Ein Pariser Staranwalt taucht im Amsterdamer Hafenviertel unter. In einer atemberaubenden Beichte bekennt Jean-Baptiste Clamence seine Sünden und hält der Welt einen Spiegel vor. - In Paris trat er als Fürsprecher der Armen und Rechtlosen auf. Sein Erfolg und das Schwelgen in der eigenen Hochherzigkeit machten ihn zu einem grenzenlos selbstzufriedenen Mann. Bis er eines Nachts einer Selbstmörderin, die in letzte Minute um Hilfe rief, nicht beistand. Seither büßt er seine Sünden inmitten der Amsterdamer Unterwelt, scharfsinnig, hochintelligent, witzig und rigoros in seiner Selbstbezichtigung - und richtet gleichzeitig über die ganze Menschheit.
CD 1 | |||
1 | Darf Ich Es Wagen, Monsieur... | 00:11:27 | |
2 | Sie Wollen Schon Aufbrechen?... | 00:10:20 | |
3 | Was Ein Buß-Richter Sei?... | 00:09:32 | |
4 | Das Sind Lauter Kleine Einzelzüge... | 00:11:55 | |
5 | Wie Bitte? Welchen Abend?... | 00:13:56 | |
6 | Im Ernst, Verehrtester, Ich Bin Ihnen Dankbar... | 00:22:11 | |
CD 2 | |||
1 | Setzen Wir Uns Auf Diese Bank... | 00:11:45 | |
2 | Nun Ist Aber Die Nachprüfung Nie Endgültig... | 00:13:11 | |
3 | Ein Puppendorf, Finden Sie Nicht Auch?... | 00:10:52 | |
4 | Meine Beziehungen Zu Den Mitmenschen Bleiben Scheinbar Dieselben... | 00:10:53 | |
5 | Geduld? Sie Haben Zweifellos Recht... | 00:19:32 | |
CD 3 | |||
1 | Sie Täuschen Sich, Mein Lieber... | 00:19:52 | |
2 | Nein, Mir Fehlt Nichts... | 00:11:26 | |
3 | Es Ist Mir äußerst Unangenehm, Sie Im Bett Zu Empfangen... | 00:12:46 | |
4 | Oh, Die Tür!... | 00:18:01 | |
5 | Als Erstes Schloß Ich Meine Anwaltspraxis... | 00:17:37 |
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.09.2004Wenn die Hoffnung endlich keine Qual mehr ist
Albert Camus „Der Fall”, gelesen von Ulrich Matthes
Der stärkste Eindruck dieses Hörbuchs ist die Wirrnis von Gedanken. Albert Camus Buch „Der Fall” wurde 1956 veröffentlicht und hat ihm ein Jahr darauf den Nobelpreis eingebracht, weshalb dieses Buch nun, nach den Lesungen von „Die Pest” und „Der Fremde”, in der „Reihe Literaturnobelpreisträger” des Patmos-Verlages erscheint. Auf der Innenseite der CD-Verpackung wird der Sekretär der Schwedischen Akademie Anders Österling anlässlich Camus Ehrung zitiert: „In seine Werke, geprägt von klassischer, stilistischer Reinheit und Konzentration, fließen seine Überlegungen derart ein, dass Personen und ihre Handlungen - vom Autor unkommentiert - seine Ideen leben, vorführen.” Nun, die von Handlungen gelebten Ideen nehmen es mit der Wirrnis des „Falls” auf.
Eine Handlung hat dieses Buch, sei es nun Roman, Erzählung oder Essay genannt, fast nicht, es besteht aus einer Rede. Ein Pariser Tourist in Amsterdam teilt mit dem Hörbuchhörer das Erleben, sich die Rede anhören zu müssen. Gehalten wird sie von dem ehemaligen Anwalt Jean-Baptiste Clamence, an welchem den Touristen wohl der Gegensatz zwischen verkommener Erscheinung und gepflegter Rede zu interessieren scheint.
