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"Kompromisslos, trostlos und zerstörerisch, aber dennoch wunderbar." (Los Angeles Review of Books) - Der erste Roman des Oscar-Preisträgers Charlie Kaufman
Das Drehbuch zu "Being John Malkovich" hat Charlie Kaufman weltberühmt gemacht. Der erste Roman des Oscar-Preisträgers ist ein neuer Meilenstein der amerikanischen Literatur: B. Rosenberg kriegt nichts auf die Reihe, außer Kritiken zu schreiben, die keiner liest. Der New Yorker Stadtneurotiker prahlt mit der schwarzen Hautfarbe seiner Freundin und wehrt sich gegen die Unterstellung, er sei Jude. Nicht einmal ein Geschlecht will er haben…mehr

Produktbeschreibung
"Kompromisslos, trostlos und zerstörerisch, aber dennoch wunderbar." (Los Angeles Review of Books) - Der erste Roman des Oscar-Preisträgers Charlie Kaufman

Das Drehbuch zu "Being John Malkovich" hat Charlie Kaufman weltberühmt gemacht. Der erste Roman des Oscar-Preisträgers ist ein neuer Meilenstein der amerikanischen Literatur: B. Rosenberg kriegt nichts auf die Reihe, außer Kritiken zu schreiben, die keiner liest. Der New Yorker Stadtneurotiker prahlt mit der schwarzen Hautfarbe seiner Freundin und wehrt sich gegen die Unterstellung, er sei Jude. Nicht einmal ein Geschlecht will er haben und nennt sich einfach nur B. Dann jedoch stößt er auf den längsten jemals gedrehten Film und hat eine Mission: Er möchte den ungesehenen Film der Welt zeigen. Doch das Meisterwerk geht in Flammen auf, und B. kann es nur nachträumen. Ein unendlicher Spaß, der jeden Rahmen sprengt.
Autorenporträt
Charlie Kaufman, 1958 in New York geboren, ist ein US-amerikanischer Drehbuchautor und Filmregisseur. International bekannt wurde er erstmals für seine Drehbucharbeiten an "Being John Malkovich" (1999). Mit "Vergiss mein nicht!" gewann er 2005 den Oscar für das beste Originaldrehbuch. Ameisig (Hanser, 2021) ist sein Debütroman.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Jan Wiele ist hoffnungslos überfordert mit Charlie Kaufmans Romandebüt. Dabei ist er Fan von Kaufmans Drehbüchern ("Being John Malkovich", "Adaptation"). Leider führt der mysteriöse Tunnel diesmal nicht in den Kopf von Malkovich, sondern in das Hirn eines Filmkritikers - für den Autor laut Wiele Anlass, auf 900 Seiten über die gesamte Film- und Literaturgeschichte zu dozieren, Popeye, Picasso, Shakespeare und sämtliche Neurotiker aus Woody Allens Filmen aufzubieten und die Themen Scheitern, Identitätspolitik, Wokeness und noch mehr abzuhandeln. Sehr geschickt findet Wiele, dass die Erzählerfigur als Karikatur rüberkommt. So wird sie unangreifbar. Der Text scheint ihm dennoch eher ein Rohjuwel zu sein, dem die Politur fehlt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.04.2021

