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Warum wirkt Staat? Um diese Frage zu beantworten, ist das der Ökonomie entlehnte Paradigma des Gefangenendilemmas leitend, das zu überwinden die Funktion von Staat beschreibe. Die darin innewohnende Aufgabe, Partikular- und Gesamtinteressen zu koordinieren, erfolgt, indem der Staat Kollektivgüter gewährleistet. Diese der Ökonomie eher neue Theorie dient in der vorliegenden Arbeit als Schlüssel, Ideengeschichte und Theorie des modernen Staates zu befragen. Dabei zeigt sich, dass die entsprechenden Funktionsmechanismen tatsächlich schon früh relativ bewusst erkannt wurden, um Staat zu erklären.…mehr

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Produktbeschreibung
Warum wirkt Staat? Um diese Frage zu beantworten, ist das der Ökonomie entlehnte Paradigma des Gefangenendilemmas leitend, das zu überwinden die Funktion von Staat beschreibe. Die darin innewohnende Aufgabe, Partikular- und Gesamtinteressen zu koordinieren, erfolgt, indem der Staat Kollektivgüter gewährleistet. Diese der Ökonomie eher neue Theorie dient in der vorliegenden Arbeit als Schlüssel, Ideengeschichte und Theorie des modernen Staates zu befragen. Dabei zeigt sich, dass die entsprechenden Funktionsmechanismen tatsächlich schon früh relativ bewusst erkannt wurden, um Staat zu erklären. Ein Vorgang wörtlich begriffener Veröffentlichung von Gesellschaft kann ab dem 18. Jahrhundert identifiziert werden, in dessen Verlauf die Funktion des Staates, Partikularinteressen und Gemeinwohl zu synchronisieren, durch Demokratie und öffentliche Meinung allmählich verstärkt wird. Zugrundeliegendes Material ist eine zugleich weit und eklektisch verstandene Ideengeschichte, die jedoch zu analysieren nicht Endzweck, sondern Mittel ist, die materiale Frage selbst zu erforschen, wie Staat funktioniert: Ideengeschichte wird mit politischer Theorie funktional verknüpft.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.05.2012

Auf die Einsicht der Bürger lässt sich nicht verzichten

Moderation mit Beteiligung ist das Verfahren, um aus unterschiedlichen Interessen ein Gemeinwesen zu formen: Daniel Hildebrand beschreibt die repräsentative Demokratie als angemessene Form moderner Staatlichkeit.

Zu den berühmtesten Sentenzen der politischen Philosophie gehört Thomas Hobbes' Bemerkung, der Mensch sei des Menschen Wolf. Diese Metapher lädt allerdings zu Missverständnissen ein. Es ist nicht die wölfische Wildheit der Naturzustandsbewohner, sondern ihre Fähigkeit zur rationalen Verfolgung ihrer je individuellen Interessen, die für das Elend des Naturzustandes verantwortlich ist. Die Klugheit gebietet einem jeden Naturzustandsbewohner, sich zur Verbesserung seiner Überlebenschancen um die beständige Ausweitung seines Güterfundus zu bemühen. Angesichts der Knappheit derartiger Güter führen diese Bemühungen jedoch zwangsläufig zu jenem Zustand allseitiger Konkurrenz und Feindseligkeit, den Hobbes in einer weiteren berühmten Formel als einen "Krieg aller gegen alle" beschreibt.

Hobbes' Schilderung des Naturzustandes stellt einen frühen Anwendungsfall des sogenannten Gefangenendilemmas dar. Die Summe individuell rationaler Handlungen führt danach zu Ergebnissen, die für alle Beteiligten weit weniger günstig sind als jene, die sie durch kooperatives Verhalten erzielen könnten. Kooperation setzt freilich ein gewisses Maß an wechselseitigem Vertrauen voraus. Der Staat legitimiert sich Hobbes zufolge dadurch, dass er kraft seiner überlegenen Zwangsgewalt diese Vertrauensgrundlage schafft und den Bürgern so die Segnungen der Kooperation ermöglicht.

