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"Die Liebe muß wandern von einem zum anderen, wie das Ringlein damals in der Vorschule. Mir war nie ein Ring in die Hände gefallen, obwohl man ihn immer bei mir vermutet hatte." Alles ist in Bewegung, die Liebe folgt keinem Gesetz, genau wie das Leben. Und ebendeshalb stecken die Geschichten der jungen Ariane Grundies voller Überraschungen: Frisch und verschmitzt finden sie das Besondere im Alltäglichen und entlocken dem Spiel zwischen Männern und Frauen seine unausgesprochenen Geheimnisse. Da erzählt ein junges Mädchen von ihrer Tante Sissi, der bekanntesten Hure der Stadt, die beschlossen…mehr

Produktbeschreibung
"Die Liebe muß wandern von einem zum anderen, wie das Ringlein damals in der Vorschule. Mir war nie ein Ring in die Hände gefallen, obwohl man ihn immer bei mir vermutet hatte." Alles ist in Bewegung, die Liebe folgt keinem Gesetz, genau wie das Leben. Und ebendeshalb stecken die Geschichten der jungen Ariane Grundies voller Überraschungen: Frisch und verschmitzt finden sie das Besondere im Alltäglichen und entlocken dem Spiel zwischen Männern und Frauen seine unausgesprochenen Geheimnisse. Da erzählt ein junges Mädchen von ihrer Tante Sissi, der bekanntesten Hure der Stadt, die beschlossen hat, daß ihre Nichte erwachsen genug sei. Da fahren zwei Frauen mit einem blauen Wohnwagen ans Ende der Welt, um herauszufinden, wer der Richtige ist. Und da ist Kummer, der vielleicht in Ramona verliebt ist, ganz sicher aber von Patricia ein Kind erwartet.
Autorenporträt
Ariane Grundies, geb. 1979 in Stralsund, studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Ihre Erzählungen erschienen in verschiedenen Anthologien. Ariane Grundies lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.03.2004

Hol den Bolzenschneider
Die Liebe ist versaut: Das Erzähldebüt von Ariane Grundies

In diesen Geschichten geht es immer um das eine. Fast könnte man dahinter eine geschickte Marketingstrategie vermuten. Denn wer interessiert sich nicht für die Liebe? Der Cover-Text zum Geschichtenband "Schön sind immer die andern" der fünfundzwanzigjährigen Debütantin Ariane Grundies lockt jedenfalls mit Variationen über den ebenso bekannten wie enigmatischen Zustand: "Die Liebe folgt keinem Gesetz, alles ist Bewegung, genau wie im Leben", kündet er simpel und programmatisch an.

Die Eingangserzählung doppelt in gleicher Richtung nach. "Die Liebe muß wandern von einem zum andern, wie das Ringlein damals in der Vorschule", heißt es in agilem Klassikerverschnitt - Schuberts "Winterreise" winkt von ferne, aber eben auch wieder nicht. Bei diesem Satz stockt man bereits zum ersten Mal. Eine naive Anfängerin ist es demnach nicht, die hier schreibt. Dazu ist dieses Signal, das auf gebrochene Gefühlslage und die nur bedingte Haltbarkeit der legendären Himmelsmacht hinweist, viel zu gekonnt gesetzt.

Generalthema des Erzählbandes ist also zuerst das Verfallsdatum, dann die Zufälligkeit und erst danach die Liebe. Diese Schriftstellerin geht zielsicher ans Werk. Kein Wunder, denn Ariane Grundies hat das Deutsche Literaturinstitut in Leipzig besucht und das Schreiben gelernt. Weniger eindeutig ist, ob der Stoff sie tatsächlich so existentiell umtreibt, daß sie nicht anders kann, als darüber zu schreiben, und sie ihm neue Facetten abzwingt. Im Zentrum ihrer Geschichten dreht sich zwar die Liebe wie jene fluoreszierenden Kugeln, aus denen Hellseherinnen gewöhnlich die Fährnisse des Schicksals ableiten. Aber weil wir es mit einer coolen, flapsigen, altklugen Autorin zu tun haben, der man in amourösen Lebensfragen nichts mehr vormachen muß, wird jede Gefühlsregung auf der Stelle flachgeredet. Der kleinste irrationale Ausschlag wird ausbalanciert, jede aufzuckende Erregung nivelliert. So will es der Zeitgeist.

Damit wäre schon einmal das erste Gesetz definiert, nach dem die Mechanik dieser Texte funktioniert. Hier soll, das begreifen wir auf der Stelle, das Lebensgefühl der jüngsten Generation plakativ vorgeführt werden. Lili, Sissi, Puppi, Sascha, Yvonne, Loïc, Karl, Furo, Jonny, Roberta und alle anderen, die über den Bildschirm dieser Autorin surfen, ticken in der gleichen Weise: Von den Unwägbarkeiten des Schicksals aufeinander zugetrieben, werden sie durch ihre Neurosen oder ganz einfach durch die Wirrnisse des Lebens schon bald wieder auseinandergeführt. Für die Liebe sind sie zu kaputt, für Beziehungen zu beschädigt, aber hinter jedem Wort sollen wir den Hunger nach Zuwendung und die schale Einsamkeit spüren, welche diese lockeren Großstadttypen umtreiben - zynische Abgebrühtheit als Deckmotiv für den Beziehungsmangel einer Generation.

