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In drei außergewöhnlich sensiblen Erzählungen bringt Colum McCann das Kunststück fertig, den nordirischen Bürgerkrieg und dessen Ursachen zu beschreiben, ohne das Thema ein einziges Mal direkt zu nennen. Allein durch die Poesie und die Bildkraft seiner Sprache gelingt es ihm, im Besonderen des oft vergessenen politischen Dramas das Allgemein-Menschliche zu zeigen. Er macht deutlich, wie Feindschaft zwischen den Menschen in den Köpfen entsteht und sich verfestigt. Etwa am Beispiel eines pubertierenden Jungen, der die bittere Erfahrung macht, dass Heldentum seinen Preis hat, oder an dem einer…mehr

Produktbeschreibung
In drei außergewöhnlich sensiblen Erzählungen bringt Colum McCann das Kunststück fertig, den nordirischen Bürgerkrieg und dessen Ursachen zu beschreiben, ohne das Thema ein einziges Mal direkt zu nennen. Allein durch die Poesie und die Bildkraft seiner Sprache gelingt es ihm, im Besonderen des oft vergessenen politischen Dramas das Allgemein-Menschliche zu zeigen. Er macht deutlich, wie Feindschaft zwischen den Menschen in den Köpfen entsteht und sich verfestigt. Etwa am Beispiel eines pubertierenden Jungen, der die bittere Erfahrung macht, dass Heldentum seinen Preis hat, oder an dem einer jungen Frau, die dem falschen Mann ihre Sympathie schenkt und das Liebste verliert, was sie hat. Einer der besten irischen Autoren seiner Generation erhebt hier die Stimme für die Menschlichkeit - ohne politisch Stellung zu nehmen, aber mit der poetischen Kraft und der wilden Melancholie des betroffenen Dichters.
Autorenporträt
Colum McCann wurde 1965 in Dublin geboren. Er arbeitete als Journalist, Farmarbeiter und Lehrer und unternahm lange Reisen durch Asien, Europa und Amerika. für seine Erzählungen erhielt McCann, der heute in New York lebt, zahlreiche Literaturpreise, unter anderem den Hennessy Award for Irish Literature sowie den Rooney Prize.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.04.2001

Im Kajak über den Atlantik
Colum McCanns Erzählungen · Von Burkhard Scherer

Kaum etwas spricht dagegen, in einem solchen Ort den Urlaub zu verbringen: Es gibt Strand, Klippen, einen kleinen Hafen und auch sonst die touristisch erwünschte Infrastruktur. Der dreizehnjährige Kevin aus Derry in Nordirland ist aber unzufrieden darüber, daß ihn seine Mutter im Frühsommer 1981 in dieses irische Küstenstädtchen in der Grafschaft Galway umgepflanzt hat. "Es ist total blöd hier", beklagt er sich im aufgebockten Wohnwagen, den die beiden in Klippennähe bezogen haben. Es gibt Urlauber um diese Zeit, das Motiv von Kevins Mutter für diesen Ortswechsel ist aber differenzierter und hat mit Politik zu tun: Zum allabendlichen Ritual in Derry gehörte es, eine in der Badewanne eingeweichte Decke hinter die Haustür zu legen und sich nach der Dämmerung ohne Licht durch das Haus zu bewegen. Die feuchte Decke soll gegen Brandanschläge helfen, die Verdunkelung Gewehrschützen die Arbeit erschweren.

Derry war ein Hauptschauplatz im nordirischen Bürgerkrieg. Der eskalierte im Frühsommer 1981 mit dem Hungerstreik der IRA-Häftlinge, die auf diese Weise den Status als politische Häftlinge durchsetzen wollten - deshalb der Rückzug 200 Kilometer nach Südwesten. Als Kevin und seine Mutter in Südirland ankommen, sind bereits vier Gefangene aus der IRA tot, unter ihnen der zum Säulenheiligen gewordene Bobby Sands, der als Hungerstreikender ins Parlament gewählt worden ist. Für jeden toten Gefangenen nimmt ein anderer den Hungerstreik auf, so das Konzept der IRA. Und einer von denen ist Kevins Onkel.

Deshalb will der Junge auch "dort" sein, deshalb findet er es "total blöd hier". Dort wird um Leben und Tod gekämpft, hier lassen ältere Menschen Kajaks zu Wasser. Dort könnte man zum Helden werden, hier kann man höchstens Punkte in der Spielhalle sammeln. Dort könnte man zum Mann werden, hier kann man nur versteckt am Strand masturbieren, wenn das blonde Mädchen in der Nähe ist. Aber die Mutter läßt Kevin nicht ziehen, und als er es heimlich mit Geld aus ihrer Handtasche auf eigene Faust versucht - "Briten raus, ich komme" -, mobilisiert sie die Polizei, die den Jungen im Bus nach Derry abpaßt und zurückbringt.

Das Gebiet möglichen Heldentums bleibt unerreichbar fern. Verbindung schaffen nur Zeitungen, das Radio, das ihm die Mutter besorgt, und die Telefonzelle am Pier, in der sich manchmal Kevins Großmutter meldet, die Mutter des hungerstreikenden Onkels, und von Verhandlungen zwischen den Streikenden und der Regierung berichtet, von steigender oder schwindender Hoffnung auf einen Durchbruch und von der immer dramatischer werdenden Gewichtsabnahme ihres Sohnes. Dabei war der Kampf des Onkels, mit dem sich der Junge jetzt immer mehr identifiziert, in Derry nicht ihr Kampf.