Dass auch heutige Staaten sich in erster Linie durch die Fähigkeit auszeichnen, das Gefangenendilemma zu überwinden, ist die zentrale These der eindrucksvollen Darstellung Daniel Hildebrands. Staatliche Herrschaft legitimiert und motiviert sich dieser wohltuend nüchternen Konzeption zufolge "nicht mehr mit Gründen, die auf transzendenten Projektionen beruhen. Ideale tatsächlich zu vollenden kann daher weder Maßstab noch Ziel staatlichen Handelns sein. Staat ist vielmehr eine pragmatische Strategie alltäglicher Problembewältigung, die sich fast regelmäßig als Problemfraktionierung und Problemkonversion erweist." Entgegen der auf die Schrecknisse des Bürgerkriegs fixierten Darstellung Hobbes' betont Hildebrand, dass das Gefangenendilemma unter den Bedingungen weit fortgeschrittener funktionaler Differenzierung vielfach nicht durch bewusste Normbrüche ausgelöst werde, sondern durch fehlende Abstimmung. Des "modernen Staates letzte Konsequenz" bestehe deshalb darin, unterschiedliche Teilrationalitäten aufeinander abzustimmen: "An die Stelle von Administration tritt Moderation." Dies entspreche der Entwicklungstendenz des modernen Staates, stärker koordinierend als subordinierend, stärker konventional als kommandierend zu agieren.

Mit der Gewichtsverlagerung von der repressiven zur vermittelnden Staatstätigkeit geht ein Bedeutungsverlust des staatlichen Zwangsapparats einher. Spätmoderne Gesellschaften sind bei weitem zu komplex, um mit den verhältnismäßig plumpen Mitteln der Androhung und Anwendung physischen Zwangs erfolgreich auf Linie gebracht werden zu können. Zwar vermag die Beschränkung des Staates nach einer treffenden Bemerkung Hildebrands "nur Regulierungswirkung zu entfalten, wenn Intervention und mithin Interventionsfähigkeit des Staates gleichwohl möglich bleiben". In erster Linie muss dieser jedoch auf die Überzeugungskraft seiner Maßnahmen und die Einsicht seiner Bürger setzen.

Ein hervorragender Motivationsgenerator ist, wie Hildebrand zeigt, die Demokratie. Auch die freiheitlichste Demokratie könne nicht verhindern, dass das Individuum zu einem gewissen Grad heteronom sei. "Namentlich als Gesetzesstaat bleibt auch der demokratische Staat sub-ordinierender Souverän, der befehlsförmig seinen Willen äußert." Die Mitwirkung der Bürger bei der Willensbildung begünstige jedoch ihre Befolgungsbereitschaft: "Im Moment der Partizipation konkretisiert sich die psychologische Wirkung von Demokratie, die sie auch die Effizienz derart legitimierter staatlicher Zwangsgewalt steigern lässt: Wer mitgefragt wird, sieht sich entweder stärker verantwortlich für die Ergebnisse von Entscheidungen und deren Folgen oder steht unter höherem sozialen Druck, sich verantwortlich zu verhalten." Das Repräsentationsprinzip verbinde die legitimitäts- und akzeptanzsteigernden Wirkungen des Mehrheitsprinzips zudem mit der Flexibilität und Effizienz, welche die Entscheidungen eines überschaubaren Kreises von Entscheidungsträgern kennzeichne, und ermögliche so auch eine flexible Integration und Kooperation der Minderheit in Gestalt der Opposition. Die repräsentative Demokratie erweist sich damit als die adäquate Staats- und Regierungsform spätmoderner Gesellschaften.

Das klingt nach einem "Ende gut, alles gut". So einfach macht Hildebrand es sich aber beileibe nicht. Der gefährlichste Feind des heutigen Regulierungsstaates ist, wie er nachweist, sein eigener Erfolg. Indem der Staat den dissoziativen Effekten funktionaler Differenzierung entgegenwirkt, befördert er das Fortschreiten dieses Differenzierungsprozesses. Je unübersichtlicher aber die sozialen Verhältnisse werden, desto schwieriger wird es für den Staat, weiterhin jene informationelle Überlegenheit für sich zu reklamieren, die ihn gegenüber den partikularen Perspektiven der übrigen gesellschaftlichen Subsysteme als den "Spezialisten für Regulierung" empfiehlt: "Die im postnationalen Zusammenhang unvermeidbare, aber auch innerhalb des Staates durch fortschreitende funktionale Differenzierung angelegte Zunahme von Widersprüchlichkeiten öffentlicher Hoheit weicht Einheit und Einheitlichkeit des Staates auf und führt nicht nur zu einem Funktions-, sondern auch zu einem Legitimitätsdefizit." Die Schere zwischen der Aufgabenbeschreibung des Staates und seiner Fähigkeit, sie zu erfüllen, öffnet sich immer weiter und gibt der namentlich unter neoliberalen Theoretikern verbreiteten Staatsskepsis Raum. Die Zweifel an der Funktionstüchtigkeit des Staates werden lauter und die Forderung gewinnt an Boden, die sozialen Teilsysteme sollten sich gemäß ihrer Eigenrationalität weitestmöglich selbst steuern.