Clamence redet über seine Selbstverliebtheit, seine Selbstsicherheit, seine Selbsterkenntnis und beweist, dass Tugenden Laster sind, weil die Bescheidenheit nur der Huldigung des Bescheidenen dient. Ebenso entlarvt er die Demut als Herrschsucht, weil der Demütige sich an der Dankbarkeit anderer labt. Vielfach wird das ausgebreitet, in Varianten wiedergekäut. Camus wollte es wohl als Beichte verstanden wissen von einem traumatisierten Egoisten, der einer Frau nicht half, die von einer Brücke in die Seine sprang und deren Schrei ihn nun verfolgt, obwohl er vermutlich gar nicht hätte helfen können, so weit war er vom Tatort entfernt. Nun driftet er durch die Amsterdamer Unterwelt und nennt sich „Buß-Richter” - geschwollener kann man kaum büßen.
Will man „stilistische Konzentration” in diesem eitlen, säuerlichen, humorlosen Geschwafel finden, muss man sehr suchen. Ein typischer Absatz: „Wenn man einen gewissen Grad hellsichtigen Rausches erreicht hat, spät in der Nacht zwischen zwei Dirnen liegt und jeden Verlangens ledig ist, dann ist die Hoffnung keine Qual mehr.” Darüber möchte man vielleicht mal ein paar Nachmittage grübeln, denn so gut sich das sagt, dass die Hoffnung keine Qual mehr ist, so wenig klar ist es, aber da geht es schon weiter: „Der Geist herrscht über alle Zeiten, und der Lebensschmerz ist auf immer vorbei.”
Ob Ulrich Matthes Verantwortung für die einschläfernde Wirkung dieser langweiligen Predigt des Existenzialismus trägt? Nein. Matthes beherrscht sein Handwerk. Er verleiht dem vom Gegensprecher abgeschnittenen Dialog an jenen Stellen Leben, an denen einmal geächzt und gestöhnt und pausiert werden kann. Matthes holt das letzte bisschen Bewegung aus der Grammatik dieser Sätze. Aber sie sind so bleiern. Da kann auch ein so vorzüglicher Sprecher wie Matthes nichts retten; gerade die angenehme Modulation lullt den Hörer ein - es ist eine Scheinbewegung, denn „Der Fall” von Camus ist weder interessant noch unterhaltend, von Spannung ganz zu schweigen.
MARTIN Z. SCHRÖDER
ALBERT CAMUS: Der Fall. Aus dem Französischen von Guido G. Meister. Gesprochen von Ulrich Matthes. 225 min. Patmos Verlag, Düsseldorf 2004. 3 CD, 19,95 Euro.
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Albert Camus „Der Fall”, gelesen von Ulrich Matthes
Der stärkste Eindruck dieses Hörbuchs ist die Wirrnis von Gedanken. Albert Camus Buch „Der Fall” wurde 1956 veröffentlicht und hat ihm ein Jahr darauf den Nobelpreis eingebracht, weshalb dieses Buch nun, nach den Lesungen von „Die Pest” und „Der Fremde”, in der „Reihe Literaturnobelpreisträger” des Patmos-Verlages erscheint. Auf der Innenseite der CD-Verpackung wird der Sekretär der Schwedischen Akademie Anders Österling anlässlich Camus Ehrung zitiert: „In seine Werke, geprägt von klassischer, stilistischer Reinheit und Konzentration, fließen seine Überlegungen derart ein, dass Personen und ihre Handlungen - vom Autor unkommentiert - seine Ideen leben, vorführen.” Nun, die von Handlungen gelebten Ideen nehmen es mit der Wirrnis des „Falls” auf.
Eine Handlung hat dieses Buch, sei es nun Roman, Erzählung oder Essay genannt, fast nicht, es besteht aus einer Rede. Ein Pariser Tourist in Amsterdam teilt mit dem Hörbuchhörer das Erleben, sich die Rede anhören zu müssen. Gehalten wird sie von dem ehemaligen Anwalt Jean-Baptiste Clamence, an welchem den Touristen wohl der Gegensatz zwischen verkommener Erscheinung und gepflegter Rede zu interessieren scheint.
