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»Eine Meditation über Rassismus, Klassenzugehörigkeit und Trauer. Und am Ende doch sehr positiv - einfach herzzereißend.« Barack Obama
Natasha Trethewey ist neunzehn Jahre alt, als sich ihr Leben für immer verändert: ihr ehemaliger Stiefvater erschießt ihre Mutter. Heute stellt sich die mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Dichterin die Frage, wie diese Erfahrung sie zu der Künstlerin geformt hat, die sie geworden ist. Eindringlich und mit schonungslosem Blick nimmt Trethewey diese tiefgreifende Erfahrung von Schmerz, Verlust und Trauer als Ausgangspunkt, um den tragischen Verlauf des…mehr

Produktbeschreibung
»Eine Meditation über Rassismus, Klassenzugehörigkeit und Trauer. Und am Ende doch sehr positiv - einfach herzzereißend.« Barack Obama

Natasha Trethewey ist neunzehn Jahre alt, als sich ihr Leben für immer verändert: ihr ehemaliger Stiefvater erschießt ihre Mutter. Heute stellt sich die mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Dichterin die Frage, wie diese Erfahrung sie zu der Künstlerin geformt hat, die sie geworden ist. Eindringlich und mit schonungslosem Blick nimmt Trethewey diese tiefgreifende Erfahrung von Schmerz, Verlust und Trauer als Ausgangspunkt, um den tragischen Verlauf des Lebens ihrer Mutter zu erkunden und zu verstehen, wie ihr eigenes Leben durch deren unerschütterlicher Liebe und Widerstandskraft geprägt wurde. Indem sie die Lebenslinien ihrer Mutter im zutiefst von Rassentrennung geprägten amerikanischen Süden und die ihrer eigenen Kindheit als »Kind von Rassenmischung« in Mississippi nachzeichnet, lotet Trethewey ihr Gefühl der Entwurzelung und des Unbehaustseins in jener Zeit aus, die in dem erschütternden Verbrechen mündet, das sich 1985 am Memorial Drive in Atlanta ereignete.
Autorenporträt
Natasha Trethewey ist eine vielfach ausgezeichnete amerikanische Lyrikerin: u.a. Pulitzer Prize, Guggenheim Fellowship, Puchcart Prize, US-Poet Laureate. Sie war Robert W. Woodruff Professorin für Englisch and Creative Writing an der Emory University in Atlanta, wo sie von 2001 bis 2017 lehrte. Heute ist Trethewey Mitglied des Board of Trustees und Professorin für Englisch an der Northwestern University.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Zwischen "bleischwerem Gegenstand" und "federleichter Poesie" bewegt sich das Buch von Natasha Trethewey über ihre Mutter, findet Rezensentin Marlene Knobloch an. Es geht um den Mord des Vaters an ihrer Mutter - ein schwieriges Thema, räumt sie ein, aber Trethewey gelingt ein fragendes, erinnerndes Buch, das eruiert, wie man zu der Person wird, die man ist. Die Autorin hat auch Akten und Tonaufnahmen der Polizei in ihr Buch integriert, erfahren wir, die sich harmonisch ins Ganze fügen. Fasziniert ist die Rezensentin auch von Tretheweys assoziativer Sprache, die in Deutschland noch ihrer längst überfälligen Entdeckung harrt. Ein tiefes, menschliches Buch, hält Knobloch fest, die gemeinsam mit Trethewey erkennt: Unsere Identität formt sich "auch aus dem, was wir vergessen."

© Perlentaucher Medien GmbH
»Ein brillantes erzählerisches Werk. Trethewey ist eine begnadete, meisterhafte Autorin. Wirklich jedes Wort sitzt, sie braucht keine langen Plots, ohne Anlauf zaubert sie Situationen, die man fühlt, riecht, sieht. Es ist höchste Zeit, dass man diese großartige Schriftstellerin in Deutschland wahrnimmt.« Marlene Knobloch, Süddeutsche Zeitung

