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"D'Leut ärgern" wählte sich Annette Kolb (1870 - 1967) schon als junges Mädchen zum Motto, doch nicht aus Bosheit, sondern weil sie ihre Meinung offen vertreten wollte. Sie war scharfsinnig und naiv, sie war Pazifistin und ging keiner Fehde aus dem Weg, sie trug als Deutsch-Französin zwei Vaterländer in ihrem Herzen und hatte Europa im Kopf, ihre Bücher wirken wie hingetupft, dabei fiel ihr das Schreiben zeitlebens schwer: Das Register ihrer Bekannten liest sich wie ein Who's who einer bewegten Zeit. Diese Biographie erzählt die Geschichte ihres Lebens, die exemplarisch ist für die Anerkennung…mehr

Produktbeschreibung
"D'Leut ärgern" wählte sich Annette Kolb (1870 - 1967) schon als junges Mädchen zum Motto, doch nicht aus Bosheit, sondern weil sie ihre Meinung offen vertreten wollte. Sie war scharfsinnig und naiv, sie war Pazifistin und ging keiner Fehde aus dem Weg, sie trug als Deutsch-Französin zwei Vaterländer in ihrem Herzen und hatte Europa im Kopf, ihre Bücher wirken wie hingetupft, dabei fiel ihr das Schreiben zeitlebens schwer: Das Register ihrer Bekannten liest sich wie ein Who's who einer bewegten Zeit.
Diese Biographie erzählt die Geschichte ihres Lebens, die exemplarisch ist für die Anerkennung und Verfolgung gleichermaßen bestimmtes Schriftstellerdasein in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Autorenporträt
Armin Strohmeyr, geboren 1966. Studium der deutschen und französischen Literaturwissenschaft und der Musikwissenschaft, promovierte über den androgynen Geschwisterkomplex im Werk Klaus Manns. Lebt als Autor und Publizist in Berlin.
Kultur- und literaturgeschichtliche Features für verschiedene Rundfunkanstalten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.01.2003

Wo steckt nur der Briand?
D'Leut ärgern: Leben und Schreiben der Annette Kolb

Das bekannteste Porträt der Schriftstellerin Annette Kolb stammt aus der Feder Thomas Manns, ein Glanzstück parodistischer Bosheit und herablassender Sympathie. In der Münchner Boheme-Autorin "Jeannette Scheuerl" lernt der faustische Tonsetzer Leverkühn eine "vertrauenswürdige Person von eigentümlichem Charme" kennen. Drastischer als beim gemeinten Vorbild stellt der Figurenname eine Mischung konträrer Elemente vor, auf die auch die Beschreibung ihres Erscheinungsbildes abhebt: "Von mondäner Häßlichkeit, mit elegantem Schafsgesicht, darin sich das Bäuerliche mit dem Aristokratischen mischte, ganz ähnlich wie in ihrer Rede das bayerisch-Dialekthafte mit dem Französischen." Dem "reizend inkorrekten Privatidiom" ihrer Romane werden immerhin psychologische und musikalische Qualitäten bescheinigt, womit ihr Werk, so die spöttische Konklusion, "unbedingt der höheren Literatur" zuzurechnen sei.

Armin Strohmeyr, in dem Annette Kolb nun einen sachlichen, routiniert disponierenden Biographen findet, unternimmt nicht den Versuch, diese wenig schmeichelhafte Skizze zu retuschieren. Schon in den Anfangskapiteln ihrer Lebensgeschichte gilt Annette Kolb als "alterslose" Erscheinung. Was in solchem Urteil mitschwingt, ist ihre früh sich abzeichnende Partnerlosigkeit wie auch der erst in relativ vorgerückten Jahren, kurz vor dem Ersten Weltkrieg, gelungene literarische Durchbruch mit dem impressionistischen Roman "Das Exemplar". Ihr Leben lang bleibt die Kolb das herbe, kapriziöse und zunehmend zerstreute "Fräulein". Auf Photographien steht sie oft ein wenig abseits, mit herabgezogenen Mundwinkeln ins Leere blickend, das schon in jungen Jahren schüttere Haar unter dem Hut verborgen.

