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Gibt es einen postmodernen Gott? Nietzsches Botschaft, Gott sei tot, ist Allgemeingut geworden. Aber wer ist an seine Stelle getreten? Der Philosoph Gianni Vattimo plädiert für eine neue Form der Christlichkeit: es könnte ein christlicher Glaube sein, der sich von allen Dogmen befreit hat.

Produktbeschreibung
Gibt es einen postmodernen Gott? Nietzsches Botschaft, Gott sei tot, ist Allgemeingut geworden. Aber wer ist an seine Stelle getreten? Der Philosoph Gianni Vattimo plädiert für eine neue Form der Christlichkeit: es könnte ein christlicher Glaube sein, der sich von allen Dogmen befreit hat.
Autorenporträt
Gianni Vattimo, geboren 1936 in Turin, studierte Philosophie in Turin sowie in Heidelberg bei Hans-Georg Gadamer und Karl Löwith. 1964 wurde er Professor für Ästhetik in Turin, 1982 übernahm er dort den Lehrstuhl für Theoretische Philosophie. Von 1999 bis 2004 war Gianni Vattimo linksdemokratischer Abgeordneter im Europäischen Parlament.
Rezensionen
"Ein leidenschaftliches Plädoyer für den persönlichen Offenbarungsglauben ..." (Die Zeit)

"Italiens postmoderner Chefphilosoph fordert ein neues, besseres Christentum." (Süddeutsche Zeitung)

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.02.2004

Gottes schwache Nummer
Gianni Vattimo ist für ein Christentum jenseits des Christentums

Keine Religion hat seit ihren Anfängen so sehr darauf geachtet, eine Allianz mit der Philosophie zu schmieden, wie das Christentum. Was Kritikern als die zentrale Verfälschung des Christlichen gilt - die von den Kirchenvätern vollzogene Synthese des biblischen Glaubens mit dem hellenischen Geist -, war ursprünglich als missionarischer Akt verstanden worden: als Dolmetschung des Christlichen nach außen, in einer auch Nichtgläubigen verständlichen philosophischen Sprache.

Insoweit, sagt der italienische Philosoph Gianni Vattimo, solle alles beim alten bleiben: Das Christentum solle auf seine philosophische Anschlußfähigkeit auch künftig nicht verzichten. Doch welche Welten trennen Vattimo von den Kirchenvätern! Während diese philosophisch auf neuplatonische Ontologie setzten, schlägt jener der Religion das Bündnis mit der postmodernen Dekonstruktion vor. Statt auf Aristoteles und Platon zu bauen, müsse man lernen, mit der Geistprophetie des Joachim von Fiore, mit Nietzsches Tod Gottes und mit Heideggers Ereignislehre auszukommen, sagt Vattimo. Daß man auf diesem Wege im Ergebnis zu einem historisch "anderen" Christentum gelangt, zu einem Christentum "jenseits des Christentums" (so der Buchtitel) - ebendies wird von Vattimo nicht bloß in Kauf genommen, sondern erwünscht. Welches Christentum wünscht sich Vattimo? Es ist ein Christentum der "Liebe" und "Freiheit", durchgängig spiritualisiert, vom Institutionellen entkoppelt, gruppiert um den "Leitfaden der Schwächung", wie er sich sowohl in der Krippe von Bethlehem als auch im Fragmentarischen postmodernen Philosophierens ausdrücke. Vattimo will ein Christentum, dessen Formgehalt sich als kontingenter Ausdruck religiöser Ursymbolik versteht, dem es weniger um "Inhalte" als um religiöse "Erfahrung" geht. So werde es möglich, "der Lehre Joachims von Fiore ein Bild postmoderner Religiosität einzuhauchen". Es werde eine Religiosität des "dritten Zeitalters" sein (hier: die Postmoderne), welche das "antimetaphysische Prinzip" zum Sprechen bringe, "das von Christus in die Welt eingeführt worden ist".

