Schade – dieser Artikel ist leider ausverkauft. Sobald wir wissen, ob und wann der Artikel wieder verfügbar ist, informieren wir Sie an dieser Stelle.

minimale äußerliche Macken und Stempel, einwandfreies Innenleben. Schnell sein! Nur begrenzt verfügbar. Lieferung nur solange der Vorrat reicht!
  • Gebundenes Buch

Spätestens seit seinem Weltbestseller "Middlesex" wissen wir, dass Jeffrey Eugenides über Liebe, Ehe und Identitätskrisen wie kaum ein Zweiter schreiben kann. Die Sammlung von Erzählungen, in Amerika seine erste überhaupt, zeigt ihn nun wieder auf der Höhe seiner Kunst. "Das große Experiment " handelt von Menschen, die in Schwierigkeiten stecken - meist sind es Ehepaare, Paare. Da ist ein Familienvater, der im Garten an der Feuerstelle sitzt und auf sein Haus schaut, das er nach einem Seitensprung nicht mehr betreten darf. Da ist ein junges Mädchen, das von den indischen Eltern an einen…mehr

Produktbeschreibung
Spätestens seit seinem Weltbestseller "Middlesex" wissen wir, dass Jeffrey Eugenides über Liebe, Ehe und Identitätskrisen wie kaum ein Zweiter schreiben kann. Die Sammlung von Erzählungen, in Amerika seine erste überhaupt, zeigt ihn nun wieder auf der Höhe seiner Kunst.
"Das große Experiment " handelt von Menschen, die in Schwierigkeiten stecken - meist sind es Ehepaare, Paare. Da ist ein Familienvater, der im Garten an der Feuerstelle sitzt und auf sein Haus schaut, das er nach einem Seitensprung nicht mehr betreten darf. Da ist ein junges Mädchen, das von den indischen Eltern an einen Unbekannten verheiratet werden soll; um dem zu entgehen, verführt sie einen Mann, der nicht weiß, dass sie noch minderjährig ist, und wirft ihn dadurch aus der Bahn. Da ist ein Lektor, der viel arbeitet und trotzdem so wenig verdient, dass seine beiden Kinder oft woanders übernachten müssen, weil zu Hause das Geld fürs Heizen fehlt; also beschließt er, sich das dringend Benötigte selbst zu beschaffen, und veruntreut das Vermögen seines Chefs. Da ist die 88-jährige Della, die mit einer Demenz-Diagnose in ein Pflegeheim kommt; ihre langjährige Freundin entführt sie trotz Schneesturm-Warnung aus der Stadt. Und schließlich ist da noch die junge Frau, die sich per Bratenspritze ihren Kinderwunsch erfüllen will.
Verkappte Romane oder doch eher nicht? Jeffrey Eugenides, der "Epiker" unter den amerikanischen Romanautoren, ist auch ein Meister der kleineren Form - das zeigen diese virtuos komponierten und mit großer Menschenkenntnis erzählten Geschichten.
Autorenporträt
Eugenides, JeffreyJeffrey Eugenides, geboren 1960 in Detroit/Michigan, bekam 2003 für seinen weltweit gefeierten Roman "Middlesex" den Pulitzer-Preis und den "Welt"-Literaturpreis verliehen. Sein erster Roman "Die Selbstmord-Schwestern" wurde 1999 von Sofia Coppola verfilmt. Außerdem veröffentlichte er die Anthologie "Der Spatz meiner Herrin ist tot. Große Liebesgeschichten der Weltliteratur" und den Roman "Die Liebeshandlung", für den er den Prix Fitzgerald und den Madame Figaro Literary Prize erhielt. Er lehrt als Lewis and Loretta Glucksman Professor Amerikanische Literatur an der New York University in New York.
Rezensionen
1. Die Erzählung des Lebens

Eine Frau beschließt, eine andere Frau zu entführen. Die Voraussetzungen für die Tat sind nicht gut, es schneit, ein Sturm zieht auf, die Kinder der Frau, die entführt werden soll, kennen die Täterin, sie haben ihre Nummer und mögen sie sowieso schon nicht. Cathy aber möchte Della entführen. Della ist Cathys Freundin, seit dreißig Jahren, damals haben sie sich auf einer Fachschule für Krankenpflegerinnen kennengelernt, aber jetzt ist Della alt, und die Ärzte haben erklärt, dass sie nicht mehr Auto fahren und keinen Herd mehr benutzen soll, und weil ihr Sohn, Mitarbeiter einer Versicherungsgesellschaft in Hartford, glaubt, was die Ärzte sagen, wurde Della in ein Altenheim verfrachtet, wo sie einzugehen droht. So beginnt "Klagende", die erste Geschichte in Jeffrey Eugenides' Erzählungsband "Das große Experiment", der zum Besten gehört, was gerade in Amerika geschrieben wird, was man schon an dieser Stelle verraten muss - denn die Geschichte einer geschiedenen Krankenpflegerin, die einer alten Ex-Krankenpflegerin helfen will, könnte auch sehr rührselig werden oder so klingen, wie der Warteraum eines Provinzaltenheims riecht. Beides ist nicht der Fall, im Gegenteil: Man liest ein paar Seiten und wird durch einen Strudel von Rückblenden und Schnitten mitten hineingerissen in eine dunkle amerikanische Geschichte, in die Lebenskatastrophen der Nachkriegsgeneration und der Babyboomer.