Wie das vor sich geht, präsentiert die Eingangsgeschichte mit dem Titel "Aster": Die Beziehung des Paares im Mittelpunkt artet in ein Debakel aus, das achselzuckend hingenommen, sogar systembedingt von Anfang an mitgerechnet wird: Kummer liebt Ramona, aber Kummer liebt natürlich auch Patricia. Ramona macht das nichts aus. Und Patricia macht es nichts aus, daß Ramona von Kummer ein Kind erwartet. Achtzehn Stunden liegt Ramona in den Wehen. Einfach ist das aber nicht mit ihrem Körper. Das illustriert auch die Eheringgeschichte, die dem vorausging. Kummer schob ihr den Ring auf den Finger, sie gab ihm einen Kuß und nahm seinen Namen an. Aber es war so kalt in der Kirche, ihre Finger angeschwollen und taub, und so mußte kurz darauf ein Feuerwehrmann den Ring mit dem Bolzenschneider vom Finger trennen. So viel schlichter Zeitgeist - oder sollen wir es so sagen: so viel brave Rezepttreue - bestürzt. Denn nach diesem Verfahren kann es ewig so weitergehen.

Allerdings mildert der Hang zur grotesken Überzeichnung, der sich da und dort findet, das Erstaunen doch wieder. Die grellen Einfälle, welche die Autorin da und dort konsequent schräge inszeniert, stimmen sogar versöhnlich. Der Text "Das Badezimmer" ist in dieser Hinsicht einer der stärksten des Buches. "Meine Tante Sissi ist die bekannteste Hure der Stadt. Sie steht an der Straße, wie die anderen Mädchen auch, aber anders. Immer den Po zur Straße, sagt Sissi. Und viele halten an, wegen ihrem Po, denn der ist so riesig, daß er über die Strumpfhalter quillt" - so hebt die Geschichte an.

Die Tante liegt den ganzen Tag im Bad, das Wasser quillt bei jeder Bewegung über den Wannenrand, ihre Haut ist alt und schrumpelig. Puppi, das traurige Kind, sitzt bei ihr, muß ihr die Nägel schneiden und heult dabei die ganze Zeit. Da weiß die Tante einen Ausweg. Ob sie schon einmal geküßt habe, fragt sie Puppi, und jetzt muß das Kind versuchsweise die Lippen schürzen, und die Hure malt ihr mit dem Stift an den Lippen herum, und dann bringt sie Puppi eines Tages den unglücklichen Jungen mit dem weißen Pferd aus dem Zirkus nach Hause, aber ohne Pferd, "weil man sich nur von dem trösten lassen kann, was einem das Unglück zugefügt hat, Puppi. Die Liebe macht alles kaputt und alles heile und überhaupt geht es immer nur darum", sinniert die monströse Schönheit der Nacht, die für das Kind Lösungen in ihrem Rahmen, einem aus ihrer Sicht vollkommen logischen Rahmen, parat hat.

Dieser Verschnitt aus Märchen, Initiationsgeschichte, Erziehungsroman und deformierter Gefühlserfahrung hat jene Eigenständigkeit, die dann doch wieder von der Begabung der jungen Autorin zeugt. Die surreale Inszenierung einer destruktiven, traurigen, liebessüchtigen Welt bricht die mechanische Jugendliteratur-Leier plötzlich auf und macht überraschende Klänge hörbar.

PIA REINACHER

Ariane Grundies: "Schön sind immer die andern". Erzählungen. Piper Verlag, München 2004. 173 S., geb., 15,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Schon wieder eine Leipziger Debütantin, und natürlich geht es um das "Lebensgefühl der jüngsten Generation"! Pia Reinacher ist ziemlich ermüdet von der "zielsicheren" Kurzprosa der Autorin und findet vieles an ihrem Buch typisch: die handwerkliche Sicherheit, die Abgeklärtheit der Haltung, das Zerrüttete der geschilderten Liebesvergeblichkeitsgeschichten. "So will es der Zeitgeist", schreibt die Rezensentin und greift zu ihrer bösesten Formulierung: "brave Rezepttreue". Immerhin hat sie inmitten der kreativen Korrektheit dann doch noch echte Begabung, Eigenständigkeit und Grund für einen versöhnlichen Ausklang gefunden: in der mit grotesken Einfällen spielenden Geschichte "Das Schlafzimmer".

