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Dieser Briefwechsel aus dem Berliner Schelling-Nachlass bietet eine große Überraschung. Der greise Schelling entwickelt zu der jungen Helgoländerin Eliza Tapp während seines Pyrmonter Aufenthalts 1849 eine tiefe Freundschaft und Zuneigung, die sich auch in dem sich anschließenden Briefwechsel ausspricht und uns somit erhalten blieb. Schellings Briefkonzepte bieten uns gerade aufgrund ihres ersten Entwurfs Einblicke in seine Emotionalität, in sein unverstelltes Denken und Fühlen. Die in sich abgeschlossene Korrespondenz ist fast vollständig erhalten. Insgesamt werden 44 Briefe aus dem…mehr

Produktbeschreibung
Dieser Briefwechsel aus dem Berliner Schelling-Nachlass bietet eine große Überraschung. Der greise Schelling entwickelt zu der jungen Helgoländerin Eliza Tapp während seines Pyrmonter Aufenthalts 1849 eine tiefe Freundschaft und Zuneigung, die sich auch in dem sich anschließenden Briefwechsel ausspricht und uns somit erhalten blieb. Schellings Briefkonzepte bieten uns gerade aufgrund ihres ersten Entwurfs Einblicke in seine Emotionalität, in sein unverstelltes Denken und Fühlen. Die in sich abgeschlossene Korrespondenz ist fast vollständig erhalten. Insgesamt werden 44 Briefe aus dem handschriftlichen Nachlass veröffentlicht. Die transkribierten Texte werden textkritisch erläutert sowie durch Anmerkungen kommentiert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2000

Letztes Jahr in Pyrmont
Naturgeheimnis werde nachgeflüstert: Schelling wurde im Alter poetisch / Von Hans-Herbert Räkel

Niemand auf der Welt versteht besser, den ganzen Umfang Ihres Verlusts zu ermessen als ich!" schrieb die einunddreißigjährige Eliza Murtfeldt geborene Tapp in ihrem Beileidsbrief an Pauline, die Witwe des am 20. August 1854 verstorbenen Friedrich W. J. Schelling. Dieser Beileidsbrief ist der letzte aus einer Korrespondenz, welche den knapp achtzigjährigen Philosophen fünf Jahre lang mit jener jungen Frau verband, die er 1849 bei einem Kuraufenthalt in Bad Pyrmont kennengelernt hatte. Sie suchte, begleitet von ihrer Mutter (der Vater, ein englischer Offizier, war 1844 verstorben), Linderung für ihre schlimme Gesichtsneuralgie; er, in Begleitung seiner Gemahlin, erhoffte sich Besserung für seine Gicht.

Elizas Briefe samt den Briefkonzepten Schellings fanden sich in seinem Berliner Nachlaß. Die Entdeckung und eine ausführliche Einleitung verdanken wir Xavier Tilliette, der gerade vor Jahresfrist seine große Schelling-Biographie in französischer Sprache veröffentlicht hat. Elke Hahn hat mit äußerster Gewissenhaftigkeit den Text ediert. Aus dem Archivmaterial haben beide allein durch die chronologische Darbietung eine bemerkenswerte kleine Briefnovelle gemacht und ihr den Titel "Schellings Pyrmonter Elegie" gegeben. Das ist ein Verweis auf Goethes letzte Liebe und ihre Verwandlung in ein Gedicht: die Marienbader Elegie, welche er im Reisewagen unter dem Eindruck des Abschieds dichtete. Aber Schelling hatte wenig Grund, eine Elegie zu verfassen, denn anders als Ulrike von Levetzow den Dichter Goethe hat Eliza Tapp ihren Philosophen - geliebt!

Der Beileidsbrief bestätigt mit seiner gewagten Formulierung an die Witwe noch einmal eine Herzensbindung, welche Eliza im letzten Brief, der den Empfänger persönlich erreichte, hatte schreiben lassen: "Leben Sie wohl, mein innig geliebter Freund . . . Ihre, Sie aufrichtig liebende Eliza". Es war wohl weniger seine Philosophie, welche die junge Dame schätzte, als das von ihm ausgehende erotisch getönte Fluidum von Weisheit, Verständnis und Vertrauen.

Nach Tilliette macht die "töchterliche Zuneigung" den Freund zum Adoptivvater, Arzt und gar Priester. Das sind freilich die Rollen, in welche die gegenseitige wunderbare Zuneigung zwischen einer schönen jungen Frau und einem liebenswürdigen alten Herrn sich verkleidet: wie unternehmungslustig, fast kokett blickt er auf der Zeichnung von F. Krüger (1844) in die Welt. Da ist er neunundsechzig Jahre alt, und 1851, nicht lange nach seiner zweiten, einen Monat dauernden Pyrmonter Begegnung mit Eliza, zeigt sein Blick auf einer Zeichnung von C. Ch. Vogel, daß er sich seiner äußeren Erscheinung immer noch sicher fühlt. Er träumt weiter davon, "die liebe rechte Hand in Gedanken anzufassen, wie früher die wirkliche". In Tilliettes Interpretation ist die "zwischen den Zeilen schimmernde Sehnsucht" durch jene ehrbare töchterlich-väterliche Zuneigung neutralisiert, welche beiden ziemt und welche für die Philosophengattin ebenso wie für den Bräutigam der Eliza akzeptabel ist.

