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Das Unmaß kapitalistischer Rücksichtslosigkeit und Bereicherung, aber auch das Unmaß religiösen Anspruchs auf Wahrheit und lebenspraktische Verbindlichkeit geben längst Anlass zur Sorge, dass der Mensch durch beides ernsthaft Schaden nimmt. Doch nicht nur die Maßlosigkeit, auch die Mäßigung bestimmt seit jeher das Verhalten und Handeln der Menschen. Beide brauchen und bedingen einander: Im Fühlen, Denken und Wollen, Schaffen und Gestalten feiert die Maßlosigkeit nicht weniger ihre Triumphe als im Wünschen und Begehren, aber immer nur im Spiegel der Mäßigung. Maßlosigkeit und Mäßigung sind…mehr

Produktbeschreibung
Das Unmaß kapitalistischer Rücksichtslosigkeit und Bereicherung, aber auch das Unmaß religiösen Anspruchs auf Wahrheit und lebenspraktische Verbindlichkeit geben längst Anlass zur Sorge, dass der Mensch durch beides ernsthaft Schaden nimmt. Doch nicht nur die Maßlosigkeit, auch die Mäßigung bestimmt seit jeher das Verhalten und Handeln der Menschen. Beide brauchen und bedingen einander: Im Fühlen, Denken und Wollen, Schaffen und Gestalten feiert die Maßlosigkeit nicht weniger ihre Triumphe als im Wünschen und Begehren, aber immer nur im Spiegel der Mäßigung. Maßlosigkeit und Mäßigung sind gleichermaßen im Spiel, wenn es um ein fruchtbares lebensteiliges Miteinander in Gemeinschaft und Gesellschaft geht. Geraten die beiden Kräfte des Maßes aber auf Dauer aus der Balance, so führen die Verselbständigungen beider zu Paradoxa: Die Kräfte der Mäßigung gebärden sich maßlos, die Maßlosigkeit erklärt sich zum Maß aller Dinge. Doch dieses Wechselspiel ist auch das Belebende des Lebens. Sowie das Leben den Tod benötigt, hat das Maßvolle das Maßlose nötig. In diesem Sinne erweist sich das vermeintlich Unnötige als existentiell Notwendiges. Dies zeigt sich auch in der Kunst - allem zuvor in der Lebenskunst.Aus dem Inhalt:A. Ökonomische MaßlosigkeitB. Ökonomische Antworten auf ökonomische MaßlosigkeitC. Philosophische Antworten auf ökonomische MaßlosigkeitD. Philosophische und religiöse MaßlosigkeitE. Die Maßlosigkeit der KunstF. Leben ohne SelbstnötigungKurt Flasch zu Rainer Martens vorherigem Buch ("Die Möglichkeit des Unmöglichen"):"Martens gewichtiges Buch ist von seltenem Ideenreichtum und regt zu einer Reihe von Fragen an."
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.02.2010

Das Vollendende wird für diesen Abend jetzt erreicht
Der Freiburger Philosoph Rainer Marten denkt über Maß und Maßlosigkeit nach – und kann die Balance zwischen beiden nur in der Kunst entdecken
„Gibt es auf Erden ein Maß? Es gibt keines.” Wer die Worte Friedrich Hölderlins als Bestätigung moralischer Orientierungsnot in selbst wirtschaftlich dürftigen Zeiten verstünde, wäre damit zwar nicht einmal schlecht beraten, hätte aber das Poetische an ihnen schon verspielt. Nicht anders erginge es dem, der sich allen Ernstes an Gott sein Maß nähme und wahrhaft danach trachtete, ihn nachzuahmen. Das kann ersichtlich keine praktische Handlungsanweisung sein. Und doch haben es Philosophen seit Platon immer wieder so gehalten und erdacht, dass des Menschen Ziel die Verähnlichung mit Gott sei. So auch in Hölderlins Gedicht „In lieblicher Bläue”: „Ist unbekannt Gott? Ist er offenbar wie der Himmel? dieses glaube ich eher. Des Menschen Maß ist’s.”
