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2011 erlebte Teju Cole eine Zeit vorübergehender Erblindung. Danach stellte sich die Frage des Sehens neu, und er begann dieses fotografische Projekt. Die Bilder in seinem neuen Buch sind Dokumente von Jahren des Unterwegsseins: der Schatten eines Baumes in Upstate New York. Ein junger Fremder im Kongo. Eine seltsame Konstellation in einem Berliner Park. Wir sehen, was er sah, was seine Gedanken anstieß, während sich kurze Texte wie ein Voice-over über die Bilder legen - eine innere Stimme, konkret oder abstrakt, prosaisch oder rätselhaft. Mehr als 150 Fotografien und Texte verbinden sich zu…mehr

Produktbeschreibung
2011 erlebte Teju Cole eine Zeit vorübergehender Erblindung. Danach stellte sich die Frage des Sehens neu, und er begann dieses fotografische Projekt. Die Bilder in seinem neuen Buch sind Dokumente von Jahren des Unterwegsseins: der Schatten eines Baumes in Upstate New York. Ein junger Fremder im Kongo. Eine seltsame Konstellation in einem Berliner Park. Wir sehen, was er sah, was seine Gedanken anstieß, während sich kurze Texte wie ein Voice-over über die Bilder legen - eine innere Stimme, konkret oder abstrakt, prosaisch oder rätselhaft. Mehr als 150 Fotografien und Texte verbinden sich zu einem lyrischen visuellen Essay, der etwas sichtbar macht, was das Auge nicht erfasst. Mit einem Vorwort von Siri Hustvedt.
Autorenporträt
Teju Cole, geboren 1975, wuchs in Nigeria auf und kam als Jugendlicher in die USA. Er ist Kunsthistoriker, Schriftsteller und Fotograf und lehrt als Distinguished Writer in Residence am Bard College. Er ist der Fotografie-Kritiker des New York Times Magazine und Autor der dort erscheinenden Kolumne "On Photography". Seine fotografische Arbeit wird international ausgestellt, seine Bücher Open City und Jeder Tag gehört dem Dieb gelten als herausragende Werke der neueren amerikanischen Literatur. 2013 wurde er mit dem Internationalen Literaturpreis ausgezeichnet. Zuletzt erschien von ihm die Essaysammlung Vertraute Dinge, fremde Dinge. Teju Cole lebt in Brooklyn, New York.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.06.2018

Sinnfreiheit und Deutungsdelirium
In seinem Bildband „Blinder Fleck“ erkundet Teju Cole die Grenzen der dokumentarischen Fotografie
Vielleicht hätte man das etwas großspurige Vorwort von Siri Hustvedt besser im englischen Original gelesen. Vielleicht hätte dort so ein Anlauf zu ästhetischer Theorie einen eleganteren Schwung genommen.
Andererseits ist dieses Buch gerade ein Buch des Konjunktivs, eine Feier des Konjunktivs, könnte man sagen. All die wunderbar inhaltsarmen enigmatischen Fotografien aus den Vorstädten dieser Welt, die trostlosen Vorgärten und leer geräumten Landschaften leben von der Vorstellungskraft des Betrachters, der in diesen Bildern ein Zeichendefizit erkennen soll, einen großen blinden Fleck, den er mit eigener erinnerter Anschauung füllen sollte. So will es der Autor Teju Cole, der dem Fotografen Teju Cole hier mit kurzen Texten zur Seite springt.
Ein Hinterhofausschnitt in Berlin. „Städtischer Raum steckt voller Hinweise, und gelegentlich zwingt ein moralisches Gebot das Versteckte, sich zu zeigen.“ Drei Zeilen später kommt die Gestapo ins Vorstellungsbild, indikativ. „Eben wegen dieser Geschehnisse ist es ein unheilvoller Ort, eben wegen der Unschuldigen, die er austilgte, ist es ein heiliger Ort. Alle Städte tragen die Spuren dessen, was geschah – in Berlin verdichtet sich dieses Phänomen, Berlin ist Synekdoche für planvolle und planlose Gewalt, der Hinweis sign here.“ Tropische Rede, Denotation und Sinnfreiheit verschmelzen in diesem Deutungsdelirium zu einer Kryptologie sprachbildlicher Mythenbildung.
Cole, 1975 in den USA als Kind nigerianischer Eltern geboren, in Nigeria aufgewachsen, mit 17 in die USA zurückkehrend, allerhand studierend, heute in Brooklyn lebend, lehrend, schreibend, hat seinen größten Erfolg mit seinem Roman „Open City“ gefeiert. Auch darin arbeitet er permanent mit Bildern, konkreten Anschauungen, Sinneseindrücken. Warum also verlässt er die Erfolgsspur reinen Schreibens?
Es könnte sein, dass Cole seinen Augen nicht mehr traute, nachdem er 2011 eine Phase halbseitiger Erblindung durchlebte und die ganze schöne dreidimensionale Welt verflachte. Es könnte auch der Zorn und die Verzweiflung darüber sein, dass man in so einer Zumutung von Halbblindheit mit jedem Blick mehr ersehnt, mehr einfordert, als man zu sehen bekommt. Der Konjunktiv hält alle Möglichkeiten offen. Wie wäre es, wenn Cole die dokumentarische Macht selbst der beiläufigsten Schnappschüsse dadurch unterläuft und die Subversion auch gleich miterzählt, indem er Fotografien herstellt, die möglichst nicht bildsinnlich wirken, sondern nur als leere Zeichensprache? Zu banal? Könnte sein. Es gelingt ihm auch nicht immer, manche Fotos sprudeln geradezu über vor inhaltlicher und formaler Beredsamkeit.
HELMUT MAURÓ
Teju Cole: Blinder Fleck. Aus dem Englischen von Uda Strätling. Hanser Berlin, Berlin 2018. 350 Seiten, 38 Euro.
In den leergeräumten Landschaften soll der Betrachter eine Lücke erkennen und sie mit erinnerter Anschauung füllen: „Brienzersee June 2014“, fotografiert von Teju Cole.
Foto: Teju Cole/ aus „Blinder Fleck“ (Hanser Berlin)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.09.2018

