Marktplatzangebote
7 Angebote ab € 17,00 €
  • Buch mit Leinen-Einband

Produktdetails
  • Verlag: Deutscher Kunstverlag
  • 2000.
  • Seitenzahl: 500
  • Deutsch
  • Abmessung: 32mm x 204mm x 265mm
  • Gewicht: 1652g
  • ISBN-13: 9783422062986
  • ISBN-10: 342206298X
  • Artikelnr.: 08554401
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.11.2000

Na, das sieht doch alles sehr prächtig aus
Schöner wohnen im Palais: Die fränkischen Arbeiten der Stukkateure Materno und Augustin Bossi

Um 1750 war Würzburg ein Zentrum künstlerischen Schaffens von europäischem Rang: Am Schloß wirkten Balthasar Neumann, Giovanni Battista Tiepolo und der Stukkateur Antonio Bossi zusammen und versetzten die Welt in Erstaunen. Aber wie fast überall in deutschen Landen nahm in den letzten Jahrzehnten des achtzehnten Jahrhunderts auch in Franken die glanzvolle fürstliche Bautätigkeit ab. Lediglich die Innendekoration erlebte eine nicht unbedeutende Nachblüte, wie Iris Ch. Visosky-Antrack in ihrer Dissertation vor Augen führt.

Die Ausschmückung von Räumen war in Deutschland häufig eine Domäne der Italiener. Die Brüder Materno und Augustin Bossi kamen aus Porto am Luganer See und wurden vermutlich von 1755 an bei ihrem Onkel Antonio in Würzburg ausgebildet und mit den geschwungenen Formen des Rokoko vertraut gemacht. Spätestens 1762 schloß sich Materno dann seinem älteren Bruder Ludovico an, der in Stuttgart und Ludwigsburg die Schlösser mit Stuck verzierte und unter der Regie des französischen Baumeisters Philippe de la Guepière bereits gerade und rechtwinkelige Formen des Frühklassizismus verwendete. Nach dem Tod des Onkels Antonio erhielt Ludovico 1764 den Auftrag, das Vestibül der Würzburger Residenz mit Stuck zu verkleiden. Während er aber nach Vollendung der Arbeit der Stadt am Main den Rücken kehrte, blieben Materno und Augustin endgültig hier und traten als Hofstukkateure in die Fußstapfen des Onkels.

Bislang lag über Materno Bossi nur die Monographie von Reinhard Müller aus dem Jahr 1920 vor, während Augustin Bossi so gut wie überhaupt keine Beachtung in der Forschung fand. Obwohl formell Materno Würzburger und Augustin Bamberger Hofstukkateur war, kann Visosky-Antrack nun durch umfangreiche archivalische Studien belegen, daß die beiden Brüder gut dreißig Jahre lang in ein und derselben Würzburger Werkstatt zusammenarbeiteten, um sowohl höfische als auch private Aufträge anzunehmen. Der eine wie der andere entwarf Pläne für die Bauherren. Beide waren also nicht nur Gehilfen von Architekten; sie traten gemeinsam als eigenständige Künstler auf, die sehr gut bezahlt wurden.

Als die Theatralik des Barock und die Verspieltheit des Rokoko erlahmten, als Aufklärer längst die Glorie Gottes bezweifelten und dem fürstlichen Absolutismus neue, nüchterne Regierungsformen entgegenhielten, zogen sich die deutschen Duodezfürsten, Domherren und Adligen gleichsam in die Innenräume zurück, wollten darin aber doch auf kommode Weise am neuen Geschmack der Zeit teilhaben. Nicht länger die flüchtige Eleganz und das verspiegelte Illusionäre galten als schick, sondern Winckelmanns "edle Einfalt und stille Größe". Visosky-Antrack betont zu Recht, daß gerade die Innendekorationen des auslaufenden achtzehnten Jahrhunderts "das Lebensgefühl einer ganzen Epoche beleuchten", doch geht sie ihrerseits nicht näher auf diese Stimmungslage ein. Sie unterläßt es, die Innenräume über das kunstwissenschaftliche Vokabular hinaus zum Sprechen zu bringen. Aber sie hat eine quellenkundlich fundierte, anregende Studie verfaßt, die beispielhaft über die Wertschätzung unterrichtet, die eine Stukkatorenwerkstatt in der Dämmerstunde des Ancien régime erlangen konnte. Der Textteil wird von einem umfangreichen Werkkatalog, einem Quellenanhang und einem Abbildungsteil ergänzt.

Das Gesamtwerk von Materno und Augustin Bossi konnte bedeutsam erweitert werden. Stuckwerke von Kirchen und herrschaftlichen Zimmerfluchten in Ansbach, Bamberg, Bad Bocklet, Eichstätt, Forchheim, Bad Kissingen und Würzburg kamen neu hinzu. Die Würzburger Hofstukkateure gaben offenkundig in ganz Franken bei der Innenausschmückung den Ton an. Was sie schufen, war ein kleines Stukkatorenimperium.

