Marktplatzangebote
3 Angebote ab € 9,90 €
  • Broschiertes Buch

Er gab der Soziologie ihren Namen und begründete den Positivismus: Auguste Comte, Philosoph aus Frankreich, fand in der ganzen Welt Anhänger. Mittels revolutionärer Medien versuchte er im 19. Jahrhundert, die Ausbreitung seiner Ideen zu fördern. Er stiftete einen Orden, der mit Plakaten, Plastiken, Medaillen und Grafiken das positivistische Weltbild unter den Massen verbreitete. Wolf Lepenies erzählt ein erstaunliches Kapitel aus der Geschichte unserer Medienkultur.

Produktbeschreibung
Er gab der Soziologie ihren Namen und begründete den Positivismus: Auguste Comte, Philosoph aus Frankreich, fand in der ganzen Welt Anhänger. Mittels revolutionärer Medien versuchte er im 19. Jahrhundert, die Ausbreitung seiner Ideen zu fördern. Er stiftete einen Orden, der mit Plakaten, Plastiken, Medaillen und Grafiken das positivistische Weltbild unter den Massen verbreitete. Wolf Lepenies erzählt ein erstaunliches Kapitel aus der Geschichte unserer Medienkultur.
Autorenporträt
Wolf Lepenies, geboren 1941, Soziologe und Historiker, von 1986 bis 2001 Rektor des Wissenschaftskollegs zu Berlin, war mehrere Jahre Mitglied des Institute for Advanced Study in Princeton (USA) und 1991/92 Inhaber der Chaire Européenne am Collège de France (Paris). Lepenies ist Ehrendoktor der Sorbonne und der Universität Bukarest und Offizier der Französischen Ehrenlegion. Er erhielt u.a. den Alexander-von-Humboldt-Preis, den Karl-Vossler-Preis, den Breitbach-Preis und den Theodor-Heuss-Preis. 2006 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. 2016 den Kythera-Preis.Zuletzt erschienen im Carl Hanser Verlag: Sainte-Beuve. Auf der Schwelle zur Moderne (1997), Kultur und Politik. Deutsche Geschichten (2006), Auguste Comte. Die Macht der Zeichen (2010) und Die Macht am Mittelmeer. Französische Träume von einem anderen Europa (2016).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.09.2010

Ordnung
und Fortschritt
Wolf Lepenies rekonstruiert, wie Auguste Comte
den „Positivismus“ zur Weltanschauung formte
In der politischen Rhetorik sind jene weltanschaulichen Positionen normalerweise deutlich markiert, denen man bei Strafe des Untergangs nicht zu nahe kommen darf – so seit einiger Zeit der „Neokonservatismus“. Die Praxis der wissenschaftlichen Selbstdarstellung funktioniert ähnlich. Auch die Welt der Theorie kennt stigmatisierte Zonen, die derjenige, der dazugehören und, sagen wir, erfolgreich Drittmittel einwerben will, großräumig umfahren sollte. Der „Historismus“ ist so ein Sperrgebiet, ebenso der „Eklektizismus“, vor allem aber der „Positivismus“. Auch ohne Adorno-Lektüre hat das irgendwie jeder verstanden: „Positivist“ möchte im wahren wissenschaftlichen Leben niemand sein.
Die Geschichte des Positivismus ist die Geschichte seiner Diskreditierung. Schon Karl Marx stellte die Dinge klar und verlieh seinem Ärger über diese Doktrin, um „die Engländer und Franzosen so viel Lärm machen“, drastisch Ausdruck. „Scheißpositivismus“ – so der verdrießliche Kommentar aus dem Juli 1866. Zu diesem Zeitpunkt war die Lehre des Schulgründers Auguste Comtes dreißig Jahre alt, und der Leser jenes Briefes an Engels spürt noch heute, wie sehr Marx sein eigenes Projekt durch die Konkurrenz aus Paris bedroht sah.
