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Colleen ist siebzehn und möchte die Welt verändern. Ihre Mutter Beverly, die seit dem Tod ihres Mannes mit der Liebe für ihre rebellierende Tochter ringt, sieht ratlos zu, wie diese aus ihrem Zuhause in Kanada Richtung USA flieht. Während Colleen in Louisiana dem Abenteuer und der fixen Idee nachjagt, einen Alligatorzüchter zu finden, den ihre Tante, die lebenshungrige Filmemacherin Madeleine, einst bei einer fast tödlichen Aktion gefilmt hatte, versucht Beverly neben den Erinnerungen an ihr altes Leben einen neuen Platz zu finden. Voller Tiefe und Witz erzählt Lisa Moore von drei…mehr

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Produktbeschreibung
Colleen ist siebzehn und möchte die Welt verändern. Ihre Mutter Beverly, die seit dem Tod ihres Mannes mit der Liebe für ihre rebellierende Tochter ringt, sieht ratlos zu, wie diese aus ihrem Zuhause in Kanada Richtung USA flieht. Während Colleen in Louisiana dem Abenteuer und der fixen Idee nachjagt, einen Alligatorzüchter zu finden, den ihre Tante, die lebenshungrige Filmemacherin Madeleine, einst bei einer fast tödlichen Aktion gefilmt hatte, versucht Beverly neben den Erinnerungen an ihr altes Leben einen neuen Platz zu finden. Voller Tiefe und Witz erzählt Lisa Moore von drei ungewöhnlichen Frauen, die die Menschen, die sie am meisten lieben, verlassen - oder von ihnen verlassen werden.
Autorenporträt
Lisa Moore, 1964 in St. John s, Neufundland, geboren, studierte Kunst am Nova Scotia College of Art and Design und ist eine der erfolgreichsten kanadischen Autorinnen. Bereits ihr Debütroman Im Rachen des Alligators war ein nationaler Bestseller. Bei Hanser erschienen die Romane Und wieder Februar (2011), mit dem sie Finalistin für den Man Booker Prize wurde, Im Rachen des Alligators (2013), Der leichteste Fehler (2015) sowie die Erzählungen Fremde Hochzeit (2020).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.06.2013

Nicht alle Krokodile sind zum Küssen da

Short Cuts: Die Kanadierin Lisa Moore skizziert in ihrem feinsinnigen Debüt "Im Rachen des Alligators" die krummen Lebenswege einiger Pechvögel.

Die stärkste Metapher dieses feingliedrigen Debütromans von Lisa Moore des Jahres 2005 findet sich sowohl im Titel als auch auf der ersten Buchseite. Alle Figuren stecken im Rachen eines Alligators. Und vielleicht war es nicht eine der klügsten Entscheidungen der deutschen Ausgabe - der englische Titel lautet schlicht "Alligator" - mit diesem Bild hausieren zu gehen. Da ist nämlich bloß dieser Dokumentarfilm, den Colleens Tante Madeleine in den achtziger Jahren als Teil eines Schulungsvideos für die Sicherheit in Kernkraftwerken gedreht hat. Der Alligator ist ein schlafender Riese. Er sperrt sein Maul auf, ein Mann steckt seinen Kopf hinein. Er wischt sich, wie er das jedes Mal vor seiner Showeinlage tut, den Schweiß vom Gesicht. Ein Tropfen davon in den Rachen des Krokos und es schnappt zu. Hier liegt die Analogie zum atomaren Super-GAU. Nicht zu schwitzen oder seinen Schweiß unter Kontrolle zu halten ist die hauptsächliche Herausforderung für Alligatorendompteure wie für Kraftwerkbetreiber - vielleicht sogar für jeden.