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.04.2024

Wir sind,
was wir vergessen
Natasha Trethewey ist 19, als ihr Stiefvater ihre
Mutter erschießt. Jahrzehnte später kehrt sie als
Dichterin zurück in die Heimat –
und schreibt ein atemberaubendes Buch
VON MARLENE KNOBLOCH
Weil alles, was ich hier gleich schreiben werde, das Potenzial hat, sämtliche Leser zu verschrecken, muss vorab festgehalten sein: „Memorial Drive“ der in Deutschland unbekannten amerikanischen Schriftstellerin Natasha Trethewey ist ein brillantes erzählerisches Werk. Und trotz des bleischweren Gegenstands, obwohl hier eine Schriftstellerin autobiografisch über einen Femizid schreibt, finden sich auf den knapp 250 dahingleitenden Seiten federleichte Poesie ebenso wie präzise journalistische Recherche, Traum wie Protokoll, die vom Trost weich geformte Erinnerung und die mit Quellen präzise dargelegte Realität. Und damit schwebt dieses Buch als großes Kunstwerk über den tragischen Tatsachen.
Als Natasha Trethewey 19 Jahre alt ist, im Jahr 1985, erschießt ihr Stiefvater ihre Mutter. Jahrelang hatte er die Tochter und die Mutter misshandelt. Es wird 30 Jahre dauern, bis Natasha Trethewey die Erinnerungen an jene Jahre um den Tod ihrer Mutter bewusst zulässt. Jahrzehnte verdrängt sie diese Zeit, bis sie nach einer zufälligen Begegnung – sie ist inzwischen eine erfolgreiche Lyrikerin und Schriftstellerin – zum ersten Mal an den Tatort am Memorial Drive, einer Straße in Atlanta, zurückkehrt. „Natürlich bestehen wir auch aus dem, was wir vergessen“, schreibt Trethewey.
Sie reist also zurück, zu ihren Träumen, zu den Bildern von damals, dem verblassten Kreideumriss des Leichnams, dem kleinen, runden Loch in der Wand, ihrem eigenen Gesicht im Fernsehen. Denn das erste Mal sieht sich Natasha Trethewey nicht als erfolgreiche Poetin, als Pulitzer-Preisträgerin im Fernsehen, sondern als „Tochter der Ermordeten“, die die Stufen zur Wohnung ihrer toten Mutter hinaufsteigt. Allerdings nicht, um detailgetreu den Mord zu schildern, sondern um Bedeutung zu finden. Das Buch erzählt etwas noch weit Interessanteres als die Tat, nämlich warum man diejenige wurde, die man geworden ist. Wie die Leitpfosten eigentlich an den Wegrand gelangten, an dem man all die Jahre entlangtappte. „Es ist, als wäre das, was kommen würde, schon vor uns ausgelegt, als läge unser Schicksal in der Geographie, auf die wir so unbekümmert zufuhren.“
„Memorial Drive – Erinnerungen einer Tochter“ landete nach seiner Veröffentlichung im Jahr 2020 auf der Bestsellerliste der New York Times, wurde vielfach ausgezeichnet, Barack Obama adelte es zu einem seiner Lieblingsbücher des Jahres. Trethewey war da bereits seit Jahren eine nationale Literaturgröße, erhielt 2007 den Pulitzerpreis für ihren dritten Gedichtband „Native Guard“, hielt Vorlesungen als Poet Laureate der Vereinigten Staaten. Es ist höchste Zeit, dass man diese großartige Schriftstellerin in Deutschland wahrnimmt.
Denn wie gelingt Trethewey dieses Kunststück, von einer höchstpersönlichen Tragödie zu erzählen, ohne dass die Krassheit die Kunst überschattet, ohne uns als Leser zu Voyeuren zu machen, ohne auch nur einen Hauch True-Crime-Suspense auszukosten?
„Um ein Trauma zu überleben, muss man in der Lage sein, eine Geschichte darüber zu erzählen“, schreibt Trethewey gegen Ende ihres Buchs, und da liegt der Unterschied zu vielen Werken, die persönliche Traumata aufarbeiten: Die Betonung liegt auf erzählen, nicht auf Trauma. Es geht hier nicht um die dramatische Schilderung eines Mords und des eigenen Leids, sondern um die faszinierende Kunst des Erinnerns, des Denkens, der Sprache.
Trethewey ist eine begnadete, meisterhafte Autorin. Wirklich jedes Wort sitzt, sie braucht keine langen Plots, ohne Anlauf zaubert sie Situationen, die man fühlt, riecht, sieht. Man streift mit ihr von schönen, warmen Tagen in Mississippi zu einem brennenden Kreuz, das weiß vermummte Männer vor ihrem Haus anzünden. Sie schwingt weiter zu philosophischen Gedanken, zur Historie der USA, ohne dass ein Riss entsteht, ohne dass etwas künstlich komponiert, erzwungen wirkt.