Das Interessante an Vattimos Buch sind nicht die theologischen Postulate. Die Kirchengeschichte ist reich an spiritualistischen Avancen, und natürlich arbeitet sich auch die neuere Theologie an derartigen Vorschlägen im Zeichen von Weltethos, Kirchenkritik und mystischer Zukunft des Christentums ab. Doch der theologische Diskurs hat es in dieser Frage nie geschafft, von der Philosophie aufgegriffen zu werden, er zirkuliert in sich selbst, welcher Philosoph zitiert schon Karl Rahner? Vattimo - und das eben ist das Interessante an seinem Buch - macht die Zukunft des Christentums zu einem genuin philosophischen Thema. Damit setzt er die entscheidende Frage frei: Ist die Metaphysik der Griechen konstitutiv für das Christentum? Oder ist sie bloß eine historische Opportunität gewesen, eine Philosophie, die austauschbar ist, heute also ohne theologische Verluste durch die postmoderne Dekonstruktion ersetzt werden könnte?

Etienne Gilson hat auf den eigentümlichen Umstand aufmerksam gemacht, daß Platon und Aristoteles trotz ihres philosophischen Monotheismus religiös Polytheisten geblieben sind. Philosophisch haben sie Gott als absoluten Weltgrund erkannt, religiös hielten sie ihn jedoch weiterhin für unansprechbar im polytheistischen Sinne. Den biblischen Glauben verständlich zu machen hieß darum, einerseits auf die griechische Metaphysik zurückzugreifen (Gott als absoluter Weltgrund), andererseits über sie hinauszugehen (Gott offenbart sich als für den Menschen ansprechbar, ist nicht länger der unbewegte Beweger). Vattimo rührt, wenn er Christus als Antimetaphysiker hinstellt, an ein Paradox. Unstreitig ist Jerusalem nicht Athen, aber ohne Athen wäre Jerusalem Fragment geblieben. So kann man den "Leitfaden der Schwächung" auch anders auslegen: Das Christentum bindet seine Lehre, kein philosophisches Fragment neben anderen zu sein, an eine Philosophie unter anderen. Sie soll das Absolute in Worte kleiden, obwohl ihre Autorität als Philosophie keine absolute sein kann. Aristoteles ist ein Hauch der Geistesgeschichte.

Was philosophisch wie Dezisionismus aussieht - das lehramtliche Festhalten am die antike Metaphysik verarbeitenden Thomismus -, erklärt sich als theologische Verlegenheitslösung: Man hat nichts Passenderes gefunden, um den Namen Jahwes auf den Begriff zu bringen, als aus dem "Ich bin" der "Ich bin der Seiende" zu machen, als die zentrale Selbstaussage Gottes an etwas so Vorläufiges wie die Seinsphilosophie zu binden. Daß eine solche Entäußerung des Absoluten Risiken und Nebenwirkungen hat, scheint bereits im Gedanken der Inkarnation beschlossen. Jenseits des Christentums sucht man die schwache Nummer der Menschwerdung Gottes freilich vergebens. Statt dessen findet man den Absolutismus jener Fragmentphilosophien, für die Vattimo eine Schwäche hat.

CHRISTIAN GEYER

Gianni Vattimo: "Jenseits des Christentums". Gibt es eine Welt ohne Gott? Aus dem Italienischen von Martin Pfeifer. Carl Hanser Verlag, München 2004. 192 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.03.2004