Colleen löffelt Erdnussbutter und lümmelt auf dem Sofa ihrer Tante. Das Ganze im neufundländischen St. John's. Sie schaut Madeleines Archivmaterial am Fernseher durch und denkt: "Alles ist seltsam. Ein Seltsam reiht sich ans andere. Doch dann geschieht etwas Seltsames. Wir sind plötzlich nicht mehr im Kernkraftwerk, und da sind der Mann und der Alligator. Aber jetzt gibt es einen Begleitkommentar." Weshalb? Der Mann hat einen Fehler begangen. Er hat nur die eine Hälfte seines Gesichts abgewischt. Die andere Hälfte ist schweißnass. Es passiert vor laufender Kamera also das Unvermeidliche: ein Unfall, bei dem der Mann im Maul des Alligators feststeckend herumgeschmissen wird, als habe sein allerletztes Stündchen geschlagen. "Der lebt noch", sagt Madeleine, die plötzlich im Türrahmen steht. "Er hat eine Alligatorenfarm in Louisiana, in einem Naturschutzgebiet."

Colleen ist ein behütet aufgewachsener Teenager und stammt, wie die Autorin selbst, aus der kanadischen Provinz. Sie fällt dort nicht weiter aus der Rolle, ein kluges und ernsthaftes Mädchen mit ernsthaften Anliegen. Erst, nachdem ihr geliebter Stiefvater an einem Aneurysma stirbt und die Mutter sich in Trauerkontrolle übt, rebelliert etwas in ihr. Und die Rebellion beginnt wie das Atom-Schulungsvideo mit einem Tier. Colleen hatte den neufundländischen Fichtenmarder schützen wollen und Zucker in die Bulldozertanks des Bauunternehmers Duffy gefüllt. Der Vorfall bringt sie vor Gericht. Ihre Mutter sieht freilich nicht die Vandalin in ihr, als die sie sich nun verantworten muss: "Colleen war eigensinnig und bezaubernd. Sie war über Nacht schön geworden, große blaue Augen, volle Lippen, langes, glänzendes Haar. Ihre maßlose, bebende Empathie, ihr Beharren auf Gerechtigkeit im Leben." Aber gerade, weil es eine auf moralischen Alltagsurteilen basierende Gerechtigkeit nicht wirklich zu geben scheint, provoziert Colleen ihre Umwelt zunehmend mit dem Gegenteil.

Bei einem Wet-T-Shirt-Contest gewinnt sie den ersten Preis und beschließt von dem Geld nach Louisiana zu fliegen, um dort den Alligatorendompteur Loyota zu besuchen. Zuvor hat sie den vom Schicksal gebeutelten Hotdog-Verkäufer Frank über den Tisch gezogen, ihm nach einer Liebesnacht die gesamten Ersparnisse aus der Zuckerdose gestohlen und ihn belogen. Doch für Annäherungen lässt Lisa Moore ihren Figuren wenig Entwicklung. Denn, wie gesagt, stecken alle in der Momentaufnahme ihres Lebens, die Moore uns präsentiert, im Rachen des Alligators.

Anders als Colleen, die Ungerechtigkeiten nicht hinnehmen will, und als Protestreaktion selbst welche produziert, hat Frank gelernt, sie als normal zu betrachten. In einer grotesken Krankenhausszene beschreibt Moore, wie Franks krebskranke Mutter mit letzter Kraft einen Zug aus einem Strohhalm nimmt und dabei in Zittern ausbricht. Man denkt, es geht mit ihr zu Ende, doch bald schon entpuppt sich das Zittern als Lachanfall, in den der Sohn mit einstimmt. Später wird Frank, der eine Konzession als Würstchenverkäufer an einer Straßenecke von St. John's erworben hat, von einem russischen Gangster abgezogen. Er dringt nicht nur in seine Wohnung ein, sondern verstreut darin auch die Asche seiner Mutter. Doch Frank ist schicksalsergeben, "er hatte verstanden, dass die Dinge so liefen, als er mehrmals, wenn auch nur kurz, Gast im Whitebourne Correctional Institute for Juvenile Delinquents gewesen war, wegen einer Reihe von Ladendiebstählen, die er mit vierzehn begangen hatte."