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.11.2004

Das Leben ist eine Schultüte
Ohne Nudossi: Ariane Grundies erzählt von jungen Menschen im Nirgendwo
Sie sind um die zwanzig, aber sie lassen sich nicht piercen und gehen nicht in Discos. Sie sehen nicht fern, in ihrer Welt gibt es kein Internet und keine Klingeltöne. Stattdessen kochen sie Götterspeise, schütteln Schneekugeln, und in ihren Mundwinkeln klebt Blaubeersaft. Sie tragen Namen, wie man sie normalerweise Stofftieren gibt: Babette, Ronja, Lilli, Jonny oder Lori. Die Jugendlichen, von denen Ariane Grundies in ihrem Kurzgeschichtenband „Schön sind immer die andern” erzählt, handeln und fühlen, als wären sie gerade acht Jahre alt geworden. Es ist für sie die einzige Möglichkeit zu bestehen.
Es geht um Kinder, aber es sind keine „Zonenkinder”, die Ariane Grundies, geboren 1979 in Stralsund, beschreibt. Von den politischen Umbrüchen haben ihre Figuren nichts mitbekommen; sie sind in eine neue Zeit hineingewachsen, ohne je Sehnsucht nach einer alten gespürt zu haben. Sie wissen nicht, wie sie als Erwachsene sein sollen, aber sie können sich auch nicht an dem festhalten, was sie als Kinder einmal waren.
Es ist bezeichnend, dass Dinge wie „Nudossi”, Rotkäppchensekt oder das Sandmännchen in diesem Buch erst gar nicht erwähnt werden. Anders als bei Jana Hensel und anderen Autoren aus dem Osten, die ihre Nachwende-Jugend hochschreiben, gibt es bei Ariane Grundies nicht einmal mehr ein gemeinsames Verlustgefühl, das sich als identitätsstiftend erweisen könnte. Wo die einen versuchen, sich durch das Beschwören von Kindheitserinnerungen zu profilieren, scheint für Ariane Grundies Individualität nur mehr möglich, wenn man selbst zum Kind wird.
„Schöner sind immer die andern” spielt in einer regredierten Welt. Die Figuren gehen in den Zirkus, pflücken Blumen und machen sich über die Haare alter Damen lustig. Ihr Leben ist eine Schultüte, überschaubar und bunt, eine harmlose Erfahrung folgt auf die andere. Glück ist, wenn ein Junge einem Mädchen, „immer wenn sie am Schultor zusammen mit den anderen aus dem Bus hüpft, in die Haare pustet”, Unglück, wenn das Haustier stirbt oder mit den Eltern etwas nicht stimmt. Die Figuren haben weder Abgründe noch sind sie oberflächlich, sie sind keine „Charaktere”, sondern werden wahrgenommen, wie Kinder wahrnehmen, als „dicke Frau”, „die Sportlerin” oder „der Mann”.
Tante Sissi hat keinen Mann
Konsequent spart die Autorin in ihren Erzählungen jegliches Bezugssystem aus, man weiß nicht, wo diese Geschichten spielen und wann. Viele Erzählungen könnten genauso gut Märchen sein oder Schulaufsätze, die Grenzen von Phantasie und Dummheit sind fließend. „Sie stellt ihm eine Tupperdose mit Erdbeeren auf den Schoß. Die kleinen grünen Blätter sehen aus wie eine Clownsquaste. Niemandem ist zum Lachen zumute”, heißt es in der Erzählung „Aster”.
Die Beziehungen, die geführt werden, sind wie aus Bilderbüchern, kontextlos und entsexualisiert. Man küsst sich mit verschmierten Mündern oder begräbt gemeinsam das tote Haustier. Heiraten und Kinderkriegen erscheinen nur als eine andere Form, „Vater-Mutter-Kind” zu spielen. Niemand arbeitet oder macht eine Ausbildung, ständig präsent sind dafür Mütter, Cousinen und Tanten, über die es etwa heißt: „Tante Sissi hat keinen richtigen Mann, keine richtigen Kinder und einen Hund überhaupt nicht.”
Man muss diese Geschichten nicht mögen. Man kann aber auch nicht viel Böses gegen sie vorbringen, sie wollen ja nichts. Sie sind zurückgenommen bis zur Selbstauflösung, es gibt keine Rebellion, nur Regression. Der Stil klingt ein wenig nach Literaturinstitut. Die Sätze sind kurz und klar, man wird keine sprachlichen Wagnisse finden, aber auch keine Fehltritte. In ihrer infantilen Süße sind diese Erzählungen wie die jungen Mädchen, die man nach der Schule auf der Straße zusammenstehen sieht. Lieb, aber irgendwie auch alle gleich, sodass man immer den Eindruck hat, sie wollten einander vor der Welt tarnen.
Manchmal traut sich eine mehr und trägt bauchfrei, die sticht dann aus der Menge hervor, so wie in diesem Erzählband die Geschichte „Das Badezimmer” hervorsticht. Es geht um ein Kind, das nach dem Tod der Mutter bei seiner Tante lebt, und die ist „die bekannteste Hure der Stadt”. Als das kleine Mädchen wieder einmal traurig ist, bringt die Tante einen kleinen Jungen aus dem Zirkus in die Wohnung und setzt die beiden zusammen in die Badewanne. Diese Geschichte hat eine surreale Note und etwas unerwartet Neckisches, ein wenig wie der gepiercte Nabel an einem Mädchen, dem sonst nichts einfällt, um aufzufallen.
VERENA MAYER
ARIANE GRUNDIES: Schön sind immer die andern. Erzählungen. Piper Verlag, München 2004. 176 Seiten, 15,90 Euro.
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