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Das Bundeskriminalamt wurde von NS-Verbrechern aufgebaut - über die Ergebnisse seiner Recherche ist selbst BKA-Insider Dieter Schenk entsetzt. Schlimmer noch: Bis heute setzt sich die Polizeibehörde nicht mit ihrer braunen Vergangenheit auseinander - und bekämpft rechtsextreme Gewalttäter höchstens halbherzig. Das Bundeskriminalamt hat seine Wurzeln in der Sicherheitspolizei des NS-Regimes. Bis in die 60er Jahre hatte die Mehrzahl der Beamten des Leitenden Dienstes eine braune Weste, darunter waren frühere Schreibtischtäter im Reichssicherheitshauptamt. Sie hatten Erschießungen von jüdischen…mehr

Produktbeschreibung
Das Bundeskriminalamt wurde von NS-Verbrechern aufgebaut - über die Ergebnisse seiner Recherche ist selbst BKA-Insider Dieter Schenk entsetzt. Schlimmer noch: Bis heute setzt sich die Polizeibehörde nicht mit ihrer braunen Vergangenheit auseinander - und bekämpft rechtsextreme Gewalttäter höchstens halbherzig. Das Bundeskriminalamt hat seine Wurzeln in der Sicherheitspolizei des NS-Regimes. Bis in die 60er Jahre hatte die Mehrzahl der Beamten des Leitenden Dienstes eine braune Weste, darunter waren frühere Schreibtischtäter im Reichssicherheitshauptamt. Sie hatten Erschießungen von jüdischen Frauen und Kindern verantwortet, waren Einsatzgruppenleiter der SS-Mörderbanden in Litauen und Russland gewesen oder in der Geheimen Feldpolizei an der Erschießung von Geiseln und angeblichen Partisanen beteiligt. Andere hatten vor 1945 mitgewirkt, Homosexuelle, Zigeuner und "Asoziale" in Konz entrationslager einzuweisen, bei Exekutionen selbst Hand angelegt oder waren Einsatzführer an der "Grube". So sah die "unpolitische Kriminalpolizei" des Dritten Reiches aus. Keiner dieser späteren BKA-Führer hat sich je distanziert oder Reue gezeigt, schon gar nicht Trauer. Der "Architekt des BKA", Paul Dickopf, war Abwehroffizier des Amtes Ausland/Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht während des Krieges und machte danach eine schillernde Karriere als Agent verschiedener Geheimdienste, u.a. des CIA. Dickopf machte das BKA zum organisatorischen Abklatsch des Reichskriminalpolizeiamtes und zu einer Versorgungseinrichtung für alte Nazi-Kriminalisten. So war es folgerichtig, dass die Bekämpfung des Rechtsextremismus im BKA nie eine Rolle gespielt hat. Über Jahrzehnte stand einem dafür zuständigen Referat von 30 Bediensteten (neuerdings sind es 60) eine Abteilung von 300 Sachbearbeitern zur Bekämpfung des linken Terrorismus gegenüber. Auch der autoritäre Führungsstil der Clique um Pau l Dickopf vererbte sich auf fatale Weise. Die Behörde lässt sich bis heute nicht "in die Karten schauen". Dieter Schenk, der eine Vielzahl anderer Quellen zu Rate gezogen hat, wurde im März 2000 von Innenminister Otto Schily Akteneinsicht im BKA gewährt - seither wartet er auf eine Nachricht aus Wiesbaden.
Autorenporträt
Dieter Schenk, geb. 1937, war als Kriminaldirektor im Bundeskriminalamt jahrelanger Berater des Auswärtigen Amtes in Fragen der Sicherheit des diplomatischen Dienstes im Ausland; 1989 schied er auf eigenen Antrag aus dem Polizeidiest aus. Seit 1998 ist Dieter Schenk Honorarprofessor der Universität Lodz mit einem Lehrauftrag für Geschichte des Nationalsozialismus. Im Jahr 2012 wurde er mit dem polnischen Ehrenpreis "Kustos des Nationalen Gedenkens" (Kustosz Pamiêci Narodowej) ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.04.2002

Totaloffensive gegen das BKA
Vorwort und sogar die Schlußzitate: Nicht ohne Michel Friedman!

Dieter Schenk: Auf dem rechten Auge blind. Die braunen Wurzeln des BKA. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001. 372 Seiten, 22,90 Euro.

Vorsicht, Friedman! Unerbittlich fällt der Anwalt der politisch-moralischen Korrektheit seine Urteile. In seinem Vorwort zu Dieter Schenks Buch über "die braunen Wurzeln des Bundeskriminalamtes" zitiert er vor allem sich selbst, beklagt die ungenügende Tatkraft von Polizei und Justiz gegen (rechte) Gewalt und empört sich über die mangelnde Freigabe der Akten des BKA: "Wer wird hier warum geschützt?"

Dieter Schenk, in den achtziger Jahren Kriminaldirektor im BKA, hat für sein Buch über das BKA in den fünfziger und sechziger Jahren und über die nationalsozialistische Vergangenheit der Amtsführung nicht die Akten des Amtes benutzen können. Nach der Genehmigung durch den Bundesinnenminister habe das BKA die Frage der Einsicht in die Personalakten von Juli 2000 bis Ende Mai 2001 geprüft und dem Autor eine Regelung in Aussicht gestellt, als er sein Manuskript bereits beim Verlag abliefern mußte. Schenk hält es für einen "politischen Fehler, nicht früher entschieden zu haben", und sieht darin eine "fragwürdige Loyalität gegenüber früheren Mitarbeitern".