Und doch greift dieser Briefwechsel entschieden tiefer. Er verwirklicht eine Liebe, deren Ernst nur die träumende Romantik zu ergreifen fähig war. Als Goethe Ulrike von Levetzow einen Heiratsantrag machen ließ, war er fast so alt wie Schelling, als dieser Eliza kennenlernte. Aber Goethe suchte den "Jungbrunnen", während das von ihm verehrte junge Mädchen später unmißverständlich geäußert hat: "Keine Liebschaft war es nicht!" So zeigt denn der Vergleich zwar etwas Gemeinsames, er verschleiert aber doch auch das Wesentliche an Schellings "Briefromanze", die zwar auch keine Liebschaft, aber eben nicht weniger, sondern viel mehr gewesen ist.

In der Tat erscheint sogleich im Rahmen förmlicher Höflichkeit ein Ton herzlicher Annäherung: "theures Kind (ich rede Sie so an, weil ich Sie wirklich wie ein Kind in mein Herz geschlossen)", worauf die so Angeredete bestätigt, daß sie an ihn "wie an meinen gütigen Vater" denke: "Nennen Sie mich nie anders als Ihr Kind". Später, nach ihrer Verheiratung, wird Schelling mit dieser Anrede etwas sparsamer, und sie mahnt ihn: "Seit meiner Verheirathung habe ich nicht das Wort ,Kind' von Ihnen gehört . . ." Immerhin war das Kind volljährig, als es seinen Vater verlor, und ist sie 26 Jahre alt! Nach der plötzlichen Abreise von Pyrmont berichtet er, wie er nun "im völligen Dunkel" war, "da die schönen Augen mir nicht mehr leuchteten". Und am Schluß fließt ihm aus der Feder: "Kaum darf ich je sagen, wie lieb ich sie habe".

Als sie andeutet, daß nur eine Heirat sie aus der Hölle der Familie befreien kann, gibt er ihr seinen Segen, wenn er auch befürchtet, daß sie ihm nicht mehr erlauben wird, "sie so lieb zu behalten, als ich sie immer gehabt habe". Aber was fürchtet er? Das Ehepaar Schelling hatte ihr ein Blumenglas mit Pyrmonter Ansicht geschenkt, "jetzt steht es leer", schreibt sie, "augenscheinlich - aber für mich enthält es sehr liebe, liebe Erinnerungen". Geheimnisvoll schreibt sie: "Ich weiß nicht, wie es kömmt - jetzt muß ich mehr als je an Sie denken - es ist unmöglich zu sagen, wie dieser mein Gedanke mich immerwährend beschäftigt" - und etwas später: "Ich beschäftige mich so häufig in Gedanken mit Ihnen, daß ich sogar häufig von Ihnen träume - u. so deutlich, daß ich mich am nächsten Morgen wundere, daß Alles nur ein Traum gewesen". Drei Tage später wurde sie von einem toten Mädchen entbunden.

Als sie wieder schwanger war und den Sommer in ihrer Heimat Helgoland verbracht hatte, schreibt sie: "Kein Tag verging auf der trüben Insel, wo ich Ihrer nicht mit der herzlichsten Liebe gedacht". Und als das Kind geboren ist, bittet sie ohne Wissen ihres Mannes den Freund, die Patenschaft zu übernehmen: "Dabei würde ich das glückliche Gefühl haben daß wir uns näher getreten". Schelling nimmt die Patenschaft an (der Vater wird ihn bei der Feier vertreten) und gibt das genaue Echo der zärtlichen Zumutung Elizas an sie zurück: "Das liebe Kind, das ich mir auch als mir in gewisser Weise Angehörig betrachten darf" - angehörig in einer "Wahlverwandtschaft" ganz besonderer Art. Wäre das Leben ein Roman von Goethe, dann hätte das Töchterchen von Eliza und Carl Murtfeldt vielleicht doch wenigstens die Locken Schellings gehabt - wie auf dem Porträt nach Stielers Gemälde, das er ihr auf ihren innigen Wunsch hin verehrt hatte.

Man darf diesen Briefwechsel mit Tilliettes Worten "überaus schön und rührend" nennen. Der aufmerksame Leser wird in dem zärtlichen Verhältnis der "Spätherbstromanze" aber gewiß auch eine Grunddisposition Schellings und seiner Philosophie finden, für welche die Zeitgenossen des greisen Philosophen weniger Verständnis aufbringen konnten als wir heute: sich der Natur und dem Geist zu öffnen und sie nicht beherrschen zu wollen. Die allein durch ihre Veröffentlichung vollzogene poetische Metamorphose dieser nicht für fremde Augen bestimmten Zeugnisse ist auch dadurch entschuldigt und mehr als gerechtfertigt.

"Schellings Pyrmonter Elegie". Der Briefwechsel mit Eliza Tapp 1849-1854. Aus dem Berliner Schelling-Nachlaß herausgegeben von Elke Hahn mit einer Einleitung von Xavier Tilliette. Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2000. 156 S., 2 Taf., geb., 48,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Band versammelt die seine fünf letzten Jahre währende Korrespondenz des Philosophen Friedrich W.J. Schelling mit seiner jungen Kurbekanntschaft Eliza Murtfeldt, geb. Tapp. Natürlich fühlt sich der Rezensent Hans-Herbert Räkel da an Goethe erinnert, aber, betont er, es gibt hier einen wichtigen Unterschied. Anders als Ulrike von Levetzow hat Eliza ihren Kurschatten wirklich geliebt. Der Rezensent will in dem Verhältnis etwas Großes erkennen: Hier verwirkliche sich "eine Liebe, deren Ernst nur die träumende Romantik zu ergreifen fähig war." Und ein Bogen zu Schellings Philosophie lässt sich obendrein noch schlagen: es sei ihm auch bei dieser Beziehung darum gegangen, "sich der Natur und dem Geist zu öffnen und sie nicht beherrschen zu wollen."

© Perlentaucher Medien GmbH