Kevin hat den Bruder seines Vaters nur auf Zeitungsfotos gesehen, seine Mutter hat ihn nie im Gefängnis besucht. Aber je schwächer der Hungerstreikende wird, desto größer wird er für den Jungen, der an seiner Seite kämpft, indem er Pfähle am Strand mit Steinen bewirft, die er als britische Soldaten imaginiert. Neben dem symbolisch politisch engagierten Leben entfaltet sich zunehmend ein Jungenleben: Kevin spricht einen alten Mann an, ob er dessen Paddelboot benutzen könne. Der unterrichtet ihn in der Handhabung und wird sein Freund. Obendrein hat der Alte mit dieser irischen Angelegenheit, dem Konflikt zwischen Iren und Briten, Republikanern und Unionisten, Katholiken und Protestanten, nichts zu schaffen; ihn und seine Frau hat das Leben aus Litauen hierher verschlagen, und Vytis und Rasa gelingt es auf unauffällige Weise, ein menschengerechtes Leben zu führen. Auch diese Haltung sickert in den Jungen ein und reibt sich schließlich so stark mit der enragierten, daß er sich nur noch mit einem hilflosen Vandalenakt an Vytis' Kajak zu helfen weiß.

So wie hier in der Novelle "Hungerstreik" ein Paddelboot sterben muß, weil ein Mensch von gewalttätiger Politik erreicht wird, so ist es in der Kurzgeschichte "Wie alles in diesem Land" , die McCanns Buch eröffnet und ihm den Titel gab, ein Pferd, das von seinem Besitzer erschossen wird, weil es sich von britischen Soldaten aus einem Fluß hat retten lassen, was der Besitzer selbst vergeblich versucht hatte. Es waren aber gleichermaßen britische Soldaten, die vor Jahren seine Frau und seinen Sohn mit einem Armeelaster töteten, nach Gerichtsmeinung bei einem tragischen Unfall und deshalb ohne juristische Konsequenzen. Auch hier ist ein junger Mensch im Zentrum, die Tochter des Pferdebesitzers, Halbwaise wie Kevin, dessen Vater ebenfalls bei einem Autounfall umkam, ohne gemutmaßtes oder tatsächliches Fremdverschulden.

In "Holz", der zweiten Kurzgeschichte des Bandes, geht es "nur" um ein moralisches Vergehen, eines an einem weitgehend gelähmten Tischler, der sich nie dazu hergegeben hätte, politischen Extremismus zu unterstützen. Nun drechseln sein halbwüchsiger Sohn Andrew und seine Frau hinter seinem Rücken vierzig Stangen für die Fahnen beim Marsch der Oranier, und das in seinem Sägewerk.

Der Verrat am Vater, die sinnlose Tötung des Lieblingspferdes und die Zerstörung eines sehr geschätzten Kajaks markieren die Kulminationspunkte innerer Konflikte, die so nur qua Penetrierung des individuellen Lebens durch ein außerpersönliches Übel entstehen können. Man könnte McCanns drei Texte auch als Illustration des strapazierten Adorno-Satzes nehmen, nach dem es kein richtiges Leben im falschen gibt. Diese kommt aber nicht pädagogisch, sondern subtil daher. Die Geschichten ziehen den Leser in sich hinein, um ihn darin allein zu lassen. Sie bieten nicht viel Orientierung. So, wie die Akteure oft nicht einmal einen Namen haben, sondern nur mit ihren Funktionsbezeichnungen innerhalb des Familienverbundes identifiziert werden, so haben sie auch kaum historischen Hintergrund oder figürliche Tiefe. Man kann das als Mangel sehen wie auch als Möglichkeit, sie als Leser damit zu versorgen. Der Rezensent ist nach der zweiten Variante verfahren, und das hat gut funktioniert.

Colum McCann selbst dürfte von der geschilderten Problematik biographisch weit entfernt sein. Er wuchs bürgerlich behütet in Dublin auf, wohnt seit mehr als zehn Jahren in New York und hat in vorangegangenen Büchern gezeigt, daß es ihm nicht um die Zurschaustellung seiner Irishness geht. "Wie alles in diesem Land" ist nun der Nachweis, daß er auch sehr irisch kann. Abgesehen von einem für diese Verhältnisse verblüffend niedrigen Alkoholpegel: Der einzige, der sich mal ein Glas gegönnt hat oder ein paar mehr, ist ein Farmer, der Kevin beim Trampen in Richtung Norden mitnimmt. An seiner Mutter riecht er, selbst wenn sie von ihrem Job als Sängerin im Pub zurück in den Wohnwagen kommt, nur die Schnäpse und Biere, die sie nicht getrunken hat.

Colum McCann: "Wie alles in diesem Land". Deutsch von Dirk van Gunsteren und Matthias Müller. Rowohlt Verlag, Reinbek 2001. 160 S., geb., 39,90 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Allein die Titelstory hat dem Rezensenten mehr über den gegenwärtigen Stand des Nordirland-Konflikts verraten als die vielen, vorwiegend zynischen Romane der 90er. Als symptomatisch für die in den drei Texten verfolgte Erzählstrategie erkennt er die Verlagerung des Geschehens auf vermeintliche Nebenschauplätze, weg von den "Mikrokosmen der Fanatiker, um von unschuldigeren Opfern berichten zu können", weg auch von den historischen Ursachen der Gewalt, "denn die Berufung auf die Geschichte der Insel hat zu viel Unheil gestiftet." Überaus subtil findet H. G. Pflaum zudem die "ebenso intensive wie lapidare Erzählweise" des Autors, die den Leser zur Aufmerksamkeit zwingt. Dennoch: Radikalen pro-britischen Protestanten will der Rezensent das Buch lieber nicht empfehlen, der Autor, meint er, schreibt schließlich "Derry", nicht "Londonderry".

© Perlentaucher Medien GmbH
"McCann beschwört das Leiden der Gegenwart und den Schmerz der Vergangenheit." (Frank McCourt)