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"Der alte Teufel", so nannte meine Großmutter ihren Mann. Für sie gehörten Männer und Frauen zwei unterschiedlichen Rassen an, und jede Vermischung war heller Wahnsinn. Doch auf diese tragische Vermischung hatten sich die Großeltern von Lorna Sage eingelassen, eine Scheidung kam im Wales der 50er Jahre nicht in Frage. Zumal ihr Großvater, ein notorischer Trinker und Frauenheld, als Pfarrer der ländlichen Gemeinde Hanmer vorstand. Der Großmutter blieb also nur die Verachtung für ihren Mann und das Leben mit ihm; parfümierte Seife und Pralinen dienten ihr als Ersatz, und sie verbrachte den…mehr

Produktbeschreibung
"Der alte Teufel", so nannte meine Großmutter ihren Mann. Für sie gehörten Männer und Frauen zwei unterschiedlichen Rassen an, und jede Vermischung war heller Wahnsinn. Doch auf diese tragische Vermischung hatten sich die Großeltern von Lorna Sage eingelassen, eine Scheidung kam im Wales der 50er Jahre nicht in Frage. Zumal ihr Großvater, ein notorischer Trinker und Frauenheld, als Pfarrer der ländlichen Gemeinde Hanmer vorstand. Der Großmutter blieb also nur die Verachtung für ihren Mann und das Leben mit ihm; parfümierte Seife und Pralinen dienten ihr als Ersatz, und sie verbrachte den größten Teil des Tages im Bett. Nach dem Tod ihres Großvaters und dem Umzug der Familie in ein neues, modernes Gemeindehaus, sollte die 10jährige Lorna erkennen, daß auch die Ehe ihrer Eltern unter keinem guten Stern stand. Doch ihr früher Vorsatz, niemals zu heiraten, fällt sehr bald den Umständen zum Opfer - die Memoiren einer außergewöhnlichen Frau, herzzerreißend, ernüchternd und bitterkomisch zugleich.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.11.2005

Böse Mädchen gehen an die Uni
Klug, gewitzt und mutig: Die Erinnerungen von Lorna Sage

Ein abgelegenes Dorf an der Grenze zwischen England und Wales in der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Die Zeit scheint stehengeblieben zu sein. Ein uralter Gutssitz; ein paar Honoratioren und größere Farmer, die meisten aber Kleinbauern und Knechte. Mittendrin, malerisch hinter einem See gelegen, das Pfarrhaus und die Kirche aus dem achtzehnten Jahrhundert, umgeben vom Friedhof. Die Vorstellungswelt, die Sitten und Gebräuche - daran haben zwei Weltkriege nichts geändert - stammen aus dem neunzehnten Jahrhundert. Bei Rosamund Pilcher wäre das die Kulisse für einen erbaulichen Liebesroman. Bei Lorna Sage ist es ein Höllenschauplatz.

Der Teufel erscheint mit flatternder Soutane gleich im ersten Satz. Es ist der Großvater, der Dorfpfarrer, hinter dem die kleine Lorna herläuft. Die beiden sind die Hauptfiguren dieses blendend erzählten Erinnerungsbuchs, das, bis zum neunzehnten Lebensjahr der Erzählerin reichend, auch eine weibliche Emanzipationsgeschichte darstellt. "Bad Blood", so der englische Titel, ist kein medizinischer, sondern ein moralischer Befund. Das "böse Blut", aber auch die Liebe zu den Büchern verbindet Großvater und Enkelin.

Lorna Sage, geboren 1943, war Professorin der Anglistik an der Universität East Anglia und renommierte Literaturkritikerin großer Londoner Blätter. "Women's Writing", wofür "Frauenliteratur" eine unzulängliche Übersetzung ist, galt ihr besonderes Interesse. "Bad Blood" ist ihr einziges erzählendes Buch. Es erschien im Jahr 2000 und wurde in Großbritannien ein Überraschungsbestseller. Im Januar 2001, wenige Tage nachdem es mit dem Whitbread-Preis für Biographie ausgezeichnet worden war, starb die Verfasserin im Alter von siebenundfünfzig Jahren.

Lorna Sages Memoiren lesen sich wie ein Roman. Sie erzählt mit einem an der großen englischen Literatur geschulten Blick kühl, distanziert, ohne alle Koketterie oder Larmoyanz die Geschichte von drei Ehen, drei Generationen. Der erste Teil handelt von den Großeltern, einem in abgrundtiefem Haß einander verbundenen Paar. Der Mann, Säufer und Schürzenjäger, hängt frustriert verlorenen Ambitionen nach. Die Frau, fett, faul und von viktorianischer Abneigung gegen Männer erfüllt, lebt ihre "private Scheidung". Der "alte Teufel", mit dem sie, ohne zu reden, unter einem Dach haust, zahlt ihr, nachdem sie ein Notizheft mit Vermerken seiner Seitensprünge gefunden hat, ein regelmäßiges Schweigegeld. Mit sardonischem Humor, durchsetzt von glänzenden Aperçus, beschwört Sage den schmutzstarrenden Haushalt mit seiner Insel einer parfümierten Großmutterwelt, in der man sich von Toast und Schokolade ernährt.