Gibt es auf Erden Maßlosigkeit? Keine Frage. In seinem neuesten Buch denkt der Freiburger Philosoph Rainer Marten zwei Formen menschlicher Maßlosigkeit mit verblüffender Plausibilität zusammen. „Als leibhaft-lebendige Existenz ist DER MENSCH]maßlos um sich selbst besorgt, als geistige Existenz ist er maßlos von sich selbst enttäuscht.” Es ist jene erste Maßlosigkeit, welcher der Kapitalismus seine ungebrochene ökonomische Vormachtstellung verdankt.
Doch Vorsicht! Dies ist nicht das Buch zur Krise. Mit den eilfertigen Forderungen, nun müssten endlich die Tugenden des ehrbaren Kaufmannes wieder zur Geltung kommen, hat dieses Buch nichts gemein. Tugendappelle und spröde Aufrufe zum Maßhalten richten nichts aus. Das Buch hält eine gründliche Desillusionierung bereit. Weder auf ökonomische noch auf traditionelle philosophische Antworten kann setzen, wer der ökonomischen Maßlosigkeit aller Zeiten mäßigend begegnen will. Im Einzelnen schlägt der Autor dabei einen weiten geistesgeschichtlichen Bogen von Xenophon über Adam Smith bis Joseph Schumpeter, von Platon und Aristoteles bis zum heutigen Papst. So wird deutlich: Das garstige kapitalistische Leitmotiv maßloser Bereicherung ist nicht erst ein spätes Zivilisationsphänomen der Neuzeit.
Indessen nutzen Religion und Philosophie die maßlose Enttäuschung des Menschen darüber, kein Gott zu sein – die „erste Wahrheit aller Negativen Philosophie” –, auf ihre Weise aus, um sich selbst als das, was wahrhaft not tut, zu präsentieren. In der neoliberalen Ökonomie der frühen Bundesrepublik wollte man sogar, was heute überraschen mag, beides noch als miteinander verbunden ansehen. „Das Maß der Wirtschaft ist der Mensch. Das Maß des Menschen ist sein Verhältnis zu Gott.” So verstand einst Wilhelm Röpke, einer der Väter der Sozialen Marktwirtschaft, den verklammernden Grundsatz seiner als liberalen Humanismus deklarierten ökonomischen Theologie. Doch dieser Einklang ist ein reines Postulat, für das es weder in der Ökonomie noch in der traditionellen religiösen wie philosophischen „Selbsternötigung” Anhaltspunkte gibt, wie Marten verdeutlicht. Wie es ungedeckte Schecks gibt, so gibt es ungedeckte Gedanken.
Ist denn aber alles ganz eitel? Sind die Versuche, die ökonomischen Triebfedern zu mäßigen, vergeblich, und bleiben Philosophie und Religion, um das Humanum auf ihre Weise besorgt, unverbesserlich überheblich? Aussichtsreich zu sein verspricht nach Rainer Marten allein die Kunst. Schon in Philosophie und Religion ist sie am Werk, den Denkkünstlern und Glaubenspoeten indes zumeist verborgen und ihrem Selbstverständnis als Wissenden und in der Wahrheit Stehenden zum Trotz, wie es das vorangegangene Buch „Die Möglichkeit des Unmöglichen. Zur Poesie in Religion und Philosophie” ausführlich dargelegt hatte. Philosophie und Religion, ja das Leben selbst sind nach dem Modell der Kunst zu denken, nicht umgekehrt. So sei der Glaube, wo er sich theologisch nicht verhärte, „eine Kunstform gelingenden Lebens”. Kunst schaffe, als Lebenskunst, ein freies Verhältnis zur Endlichkeit des Lebens; als Kunst der Lebensteilung stelle sie die Balance von Maßlosigkeit und Mäßigung her.