Sturm vom Paradiese her
Charlie Kaufmans ausuferndes Romanwerk „Ameisig“ bringt einen an den Rand der Erschöpfung.
Es ist ein Meisterwerk der Melancholie – und ein wahnsinniges Vergnügen
VON FRITZ GÖTTLER
Ein alter Bekannter taucht gegen Ende dieses Buches unvermutet auf. „Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt ... Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, ... treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst.“ Es ist der Engel der Geschichte, Walter Benjamins Engel der Geschichte, und sein unerwartetes Erscheinen hat etwas Beruhigendes, etwas Tröstliches inmitten des großen Chaos’, des Taumels, des wahnwitzigen Trümmerhaufens dieses Buches.
Das Chaos wird in einen historischen, eschatologischen, universellen (auch: pandemischen) Kontext gerückt, nach achthundert Seiten aberwitziger, surrealer Atemlosigkeit. Diese spielten sich vorwiegend ab im Kopf von B. Rosenberger Rosenberg, Filmkritiker und -historiker, kahler Kopf und grauer Bart (Walt Whitman), schwer ramponiert von der Midlifekrise, der von sich selbst am liebsten nur als B. spricht und im Gespräch, darauf angesprochen oder nicht, immer eilig erklärt, dass er kein Jude sei.
Der amerikanische Intellektuelle par excellence, B. hat in Harvard studiert, hält Vorträge und gibt Kurse, stellt dabei stets sein exorbitantes Wissen zur Schau, tut zu allem seine Meinung kund, kategorisch. Woke sein, ist die Parole, aufgeweckt und stets auf Diversität und politische Korrektheit bedacht, vor allem was Rassismus und Gender angeht. Er erzählt allen von seiner afroamerikanischen Freundin, die wir alle aus einer TV-Serie kennen, und benutzt bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit ein spezielles Pronomen für non-binäre geschlechtliche Identität: xier, thon im Original.
Ein unglücklicher weißer kleinbürgerlicher Mann, der den Unterschied zwischen Liberalem und Libertärem nicht mehr hinkriegt. Was er frisch heraus an Freiheit und Gleichheit proklamiert, artet hintenrum in kleinliche, dogmatische Rechthaberei aus. Korrektheit als Pawlowscher Reflex. Dazu jede Menge Schlampigkeiten: Marvin Scorsesso! Und Robert De Niro, der in der TV-Serie „Taxi“ spielt!
Der Drehbuchautor und Regisseur Charlie Kaufman ist in seinem Debüt als Romanschreiber sichtlich genervt von diesem Jargon der Eitelkeit. Godard ist B.s Held, er weiß alles von ihm, bis hin zur Schuhgröße (die Hemdgröße aber nicht). Andererseits hat er auch eine große Studie dem Werk von William Greaves gewidmet, dem afroamerikanischen Filmemacher, und seinem Film „Symbiopsychotaxiplasm: Take One“ von 1968. Das Buch strotzt vor absurd ausgetüftelten Autoren und Werken, aber diesen Film gibt es wirklich, er war sogar auf dem Münchner Filmfest zu sehen. Auch Judd Apatow ist für B. ein ganz Großer – sein Remake des „Citizen Kane“ ist natürlich besser als das Original –, und Wes Anderson auch, heillos überschätzt sind dagegen Ridley Scott und Christopher Nolan (Starbucks, der Christopher Nolan des Kaffees!). Und Charlie Kaufman ist eine absolute Null.
Mit dieser radikalen Einschätzung steht B. eher allein da. Charlie Kaufman gilt in der Filmkritik als der größte und gewitzteste Drehbuchschreiber zu Beginn des Jahrhunderts, er hat die amerikanische Psyche auf ihrer Suche nach Identität angebohrt, ihre Traumata, ihre imaginären Landschaften, ihre Fluchtversuche, 1999 in „Being John Malkovich“ und 2002 in „Adaptation“, 2004 in „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“, schließlich 2015 mit „Anomalisa“, bei dem er mit Duke Johnson auch Regie führte. Für „Eternal Sunshine“ bekam er den Oscar.
2020, im Jahr da der Roman „Antkind“ in den USA erschien, gab es auf Netflix einen neuen Film von ihm, „I’m Thinking of Ending Things“, eine weitere Erkundung über die Frage, wie Erinnerungen die Menschen einkerkern. Für den lächerlichen Menschen B. hat Charlie Kaufman in „Antkind“ eine heftige Tragödie parat – der verbissene Cineast reißt, ohne es zu wollen, ein Riesenloch in die Filmgeschichte. In Florida hat ihm ein alter Mann einen Film gezeigt, den er ganz allein gedreht hatte, sein Leben lang, und den noch niemand gesehen hat, der Afroamerikaner Ingo Cutbirth, angeblich Jahrgang 1900 (oder war es ein Schwede?).
Ein Trickfilm in Stop-Motion, wie Kaufmans „Anomalisa“, zu dem er alle Puppen selber bastelte. Ein Filmmonstrum von drei Monaten Länge. Ingo stirbt nach wenigen Wochen Projektion, B. beerdigt ihn und will ihn als Ingos Max Brod nicht, wie von Ingo angeordnet, vernichten, sondern in New York groß rausbringen als filmhistorische Sensation und zu seinem eigenen Ruhm. Leider geht beim Transport von Florida nach New York an einer Raststätte das Ding in Flammen auf.
Ingo hatte es in den Zwanzigern begonnen, also auf Nitromaterial, was gefährlich leicht entflammbar ist. (Es ist so amerikanisch, das Feuer ist ein Motto des Buchs, das andere: „Smoke Gets in Your Eyes“, der Song von Jerome Kern und Otto Harbach.) Charlie Kaufman liebt die besessenen Wirrköpfe in ihrer armseligen kreativen Einsamkeit, die von der Kunst ihr Leben verschlingen lassen. Ein weiterer Geistesbruder ist Calden Cotard, der versponnene Theaterregisseur, gespielt von Philip Seymour Hoffman in Kaufmans Film „Synecdoche, New York“, 2008. Calden baut in einer riesigen Lagerhalle eine Bühne für sein eigenes Leben, er heuert Schauspieler an, probt über Jahre und Jahrzehnte hinweg, ohne dass es je zu einer Vorstellung kommt. Das Leben ist die Performance.