Die Faszinationskraft der Annette Kolb, so geben die von Strohmeyr mit Akribie ausgebreiteten Dokumente und Textproben zu erkennen, lag weniger in ihrer Sprachkunst als im Zusammenspiel disparater Einflüsse und Zeitströmungen, die sie als Tochter einer französischen Pianistin und eines Münchner Landschaftsgärtners verkörperte. Nahezu ein Jahrhundert wird von ihren Lebensdaten umfaßt, vom Geburtsjahr 1870 und der Reichsgründung bis zur ruppigen Adoleszenz der Bundesrepublik in den späten sechziger Jahren. Dreimal stand zwischen Deutschland und Frankreich der Krieg, der für Annette Kolb die mehrmalige Emigration bedeutete. Ihre Existenz war durchzogen vom Rhythmus zahlloser Ortswechsel und zugleich getragen vom Grundton eines sorgsam genährten bayerischen Heimatgefühls.

Dem norddeutsch und protestantisch dominierten Kaiserreich stand die Familie mit Skepsis, ja Verachtung gegenüber. Die auftrumpfende Militanz brach sich an der bayerischen Vitalität, preußischer Rigorismus an katholischer Nachgiebigkeit. Annettes Mutter Sophie trotzte hartnäckig jedem Ansinnen, sich der deutschen Sprache zu bedienen. Großen Zuspruchs erfreuten sich dennoch ihre Teenachmittage, auf denen zuweilen die in der Nachbarschaft wohnende Cosima von Bülow anzutreffen war, Tochter von Franz Liszt und spätere Frau Richard Wagners. Es war das kunstergebene, leicht überdrehte München Ludwigs II. und des Prinzregenten Luitpold, in dem Madame Kolb Salon hielt. Ihr Mann, den Gerüchten nach ein illegitimer Sproß von König Max II., entwarf für die Wittelsbacher Gärten und Parkanlagen.

Ein Faible fürs Doppeldeutige war der jungen Annette durch solche Umstände mitgegeben; Klosterschule und Münchner Halbwelt erzogen sie zu gleichen Teilen. Aus dem Second Empire noch stammte die Vorliebe für zierliche Jäckchen zur bauschigen Crinoline, für Polster und Quasten. "Auch das Leben war wattiert", erinnert sich Annette Kolb in ihrem Buch über "Ludwig II. und Richard Wagner". Zum damenhaften Plüsch stiftete bayerische Grobheit den Gegenakzent, abzulesen etwa an ihrem Wunsch nach einem Briefpapier mit dem eingeprägten Motto "D'Leut ärgern".

Die leicht abschüssige Nähe zu den allerhöchsten Kreisen gab das Muster vor, nach dem Annette Kolb bald selbst Begegnungen und Freundschaften zu knüpfen verstand. Stundenlang im Kaffeehaus sitzend, probte sie die Attitüde der Literatin; auch eine pianistische Karriere wurde erwogen. Die himmelstürmende Keckheit ihrer Ambitionen trug ihr die Bekanntschaft internationaler Künstler ein wie Rodin, Debussy und Busoni. Nicht minder zielstrebig umgab sie sich mit aristokratischen Schöngeistern, einflußreichen Kunstförderern, Diplomaten und Publizisten. Über lange Jahre stand sie in Kontakt mit Fürstin Mechthilde Lichnowsky, Harry Graf Kessler und Romain Rolland.

Die Gesprächspartner ihrer "Privatdiplomatie" porträtierte die Kolb in Zeitschriften und veröffentlichten Tagebuchnotizen. Ihre Initiativen zur Ächtung des Militarismus wurden im Ersten Weltkrieg mit einem Strafverfahren belegt, dem sie sich nur durch Flucht in die Schweiz entziehen konnte. Öffentlich prangerte sie die Propaganda-Artikel Thomas Manns an, dessen langwährende "verdeckte Aggressivität", so Strohmeyr, wohl hier ihren Ursprung hatte. Als "Meisterprobe männlicher Stupidität" attackiert sie den Krieg und seine nationalistisch berauschten Verkünder.