Diese Skeptiker sind mit ihren politischen Gegnern, die allen desillusionierenden Erfahrungen zum Trotz den Staat in der Rolle einer säkularen Heilsanstalt sehen, in einem Punkt einig: Sie stellen Forderungen an den Staat, die dieser nicht zu erfüllen vermag, und reagieren auf die unausweichliche Enttäuschung mit einem "Weg damit!" Für Hildebrand ist ein solches Kaputtschreiben des Staates nicht weniger verfehlt als seine normative Überhöhung. Zu viele menschliche Bedürfnisse lasse der Markt unbefriedigt, zu wenig Sicherheit biete eine Gesellschaft, aus der sich der Staat weitgehend zurückgezogen habe, als dass sich die Assoziationsform des modernen Staates dauerhaft überwinden ließe. Allen Unkenrufen zum Trotz beschreibe diese vielmehr immer noch ein Institutionensystem, das "einen der höchsten Spezialisierungsgrade aufweist, um Gefangenendilemmata zumindest aufzuspüren und zu bewältigen".

An die Stelle steiler Thesen hat nach dem überzeugenden Befund Hildebrands deshalb eine "Feindosierung von Staatlichkeit im lösenden Medium der Gesellschaftlichkeit" zu treten. Dies ist ein Geschäft, das ebenso mühsam, unspektakulär und irrtumsgeneigt ist wie der Alltag derer, die sich darum bemühen, unter der verwirrenden Perspektiven- und Anforderungsvielfalt spätmoderner Gesellschaften eine halbwegs ansehnliche Lebenslinie durchzuziehen. Diesem Geschäft theoretische Dignität verliehen zu haben ist das Hauptverdienst von Hildebrands luzider Studie.

MICHAEL PAWLIK

Daniel Hildebrand: "Rationalisierung durch Kollektivierung". Die Überwindung des Gefangenendilemmas als Code moderner Staatlichkeit.

Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2011. 579 S., br., 98,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Michael Pawlik zeigt sich überzeugt von Daniel Hildebrandts Studie über die Legitimation staatlicher Herrschaft. So nüchtern im Konzept ihm der Autor hier entgegentritt, so klar kann er ihm vermitteln, wie sehr sich der Staat als koordinierender Moderator im Wolfsrudel verdient machen kann. Dass Hildebrandt es sich dennoch nicht einfach macht und auch den Feind des Regulierungsstaates benennt (neben seinem eigenen Erfolg ist das die Unübersichtlichkeit der sozialen Verhältnisse), rechnet Pawlik ihm hoch an. Dem "überzeugenden Befund" (Pawlik) folgt der Vorschlag des Autors zur "Feindosierung der Staatlichkeit" (Hildebrand). Darin und in der respektvollen Darstellung der Schwierigkeiten dieses Geschäftes liegt für ihn der Verdienst der Studie.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Libertäre Staatskritik täte demnach gut daran, sich ernsthaft mit dieser überaus wichtigen Arbeit auseinanderzusetzen.« Dr. Lazaros Miliopoulos, in: Politisches Denken. Jahrbuch 2013

»Daniel Hildebrand ist es also gelungen, besonders durch eine äußerst profunde theoriegeschichtliche Sachkenntnis, das Fundamentalproblem des modernen Staates in Bezug auf dessen Wirkmacht nicht nur offenzulegen, sondern - darüber hinausweisend - ein in seiner theoretischen Reflexion beeindruckend kluges Buch zu schreiben.« Charles Philippe Dijon de Monteton, in: Politische Vierteljahresschrift, 4/2013

»So ambitioniert dieses Vorhaben scheint, so eindrucksvoll ist das Ergebnis ausgefallen, mit dem der Autor an der Universität der Bundeswehr in München habilitiert wurde. Die Souveränität, mit der Hildebrand operativ politische Theorie und Ideengeschichte, Neue Institutionenökonomik, Systemtheorie und Staatslehre miteinander verknüpft und dabei inhaltlich den Bogen von vormoderner Staatlichkeit als Modus rationaler Daseinsbewältigung (54 ff.) bis hin zu Katalyse staatlicher Rationalisierungsfunktion (359 ff.) bzw. postmoderne Gewährleistungsinstitutionen öffentlicher Kollektivgüter (507 ff.) schlägt, wird keinen Leser unbeeindruckt lassen.« Prof. Dr. Volker Kronenberg, in: Zeitschrift für Politik, 4/2012