Frank arrangiert sich mit dem Gangster und wird später dennoch um ein Haar von diesem umgebracht. Valentin heißt der unglückselige Russe, der janusköpfig zwischen der fürsorglichen Vaterfigur und dem skrupellosen Mörder changiert. Auch seiner Lebensgeschichte räumt Lisa Moore ein paar Kapitelbetrachtungen ein. Sie macht es einem dabei schwer, ein Urteil über ihren Delinquenten zu fällen. Der Mann ist gefährlich, aber er hat Gründe, und mit gutem Willen kann man sogar so etwas wie ein soziales Gewissen in ihm erkennen. Als er etwa das Haus einer depressiven Schauspielerin ("Endstation Sehnsucht") niederbrennt, um die Versicherungssumme zu kassieren, will er das auch als Neuanfang für seine Geliebte verstanden wissen: "Er wollte ihr zeigen, dass Veränderung möglich war."

Lisa Moore skizziert in ihrem Debüt die krummen Lebenswege einer kleinen Gruppe von Pechvögeln aus St. John's nach dem Short-Cuts-Prinzip. Sie bringt sie in einen unaufdringlichen Zusammenhang. Erst dadurch werden Neuanfänge und Formationen denkbar. Aber diese müssen gar nicht wirklich erzählt werden. Moore arbeitet impressionistisch. Sie liefert uns kein Happy End, nur die Zuversicht, dass das Leben ihrer Romanfiguren weitergeht. "Die leben noch", könnte Auntie Madeleine gesagt haben. Sie ist die einzige, die (in einem Sessel der Heilsarmee) einem Herzinfarkt erliegt. Vom Rest der Bande ist zu vermuten, dass sie auch weiterhin an Alligatoren mit scheunentorgroßen Mäulern vorbeitaumeln werden. Allerdings nun mit dem Wissen, dass man dabei nicht allzu leicht ins Schwitzen geraten sollte. Es sind doch anmutige Tiere.

KATHARINA TEUTSCH

Lisa Moore: "Im Rachen des Alligators".

Roman.

Aus dem Englischen von Kathrin Razum. Hanser Verlag, München 2013. 252 S., geb., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Nicht einfach durchschaubar erscheint uns, was Rezensent Martin Zähringer da gelesen hat. Es geht um Gewalt in den von Lisa Moore mit Mitteln des Cut-up, wie Zähringer schreibt, präzise arrangierten Geschichten und Einzelschicksalen und Beziehungen. Ihren dramatischen Zusammenhang muss Zähringer zwar selber finden, doch das genügt ihm nicht. Am Ende stößt er doch wieder auf eine wohlkalkulierte Geschichte, enttäuscht. Zähringer nämlich hält das Cut-up für eine lohnenswerte Sache, die immer neue Perspektiven schafft. Das virtuose Erzählen der Autorin hätte er gern gegen ein riskanteres eingetauscht.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Colleens Kämpfe mit der Mutter, ihre Jungsaffären und ihre Reise zu einem bizarren Reptiliendompteur schildert Moore im klug arrangierten Spiel mit wechselnden Perspektiven." Wolfgang Höbel, Kulturspiegel, 5/2013

"Ihr Debütroman "Im Rachen des Alligators" ist ein Bestseller, der jetzt auf Deutsch vorliegt: eine Geschichte über die Liebe und das Verlassen - voller Tiefe und Humor." Gabriele von Arnim, Deutschlandradio Kultur, Radiofeuilleton, 26.04.2013

"Lisa Moore erzählt in einer eindringlichen, sanft schwingenden, kühl reduzierten Sprache von den Schmerzen der Übriggebliebenen ... Klug arrangierte(s) Spiel mit wechselnden Perspektiven." Wolfgang Höbel, Kulturspiegel, 05/2013

"Eine wirklich bemerkenswerte Schriftstellerin." Harald Ries, Westfalenpost, 25.06.2013

"Einen Roman, der in Neufundland spielt, bekommt man nicht alle Tage in die Hände, und wenn doch, dann kaum einen, der so unglaublich toll und intelligent erzählt ist wie 'Im Rachen des Alligators', der Debütroman der Kanadierin." Karen Krüger, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.04.13