Das Reich Gottes heißt EU
Der Vatikan zählt nicht dazu: Ansonsten gibt sich Gianni Vattimo ganz tolerant
1799 veröffentlichte ein junger protestantischer Prediger an der Berliner Charité anonym „Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern”. Ihr Autor Friedrich Schleiermacher entwickelte eine romantische Utopie freier Bildungsreligiosität. Noch immer seien die Menschen nur Sklaven, abhängig von entfremdender Handarbeit, die durch mechanische Kräfte ersetzt werden solle. Dank der „Vollendung der Wissenschaften und Künste” werde „der Gott der Erde” diese toten Kräfte bald so vollkommen beherrschen, dass er von körperlicher Mühsal entlastet und zum rein geistigen Leben befreit sei. Schleiermacher deutete die Verwissenschaftlichung der Welt als Chance zur Vergeistigung, Poetisierung des menschlichen Weltumgangs. Seine Freigeborenen sollten in einer „fröhlicheren Welt” und einem „leichteren Leben” wahre Frömmigkeit verwirklichen können, in herrschaftsfreier Geselligkeit, ästhetischem Genuss, spielerisch befreiter Sexualität und liberaler, unterschiedliche Lebensformen ermöglichender Politik.
Gianni Vattimo knüpft seit seinem 1968 erschienenen Buch über Schleiermachers Hermeneutik gern an dessen Konzepte freier religiöser Kommunikation an. Italiens postmoderner Chefphilosoph, der im Europa-Parlament seit 1999 für Freiheit und Rechte der Bürger kämpft, fordert ein neues, besseres Christentum, das im europäischen Integrationsprozess Freiheit garantieren soll. In der Hoffnung auf eine religiöse Erneuerung der Kultur bleibt Vattimo dem jungen Schleiermacher treu. „Der Zustand der Zivilisation, den wir erreicht haben – mit der mechanischen und Informationstechnologie, mit der politischen Demokratie und dem gesellschaftlichen Pluralismus, mit der allgemeinen Verfügbarkeit der Güter, die erforderlich sind, um das Überleben zu garantieren –, bietet die Chance, das Reich des Geistes, verstanden als Entlastung und ‚Poetisierung’ des Realen, zu verwirklichen.”
Führt die europäische Einigung ins eschatologische Gottesreich vollkommener Freiheit? Vattimo träumt von einer okzidentalen Religionskultur, die von Arbeit entlasteten Genusswesen gesteigerte Reflexivität und bereichernde Kommunikation erschließt. Um dieser höheren „Leichtigkeit” des Lebens willen entfaltet er eine Theorie der christlichen Moderne, in der Prozesse der Säkularisierung als legitime Realisierung genuin christlicher Freiheitskonzepte gedeutet werden.
Vattimo ist ein schnell schreibender Assoziationsdenker ohne prägnante Begrifflichkeit. Irritierend selbstgewiss verkündet er das definitive Ende aller Metaphysik. Durch Nietzsche lässt er sich vom Tode des moralischen Gesetzesgottes belehren, und mit Heidegger dekonstruiert er jedes subjektunabhängige „Wesen” als Terror gegen das Individuelle. Essentialistisches Ursprungsdenken, die Hypostasierung ontischer Wesenheiten zu bindenden Lebensordnungen eigener Autorität, bringe immer nur Gewalt in die Welt.
Doch trotz seines emphatischen Bekenntnisses zu Pluralismus, Perspektivität und individueller Freiheit bleibt Vattimo antithetischen Denkfiguren von alter und neuer, schlechter und guter Religion verhaftet, so dass er nur alte Meistererzählungen vom Kampf zwischen Licht und Finsternis fortschreibt. Sein postmoderner Jargon kann den impliziten Kultursubstantialismus nicht verdecken. Vattimo empfiehlt sein neues freies Christentum als europäische Leitkultur.
Die aktuelle religiöse Lage des Kontinents deutet er als „pluralistisches Babylon”, in dem böse Religion die gute bedrohe. Zu den religiösen Bösewichtern zählen Fundamentalisten, Kommunitaristen und harte Ethno-Propheten, die Glaubenssymbole für Blut- und Bodenkulte instrumentalisieren. Vattimos wichtigster religionspolitischer Gegner residiert im Vatikan, heißt Wojtyla und legt mit Ratzingers Glaubensrationalismus den Katholizismus auf regressives Naturrecht, Ordnungsdenken und hierarchischen Autoritätskult fest. Jesu universalistische Friedensreligion von Liebe und Geschwisterlichkeit werde in Rom zu einer Stammesreligion paternalistischer Freiheitsfeinde verfälscht. Dem metaphysischen Allmachtsgott Roms setzt Vattimo einen Gott der reflektierten Selbstbegrenzung entgegen, der individuelle Freiheit fördert, indem er sich radikal zurücknimmt.