Damit Kunst aber sein kann, was Marten ihr zuspricht und sich von ihr verspricht, sind etliche Missverständnisse fernzuhalten. Hier wird der Stil ganz apodiktisch. Widerspruchsfrei nimmt man es noch hin, dass Kunst nicht Religion sei. Sie soll aber auch „eine sinnlich-geistige Gegenmacht zu jeder Art von Eschatologie” und ein Gegner alles Utopischen sein. Aber ist das so? Und warum, möchte man fragen, nimmt Marten ausgerechnet die Utopie nur für das, wofür sie ihrem Selbstmissverständnis nach sich hält, nämlich als das durchaus realisierbare, obzwar vertagte, Projekt menschlicher Wesensfülle im gesellschaftlichen Dasein der Zukunft? Schon die erste Utopie, die des Thomas Morus, nahm die Sache scherzhafter, spielerischer, aber auch nuancenreicher. Der Bericht von Utopia ist in einem konkreten erzählten Hier und Jetzt verortet, und die Konzeption einer mehr bürgerlichen Philosophie (philosophia civilior) bricht den utopischen Gedanken der idealen Gesellschaftsformierung im Werk des Thomas Morus selber auf. So gesehen sind Utopien nicht zwingend im längst desavouierten Sinne „utopisch”, sondern überwinden die Grenzen der Realität, insoweit diese nur als zwanghafte Enge erfahren wird. Utopien widersetzen sich der Tyrannei der Aktualität, darin der Kunst ganz ähnlich.
Gleichwohl ist der zeitliche Modus der Kunst gegenwärtig und ereignishaft. „Mag Kunst auch den letzten Tag auf die Bühne bringen, so geht sie dabei nicht weniger voll in ihrer Präsenz auf. Das zeitlich Letzte und Vollendende wird für diesen Abend jetzt erreicht.” Kunst, wie Rainer Marten sie versteht, vertagt das Humanum nicht in das eschatologisch Künftige und entortet es nicht im historisch blamierten utopischen Sinne mit großer verneinender Gebärde. Sie hält sich vielmehr im Rhythmus des gelebten endlichen Lebens, das Wachen und Schlafen kennt, Geborenwerden und Sterben, Zusammenkommen und Trennen, Frieden und Streit, aber auch Mäßigung und Maßlosigkeit. Wer darin nur das ausgleichende Sowohl-als-auch versteht, überhört, wie in all dieser Rhythmizität immer auch etwas liegt, das über das Maß des Gewöhnlichen hinausreicht. So haben wir Maßlosigkeit noch nicht gedacht.
DIRK LÜDDECKE
RAINER MARTEN: Maßlosigkeit. Zur Notwendigkeit des Unnötigen. Karl Alber, Freiburg 2009. 265 Seiten, 19 Euro.
Kapitalismus ist maßlos – doch Vorsicht, dies ist nicht das Buch zur Krise!
Keine Religion hilft, keine Utopie, nur der Rhythmus des endlichen Lebens
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nein, dies sei kein Buch zur Krise mit wohlfeilen Ratschlägen gegen ökonomische Maßlosigkeit, schickt Rezensent Dirk Lüddecke seiner Besprechung voraus. Und vertieft sich in den weiten geschichtlichen Bogen, von Xenophon bis zu unserem Mann in Rom, den der Autor in seinem Buch beschreibt. Deutlich wird für ihn dabei nicht nur, dass die maßlose Bereicherung keinesfalls eine Erfindung der Neuzeit ist. Auch die Aussichtslosigkeit, durch Philosophie und Religion mäßigend eingreifen zu können, macht ihm Marten bewusst, bevor er "hier ganz apodiktisch" die Kunst erst von einigen Missverständnissen befreit und sie sodann zum einzig heilversprechenden notwendigen Korrektiv erklärt. Auch wenn er nicht mit allem einverstanden ist, was er hier erfährt, so wie mit Rainer Marten hat Dirk Lüddecke Maßlosigkeit noch nicht gedacht.

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