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In dem vorliegenden Sammelband wird der Versuch unternommen, das Konzil von Trient in die fundamentale religiöse, kulturelle und politische Bewegung einzugliedern, die im 16. und 17. Jahrhundert alle europäischen Gesellschaften erfaßte. Darüber hinaus werden die Schnittpunkte der Entstehung des modernen Staates und der Wandlung der Kirchenstrukturen mit der Entstehung der Territorialkirchen lokalisiert. Die Beiträge des Tagungsbandes (Ergebnis einer Studienwoche des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient) befassen sich mit verschiedenen Aspekten der Konfessionalisierung und…mehr

Produktbeschreibung
In dem vorliegenden Sammelband wird der Versuch unternommen, das Konzil von Trient in die fundamentale religiöse, kulturelle und politische Bewegung einzugliedern, die im 16. und 17. Jahrhundert alle europäischen Gesellschaften erfaßte. Darüber hinaus werden die Schnittpunkte der Entstehung des modernen Staates und der Wandlung der Kirchenstrukturen mit der Entstehung der Territorialkirchen lokalisiert. Die Beiträge des Tagungsbandes (Ergebnis einer Studienwoche des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient) befassen sich mit verschiedenen Aspekten der Konfessionalisierung und stellen die Frage nach der Bedeutung der Modernisierung durch die vom Konzil von Trient ausgehenden Reformimpulse.

Zu diesem Zweck haben die beiden Herausgeber, Paolo Prodi und Wolfgang Reinhard, die sich beide unter verschiedenen Gesichtspunkten immer wieder mit dem Problem der Modernisierung in der Frühen Neuzeit auseinandergesetzt haben, beinahe provokatorisch einige Paradigmen zur Deutung der modernen europäischen Geschichte eingeführt: Modernisierung, Rationalisierung, Individualisierung und Sozialdisziplinierung. Im Gefolge von Ernst Troeltsch und Max Weber läßt sich heute die Frage stellen, ob das Christentum des Okzidents aktiv an der Entstehung der Moderne beteiligt war, oder ob es sie nur passiv erlebt hat und allein dessen andere Seite, die Tradition, darstellt.

Die einzelnen Beiträge des Tagungsbandes setzen sich mit diesen Paradigmen auseinander: Sie akzeptieren, diskutieren oder verwerfen sie. Besondere Themenkomplexe wie die Beziehungen von Kirche, Reich, Landesfürsten und Konzil, die in Trient neu eingeführten technischen Verfahrensregeln der Konzilsdebatten, die Rolle der neuen religiösen Orden, die veränderte Seelsorge und Volksfrömmigkeit, die Beichte als (Selbst-)Disziplinierung, die nachtridentinische Heiligenverehrung, die Visitation als Instrument obrigkeitlicher Disziplinierung, die reglementierte (und langfristig säkularisierte) Ehe, die Rolle der Frau, der Einfluß des Konzils auf die Naturwissenschaften und Wirtschaftsethik sowie weitere Fragen werden hier neu untersucht. Die Betrachtung erfolgt nicht länger allein in der kirchlich-religiösen oder der weltlichen Sphäre, sondern ist in deren Spannungsfeld eingebettet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.12.2001

Geschichtsautomatisch war das Christentum nie
Laboratorium der Moderne oder Sternenglanz von Bethlehem? Das Trienter Konzil in neuem Licht

Wer "Konzil und Moderne" liest, wird die Kombination der Begriffe instinktiv mit dem Zweiten Vatikanum in Verbindung bringen. Zum Bild, das man sich gemeinhin vom Trienter Konzil macht, scheint "Katholizismus als Anti-Moderne" treffender, jedenfalls näher liegend zu sein. Paolo Prodi und Wolfgang Reinhard versuchen eine neue Sicht zu installieren, welche im Konzil von Trient und seinem Rezeptionsprozeß Tiefenschichten der modernen Welt aufspüren und die Strukturparallelität zwischen der Entstehung des modernen Staates und der katholischen Konfessionskirche als sozialer Organisation erweisen soll. Prodi und Reinhard bejahen eine Perspektive, derzufolge "das Konzil von Trient innerhalb eines Modernisierungsprozesses zu sehen (sei), der vor einigen Jahrhunderten auf besonders heftige Weise die europäische Gesellschaft und Politik erfaßt und zur Entstehung des modernen Staates geführt hatte".

Die Anpassungsleistung des Katholizismus sieht Prodi vor allem darin, daß sich das Papsttum von jenen universalistischen, Papst- und Kaisergewalt einander koordinierenden Vorstellungen eines christlichen Abendlandes löste, welche die Entwicklung eines auf Kräftebalancen zielenden europäisches Staatensystems außer Acht lassen mußte. Trient habe die Kirche zu einer eigenständigen, den Nationen gegenüberstehenden, klerikalisierten Struktur fortentwickelt. Die Debatten um das göttliche Recht des Bischofsamtes im Verhältnis zur Gewalt des Papsttums seien als Pendant der Auseinandersetzungen um die Staatssouveränität gegenüber den ständischen Gewalten zu lesen. Wie der Souverän sich zur einzigen und höchsten Quelle von Rechtsnormen entwickelte, so das Papsttum zum alleinigen Träger der das Gewissen bindenden Glaubens- und Sittennormen.