Es gibt kaum jemanden, der so wie Eugenides aus einer derart alltäglichen Szene - eine Frau besucht eine andere Frau im Heim - binnen weniger Seiten, weniger Sätze, ein Porträt einer Nation und ihrer Insassen, ein Panoramabild der Gefühle, Träume und Traumata einer Epoche, eine Geschichte voller existentialistischer Energie entwickeln kann. Die beiden Frauen hauen ab aus der Seniorenresidenz, die keine Residenz, sondern eine Alteneinlagerungshalle ist, sie riskieren die Fahrt durch den Sturm, fahren zurück in Dellas altes Leben, in ihr altes Haus, und stellen fest, dass sie sehr wohl dort weiterleben kann. Sie sind Nachfahrinnen von Albert Camus' hommes revoltés und - wie viele Figuren in dieser Geschichtensammlung - Menschen, die sich mit allen (oft illegalen) Mitteln gegen das scheinbar Unvermeidliche auflehnen. Im Französischen gibt es dafür den schönen Ausdruck "corriger la fortune", was sinngemäß "betrügen", wörtlich aber "das Schicksal berichtigen" heißt: man kann sich auch mit den Göttern anlegen, man muss das Schicksal nicht akzeptieren, alles kann verändert werden. Man könnte Eugenides einen großen Humanisten nennen, wenn die Humanisten nicht immer schon wüssten, was der Mensch ist und wie er sein soll: Bei Eugenides darf der sich selbst erfinden, wie schon in seinem großen, eineinhalb Jahrzehnte vor der LGBT-Debatte erschienenen Roman "Middlesex", in dem nicht klar sein muss, ob jemand nun ein Mann oder eine Frau ist.

Fast alle Geschichten in "Das große Experiment" handeln von Menschen, die kurz vor oder kurz nach einer Katastrophe versuchen, weiterzumachen - darin sind sie sehr amerikanisch, und manchmal hört man ferne Echos der Figuren von Saul Bellow und Ernest Hemingway: Zwei Angestellte versuchen, ihren Chef zu betrügen, der ihnen nicht einmal die Krankenversicherung zahlt; ein Wissenschaftler, der öffentlich gedemütigt wurde, sitzt im Dschungel, wo er beweisen will, dass er recht hat, und gerät in immer dunklere Abgründe. Ein Clavichordspieler muss sich eingestehen, dass er gescheitert ist, wie auch seine Frau, die glaubt, mit Stofftieren, die beim Erhitzen in der Mikrowelle wohlriechende Dürfte abgeben, den Markt erobern zu können. Ein Mann sitzt draußen in der Kälte vor seinem Haus, das er nach einem Sorgerechtsstreit nicht mehr betreten darf, und beobachtet das Fenster, hinter dem seine 13-jährige Tochter sitzt und mit ihm Online-Scrabble spielt. Allein in dieser Szene ist das ganze Drama einer gescheiterten Familie konzentriert. Alle Erzählungen in diesem Buch sind solche Konzentrate; zusammen ergeben sie eine neue Form von großem amerikanischen Roman - so, wie wenn man nachts in die zahllosen erleuchteten Fenster einer Hochhausskyline schaut und in der Summe all der sich dort zeigenden Figuren, die etwas suchen und etwas bereuen und kämpfen und Essen und Sport und Fehler machen, seine eigene Gegenwart versteht.

Niklas Maak

Jeffrey Eugenides: "Das Große Experiment". Erzählungen. Aus dem Englischen von Gregor Hens. Rowohlt, 336 Seiten, 22 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
Jeffrey Eugenides' Erzählungsband "Das große Experiment" gehört zum Besten, was gerade in Amerika geschrieben wird. (...) zusammen ergeben die Erzählungen eine neue Form von großem amerikanischen Roman. Niklas Maak Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 20181125