Clamence redet über seine Selbstverliebtheit, seine Selbstsicherheit, seine Selbsterkenntnis und beweist, dass Tugenden Laster sind, weil die Bescheidenheit nur der Huldigung des Bescheidenen dient. Ebenso entlarvt er die Demut als Herrschsucht, weil der Demütige sich an der Dankbarkeit anderer labt. Vielfach wird das ausgebreitet, in Varianten wiedergekäut. Camus wollte es wohl als Beichte verstanden wissen von einem traumatisierten Egoisten, der einer Frau nicht half, die von einer Brücke in die Seine sprang und deren Schrei ihn nun verfolgt, obwohl er vermutlich gar nicht hätte helfen können, so weit war er vom Tatort entfernt. Nun driftet er durch die Amsterdamer Unterwelt und nennt sich „Buß-Richter” - geschwollener kann man kaum büßen.
Will man „stilistische Konzentration” in diesem eitlen, säuerlichen, humorlosen Geschwafel finden, muss man sehr suchen. Ein typischer Absatz: „Wenn man einen gewissen Grad hellsichtigen Rausches erreicht hat, spät in der Nacht zwischen zwei Dirnen liegt und jeden Verlangens ledig ist, dann ist die Hoffnung keine Qual mehr.” Darüber möchte man vielleicht mal ein paar Nachmittage grübeln, denn so gut sich das sagt, dass die Hoffnung keine Qual mehr ist, so wenig klar ist es, aber da geht es schon weiter: „Der Geist herrscht über alle Zeiten, und der Lebensschmerz ist auf immer vorbei.”
Ob Ulrich Matthes Verantwortung für die einschläfernde Wirkung dieser langweiligen Predigt des Existenzialismus trägt? Nein. Matthes beherrscht sein Handwerk. Er verleiht dem vom Gegensprecher abgeschnittenen Dialog an jenen Stellen Leben, an denen einmal geächzt und gestöhnt und pausiert werden kann. Matthes holt das letzte bisschen Bewegung aus der Grammatik dieser Sätze. Aber sie sind so bleiern. Da kann auch ein so vorzüglicher Sprecher wie Matthes nichts retten; gerade die angenehme Modulation lullt den Hörer ein - es ist eine Scheinbewegung, denn „Der Fall” von Camus ist weder interessant noch unterhaltend, von Spannung ganz zu schweigen.
MARTIN Z. SCHRÖDER
ALBERT CAMUS: Der Fall. Aus dem Französischen von Guido G. Meister. Gesprochen von Ulrich Matthes. 225 min. Patmos Verlag, Düsseldorf 2004. 3 CD, 19,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Martin Z. Schröder hat sich angehört, wofür Camus den Nobelpreis erhielt (dieses Hörbuch erscheint in der "Reihe Nobelpreisträger"), und gelangt zu einem ganz anderen Urteil als seinerzeit die Jury: "Der Fall", schreibt er, "ist weder interessant noch unterhaltend, von Spannung ganz zu schweigen." Wirre Gedanken, Sprachbombast - ein ehemaliger Anwalt hat einen Zuhörer gefunden und redet auf ihn ein, "über seine Selbstverliebtheit, seine Selbstsicherheit, seine Selbsterkenntnis", vor allem aber über seine Bußfertigkeit, denn eine Frau ist in den Tod gesprungen, und er hat ihr nicht geholfen. Doch, so Schröder, "geschwollener kann man kaum büßen" als mit diesem "eitlen, säuerlichen, humorlosen Geschwafel". Lag's wenigstens ein bisschen am Sprecher Ulrich Matthes? Aber nein: "Matthes holt das letzte bisschen Bewegung aus der Grammatik dieser Sätze. Aber sie sind so bleiern." Da war nichts zu retten, meint Schröder.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Camus rechnet mit seiner Gegenwart ab. Einmal hat er sich Hass und Häme satt gestattet - und herauskam dieses Wortgewitter. Lena ; Tilman Karger ; Krause WELTplus 20230425