Und in der Tat: Auch der Positivismus wollte revolutionär sein und die Massen mobilisieren, auch er beschwor das Bündnis von Philosophen und Proletariern, auch er verstand sich als wissenschaftliches Programm zur Beschleunigung des Fortschritts. Was Mohammed und Cromwell ihren Anhängern gepredigt hätten, so Comte im August 1851, das „muss ich, oder besser noch, weil es im Namen der Menschheit geschieht, allen wahren und bedeutenden Positivisten sagen: Bemächtigt Euch der sozialen Welt; denn sie gehört Euch, nicht weil Ihr ein Recht daran habt, sondern weil Ihr damit einer offenkundigen Bestimmung folgt, weil Ihr die Einzigen seid, die die große Revolution zu einem natürlichen Ende bringen können.“
In seiner soeben erschienenen wissenschaftsgeschichtlichen Porträtstudie zu August Comte interessiert sich der Soziologe Wolf Lepenies nur beiläufig für die Kritik des Positivismus, die noch kürzlich durch Claude Allègre ihre aktuelle Bestätigung fand. Die „Clique“ um Comte, schrieb der ehemalige französische Forschungsminister erst kürzlich in einer populärwissenschaftlichen Schrift, sei wenig seriös, wenig wissenschaftlich gewesen. Demgegenüber geht Lepenies der spannenden Frage nach, wie es der Positivismus trotz der Widrigkeiten und Widerstände vermochte, eine relativ konstante Geschichte auszubilden und sich international zu etablieren.
Tatsächlich war der Durchsetzungserfolg des Positivismus beachtlich: Als am 18. Mai 1902 das von Jean-Antoine Injalbert geschaffene Denkmal für Auguste Comte auf der Place de la Sorbonne feierlich enthüllt wurde – ebendem Platz, auf dem es bis heute steht –, gaben dem Verblichenen einige führende Köpfe der europäischen Wissenschaft die Ehre, darunter Lujo Brentano, Emile Durkheim, Georg Jellinek, Otto Külpe, Lucien Lévy-Bruhl, Tomas Masaryk, Hugo Münsterberg, Ernest Renan, Gabriel Tarde und Ferdinand Tönnies.
Wie also hat der Positivismus es gemacht, dass er die Beachtung und schließlich auch die Achtung der sozialwissenschaftlichen Elite des 19. Jahrhunderts gewann? Lepenies liegt nichts ferner als eine Bloßstellungsgeschichte; sein Augenmerk gilt dem sprechenden Detail. So verweist er auf die umfassende Propaganda der Bilder und Zeichen, die Auguste Comte selbst initiierte und bis zu seinem Tod am 5. September 1857 ebenso hartnäckig wie umsichtig betrieb.
Als Schlüsselereignis darf im Rückblick der in den fünfziger Jahren gefasste Entschluss Comtes gelten, die eigenen Frühschriften nochmals vorzunehmen und prompt als unphilosophisch zu verwerfen. Das Ergebnis dieser Revision ist der Aus- und Umbau des Positivismus, der sich bis dahin strikt als Wissenschaft verstanden hatte, zu einer Weltanschauung und sozialen Bewegung. Die Berufung auf Mohammed und Cromwell sowie auf das Erbe der Revolution von 1789 eröffnet eine Phase des Umbruchs, in der politische und moralische Ambitionen immer stärker hervortreten und Auguste Comte sich als Künder der „soziologischen“ und der „endgültigen Religion“ zu sehen beginnt.
Von nun an soll die Wissenschaft unmittelbar dem Nutzen der Menschheit verpflichtet sein, und in dieser Selbstverpflichtung besteht ihre „Positivität“. Das Attribut des „Positiven“ besagt nichts anderes, als dass die neue, moderne und humanitäre Wissenschaft nicht „negativ“ oder kritisch sein möchte, sondern aufbauend und fördernd, dass sie sich unmittelbar auf die zutageliegende Faktizität richtet, dass sie die Öffentlichkeit sucht und die abstrakten Gedankenwege der Metaphysik durch pragmatische Fragestellungen ersetzt. Für die Mitstreiter und Hörer des Positivismus, zu denen neben John Stuart Mill und George Sand für kurze Zeit auch Alexander von Humboldt gehört hatte, war dieses Programm der Jahrhundertmitte nicht nur eine stabile geistige Grundlage, sondern auch Ausdruck der „Sanftheit“ und sogar der „Zärtlichkeit“ im Umgang mit der menschlichen Welt.