Anders als etwa in Altbayern und Schwaben, wo deutsche Stukkateure noch weitgehend im Barock und Rokoko verhaftet blieben, beherrschten die beiden Bossis in den sechziger Jahren schon die Sprache des Frühklassizismus. Je nach Wunsch des Auftraggebers lieferten sie bis etwa 1790 entweder Entwürfe im Stil des Rokoko, den sie beim Onkel erlernt, oder im Stil des Frühklassizismus, den sie sich als Gesellen beim Bruder Ludovico angeeignet hatten. Der Schwung des Barock und Rokoko blieb vornehmlich bei der Ausschmückung von Kirchen noch lange Zeit beliebt, während in adligen Palais, die die Bossis häufiger beschäftigten, längt die Gemessenheit des Frühklassizismus bevorzugt wurde.

Die Stuckierungen im Nordtrakt der Würzburger Residenz zählen zu den Hauptwerken der beiden Brüder. Während im mittleren Hauptbau des Schlosses der virtuose Onkel Antonio insbesondere den Weißen Saal als ein Meisterwerk des Rokokodokors hinterlassen hatte, während dort die Formen nervös züngeln und fiebern und überschäumen an Schmuckfreude, wirkt der Fürstensaal, der etwa zwei Jahrzehnte später 1771 nach Plänen von Materno verkleidet wurde, ruhig und zivilisiert. Wie stets bei profanen Innenräumen ließ sich Materno von seinem ausgeprägten architektonischen Empfinden leiten und griff auf antikisierende Bau- und Schmuckteile zurück, die verhältnismäßig flach wie eine Haut über die Wand gespannt wurden, um eine zu starke Bewegtheit zu vermeiden. Hatte der Onkel Genie und Leidenschaft in die Waagschale geworfen, so waltete nun das vornehm zurückhaltende Spiel klassisch-vitruvianischer Schule.

Wenngleich Visosky-Antrack auf diesen Vergleich verzichtet und ihrerseits das Werk von Materno und Augustin Bossi nur schwach durch Gegenüberstellungen mit Arbeiten anderer Stuckkünstler profiliert, betont sie immer wieder die Modernität der beiden Brüder bei der Ausschmückung von Palais. Dabei kann sie darlegen, daß die zwei Stukkateure im Gegensatz zum Fürstensaal meistens eine strenge Tektonik mieden und vielmehr durch architektonische Versatzstücke eine lose Ordnung von Feldern schufen. Die Autorin hebt hervor, daß die Wände in der Regel "kleinteilig" mit Pilastern, Band- und Stabformen, Reliefs und Girlanden verkleidet wurden. Man könnte dabei freilich auch von Petitessen sprechen - und hätte die geheime Verbindung dieses Klassizismus zum Rokoko gefunden. So käme man den beiden Brüdern auf die Schliche und begriffe, warum sie vor allem in Kirchen beide Stile so mühelos miteinander vermischten. Unter dieser Perspektive erscheinen Materno und Augustin Bossi künstlerisch doch noch tief im achtzehnten Jahrhundert verwurzelt, während sie technisch-organisatorisch auf eine jüngere Zeit verweisen.

Von der hehren kubischen Strenge, die etwa seit 1780 die Entwürfe eines Etienne-Louis Boullée oder eines Friedrich Gilly charakterisierten, blieb die Werkstatt Bossi bis zu ihrer Schließung im Jahr 1801 jedenfalls weit entfernt. Visosky-Antrack kann verdeutlichen, daß die Schmuckformen der Bossis von den sechziger Jahren an kaum noch eine Entwicklung erlebten, sondern lediglich geschickt variiert wurden. Diese bequeme, gefällig charmante Art machte die Stukkateure in der Schummerstunde des Ancien régime wohl so beliebt. Visosky-Antrack hat eine lesenswerte, reich dokumentierte Studie vorgelegt, die dazu anreizt, über eine wenig beachtete Kunst nachzudenken - und sich an ihr zu erfreuen.

ERWIN SEITZ

Iris Ch. Visosky-Antrack: "Materno und Augustin Bossi". Stukkatoren und Ausstatter am Würzburger Hof im Frühklassizismus. Deutscher Kunstverlag, München 2000. 500 S., Abb., geb., 168,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Insgesamt positiv bespricht Erwin Seitz diesen Band, der sich mit der selten betrachteten Kunst der Stukkatoren befasst. Ihnen kam aber nach Seitz in der "Dämmerstunde des Ancien Régime" eine große Bedeutung zu, weil die Repräsentanten der fürstlichen Macht immer mehr auf äußeren Prunk verzichteten, um sich in eine schön geschmückte Innerlichkeit zurückzuziehen. Besonders bemerkenswert findet Seitz an dem Band, dass hier bisher unbekanntere Mitglieder der vielköpfigen Stukkatorendynastie der Bossis, nämlich Materno und Augustin Bossi, gewürdigt werden. Aus dem Band lernt Seitz vor allem, dass diese beiden Brüder mit ihrem Werk ganz Franken prägten - mit Höhepunkten in Würzburg und in Bamberg - und dass sie sowohl die "züngelnden" und "fiebernden" Formen des Rokoko als auch die weitaus nüchterneren und rechtwinkligen Figuren des Frühklassizismus beherrschten. Hier waren sie nach Seitz weiter als etwa die Bayern, die wesentlich länger am Rokoko festhielten. Seitz weist lobend auf den umfangreichen Apparat und Abbildungsteil des Bandes hin.

© Perlentaucher Medien GmbH