Verweigerte Anpassung

Wolfgang Reinhard deutet die Konzilsdekrete als "Reaktionen der Kirche auf Probleme der Zeit" und damit als ein dem Zweiten Vatikanum vergleichbares "aggiornamento" (freilich mit wenig Rücksicht auf die ganz unterschiedliche, im ersten Fall sich scharf abgrenzende, im zweiten Fall dialogisch sich öffnende Bezugnahme auf das jeweilige Gegenüber). Modernisierende Wirkungen macht Reinhard vor allem in jenen Spären aus, die er "absolut" nennt: wo sich Prozesse der Differenzierung, Rationalisierung, Individualisierung und Disziplinierung als nicht unmittelbar intendierte Folgen der tridentinisch geprägten Konfessionskulturen ausmachen lassen. Schon der Grundentschluß des Konzils, die Seelsorge (cura animarum) als individuelle Seelen-Sorge in den Mittelpunkt der Konzilsbemühungen zu stellen, weist für ihn ebenso in diese Richtung wie die als "Verbeamtung" gefaßte Professionalisierung des Klerus oder die Zentralisierung der innerkirchlichen Macht gegen jedes Wiederaufleben eines wie immer gearteten Konziliarismus.

Ein Teil der Autoren ist der modernisierungsoptimistischen Sicht gefolgt. Umberto Mazzone sieht schon in der Geschäftsordnung und in den "versammlungstechnischen Kontrollformen" des Konzils einen "Verbindungspunkt von theologisch-religiösen und historisch-politischen Phänomenen". Für Louis Châtellier geht vom Tridentinum eine enorme Entwicklungsdynamik aus, die innerhalb von zweihundert Jahren eine durchgreifende Verchristlichung des Lebenswandels bewirkte, nicht nur im Klerus, sondern über das Bruderschaftswesen und den christlichen Unterricht auch unter den Laien. Wolfgang Brückner faßt die Umorganisation der Frömmigkeit des Kirchenvolks als "Erneuerung durch selektive Tradition". Er wehrt sich mit plausiblen Argumenten gegen die Vorstellung, Barockfrömmigkeit sei eine Art von dörflichem Volksbrauch oder ein populares Ritual. Barockfrömmigkeit war "nichts strukturell Archaisches", keine "aus sich selbst heraus existierende, quasi basisontische Volkskultur", sondern eine "gezielt genutzte und darin dann moderne Form der Massenkommunikation". Die "staatlich verordneten" Frömmigkeitsformen der verschiedenen Konfessionalisierungen seien durch ihre "sozialdisziplinierende und gesellschaftlich integrierende Funktion" mental und strukturell als Voraussetzungen der Industriegesellschaft zu betrachten.

Peter Burschel bevölkert den nachtridentinischen Heiligenhimmel mit fordernden Gestalten, die zu einer "Rationalisierung, Disziplinierung und Individualisierung" frommer Nachahmung anleiteten. Teresa von Avila und Ignatius von Loyola waren "Individualheilige", deren Weg zu Gott "nur allein zu gehen war" und die darum das Individuum gegen die soziale Einheit aufwerteten. Im Gegenzug war die nachtridentinische Maria mit der Staatsbildung eng verflochten, weil sie sich militarisierte, die traditionellen Heiligen der lokalen Gemeinschaften depotenzierte und soziale, politische und religiöse Unterordnung zur Voraussetzung ihrer Interzessionsbereitschaft machte. Wenn nach Max Weber eine zweckrationale Lebensführung der "Suprematie des planvollen Wollens" unterworfen sei, müsse das tridentinische Heiligkeitsmodell als "soziales, kulturelles und psychologisches Laboratorium der Moderne" gelten.

