Produktdetails
  • Verlag: Hoffmann und Campe
  • Seitenzahl: 302
  • Abmessung: 32mm x 134mm x 211mm
  • Gewicht: 448g
  • ISBN-13: 9783455093346
  • ISBN-10: 3455093345
  • Artikelnr.: 09406727
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.04.2001

Wie heißt Ganeshas Ratte?
Rätselhaftes Indien: Tarquin Hall verirrt sich auf der Elefantenjagd

Westeuropäer halten Elefanten für uneingeschränkt niedlich. Die übliche Sozialisierung beginnt mit "Babar" und endet in einem der Nationalparks Afrikas, wo man die knuddligen Giganten aus der Sicherheit seines Jeeps fast zu berühren glaubt. Angesichts seiner Intelligenz, seines sprichwörtlichen Gedächtnisses, seiner Geselligkeit und seiner mütterlichen Fürsorge fällt es leicht, den Elefanten zu vermenschlichen.

Doch aus der Nähe betrachtet offenbaren sich einige andere, weit weniger schöne Züge dieser Riesen. Was passiert, wenn ein wilder Elefant Amok läuft und nicht nur Felder niedertrampelt, sondern einen Bauern nach dem anderen auf grauenhafte Weise umbringt, schildert Tarquin Hall in "Wo die Elefanten sterben".

Im Nordosten Indiens trifft der Autor auf einen Jäger, der darauf spezialisiert ist, unkontrollierbare, gemeingefährliche Tiere zu erlegen. Der englische Journalist erhält die Erlaubnis, den Jäger auf seiner nächsten Mission zu begleiten. Gleich zu Beginn bekennt sich Tarquin Hall zu seiner westeuropäischen Sentimentalität. Eine Elefantenkuh hat "schimmernde braune Augen und lange schwarze Wimpern", mit denen sie klimpert "wie ein Model auf dem Laufsteg". Der Gedanke, daß er dem Sterben eines Elefanten beiwohnen werde, schnürt ihm die Kehle zu. Mit üblicher westlicher Besserwisserei herrscht er den Jäger an: "Wie können Sie Elefanten lieben und sie trotzdem jagen?" Die Antwort des Jägers ruft nur Skepsis hervor. "Etwas in seiner Stimme schien vage unaufrichtig zu klingen. Ich war mir sicher, daß er etwas verheimlichte."

Allmählich ändert sich seine Perspektive. "Wo die Elefanten sterben" liest sich auch als Erziehungsroman. Konfrontiert mit der Realität, wandelt sich das Elefantenbild des angereisten Betrachters. Er erfährt, daß zur Erntezeit jede Nacht Kämpfe toben zwischen den mittellosen Bauern und den wilden Elefanten. Denn ein Elefant "kann bis zu 800 Pfund an einem Tag fressen und einen Bauern in einer einzigen Nacht zugrunde richten". Die vielen Stunden des Wartens in Gesellschaft der Elefantenreiter (Mahout) bringen Anekdoten aus dem Zusammenleben von Mensch und Elefant sowie eine Reihe wundersamer Details über die Dickhäuter zutage. "Wenn sie krank sind, gehen die Mahouts mit ihnen in den Wald, wo die Elefanten die Kräuter und Pflanzen auswählen, die sie brauchen. Aus irgendeinem Grund können sie sich ihre Arznei selbst verordnen."

Wo Hall nahe an seiner ungewöhnlichen Geschichte bleibt, gelingt ihm eine interessante Reportage von der Front zwischen den Feldern und dem Dschungel sowie ein liebenswertes Porträt einiger bemerkenswerter Figuren. Doch sobald er versucht, breitere Zusammenhänge einzubeziehen, offenbart er eine erstaunliche Ignoranz. Es fällt schwer zu glauben, daß er seit drei Jahren in Indien als Korrespondent für AP arbeitet. Seine Lokalkenntnisse gehen über die eines oberflächlichen Reiseführers nicht hinaus, inklusive der typischen Halbwahrheiten und Ungenauigkeiten. Er nennt die Ratte, auf der Ganesha reitet, Varana - allgemein die Bezeichnung für alle Göttervehikel. Er macht aus dem zwölftätigen Ganesha-Fest in Bombay einen Geburtstag! Ihm entgeht, daß die Bezeichnung der Einheimischen für die Amokläufer ("goonda") im Hindi soviel wie "Gangster" bedeutet. Er übersetzt Harijans als Unberührbare; dabei bedeutet das Wort "Kinder Gottes". Vor dem Tempel sieht er "Kuriositätenstände", nur erklärt er nicht, für wen die verschiedenen Relikte und Ritualobjekte kurios sein sollen. Wohl nur für ihn selbst, denn er gesteht, er habe "den Hinduismus mit seinen zahllosen Kulten, Gottheiten, Inkarnationen und Deutungen schon immer für praktisch unbegreiflich gehalten". Dafür glaubt sich der Erzähler in der Ethnologie auszukennen: "Aufgrund seiner hellen Haut und seiner grünen Augen vermutete ich, daß er ein Marwari war." Nur sagt man diese Merkmale den Kashmiris nach - die Marwari hingegen fallen äußerlich nicht aus dem nordindischen Rahmen.

Auch sprachlich gibt es wenig Anlaß für Lob. Hall schreibt das Lexikon der abgegriffenen Metaphern fort: Die Wildhüter sehen aus "wie entlaufene Sträflinge". Der Nebel verdichtet sich "wie Bühnenvorhänge, die im letzten Akt fallen". Die Haut an den Hinterbeinen hängt hinunter "wie ausgebeulte schlaffe Hosen". Manches erinnert an die stilistische Raffinesse von Kioskheften: "Ich spürte, wie sich meine Nerven anspannten. Erst hatte er mich um sechs Uhr früh geweckt, und jetzt spielte er auch noch den Schlaumeier." Oft weiß man nicht, ob man seine Beschwerden zuerst an den Autor oder an den Übersetzer richten soll. So verdirbt der behäbige Stil, die schlampige Übertragung und die nachlässige Redaktion anhaltend die Freude an einer prinzipiell lesenswerten Geschichte.

ILIJA TROJANOW

Tarquin Hall: "Wo die Elefanten sterben". Aus dem Englischen übersetzt von Thorsten Schmidt. Hoffmann und Campe, Hamburg 2001. 303 S., geb., 39,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Das Buch hätte so interessant sein können, bedauert Ilija Trojanow. Immerhin hat sich der Autor, der Journalist Tarquin Hall, mit den Schattenseiten der in westlichen Gefilden so romantisierten und verniedlichten Dickhäuter auseinandergesetzt und Menschen, die wild gewordene und wirklich gefährliche Elefanten jagen, begleitet. Doch die Safari der anderen Art verspricht mehr, als man im Buch nachlesen kann, beklagt sich Trojanow. Kaum zu glauben, dass Hall bereits seit drei Jahren für die Nachrichtenagentur AP in Indien als Korrespondent arbeitet. Denn sein Buch strotze vor Unkenntnis über Ethnologie, Glauben und Lebensverhältnisse der Inder, ärgert sich Trojanow und führt zahlreiche Beispiele für die Unkenntnis und Ignoranz des Autors an. Und auch sprachlich, "ein Lexikon der abgegriffenen Metaphern", stößt die Reportage auf Kritik. Trojanow weiß gar nicht, über wen sie sich mehr aufregen soll, über den Autor oder über den Übersetzer. Schade, meint der Rezensent, denn "so verdirbt der behäbige Stil, die schlampige Übertragung und die nachlässige Redaktion anhaltend die Freude an einer prinzipiell lesenswerten Geschichte".

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