Dem pazifistischen Engagement Annette Kolbs gibt Strohmeyrs Darstellung breiten Raum. Für den Biographen strömen die Quellen am reichlichsten, wenn Korrespondenzen, Deklarationen und Interviews die Wege der Vielgereisten umranden. Strohmeyr verhehlt nicht, daß ihre Unternehmungen oft naiv und dilettantisch, in der politischen Konkretion zudem ausgesprochen widersprüchlich blieben. Bei katholisch-wertkonservativer Grundhaltung sympathisierte sie kurzzeitig mit der Münchner Räterepublik und deren Anführer Kurt Eisner. Meist argumentierte Annette Kolb vom subjektiven Standpunkt der als "Deutschfranzösin" vom Völkerhaß in persönlicher Weise Getroffenen.

Für den Rowohlt-Verlag verfertigte sie im Eiltempo eine Monographie des französischen Außenministers Aristide Briand, der nach dem Vertrag von Locarno zusammen mit seinem deutschen Amtskollegen Gustav Stresemann den Friedensnobelpreis erhalten hatte. Es waren, Ende der Zwanziger, vergleichsweise gute Jahre für die deutsch-französischen Beziehungen und damit auch für Annette Kolb. Doch der so ehrgeizig lancierte Beitrag zur Völkerfreundschaft war von niederschmetternder Wirkungslosigkeit. "Der Briand ist nirgends zu sehen", klagt Kolb ihrem alten Freund und Kollegen René Schickele. "Ich darf nächstens eine Katz als mein Wappen erwählen, denn für sie schreibe ich."

Doch gibt sie die Hoffnung nicht auf, mit ihren Werken Gehör zu finden. Ihr zweiter, wiederum der eigenen Vita entlehnter Roman "Daphne Herbst" von 1928 endet mit einem die Fiktion durchbrechenden Appell der Autorin für Republik und Weltfrieden. Ihr drittes und berühmtestes Werk aus der Familiengeschichte, "Die Schaukel", mußte sie 1934 bereits aus dem französischen Exil an den Verlag S. Fischer schicken. Diesem Roman hatte Kolb ebenfalls Klartext beigefügt in Gestalt einer Fußnote, welche die produktive Rolle der Juden für die deutsche Kultur hervorhob. Um den Verlag und ihre eigenen Publikationsmöglichkeiten im Reich nicht aufs Spiel zu setzen, zog sie den Passus in späteren Auflagen zurück - angesichts der Dimensionen antisemitischer Verfolgung tatsächlich nicht mehr als eine Fußnote, wenngleich eine unrühmliche.

Dezidiert antinazistische Projekte wie Klaus Manns "Sammlung" trafen auf eine distanzierte, bedenkenvoll lavierende Annette Kolb. Die aus ihrem Pariser Refugium nach New York Vertriebene sah sich dort mit einer quirligen Modernität konfrontiert, der sie nicht mehr gewachsen war. Aufhellungen ihrer schwierigen amerikanischen Jahre boten die Begegnungen mit Roosevelt und vor allem mit Charles de Gaulle, den sie in tolldreister Geschichtsklitterung mit Karl dem Großen vergleicht. Selbst der phlegmatische Konrad Adenauer ist nach dem Kriege nicht gefeit, von Annette Kolb zur Lichtgestalt, zum "Retter" Deutschlands verklärt zu werden.

Manche ihrer späten Äußerungen haben einen Stich ins Grelle und verdecken nicht, daß sie nach der Rückkehr "eine Fremde im eigenen Land" blieb. In München ließ sie die Teesalons ihrer Mutter wiederaufleben und mit ihnen die Aura des Hauses Wittelsbach. Gelegentlich sah man nachmittags den Wagen des Prinzen Franz von Bayern in der Bogenhauser Händelstraße vorfahren. Wenige Monate vor dem Sechstagekrieg zwischen Israel und Ägypten besuchte die hochbetagte Dame im Frühjahr 1967 das Heilige Land, ein Wunsch, der, immer wieder verschoben, sich in ihrem Todesjahr endlich erfüllte. Am 3. Dezember 1967 verstarb Annette Kolb, ohne das unentwegte Reisen und Schreiben je aufgegeben zu haben.

