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Das Verhältnis Kontinentaleuropas zum Inselreich England gleicht einer heftigen Affäre. An berühmten Europäern wie Voltaire, Goethe, Marx oder Wilhelm II. und nicht zuletzt an sich selbst zeigt Buruma: Diese Bindung gilt immer dem eigenen Traum von England - sie ist "anglomanisch". Die Anglomanien sind dabei so wandelbar wie ihr historisches Umfeld. Immer entdecken die Europäer an den Engländern überwältigend viel Nachahmenswertes. Oder, so Buruma, sie phantasieren es hinein. Denn es sind eigene Englandprojektionen, in die sich die Anglomanen immer wieder verlieben - oder die sie, wie Wilhelm…mehr

Produktbeschreibung
Das Verhältnis Kontinentaleuropas zum Inselreich England gleicht einer heftigen Affäre. An berühmten Europäern wie Voltaire, Goethe, Marx oder Wilhelm II. und nicht zuletzt an sich selbst zeigt Buruma: Diese Bindung gilt immer dem eigenen Traum von England - sie ist "anglomanisch". Die Anglomanien sind dabei so wandelbar wie ihr historisches Umfeld. Immer entdecken die Europäer an den Engländern überwältigend viel Nachahmenswertes. Oder, so Buruma, sie phantasieren es hinein. Denn es sind eigene Englandprojektionen, in die sich die Anglomanen immer wieder verlieben - oder die sie, wie Wilhelm II., zu hassen beginnen. Eine Haßliebe: mal gilt sie der englischen Liberalität, mal dem Gegenteil, dem englischen Traditionalismus - beides geht in England immer Hand in Hand. Das hat - auch mit Hilfe "typisch englischer" Attribute wie Tweed, Tee und englischen Gärten - Konservative wie Moderne verführt. Es ist die mühelose Verbindung der rückwärts wie vorwärts gewandten Seiten, in der die faszinierende "Englishness" der Engländer liegt - für Europa ein unerreichbarer Traum.

Autorenporträt
Ian Buruma, 1951 in Den Haag geboren, lehrt als Henry R. Luce Professor am Bard College und lebt in New York. Er veröffentlicht in zahlreichen amerikanischen und europäischen Zeitschriften. Bei Hanser erschienen zuletzt: Okzidentalismus. Der Westen in den Augen seiner Feinde (mit A. Margalit, 2005), Die Grenzen der Toleranz. Der Mord an Theo van Gogh (2007), Die drei Leben der Ri Koran. Roman (2010), '45. Die Welt am Wendepunkt (2015) und Ihr Gelobtes Land. Die Geschichte meiner Großeltern (2017).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

"Wo warst du Lektor?" heult Rezensent Werner von Koppenfels auf, weil er ein wunderbares Buch in seiner deutschen Ausgabe ganz fürchterlich verschandelt sieht. Das Unglück beginnt für ihn schon mit dem deutschen Titel dieser "anekdotenreichen Geschichte der europäischen Anglophilie", das Autor Ian Buruma im Original "Voltaire's Coconuts" genannt habe - in Anlehnung an eine Stelle in Voltaires "Dictionnaire philosophique". Die deutsche Ausgabe habe den "ungewöhnlich witzigen Titel", diese "Visitenkarte von Autor und Gegenstand" in den Orkus expediert und den Untertitel zum Titel erhoben. Auch sei Burumas schöne und dabei keineswegs unkritische Liebeserklärung an Großbritanien "mit so geringer Einfühlung für die englischen Wirklichkeiten", dafür aber "mit ausgeprägtem Sinn für das mot faux" übersetzt. "Muss ein in München verlegtes Buch wirklich den ersten Bayernkönig als "Fürst Ludwig" apostrophieren?" fragt er verzweifelt. Die Kapitel dieses "glänzend lesbaren" Buches seien von sehr unterschiedlicher Länge und "scheinbar nur chronologisch aneinander gereiht". In Wirklichkeit verknüpfe sie ein "feines Netz von Querverbindungen". Die "elegische Coda" dieses Buches" bilde ein Text über Isaiah Berlin und den Trauergottesdienst für den großen "Man of Letters" in einer Londoner Synagoge, in dem der Rezensent die "Englischwerdung des europäischen Geistes ebenso wie die Bereicherung Englands durch seine kontinentalen Schutzsuchenden" verkörpert sieht.

© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.2002

Eine Kokosnuß für ein Königreich
Liebe zum Liberalismus als Kulturform: Ian Buruma kommt der England-Begeisterung auf die Spur

Es gibt keinen Zusammenstoß der Zivilisationen - das ist seit einigen Monaten das Dogma der Liberalen. Auch der Schriftsteller Ian Buruma hat das kürzlich in einem Beitrag für "The New York Review of Books" bekräftigt. Alle Religionen, besonders die monotheistischen, beherbergten das antiwestliche Gift, also auch Christentum und Judentum. Aus allen möglichen historischen und politischen Gründen seien es eben heute extreme Erscheinungsformen des Islam, die den Todeskult namens "Okzidentalismus" kultivierten. Dem dürfe der Westen auf keinen Fall mit einem ebenso kruden Feindbild antworten, jenen westlichen Klischees einer "östlichen" Welt, die der Literaturwissenschaftler Edward Said "Orientalismus" genannt hat. Würden wir dieser Versuchung nachgeben, hätte das Virus auch uns selbst infiziert.

Ist die antiwestliche Seuche also nicht auch im Westen selbst endemisch? Nur blickt der Westen auf eine lange Geschichte der Säkularisierung zurück; die Religionen sind seit langem konfessionalisiert, das heißt politisch kastriert. Vielleicht sind wir insofern einigermaßen gegen Ansteckung immun. Varianten eines "weltlichen Faschismus", so Buruma, könnten jedoch in allen Kulturen auftauchen. Die Diktatur der Nationalsozialisten war nicht zuletzt der Kampf einer westlichen Zivilisation gegen ihr eigenes Prinzip. Wie Buruma in seinem Buch "Erbschaft der Schuld" gezeigt hat, war die Barbarei der Nazis nichts, was dem deutschen Volkscharakter eingeschrieben gewesen wäre, und auch kein Kollektivschicksal, das sich durch nachträgliches Moralisieren bannen ließe. Das Virus der Barbarei ist so lange überall virulent, wie Leute nicht bereit sind, sich persönlich für ihre individuellen Handlungen und die Gesellschaft, in der sie leben, verantwortlich zu fühlen.

In seinen Büchern umkreist Buruma diesen Gedanken, indem er ihn im west-östlichen Kulturvergleich durchdekliniert. Individuelle Freiheit und persönliche Verantwortung - dies sind nicht kulturelle Vorurteile des Westens, sondern universelle Prinzipien. Ihnen zu entsprechen ist Deutschen ebenso möglich wie Japanern, Indern ebenso wie Engländern. Was nicht hindert, daß sich von diesem "Okzidentalismus" viele in ihrer "kulturellen Identität" bedroht fühlen. Der Baum der Freiheit kann überall wachsen. Aber verdrängt dann nicht dieses neue Gewächs die traditionellen Kulturpflanzen?

Eine positive Variante des "Okzidentalismus" heißt Anglomanie. Ihr hat Buruma 1999 ein Buch gewidmet. Der englische Originaltitel lautete übersetzt "Voltaires Kokospalmen": Buruma führt Voltaire als den ersten europäischen Anglomanen ein. Da sich die englische Freiheit auf Vernunft gründe, könne sie letztlich überall gedeihen. Indische Kokospalmen trügen in Rom keine Früchte? Dieser von Voltaire vorweggenommene Einwand bildet den leitmotivisch wiederkehrenden Gegenstand des Buchs. Indische Kokosnüsse bräuchten halt auch in England ihre Zeit, meinte Voltaire. Die deutsche Übersetzung erscheint zur rechten Zeit, um zur Selbstvergewisserung auf unserem eigenen sogenannten "Weg in den Westen" beizutragen. Was suchen wir dort eigentlich? Welchen Hindernissen begegnen wir? Wie sicher sind die Institutionen der Freiheit bereits installiert?

Anglomanie ist die Liebe zum Liberalismus als Kulturform, also zu den zufälligen Mischungen universeller Prinzipien mit nationalen Besonderheiten. Seit dem Ende des Empires richtet sich die Anglomanie nicht mehr auf eine Verheißung, sondern auf ein Objekt nostalgischer Andacht. Amerika hat Großbritannien abgelöst. Burumas Buch ist also weitestgehend historisch. Aber seine Figuren - vom Aufklärer Voltaire bis zum Ideenhistoriker Isaiah Berlin, vom romantischen Exilrevolutionär bis zum exilierten Professor für Kunstgeschichte, vom Börsenmakler bis zum liberalen Wirtschaftstheoretiker - treten uns so lebendig entgegen wie Burumas Gesprächspartner in dessen asiatischen Reisebeschreibungen. Das Gespräch mit den Toten mischt sich unmerklich in den Dialog mit den Lebenden, aus denen Buruma seine Bücher webt.