Also zeigen wir anderes
Bruegel im Nordlibanon: Der Kunsthistoriker, Schriftsteller und Fotograf Teju Cole spielt mit den Leerstellen zwischen seinen Texten und Bildern

Im Oktober 2015 nahm der nigerianisch-amerikanische Autor Teju Cole an einem Literaturfestival in der indonesischen Kleinstadt Ubud teil. Die Schriftsteller waren eingeladen, aus neuen Texten zu lesen, wurden von den Veranstaltern aber gebeten, im Rahmen des Festivals nicht an den Jahrestag der antikommunistischen Ausschreitungen zu erinnern, denen fünfzig Jahre zuvor Hunderttausende Einwohner des Landes zum Opfer gefallen waren. Die Täter von damals, in der Mehrzahl gewöhnliche Bürger, gingen straffrei aus, die Überlebenden haben nie eine Entschädigung erhalten. In seinem Buch "Blinder Fleck" ruft Cole die historischen Ereignisse in Erinnerung, und wie allen Texten des Bandes ist auch dieser Notiz eine vom Autor aufgenommene Fotografie beigegeben. Sie zeigt eine Reihe bis zum Boden herabgelassener Rollläden, nur einer von ihnen ist zur Hälfte geöffnet und gibt den Blick auf ein verhülltes Objekt frei - ein zugedecktes Fahrzeug vermutlich, doch könnte es auch eine Totenbahre sein, die aus dem verborgenen Inneren des Gebäudes ein Stück weit ins Freie ragt.

Wie kann eine Straßenansicht des heutigen Ubud die dort vor fünfzig Jahren begangenen Verbrechen in Erinnerung rufen? Man denkt an Brechts berühmtes Diktum, wonach eine bloße Abbildung der Realität nicht imstande sei, die Realität begreifbar zu machen: "Eine Photographie der Krupp-Werke oder der AEG ergibt beinahe nichts über diese Institute." Und doch greift diese Feststellung zu kurz. Denn dass eine einzelne Fotografie die gesamte Wahrheit nicht zeigen kann, ist keine Besonderheit der Bilder, sondern gilt auch für jeden einzelnen Text. Vor allem aber bringt oftmals erst das Zusammenspiel von Wort und Bild eine Bedeutung hervor, die beide für sich genommen nicht gehabt hätten. So wird Coles Foto der verbarrikadierten Hausfassaden von Ubud an der Seite des historischen Berichts zum Bild einer Stadt, die ihre Geschichte vergessen will. Ein Ereignis wie die Bombardierung von Mailand im August 1943, schreibt Cole an anderer Stelle des Buches, könne man durch Fotografien der noch sichtbaren Trümmer veranschaulichen. Die "emotionale Landschaft" und die Vernarbung eines Ortes jedoch seien auf diese Weise nicht darzustellen: "Also zeigen wir anderes."