Von Ingos Dreimonatswerk wird aus dem Brand nur ein einziger Frame gerettet, ein einziges materielles Filmbild. Den Film zu rekonstruieren wird B.s Obsession, doch seine Erinnerungen sind lückenhaft und konfus, also sucht er professionelle Hilfe von Schamanen und Hypnotiseuren. Der Roman bildet das komplette Erinnerungschaos seines Antihelden ab, eine endlose Kette von Abschweifungen, Wiederholungen, Verschiebungen, Verwechslungen, Verdoppelungen, was einen beim Lesen an den Rand der Erschöpfung bringt, aber das Genervtsein steigert das Vergnügen an dem Buch.
Das Genre des Romans, das sich etablierte, um die Ordnung der bürgerlichen Welt abzubilden, kannte von Anfang an auch die Gegenrichtung, in der diese Ordnung wieder suspekt und trügerisch gemacht wird. „Antkind“, das ist Erzählen als Stand-up-Comedy, wie die großen Romanschreiber des vorigen Jahrhunderts es vormachten, Joyce und Pynchon, Philip K. Dick und David Foster Wallace.
Im Netz beginnt sich bereits jetzt ein Dechiffrierkartell zu formieren, das, wie einst für Joyce oder Arno Schmidt, den Subtext dieses Romans durchstöbert. Einer der Rezensenten sah zum Beispiel in B. Richard Brody verkörpert, den Kritiker des New Yorker, der einen prächtigen Bart hat, von dem es ein Standardwerk über Godard gibt, und der jeden Film von Charlie Kaufman unversöhnlich attackiert. Es wird sortiert, was ausgedacht ist an B.s konfusem Geist und was nicht. Rebecca DeMarcus zum Beispiel, die B. gern zitiert, gibt es wohl nicht, eine Poetin aus den Appalachen, Bildschnitzerin und zenkundige Professorin der Optometrie. Gwethalyn Graham dagegen und ihren Roman „Earth and High Heaven“ von 1944 gibt es, er wird in Ingos Film einem genesenden Komiker namens Molloy in der Klinik von dessen Frau vorgelesen, in voller Länge.
Der Verlust des Films schleudert B. in eine Orgie der Erniedrigung, eine böse Fallstudie, wie woke sein zusammenhängt mit Narzissmus und Masochismus. Seine Freundin will nichts mehr von ihm wissen. Die Kollegen sind missgünstig. Sein Chefredakteur will seine Artikel nicht mehr drucken. Er leidet an Gedächtnisverlust. Er wird einer anderen Frau hörig. Er vermasselt seine anderen Jobs – als Verkäufer für Clownsschuhe. Er fällt alle paar Seiten in einen Kanalschacht (einen Analschacht!). Und er schrumpft.
Das ist die Misere des modernen Intellektuellen, diese Angst, nur zweitklassig zu sein, nie ursprünglich kreativ – dem Genialischen in der Kunst immer nur hinterher zu schreiben. Was in Ingos Film zu sehen ist, davon berichtet B. in diversen Versionen im Verlauf des Romans. Doppelgänger stehlen ihm die Schau, er bringt einen um und nimmt dessen Existenz an, trägt sogar Jarmulke. Clowns und Komiker treten in Aktion, meistens in Paaren, Abbott und Costello, Mudd und Molloy, Rooney und Doodle.
Auch der egomanische, narzisstische Präsident Donald J. Trunk tritt auf, es kommt zu einem Krieg gegen die Fastfood-Kette „Slammy’s“, mit Tausenden Trunk-Androiden, die Laserstrahlen aus ihren Augen senden. Was von all dem aber ist real, was Wahn, was ist Teil des Films, ist B. selber drin, und gibt es diesen Film überhaupt ... Existenzielle Fragen. Der Trümmerhaufen der Geschichte.
Nichts leichter, heute, als eine Satire zu fabrizieren auf die Intellektuellen und Kritiker. Vladimir Nabokov hat das schon mal vorgemacht im Roman „Fahles Feuer“ mit seiner Figur des Charles Kinbote, des traurigen Sekundärliteraten. Charlie Kaufman hat bei all seiner infantilen Lust an der Übertreibung einen tiefen Ernst, eine Lauterkeit, ein fast liebevolles Verständnis für Ingo und B. Sechsmal müsse man einen Film sehen, erklärt B. – darunter einmal rückwärts und einmal auf dem Kopf stehend –, um alle dominanten Sehkonventionen auszuschalten, die voreilig den Blick blockieren. Das ist völlig absurd, aber auch von einer poetischen, zenhaften Konsequenz. Postmoderne ergibt Sinn in diesem Meisterwerk der Melancholie.
Der Schluss von Ingos Film, der schließlich doch noch erinnert wird, spielt weit in der Zukunft, Milliarden von Jahren entfernt, und die Hauptfigur ist Calcium, eine superkluge und geschickte Ameise, die beim einsamen Nachdenken auf den Engel der Geschichte stößt. Calcium hat ein Medikament geschaffen, das leider unselige Kräfte entwickelt, es reist in der Zeit zurück und tötet durch Ansteckung alle Ameisen und andere Wesen. Ist es fatalerweise bis ins Jahr 2020 zurückgelangt? Wie wird es die Geschichte von mankind und von antkind, der Menschheit und der Ameisenheit beeinflussen?
Ein Lebenswerk geht in Flammen
auf, es ist noch auf altem
Nitromaterial gefilmt worden
Misere des Intellektuellen:
Die Angst dem Genialischen
nur hinterherzuschreiben
Das Leben ist die Performance: Philip Seymour Hoffman in Charlie Kaufmans „Synecdoche, New York“ von 2008.
Foto: Sony Pictures / Courtesy Everett Collection / imago
Charlie Kaufman:
Ameisig. Roman.
Aus dem Englischen
von Stephan Kleiner. Hanser, München 2021.
863 Seiten, 34 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.04.2021