Um die positive Menschheitsreligion zu verbreiten, setzte Comte, der seine Thesen eines Tages auf der Kanzel in Notre-Dame zu predigen hoffte, auf die Politik der Bilder und Zeichen. Der Positivismus sollte ästhetisch werden. 1850 entsteht das erste Porträt Comtes von Joseph Guichard, wenig später eine überaus umstrittene Porträtzeichnung von der Hand Félix Braquemonds, parallel dazu entwirft Antoine Etex die Büste, die noch heute in der Chapelle de l’Humanité ausgestellt ist. In Etex findet die Bildpropaganda des Positivismus ihren wirksamsten Protagonisten. Selbst ein Anhänger der Bewegung, weiß sich der Bildhauer und Maler mit Comte darin einig, dass die Sprache der Bilder nicht nur der Popularisierung dient, sondern Ausdrucksmöglichkeiten bereitstellt, die der posivistischen Theorie zum Vorbild werden sollen. Speziell das Zeichnen verbindet demnach Form und Ausdruck, und vor allem sprengt es alle sozialen und nationalen Schranken. Klarsichtig erkannte Etex die verführerische Kraft der Illiteralität, die reine Evidenz des Schemas, der Graphik, der Diagrammatik. Wer zeichnet, verkündet Etex, „schreibt in allen Sprachen“.
Seit der Begegnung mit Etex verfolgte Comte den Plan, sein Publikum nur noch in Plakatform anzusprechen. Im „Vulgarisieren“ der Wissenschaft übersah er die Gefahr der schrecklichen Vereinfachung und konzentrierte sich auf den Auftrag des Aufklärungsjahrhunderts, den der Positivismus erfüllen sollte. Der sichtbarste Erfolg dieses Projekts ist neben dem Denkmal auf der Place de la Sorbonne die Flagge Brasiliens, auf der sich das weltumspannende Motto des Positivismus: „Ordnung und Fortschritt“ bis heute gehalten hat. Mit sicherer Hand führt Wolf Lepenies in seinem Buch die zahllosen Fäden dieser Geschichte zusammen, die tragischer kaum hätte enden können: Der Positivismus sollte die Sympathien, die ihm von politischer Seite entgegenschlugen, mit dem Verlust seiner wissenschaftlichen Reputation bezahlen. RALF KONERSMANN
WOLF LEPENIES: Auguste Comte. Die Macht der Zeichen. Carl Hanser Verlag, München 2010. 203 Seiten, 18,90 Euro.
Mit Hilfe der Bildpropaganda
wurde die Wissenschaft
in eine Religion verwandelt
Auguste Comte (1798-1857), der der Soziologie ihren Namen gab, in einem Porträt von Louis Jules Etex. „Scheißpositivismus“ – so entfuhr es Karl Marx in einem Brief an Engels, weil er Comte als Konkurrenz sah. Foto: bridgemanart.com
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ralf Konersmann vertraut ganz auf die Souveränität des Autors beim Verknüpfen der vielen Fäden der Geschichte des Positivismus mit seiner Schlüsselfigur Auguste Comte. Enttäuscht wird er nicht. Die spannende Entwicklung des Positivismus von einer Wissenschaft zu einer sozialen und politischen Bewegung zeichnet der Autor für ihn nachvollziehbar auf und entwirft zugleich ein wissenschaftsgeschichtliches Porträt Comtes. Dass Wolf Leppenies auf Bloßstellung verzichtet und lieber das Detail sprechen lässt, so wenn er etwa Comtes Propagandamaschine erläutert, hält ihm der Rezensent ferner zugute.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Wolf Lepenies rekonstruiert, wie Auguste Comte den 'Positivismus' zur Weltanschauung formte." Ralf Konersmann, Süddeutsche Zeitung, 06.09.10

"Wie schon in früheren Büchern erweist sich Wolf Lepenies als ein Meister der kultursoziologischen Miniatur." Peter Schöttler, Die Zeit, 10.02.11