Die Angelegenheit wirkt so zwiespältig wie das gesamte Buch: Einerseits drängt sich der Eindruck der zumindest dilatorischen Behandlung seitens des BKA auf, andererseits überrascht der Autor mit seinen rigorosen und schwarzweiß gestrickten Wertungen. Und meint man nicht in seinem Argument vom Termindruck das Klappern der heißen Nadel zu hören? Zugleich hat Schenk breit recherchiert, und er kann eine Fülle von Archivalien für seine Darstellung der etwa 50 Beamten des Leitenden Dienstes ins Feld führen. Ihre beruflichen Wurzeln lagen, so die Ausgangsthese, in der Sicherheitspolizei des "Dritten Reiches", die organisatorisch und institutionell eng mit der SS verbunden worden war.

Das BKA sei dann ein "organisatorischer Abklatsch des Reichskriminalpolizeiamtes" gewesen, "dessen Mittel und Methoden übernommen wurden, indem man einschlägige Richtlinien der NS-Terminologie entkleidete, andererseits die Grundzüge der Verfassung der Bundesrepublik beachtete". Vor allem aber sei das Leitungspersonal des BKA der fünfziger und sechziger Jahre "auf schlimmste Weise unmittelbar in die Verbrechen der Nationalsozialisten verstrickt" gewesen.

Konkret benennt Schenk unter anderen Mitglieder der Einsatzgruppen, die in der Sowjetunion hinter der Front Massenerschießungen durchführten (und gegen die zum Teil in den sechziger Jahren ermittelt wurde). Zugleich berichtet er von einem Gestapo-Mann, "der 1943 in Warschau 140 bis 160 Menschen als ,Spione' dem sicheren Tod übergab, weil sie versucht hatten, dem unmenschlichen Unterdrückungsapparat in Notwehr Widerstand entgegenzusetzen". Was das konkret bedeutet, muß man allerdings - und der Fall ist typisch - schon genauer sagen.

Im Zentrum der Darstellung steht der vierte Präsident des BKA, Paul Dickopf, seine Tätigkeit bei der militärischen Abwehr und seine nachträgliche Selbststilisierung zum Doppelagenten und Widerstandskämpfer in der Schweiz.

"Somit deckt", so Schenks Anspruch, "dieses Buch eine moralische und politische Katastrophe für das Bundeskriminalamt und die westdeutsche Demokratie auf." Das BKA sei eine "Versorgungsanstalt für alte Nazis und Verbrecher" gewesen, und dementsprechend herrschten "Duckmäusertum und Wagenburgverhalten, autoritärer Führungsstil und rechtslastige Arbeitsprogramme... Und immer wieder Lug und Trug, um die eigene Vergangenheit zu verbergen."

So sei das BKA stets auf den Links-, nicht aber auf Rechtsterrorismus fixiert gewesen, und noch heute herrsche "Halbherzigkeit" gegenüber "Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit". Zusammen mit der Klage über die mangelnde Distanz des BKA gegenüber Unrechtsstaaten eröffnet Schenk damit eine finale moralische Totaloffensive. Er schließt mit Zitaten von Michel Friedman.

Zweifellos hat Schenk aus den Tiefen der Archive viel Richtiges zutage gefördert, insbesondere im Hinblick auf die Übernahme belasteter Funktions- und Elitenträger des "Dritten Reiches" in den bundesrepublikanischen Staatsdienst (samt der Manipulation von Lebensläufen), die gerade im Bereich der Polizei aufgrund ihrer Verklammerung mit der SS naheliegt. Dieser Befund ist nicht ganz neu und wurde auch für das BKA bereits - wenn auch nicht in diesem Umfang - in den "BKA-Stories" von Armand Mergen (1987) und Wilhelm Dietl (2000) thematisiert.

Vor allem aber senkt sich auf die Früchte von Schenks breiten Recherchen der dicke Mehltau der Unglaubwürdigkeit. Es ist nicht nur seine Überdosis Moralin, die bitter aufstößt und skeptisch macht. Mehr noch ist es seine Anmaßung eines normativen Absolutheitsanspruchs in Verbindung mit einer tendenziösen und maliziösen, hochemotionalen und pauschal undifferenzierten Darstellung, die den selbstgesteckten Anspruch der wissenschaftlichen "historischen Forschung" konterkariert. Schenks Thema verdiente eine wirklich wissenschaftliche Erforschung.

ANDREAS RÖDDER

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Man merkt Friedemann Bedürftig die Genugtuung an, die er beim Lesen des Buches "Auf dem rechten Auge blind" über die dunkle Vergangenheit des BKAs empfunden hat: Endlich hat es mal jemand aufgeschrieben. Und dass es der ehemalige Polizist und jetzige Honorarprofessor für Geschichte des Nationalsozialismus Dieter Schenk getan hat, ist ihm dabei auch nur recht, bürge er doch für zweifache Qualifikation. Allein am Untertitel des Buches hat Bedürftig etwas auszusetzen: "'Die braunen Wurzeln des BKA' wirkt fast verniedlichend, denn die Gründer-Crew war nicht bloß 'braun', sondern personell, strukturell und vom Selbstverständnis her ein 'Abklatsch', so Schenk, des Reichskriminalpolizeiamtes im Reichssicherheitshauptamt (RSHA). Schlüsselfigur war Anfang der fünfziger Jahre Paul Dickopf, der sich gern als 'Architekt des BKA' apostrophieren ließ . Dankbar nimmt Bedürftig zudem zur Kenntnis, dass Schenk mit zwei weiteren Legenden aufräumt: Zum einen, dass die SS-Ränge der Reichskriminalbeamten "automatische Angleichungsernennungen" gewesen seien, zum anderen, dass die Kripo immer "sauber" geblieben sei, und nur die Gestapo die Komplizin des Unrechtsregimes gewesen.

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