Und so macht es Cole mit seinen Fotografien beinahe durchgängig: Sie eröffnen Bezüge zum Beschriebenen, indem sie anderes zeigen. Man kommt in der Lektüre des Bandes deshalb nicht weit, wenn man die Fotos als direkte Illustrationen der Texte oder die Texte als direkte Anweisung zum Entschlüsseln der Bilder verstehen will. Der Titel des Buches spielt auf eine Netzhauterkrankung des Autors an, die ihn vorübergehend eines Teils seiner Sehkraft beraubte. "Blinder Fleck" bezeichnet aber ebenso auch die produktiven Leerstellen zwischen Bild und Text, die sich vor allem an die Einbildungskraft des Lesers richten. So kombiniert Cole die Ansicht einer menschenleeren Landschaft in Alabama mit der Geschichte des Briefträgers William Moore, der auf seinem wochenlangen Protestmarsch gegen die Rassentrennung 1963 dort entlanggegangen ist, bevor er auf dem benachbarten Highway erschossen wurde. Von der Existenz des Briefträgers ist auf dem Foto nichts zu sehen, und doch macht seine Geschichte die unscheinbare Landschaft zu einem historischen Schauplatz, an dem es, wie der Text erläutert, auch heute noch Anhänger des Ku-Klux-Klans gibt. Das Buch versammelt Texte und Bilder der zahlreichen Reisen, die Cole in den vergangenen Jahren an die unterschiedlichsten Orte geführt haben, von Brazzaville und Lagos bis ins schweizerische Engadin, von Nürnberg und Venedig bis nach Chicago, Tripoli und São Paulo. Und da Cole nicht nur Autor von Romanen, Essays und einer monatlich erscheinenden Kolumne des "New York Times Magazine" ist, sondern auch ein sehr guter Fotograf, können viele seiner Bilder auch für sich stehen. Mit seinem Blick für Farbe und Komposition und seiner hohen Aufmerksamkeit für scheinbar unbedeutende Details erinnern manche von ihnen an die eindrücklichen Aufnahmen Stephen Shores, William Egglestons oder Luigi Ghirris.

Auf seinen Reisen durch die Gegenwart erkennt Cole aber immer wieder auch Anklänge an Motive der klassischen Kunstgeschichte. Als er in Beirut überraschend auf eine Postkarte des Turms zu Babel trifft, notiert er: "An einer Wand in einem Café im Nordlibanon spricht Bruegel über den Irak. Er malte vieles, was nicht gemalt werden kann." Und wenn Cole sich fragt, ob es wohl heute noch so etwas wie die Gewandstudien der alten Meister gibt, findet er die Antwort im Flattern einer Zeltplane vor einem Parkhaus in Queens oder im Faltenwurf der Gardinen in einem Nürnberger Hotelzimmer, das unweit von Dürers Geburtshaus liegt. Auch diese Verbindungen von Gegenwart und Geschichte folgen Coles Prinzip der indirekten Anspielung. Nicht die nachweisbare Kausalität belebt seine Assoziationen, sondern "etwas, was als Analogie dienen kann, wie im Werk der Dichter".

Eines der Fotos zeigt drei vereinzelte, weiße Klappstühle im jamaikanischen Treasure Beach. Der begleitende Text erzählt von einer Praxis des frühen russischen Films: Man schrieb die üblichen Drehbücher, baute die Kulissen und inszenierte; weil aber Rohfilm damals Mangelware war, drehte man ohne eingelegten Film. Zu Recht erkennt Cole in dieser Kunst des blinden Flecks ein fernes Echo seiner eigenen Arbeitsweise. "Wenn wir Poesie gleich welcher Art begegnen, erkennen wir augenblicklich mythische Verbindungen: Es ist alles da - alles bis auf den Beweis, wie in den ohne Film gedrehten russischen Filmen aus den 1920ern."

PETER GEIMER

Teju Cole: "Blinder Fleck".

Aus dem Englischen von Uda Strätling. Hanser Verlag, Berlin 2018. 352 S.,

Abb., geb., 38,- [Euro].

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"Mit seinem Blick für Farbe und Komposition und seiner hohen Aufmerksamkeit für scheinbar unbedeutende Details erinnern manche von ihnen [sc. seinen Fotos] an die eindrücklichen Aufnahmen Stephen Shores, William Egglestons oder Luigi Ghirris." Peter Geimer, FAZ, 14.09.18

"Teju Cole, der auch Fotograf ist, legt mit diesem Buch einen literarischen Bildband vor, in dem sich auf faszinierende Weise Sehen und Schreiben gegenseitig befruchten und ausdeuten. [...] Wie die Welt ist auch Teju Coles Bildersammlung eine poetische Wundertüte, ein Album, das auf Pfade abseits der ausgetretenen Bilderstrecken entführt." Michael Schreiner, Augsburger Allgemeine, 13.09.18

"Eine welthaltigere Literatur als diese findet man im Moment wohl kaum. Wir dürfen gespannt sein, wohin Coles poetische Reise ihn und uns als nächstes führt." Andreas Wirthensohn, WDR 3, 29.08.18