Das Ich ist unkritisierbar

Charlie Kaufman, bekannt für verrückte Filme, hat einen noch verrückteren Roman geschrieben: "Ameisig" strapaziert die Leser bis zur Erschöpfung.

Als John Barth 1967 seinen Essay "The Literature of Exhaustion" schrieb, geißelte er damit eine überkommene Vorstellung von poetischem Realismus, der auf geschlossener Illusion beruht. Es war ein Startschuss für die amerikanische Metafiktion, die in wilder Übertreibung von Laurence Sternes Shandyismus ausufernde Werke wie (neben Barths eigenen) Thomas Pynchons "Gravity's Rainbow" (1973), David Foster Wallace' "Infinite Jest" (1995) und Joshua Cohens "Book of Numbers" (2015) hervorgebracht hat. Mit Charlie Kaufmans Romandebüt "Antkind" (2020), das nun auf Deutsch als "Ameisig" erscheint, könnte der Eindruck entstehen, dass auch die amerikanische Metafiktion sich erschöpft hat.

Wer Kaufmans Drehbücher ("Being John Malkovich", "Adaptation") sowie Regiearbeit ("Synecdoche, New York") für schräg bis unverständlich hält und vielleicht genau darum sehr schätzt, der kommt, bei aller Liebe zur formbewussten und formsprengenden Erzählkunst, mit "Ameisig" an die Grenze des Verdaulichen. Der geheime Tunnel, der im Film in John Malkovichs Kopf führte, führt hier in den eines Filmkritikers namens Balaam Rosenberger Rosenberg, der sich ständig vor einem "imaginären Hörsaal voller Cineasten" sieht. Das gibt ihm die Lizenz zu einem fast neunhundert Seiten langen Vortrag zur Film- und Literaturgeschichte, ach was, zur gesamten Kulturgeschichte, der lauter Mini-Rezensionen voller böser Seitenhiebe enthält - darunter auch einige von Kaufmans eigenen Filmen, die genüsslich verrissen werden.

Man stelle sich eine als unmöglich zu lösen gedachte Aufgabe in einem Kurs für kreatives Schreiben vor, die lautet: "Bringen sie Shakespeare, Hitchcock, Beckett, Bosch, Popeye, Picasso und Fukada in einem Text zusammen, unter besonderer Berücksichtigung des Doppelgängermotivs seit der Antike." Kaufman löst sie mit Sternchen, indem er auch noch die spanischen Rektangulisten und die barcelonischen Rapturisten mit einbezieht. Von Letzteren noch nie gehört? Das könnte daran liegen, dass sie nur erfunden sind - oder zumindest nur geträumt, so wie ein Großteil des Romans, der eingestandenerweise Halluzinationen oder gar eine "psychotische Depression" beschreibt.