Andere Beiträge hingegen äußern sich skeptisch bis ablehnend zur vermeintlichen Gleichläufigkeit von Tridentinum und Moderne. Konrad Repgen kann die Nützlichkeit des Modernisierungsbegriffs nicht erkennen, wenn es zu erklären gilt, wie sich die konziliare und postkonziliare Kirche zum ,Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation' ins Verhältnis setzte. Er betont, daß der bleibend universale Geltungsanspruch des Kirchenrechts sich dem seiner Theorie zufolge ganz systemwidrigen Reichsreligionsrecht, wie es 1555 inauguriert und 1648 weitgehend bestätigt wurde, gerade nicht anpaßte. Anne Conrad, eine der wenigen jüngeren Autorinnen, spricht in bezug auf die Modernisierung kirchlicher Frauenrollen von "Paradoxien und Ambivalenzen". Ehedekret und Ordensdekret enthielten, wo sie Frauen unmittelbar betrafen, zahlreiche restriktive Vorschriften. "Andererseits wurden jene Impulse, die gesamtkirchlich (also geschlechtsunspezifisch) von Trient ausgingen, auch und gerade von Frauen aufgegriffen, dienten ihnen zur Legitimierung ihres aktiven Engagements im Konfessionalisierungsprozeß." Volker Reinhardt weist bezüglich der Naturwissenschaften auf den "dogmatisierenden Schlußstrich" unter das "theologische Bild der Natur" hin, welches mit Blick auf die sich entwickelnde empirisch-experimentelle Methode "keine modernisierende, sondern (eine) eindeutig retardierende Wirkung gezeitigt" habe.

Kampf um die Leitkultur

So handelt es sich hier um einen Band, aus dem zu den jeweiligen Einzelthemen viel zu lernen ist und der an vielen Stellen behutsam differenziert. Aber die Überzeugungskraft seiner "großen Erzählung", die dem "und" zwischen dem Konzil von Trient und der Moderne einen emphatischen Sinn der inneren Komplementarität verleiht, wird schon durch die ambivalenten Stellungnahmen der einzelnen Autoren mit einem Fragezeichen versehen. Zudem sind die Zuschreibungen an den Moderne-Begriff äußerst gegenläufig, auch jenseits aller Ambivalenz der Werthaltigkeiten: zwischen Individualisierung und Massenkommunikation, zwischen internalisiertem sozialem Habitus und strafbewehrtem Systemzwang, zwischen strategischer Rationalität und mystischer Verinnerlichung, zwischen methodischer Weltbewältigung und Wahrnehmungsverweigerung gegenüber politischem und gesellschaftlichem Wandel.

Die Skepsis verstärkt sich, wenn mit Blick auf die relative Einlinigkeit des Modernisierungskonzeptes - es gibt eben nur eine moderne Gesellschaft - die Konflikte der konfessionellen Lebensformen und Weltdeutungen erklärt werden sollen, die sich im neunzehnten Jahrhundert als "Kampf um die Leitkultur" (Kurt Nowak) entluden. Das stellt weder die konfessionsübergreifende Konzeption des Paradigmas "Konfessionalisierung" noch die Merkmale der modernen Gesellschaft grundsätzlich in Frage. Auf dem Prüfstand aber steht die methodische und hermeneutische Reichweite des Zusammendenkens von Konfessionalisierung und Modernisierung und damit jene Vorstellung einer Quasigeschichtsautomatik, mit der die Bildung von Konfessionskulturen und ihre politische, gesellschaftliche und lebensweltliche Einbindung so unwillkürlich wie zwangsläufig Modernisierung aus sich heraus entlassen habe. Es führen Spuren von Trient in die Moderne, aber wohl doch kein gerader Weg. Und manche Spuren führen in ganz andere Richtungen.

ANDREAS HOLZEM

Paolo Prodi, Wolfgang Reinhard (Hrsg.): "Das Konzil von Trient und die Moderne". Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2001. 435 S., br., 184,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Autoren versuchen, wider die herrschenden Ansichten, im Konzil von Trient "Tiefenschichten der modernen Welt" ausfindig zu machen. Im Konzil habe sich die katholische Kirche von ihrem universalistischen Anspruch gelöst und als den Nationalstaaten gegenüberstehende Struktur zu definieren begonnen. Auflösung von "Absolutheit" ist nach Auffassung der Mehrzahl der Autoren mindestens in der Rezeption Folge des Konzils von Trient. Jedoch gibt es in dem Sammelband auch skeptischere Stimmen, etwa im Hinblick auf das Kirchenrecht oder die Rolle der Frauen. Im einzelnen, so der Rezensent Andreas Holzem, biete der Band viele Differenzierungen und neue Informationen, eine neue "große Erzählung" über das Konzil springe aber letztlich nicht dabei heraus. Der Rezensent scheint darüber eher erleichtert: eine eindeutige Bewegung der Kirche Richtung Moderne kann er nicht ausmachen, denn "manche Spuren führen in ganz andere Richtungen".

© Perlentaucher Medien GmbH
»Die Edition und Präsentation von Ergebnissen internationaler und mehrsprachiger Tagungen stellen ein Redaktionsteam und einen Verlag stets vor große Herausforderungen. Nach großer Erwartung legte der Berliner Verlag 'Duncker & Humblot GmbH' die Resultate der 38. Studienwoche (11.-15. September 1995) des 'Italienisch-Deutschen Historischen Instituts' in Trient vor. [...] Um es vorab zu sagen: Für alle, denen der Zugang zur italienischsprachigen Ausgabe verwehrt war, hat sich das Warten gelohnt.«
Hartmut Benz, in: Die Tagespost, Nr. 120, 05.10.02