Das Motiv der Schwächung, das Vattimo gemeinsam mit anderen italienischen Post-Heideggerianern entwickelt hatte, begründet er nun im christologischen Gedanken der göttlichen Kenosis, den er dem Lutheraner Hegel verdankt. Gottes Selbstentäußerung in das sterbliche, menschliche Andere seiner selbst heilige die säkulare Welt zum wahren Ort der Gottesgegenwart. Der Gott in „Knechtsgestalt” wird als Jenseits im Diesseits ausgelegt, und den Kreuzestod des metaphysischen Herrschergottes transformiert der Populartheologe Vattimo in eine geschichtstheologische Theorie liberaler Weltfrömmigkeit.
Wie einst Richard Rothe und andere kulturprotestantische Theologen sieht er in Prozessen der Säkularisierung keinen irreligiösen Abbruch der christlichen Herkunftsgeschichte Europas, sondern deren Vollendung in gottgewollter Mündigkeit der Individuen. Affirmativ spricht Vattimo deshalb vom „christlichen Abendland” und gar von der „jüdisch-christlichen Überlieferung”, die den Kern der europäischen Identität bilde. Wie passt diese alteuropäische Leitkultursemantik zum postmodernen Pluralitätscredo? Darf man die tiefen religionskulturellen Differenzen zwischen Juden und Christen zugunsten hypostasierter Kultursubstanz unterschlagen?
Vattimos europäisches Christentum soll, Gottes Kenose folgend, den notwendigen Universalismus nicht mehr in kolonialem Imperialismus oder in Mission realisieren, sondern in „Gastfreundschaft” gegenüber den Andersgläubigen, die ihrerseits Ansprüche auf absolute Wahrheit aufgeben müssen. Pathetisch sakralisiert der Europa-Philosoph die liberale Ordnung des Politischen zur „symbolisierenden Säkularisierung der christlichen Botschaft”. Aber das Bekenntnis zur religiös fundierten politischen Liberalität kann die Grundaporie seines „schwachen Pluralismus” nicht überdecken. Dogmatisch illiberale Religionskulturen haben in seinem Euro-Pluriversum keinen legitimen Ort. Was nutzt der Lobpreis neuer Glaubensvielfalt, wenn die Anhänger des alten Glaubens als bornierte Falschgläubige ausgeschlossen werden?
Als Gymnasiast wurde Vattimo stark geprägt vom französischen Neothomisten Jacques Maritain, der ihn kritische Distanz gegenüber „gewissen Dogmen der Moderne” lehrte. Zehrt Vattimos postmoderne Absage an die Monomythen der aufgeklärten Vernunft auch von Traditionen des katholischen Antimodernismus? Sein „Christentum jenseits des Christentums” bleibt im zentralen Begriff der neuen „religiösen Erfahrung” ambivalent und schillernd. In den vagen, widersprüchlichen Assoziationen zum Erfahrungsbegriff hat Vattimo mehr vom Dogmatiker Maritain als vom Glaubenslehrer Schleiermacher gelernt. Nirgends zeigt er die Bereitschaft zu jener Skepsis und ironischen Selbstdistanz, die das menschliche Korrelat zur göttlichen Kenose bildet.
FRIEDRICH WILHELM GRAF
GIANNI VATTIMO: Jenseits des Christentums. Gibt es eine Welt ohne Gott? Aus dem Italienischen von Martin Pfeiffer. Hanser Verlag, München und Wien 2004. 192 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Der Turiner Philosoph Gianni Vattimo bleibt auch als Philosoph immer noch ein bisschen Theologe, bemerkt Martin Meyer und vergleicht ihn diesbezüglich mit Martin Heidegger. Mayer formuliert die Kernfrage von Vattimos neuem Essay so: Wie könnte ein Christentum beschaffen sein, das die absolute Wahrheit hinter sich gelassen habe und dennoch an den "Urformen seines Geistes" festhalte? Vattimos Gedankengängen haftet laut Meyer etwas Zirkuläres an, dennoch ergeben sich manchmal überraschende Ausblicke. Zum Beispiel gewinne Vattimo dem Begriff Säkularisierung eine "frische Bedeutung" ab, indem er darin nicht nur eine Profanisierung sakraler Inhalte, sondern auch eine "Erfüllung des Sakralen" im Geiste der Toleranz sieht. Ein bisschen zu viele freundliche und freundschaftliche Gesten sieht Meyer in Vattimos berühmten "schwachen Denken" sich manifestieren, das seines Erachtens nicht genügend mit der Ratlosigkeit anderer Theologen und Religionsphilosophen gerungen hat. Insofern habe Vattimos Sicht auf das Christentums - als einer der Gastfreundschaft und dem Dialog verpflichteten Haltung - eine Wendung ins Beschauliche genommen, merkt Meyer etwas unzufrieden an. Ob diese Art des "toleranten Spiritualität" den politischen Theologien und Fundamentalismen von heute standhalten könne, muss sich erweisen, setzt er zweifelnd hinzu.

© Perlentaucher Medien GmbH