Man stelle sich Woody Allens sämtliche Neurotikerfiguren zusammengepfercht auf einer Guckkastenbühne vor, auf der auch noch sexualisierte Film-Ameisen sowie die Roboterarmee eines Präsidenten namens Donald Trunk auftreten. Das ist unmöglich in einer Rezension des Buches auf einen Nenner zu bringen, aber immerhin einen Handlungskern gibt es: Rosenberg kommt in Florida einem verschollenen Filmmeisterwerk des mysteriösen Ingo Cutbirth auf die Spur, das drei Monate dauert. Am zwanzigsten Ausstrahlungstag stirbt der Regisseur; beim Versuch, gegen dessen Willen das Werk nach New York zu überführen, verbrennt der Film. Wie immer in der Metafiktion geht es auch ums Scheitern: Hier scheitert der Erzähler daran, die Kritik des besagten Films zu schreiben, kommt aber immerhin zu der Erkenntnis, "dass die Erinnerung an den Film der Film ist".

Nebenbei - oder eigentlich in der Hauptsache? - ist "Ameisig" eine Parodie des Filmgeschäfts in Zeiten der Identitätspolitik und eine Satire vom gebildeten alten weißen Mann, der, geschult in Jahrzehnten der Sensibilitätsdiskurse, sich für besonders "woke" und rücksichtsvoll hält und vielleicht genau damit Ressentiment und Rassismus kaschiert.

Das Buch macht sich indessen unkritisierbar, da es den Erzähler überdeutlich als Karikatur darstellt und zudem die Kritik an ihm schon vielfach vorwegnimmt: "Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich lächerlich bin", gesteht der Erzähler ein. "Gerade so, als wäre ich selbst eine Puppe, bestimmt durch eine äußere Kraft, geschrieben als Kontrastfigur in einem kosmischen Unterhaltungsstück." Ohne Frage hat "Ameisig" Witz und Schärfe (großartig etwa die Schilderung eines Test-Filmscreenings vor Netflix-Agenten), aber es bleibt das Gefühl, man habe sehr viel Rohmaterial gesehen, dass noch auf den Schnitt wartet.

JAN WIELE

Charlie Kaufman:

"Ameisig". Roman.

Aus dem Englischen von Stephan Kleiner. Carl Hanser Verlag, München 2021. 864 S., geb., 34,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Ob Hoch- oder Popkultur, ob Zitat absurder Literatur ... oder einfach nur Slapstick-Klamauk, alles existiert in Kaufmans literarischem Kosmos gleichwertig nebeneinander. ... Der herrlich komische Erzählton hält das gewagte Konstrukt ... zusammen und beweist so, dass der preisgekrönte Drehbuchautor Charlie Kaufmann nicht nur im Filmfach eine eigene Stimme besitzt." Christoph Ohrem, Deutschlandfunk "Büchermarkt", 21.06.21

"Der Debütroman des Drehbuchautors von "Being John Malkovich" ist ein Feuerwerk aus Komik und Melancholie." Caroline Fetschner, Tagespiegel, 20.06.21

"Charlie Kaufman, bekannt für verrückte Filme, hat einen noch verrückteren Roman geschrieben: Eine Parodie des Filmgeschäfts in Zeiten der Identitätspolitik und eine Satire vom gebildeten alten weißen Mann, der, geschult in Jahrzehnten der Sensibilitätsdiskurse, sich für besonders "woke" und rücksichtsvoll hält und vielleicht genau damit Ressentiment und Rassismus kaschiert." Jan Wiele, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.04.21

"Ein Meisterwerk der Melancholie - und ein wahnsinniges Vergnügen." Süddeutsche Zeitung, 08.04.21

"Hier verstört jemand mit Leidenschaft. Kaufman und 'Ameisig' verdienen Respekt bis zum letzten Wort." Peter Pisa, Kurier, 20.03.21

"Ein Versuch, die Megaromane des 20. Jahrhunderts mit der Bewusstseinsmaschine des Kinos zusammenzuführen.Kaufman schickt einen dezidiert nichtidentischen Doppelgänger ... auf eine fantastische Reise." Bert Rebhandl, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 14.03.21…mehr