Was auch daran liegt, dass sich Trethewey auf die Poesie statt auf die Grausamkeit konzentriert. Gelbe Narzissen spiegeln sich verdoppelt in dem Frisierspiegel, vor dem sich ihre Mutter für eine Barschicht fertig macht. An einem letzten glücklichen Abend tanzt ihre Mutter in Jumpsuit zu den Jackson Five. Und sie stellt die teils komischen, guten Figuren in den Vordergrund, wie ihre Großtante Sugar, die auf die rassistische Anrede „Hey, Auntie“ antwortete: „Und wann genau hat mein Bruder Ihre Mutter geheiratet?“ Und die ihr als Kind drei unreife Feigen gab, wie um ihr die übertragene Bedeutung zu lehren: „Sei geduldig“, „die Süße wird sich einstellen“. Die Leichtigkeit, mit der Trethewey ihre Geschichte weit, sehr weit zwischen der persönlichen Tragödie, der komplizierten, menschlichen Psyche und dem Rassismus in den USA der Sechziger- und Siebzigerjahre spannt, erinnert stellenweise an Annie Ernaux. Nur dass die Lebenserfahrung natürlich eine völlig andere ist: Natasha Trethewey kommt am 26. April 1966 noch auf einer rassengetrennten Geburtsstation zur Welt, ausgerechnet am hundertsten Gedenktag der Konföderierten Staaten, dem Tag der Verherrlichung der weißen Vorherrschaft. Sie bemerkt als Kind, dass sie anders behandelt wird, je nachdem, ob sie mit ihrer schwarzen Mutter oder mit ihrem weißen Vater unterwegs ist, hört die hämischen Rufe weißer Männer, bemerkt das Flüstern und Starren im Mississippi der späten Sechzigerjahre. Die Flinte lehnte bei ihrer Großtante immer hinter dem Türpfosten. Es hängt hier nicht alles irgendwie mit allem zusammen, sondern sehr fein und genau. Zerriss die Ehe zwischen ihrem sorglosen Vater und ihrer vorsichtigen Mutter nicht wegen einer Umgebung, die sie jeden Tag aufs Neue hinterfragte, die sie als „Mischehe“ bezeichnete? Was bedeutete es, dass die Wohnung, in der ihre Mutter sterben sollte, am „Memorial Drive“ lag?
War Trethewey nur noch am Leben, weil sie einige Jahre später ihren Stiefvater grüßte, als er mit einer Pistole beim Cheerleader-Training auftauchte, nachdem sie und ihre Mutter eine Woche zuvor vor ihm geflohen waren? Weil sie sich dort unten auf der Leichtathletikbahn zu ihm drehte und „Hey, Big Joe“ rief? Und musste ihre Mutter sterben, weil sie an jenem Tag überlebt hatte?
Eine der großen Stärken Tretheweys ist eine traurige Neugierde, mit der sie ihren eigenen Gedanken folgt: Wie sie sich einredete, dass ihre Mutter eigentlich geahnt hatte, bald zu sterben, weil sie die Vorstellung von jenem Moment nicht erträgt, in dem ihre Mutter „plötzlich erkennt, dass sie gleich sterben wird, nachdem sie gerade noch geglaubt hat, entkommen zu sein“. Wie sie den Tricks ihrer Psyche folgt, einen Erzählfaden zu finden, um „rückblickend die Zeichen zu deuten“.
Es sind die Momente, in denen man sich ihr als Leser auf fast freundschaftliche Weise verbunden fühlt, nicht aus Mitleid, sondern aus einer überraschenden Nähe heraus, vielleicht auch Bewunderung. In einem der intensivsten Kapitel wechselt sie in die Du-Form. Kurz bevor sie zu Bett geht, hört sie Schlaggeräusche, hört das Wimmern ihrer Mutter. „Du hörst es vom intimsten aller Orte ausgehen, dem Schlafzimmer mit dem Ehebett.“
Trethewey wirft die Scham, die Verzweiflung mitten ins Schreiben: „Selbst jetzt glaubst du, du kannst dich von dem Mädchen wegschreiben, das du warst, dich in die zweite Person distanzieren.“ Trethewey arbeitet auch mit den Originaldokumenten aus der Ermittlungsakte, die ihr 30 Jahre nach dem Mord an ihrer Mutter ein Polizist aushändigt. Sie übernimmt ganze Gespräche von den Tonbändern, mit denen die Polizei damals Telefonate zwischen dem Stiefvater und ihrer Mutter abhörte. („Dann willst du also nicht leben“ – „Joel, natürlich will ich leben.“)
Aber selbst diese quälend realen Gespräche schleppen sich nicht als schwer erträgliches Protokoll über die Seiten, nein, auch sie fließen bruchlos im Gesamtwerk. Denn sie sind eingebettet zwischen fantastischen Traumsequenzen, zwischen Tretheweys Erzählassoziationen, während im Hintergrund noch die glücklichen Erinnerungen aus Mississippi schimmern. Das Buch baut und stützt sich in die Höhe statt in eine lineare Ferne, Tretheweys Gedanken, ihre Bilder und Charaktere: Sind sie einmal aufgeschrieben, verschwinden sie nicht mehr aus der Geschichte.
Denn Natasha Trethewey braucht die Höhe und Gleichzeitigkeit. Sie zögert, fragt, verwirft. Eine Antwort, die sie sich am Ende eingesteht, lautet: „Selbst der Tod meiner Mutter wird in der Geschichte meiner Berufung akzeptabler, bekommt einen Sinn, statt einfach nur sinnlos zu sein. Es ist die Geschichte, die ich mir erzähle, um zu überleben.“ Sie ist Schriftstellerin geworden, damit der Mord an ihrer Mutter einen Sinn hat. Das ist keine hochpoetische, keine überraschende, auch keine zwingend wahre Antwort. Aber es ist eine sehr menschliche.
Sie ist Schriftstellerin
geworden, damit der Tod
der Mutter einen Sinn hat
2017 wurde sie für ihren dritten Gedichtband mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet: Natasha Trethewey.
Foto: Nancy Crampton
Natasha Trethewey:
Memorial Drive.
Erinnerungen einer Tochter. Aus dem Englischen von Cornelia Holfelder-von der Tann. btb Verlag,
München 2024.
256 Seiten, 17 Euro.
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