschlichen Bedingungen, unter denen die unterernährten Häftlinge die schwere körperliche, mit hoher Verletzungsgefahr verbundene Arbeit zu leisten hatten: Beseitigung ungeheurer Schuttmassen, Bergung von Verschütteten und Leichen, Bau von Luftschutzbunkern, Freilegung und Sprengung von Bomben. So sahen sich - um ein Beispiel anzuführen - die Häftlinge der Baubrigade II mit unbeschreiblichen Zuständen konfrontiert, als sie nach den verheerenden Luftangriffen auf Hamburg (22. Juli bis 3. August 1943) in den besonders schwer zerstörten, zur "toten Zone" erklärten und hermetisch abgesperrten Stadtteilen Hammerbrook und Hamm zum Einsatz kamen. Dort sammelten sie im Trümmerfeld viele tausend, in der Sommerhitze schon aufquellende Leichen, stapelten sie und bespritzten sie mit Kalk: "Die Häftlinge selbst waren so mit menschlichem Fett getränkt, daß man sie aus der Entfernung von einem halben Kilometer riechen konnte."

Viele Häftlinge verloren das Leben: durch Unterernährung, mangelnde ärztliche Versorgung, Unfälle bei der Arbeit, Bombenangriffe (denen sie schutzlos ausgesetzt wurden), aber auch durch Mißhandlungen und gezielte Mordtaten der SS. Nach den Ermittlungen von Fings waren die "Todesraten" bei den verschiedenen Brigaden sehr unterschiedlich, sie lagen aber, verglichen mit der Sterblichkeit in den KZ-Hauptlagern, "nur wenig unter dem Durchschnitt und von Fall zu Fall darüber".

1944 wurden die Baubrigaden aus den zerstörten Städten abgezogen und an andere Einsatzorte verlegt. Die Baubrigade I arbeitete auf der Kanalinsel Alderney am Ausbau der dortigen Küstenbefestigung als Teil des "Atlantikwalls", die Baubrigade V in der Normandie am Bau von Stellungen und Nachschubanlagen für die "V-Waffen", die Baubrigaden III und IV an Projekten im Harz im Zusammenhang mit der Verlagerung von Teilen der deutschen Rüstungsindustrie in unterirdische Produktionsstätten, ein Vorhaben, auf das sich Hitler, Himmler und Albert Speer im August 1943 verständigt hatten. Auch die Bau- und Eisenbahnbaubrigaden gingen - wie der Großteil der KZ-Häftlinge - auf verlustreiche Evakuierungstransporte und -märsche. Deren Verlauf läßt sich nur schwer auf einen Nenner bringen. Frau Frings zeigt, daß es für die Angehörigen der Baubrigaden von vielen Faktoren abhing, ob ein Transport einem Todesmarsch gleichkam oder ob die letzten Wochen noch relativ glimpflich überstanden werden konnten.

Und wie verhielten sich die Einwohner in den von den Bombenangriffen heimgesuchten Städten gegenüber den Häftlingen, die aus den Trümmern Verschüttete retteten und Leichen bargen? Die von der SS angestrebte Isolierung der Häftlinge ließ sich in den Städten nicht durchführen. Auf den Arbeitsstellen und im Umfeld der Lager ergaben sich täglich Kontaktmöglichkeiten. Zwar wird über gelegentliche Lebensmittelgaben berichtet, aber Interventionen bei Gewalttätigkeiten der SS waren ganz seltene Ausnahmefälle. So gelangt Frau Fings in der Zusammenschau zahlreicher Einzelbefunde zu der Feststellung, daß die städtische Kriegsgesellschaft "nicht in einem für die KZ-Häftlinge positiven Sinne auf die KZ-Außenlager eingewirkt hat". Die Bevölkerung identifizierte sich fast ausnahmslos mit den Tätern, nicht mit deren Opfern: sie bildete "einen Teil des Lagerzauns".

EBERHARD KOLB

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ein "düsteres Kapitel in der Geschichte des NS-Terrorsystems" nennt Rezensent Eberhard Kolb das Wirken der SS-Baubrigaden, die Karola Fings in vorliegendem Buch erstmals im Zusammenhang, auf der Grundlage "gründlicher Quellenrecherche" und in einer dem "Gegenstand angemessenen Sprache" darstellt. Fings Interesse sieht er zum einen in der Organisation und Tätigkeit der SS-Baubrigaden, in denen KZ-Häftlinge die durch Luftangriffe verwüsteten deutschen Städte aufräumen mussten, zum anderen im Verhalten der deutschen "Umgebungsgesellschaft" gegenüber den Häftlingen. Frings beschreibt "eingehend" die Arbeit des Häftlingskommandos und die unmenschlichen Bedingungen, unter denen die Häftlinge ihre Arbeit zu leisten hatten. Was das Verhalten der Einwohner in den von den Bombenangriffen heimgesuchten Städten gegenüber den Häftlingen, die aus den Trümmern Verschüttete retteten und Leichen bargen, angeht, so komme die Autorin zu dem Ergebnis, dass die städtische Kriegsgesellschaft "nicht in einem für die KZ-Häftlinge positiven Sinne auf die KZ-Außenlager eingewirkt hat" (Fings).

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