Seine Gestalten sind so widersprüchlich wie das Leben selbst, denn Buruma beschäftigt sich am liebsten mit den Paradoxien der Anglomanie, etwa dem scheinbaren Widersinn, daß nur eine Nation gehemmter Konformisten in Freiheit leben, nur eine auf Brauchtum und Tradition beruhende natürliche Ordnung liberale Institutionen schaffen und bewahren könne, wie der enttäuschte russische Revolutionär Alexander Herzen beobachtete. Was wir als universell verstehen, erscheint in dieser "nativistischen" Sicht als nationale Eigenart. Theodor Herzl dagegen, der als Feuilletonist und Dandy nach englischem Vorbild den politischen Zionismus begründete, vertrat die "rationalistische" und "universalistische" Seite der Anglophilie. Er stellte sich vor, den englischen Zivilisationsauftrag in einem eigenen jüdischen Staat, einem britischen Empire im Kleinen, zu verwirklichen. Er würde Voltaires Kokospalmen in Palästina anpflanzen.

Die perverse Ironie der Geschichte spiegelt sich wider im Leben eines "Anglomanen, der England haßte": Kaiser Wilhelm II. Als Enkel von Königin Victoria war er das Resultat der heiratspolitischen Strategie seines Großvaters Prinz Albert, Preußen zu einer konstitutionellen Monarchie, zu einem liberalen Staat, zu einem natürlichen Verbündeten Großbritanniens zu machen. Buruma führt die welthistorisch fatalen Minderwertigkeitsgefühle Wilhelms auf den vergeblichen Ehrgeiz seiner Mutter zurück, aus ihm einen ernsten, liberalen, gelehrten Anglophilen zu machen - sie erreichte das Gegenteil. Lieber ließ sich Wilhelm von einem anderen Engländer, Houston Stewart Chamberlain, davon überzeugen, England sei in die Hände der Juden und Amerikaner gefallen und das Heil der Menschheit sei an die Zukunft des deutschen Geistes geknüpft. Der Kaiser wollte England retten, nur steckte der Haken, so Buruma, darin, daß England nicht gerettet werden wollte.

Tatsächlich war das Empire letztlich sowenig zu retten wie Deutschland irgend jemandem Heil brachte. Beide hatten das Glück, in die Hände der Amerikaner zu fallen. Amerika repräsentiert heute den Westen auf der Höhe seiner imperialen Macht - einer Macht, durch die sich die reaktionären Machthaber in den unfreien Teilen der Welt zu Recht bedroht fühlen. Denn die Ausstrahlungskraft dieses Zivilisationsmodells ist unwiderstehlich. Und um Kokospalmen nicht nur in der Wüste, sondern notfalls auch am Nordpol gedeihen zu lassen, würden die ebenso freiheitsliebenden wie technikgläubigen Amerikaner gewissermaßen "gentechnisch" nachhelfen - sofern es sich rentiert.

CHRISTOPH ALBRECHT

Ian Buruma: "Anglomania". Europas englischer Traum. Aus dem Englischen von Hans Günter Holl. Carl Hanser Verlag, München 2002. 392 S., geb., 24,90 .

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"Der auch im strukturalistischen Denken erfahrene Autor kennt den Reiz des Dandys, jener schönen `Englishness`, jenes immer nur fast Englisch-Seins, das die Menschen anlockt und verführt." (Elisabeth Endres, Südwestfunk)
"Freiheit und Snobismus" ist die Zauberformel hinter den Projektionen der Anglomanie. Köstlich beschreibt Buruma die Gestalten, in denen sie einem entgegenkam - sei es als Hutkreation "erstickter Seufzer", die im vorrevolutionären Frankreich getragen wurde, sei es im aristokratischen Habitus auf dem "Beggar´s Banquett-Album der Rolling Stones."
Financial Times Deutschland

"Ian Burumas brillante Erzählung über den europäischen Traum von der Insel ... prüft ... behutsam, kenntnisreich und manchmal mit einer Prise Spott die erstarrten Bilder und Mythen, die wir durch die Jahrhunderte schleppten ... Ein Buch voll prallem Leben, unterhaltsam, oft bewegend."
Klaus Harpprecht, Die Zeit, 27.03.2002

"Ein Leitfaden für Anhänger der britischen Kultur und Lebensart oder solche, die es noch werden wollen."
Martin Scherer, Der Focus, 21/2002