Als "Haussklavin" hält sich das monströse Paar Lornas Mutter, die, nachdem der Pfarrer ihre beste Freundin verführt hat, in puritanischer Infantilität verharrt. Immerhin, sie verliebt sich und heiratet. Zwar ist Lornas Vater, der ein Kohlenauto fährt, nicht standesgemäß - der Pfarrer gilt in dieser Welt, was immer er tut, als Gentleman -, doch im Krieg macht er Karriere, besucht die Militärakademie Sandhurst, wird Offizier, der nach der Heimkehr die immer besser florierende Firma und die Familie nach militärischen Regeln zu führen trachtet. Er ist der eigentliche Gentleman der Sippe, der seine lebensuntüchtige Frau auf Händen trägt und die Hexe von Schwiegermutter nach dem Tod des Pfarrers bei sich aufnimmt. Völlig unangestrengt verwebt Sage das Leben ihrer Familie mit den tiefgreifenden Veränderungen Englands in den fünfziger Jahren.

Lorna wird zum frühreifen, unausstehlichen Teenager. "Ich spielte das gescheite, ungeliebte Kind, das fortgeschickt wird und sich im Wald verirrt, seinen Weg aber trotzdem findet." Sie liest wahllos, was ihr in die Hände fällt. "Lady Chatterley's Lover", damals noch der englische Skandalroman schlechthin, wird ihr Lieblingsbuch, Latein ihr Rettungsanker. Sie lernt leicht, ist immer Klassenbeste, widersetzt sich dem Konsens der Zeit, daß Frauen sich entscheiden müßten: entweder Bücher oder Männer.

Sehr komisch wird ein Schulball beschrieben, die Vorbereitungen, die Moralpredigten, die Erwartungen. Da ist das Aroma der Epoche eingefangen, das in Deutschland damals nicht viel anders war. Statt des "Prinzen des Ennui", auf den der verstiegene Blaustrumpf hofft, bleibt das junge Mädchen an einem Victor Sage hängen, einem Burschen mit schweißnassen Händen, der nach verbotenem Biergenuß riecht, was ihn interessant macht. Ein paar Monate später ist sie, gerade sechzehn Jahre alt, schwanger. Lorna will es nicht glauben. Sie hat nicht die Wonnen der Liebe erlebt, wie sie ihr literarischer Abgott D.H. Lawrence beschrieben hat. Als sie sich weigert, in ein Heim für gefallene Mädchen zu gehen, verheiraten die Eltern sie auf der Stelle.

Der dritte Teil, das Leben des jungen Paars, bleibt eine Skizze. Sage konzentriert sich auf die ersten Ehemonate. In einer von Ängsten durchsetzten, vernünftigen Verliebtheit leben sie, nur aufs Lernen konzentriert, wie Brüderchen und Schwesterchen im eiskalten Haus der Eltern, als skandalumwitterte Außenseiter abgeschottet von der Welt. Den Schulabschluß schafft die junge Mutter mit Glanz und Gloria. Zäh kämpft sie um den Zugang zur Universität. Schließlich erhält das Paar in Durham einen Studienplatz und ein Stipendium. "An der Universität waren wir endlich zu Hause." Drei Jahre später legen beide mit Bestnoten die Abschlußprüfung in Anglistik ab. Sie sind einundzwanzig Jahre alt.

Eine Erfolgsstory also, ein intelligentes, übrigens glanzvoll übersetztes Buch, das jungen Frauen Mut zum eigenen Weg machen soll. Zur Authentizität der Erinnerungen tragen nicht wenig die zwei Dutzend Fotos aus dem Familienalbum bei, kleinformatig, schwarzweiß, leicht verschwommen. Auf ihnen sieht man erstaunlicherweise keine Monstren, sondern gewöhnliche Leute.

RENATE SCHOSTACK

Lorna Sage: "Die Anfänge meiner Welt". Walisische Erinnerungen. Aus dem Englischen von Barbara Heller. Piper Verlag, München 2005. 287 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

" Intelligent, blendend erzählt und "glanzvoll übersetzt" findet Rezensentin Renate Schostack das Buch der 2001 früh verstorbenen englischen Literaturprofessorin über ihre Kindheit und frühe Jugend. Das, Schostacks Informationen zufolge, "einzige erzählende Buch" Lorna Sages sei in Großbritannien vor fünf Jahren ein Überraschungsbestseller gewesen. Mit "an der großen englischen Literatur geschultem Blick" erzähle Sage darin die Geschichte von drei Generationen ihrer Familie in einem Dorf an der Grenze zwischen England und Wales. Für eine Autorin wie Rosamunde Pilcher wäre dies die romantische Kulisse für "einen erbaulichen Liebesroman" geworden. Im vorliegenden Fall handele es sich um einen "Höllenschauplatz". Es beginne mit den Großeltern, einem einander "in abgrundtiefem Haß verbundenem Paar". Mit "sardonischem Humor" und durchsetzt von "glänzenden Apercus" sieht die Rezensentin im Roman einen schmutzstarrenden Haushalt mit "seiner Insel einer parfümierten Großmutterwelt" beschworen. Hauptfiguren sind, so Schostack, der Großvater und das Kind Lorna, das am Ende des Romans mit Bestnoten seinen Universitätsabschluss ablegt. Völlig unangestrengt verwebt Sage zur Begeisterung der Rezensentin in ihrem Buch das Leben ihrer Familie mit den tiefgreifenden Veränderungen Englands in den Fünfziger Jahren, dass Schostack das "Aroma der Epoche" oft förmlich spüren kann.

© Perlentaucher Medien GmbH"…mehr