ALEXANDER HONOLD

Armin Strohmeyr: "Annette Kolb." Dichterin zwischen den Völkern. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2002. 336 S., br., 22,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Armin Strohmeyer legt eine sorgsam erarbeitete Biografie der allzu vergessenen Dichterin vor. Seine Interpretationen sind zurückhaltend. Das Interesse, ihr Leben nachzuerzählen, steht im Vordergrund...Die Auseinandersetzung mit ihrem Leben und Werk lohnt allemal." Buchprofile für die katholische Bücherarbeit

"Eine der feinsinnigsten und klügsten Biografien der letzten Jahre. Sie ruft mitreißend eine heute fast vergessene Vordenkerin Europas in Erinnerung und macht Lust auf die Lektüre ihrer Bücher." Focus, Michael Bauer

"Sein Ziel, einen exemplarischen Charakter in einem Jahrhundert der Katastrophen und geistigen Umbrüche darzustellen, hat er erreicht. Annette Kolb ist mit all ihren Ecken und Kanten eine erfreuliche Erscheinung in der neueren deutschen Literatur." Die Tagespost

"Armin Strohmeyr differenziert gezeichnetes Porträt wird abgerundet durch Abbildungen, Werk- und Quellenverzeichnis, Zeittafel, Personenregister und Bibliographie. Querelles"

"Die Biografie erzählt die Geschichte von Annette Kolb, die exemplarisch ist für ein von Anerkennung und Verfolgung gleichermaßen bestimmtes Schriftstellerdasein in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts." Nordbayerischer Kurier

"Armin Strohmeyr erzählt die Geschichte der Annette Kolb, die exemplarisch ist für ein von Anerkennung und Verfolgung gleichermaßen bestimmtes Schriftstellerdasein in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das Register ihrer Bekannten liest sich wie das 'Who ist Who' einer bewegten Zeit und lässt dieses Buch aussehen wie eine gesellschaftshistorische Arbeit mit den Vorzügen der spannenden Lektüre." Edition Kulturland

"Franz Blei hat sich von ihren Schriften eine 'Ausgabe in sechs hübschen Bändchen' gewünscht. Nach Strohmeyrs Buch wünscht man sich sogar deren sieben." NZZ am Sonntag

"Nun ist eine weitere, lesenswerte Biografie über diese ungwöhnliche Frau erschienen, die sich jeder Kategorisierung entzog und deren müncherisch klingendes Motto zeitlebens blieb: "D Leut ärgern."" Tages Anzeiger, Schweiz

"Auch und gerade als Biograph ist Armin Strohmeyr ein sehr einfühlsamer Autor. Dieses Porträt einer Dichterin im Sinne und Geiste Europas wird ohne Zweifel ein Lese-Erlebnis. Mit dem Erfolg dieses Buches kann und wird Armin Strohmeyr erneut seinen literarischen Weg im Sinne und zur Freude seiner Leser engagiert fortsetzen." Prager Volkszeitung
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In Thomas Manns "Doktor Faustus" wird die Autorin Annette Kolb in der Gestalt der Jeanette Scheuerl porträtiert: "mit elegantem Schafsgesicht" und insgesamt eher ambivalent. Mann, erfahren wir in Alexander Honolds Kritik der nun erschienenen Biografie von Armin Strohmeyr, hat ihr wohl die vehemente Ablehnung seiner Kriegsbegeisterung im Ersten Weltkrieg nie ganz verziehen. Kolb nämlich war entschiedene Pazifistin, wenn auch aus "katholisch-wertkonservativer Grundhaltung". Diese Mischung, so argumentiert wohl auch die Biografie, verdankt sich der gemischten Herkunft: die Mutter Pianistin und Französin, die nie deutsch lernen wollte, der Vater Landschaftsgärtner im Dienst der Wittelsbacher in München. Literarisch erfolgreich war Kolb erst relativ spät, kurz vor dem ersten Weltkrieg mit dem Roman "Das Exemplar". In ihrem langen Leben erlebte sie noch das Exil erst in Frankreich, dann in New York, und nach ihrer Rückkehr nach Deutschland lebte sie bis ins hohe Alter als "Fremde im eigenen Land". Weitgehend beschränkt sich der Rezensent aufs Referat von Kolbs Leben, die Biografie wird als "sachlich, routiniert disponierend" mehr oder weniger gelobt.

© Perlentaucher Medien GmbH