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Produktdetails
  • Verlag: Klöpfer & Meyer Verlag
  • Seitenzahl: 148
  • Abmessung: 195mm
  • Gewicht: 195g
  • ISBN-13: 9783937667300
  • Artikelnr.: 09800548
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.01.2002

Vertrauensarzt
Wieder da: Klaus Nonnenmanns
Roman-Hommage an Franz Kafka
Dieser kleine Roman erzählt die letzte Lebenswoche des „Obervertrauensarztes” Dr. Hubertus Wambach. In den Hungerjahren nach dem Krieg ist seine Frau – „Odette” – an einer leichten Lungentuberkulose gestorben. Jetzt, mit 83 Jahren, geht er so regelmäßig zum Nordfriedhof, wie er in seiner Dachkammer metereologische Messungen vornimmt und sich dann und wann als Maler versucht. Eines Tages aber wirft ihn ein kleines Nachbarmädchen „aus dem Abstellgleis des Ruhestandes”. Es ist Ise, die ihre Puppe Rapunzel verloren hat und ihn mit ihrem Weinen – „leise, im dritten Stadium, ein Weinen aus rhythmischen Herzsstößen heraus” – nicht wehrlos, sondern stark macht, auch und gerade gegenüber der Versuchung, „pädagogisch” zu reagieren. Nein, die Puppe lebt und ist verreist und ist verliebt, und der beste Beweis sind doch die Nachrichten, die sie ihr zukommen läßt.
Diese Episteln an „Chère maman”, die Wambach fingiert, bescheren nicht nur der Puppenmutter Glückslügenstunden, sondern auch ihrem Verfasser: „Stöhnend beugte sich Herr Doktor Wambach über die Briefe, befühlte gehorsam das feine Papier, tadelte, gleich Ise, entschieden die häßliche Schrift Rapunzels und stimmte der jungen Mutter zu, daß es dem Kind darin an Erziehung fehle.”. Das Trostprojekt ist erfolgreich, auch weil der Doktor ein Medium und eine Medizin für seine eigene Liebes- und Leidensgeschichte gefunden hat. Am Samstag vor seinem Tod steht Wambach vor seinem großen Gemälde in Öl: „Es war unvollendet, aber schon Ise, ein bißchen auch Odette.”
Als das Buch im Jahre 1959 im Walter Verlag erstmals erschien, war sein Autor, der sich als Herausgeber tarnte, 37 Jahre alt. Es enthielt einen „Quellenhinweis”, der nun fehlt, wie schon 1987 in der Neuausgabe der Frankfurter Verlagsanstalt: „Das Motiv dieses Kurzromans geht auf eine Anekdote zurück, die Dora Dymant, Lebensgefährtin Franz Kafkas, gestorben 1952, unter Hinweis auf ein persönliches Erlebnis Kafkas einer Bekannten erzählt hat. Vergleiche hierzu Kulturzeitschrift Merkur Nr. 67 / 1953”.
Die Puppe in der Puppe
Klaus Nonnenmann, geboren 1922 in Pforzheim, 1993 in seiner Heimatstadt gestorben, hat am Rand des Literaturbetriebs gelebt, für Rundfunk und Feuilletons geschrieben, zu seinen Büchern gehört „Teddy Flesh oder Die Belagerung von Sagunt” (1964). Es ist bedauerlich, dass die Neuauflage der „Sieben Briefe des Doktor Wambach” dem Hinweis des Originals nicht gefolgt ist und Marthe Roberts zarte Porträtminiatur aus dem Merkur noch einmal abgedruckt hat: „Dora Dymants Erinnerungen an Kafka”. Darin gibt die französische Literaturwissenschaftlerin zwei Anekdoten wieder, die ihr die letzte Gefährtin Kafkas erzählt hatte, darunter die vom kleinen Mädchen, das seine Puppe verloren hat und dem Kafka eine tröstende Geschichte erfindet. „Deine Puppe macht nur gerade eine Reise”, habe Franz Kafka zu dem kleinen Mädchen gesagt: „ich weiß das, sie hat mir einen Brief geschickt.”
Und er habe sich in die Pflicht genommen gefühlt, dem Mädchen anderntags einen veritablen Brief nachweisen zu können: „Er machte sich mit all dem Ernst an die Arbeit, als handelte es sich darum, ein Werk zu schaffen. Er war in demselben gespannten Zustand, in dem er sich immer befand, sobald er an seinem Schreibtisch saß, ob er nun einen Brief oder eine Postkarte schrieb. Es war übrigens eine wirkliche Arbeit, die ebenso wesentlich war wie die anderen, weil das Kind um jeden Preis vor der Enttäuschung bewahrt und wirklich zufriedengestellt werden musste. Die Lüge musste also durch die Wahrheit der Fiktion in Wahrheit verwandelt werden.”
Eine Fiktion immerhin, in der die Puppe versprochen habe, jeden Tag zu schreiben. Dora Dymant erinnert sich, das Spiel habe „mindestens drei Wochen” gedauert: „Franz hatte eine furchtbare Angst bei dem Gedanken, wie er es zu Ende führen sollte. Denn dieses Ende musste ein richtiges Ende sein, das heißt, es musste der Ordnung ermöglichen, die durch den Verlust des Spielzeugs heraufbeschworene Unordnung abzulösen.” Auch Klaus Nonnenmann hat ein „richtiges Ende” gefunden. Vorgefunden hat er es bei Kafka, den sicher auch seine lebensgeschichtliche Situation inspirierte. „Er suchte lange und entschied sich endlich dafür, die Puppe heiraten zu lassen”, berichtet Dora Dymant: „Er beschrieb zunächst den jungen Mann, die Verlobungsfeier, die Hochzeitsvorbereitungen, dann in allen Einzelheiten das Haus des Jungverheirateten: ,Du wirst einsehen, dass wir in Zukunft auf ein Wiedersehen verzichten müssen.‘”
Warum nicht Marthe Roberts Wunschphantasie, vielleicht lebe irgendwo noch eine Frau, die Kafkas Brief-Roman – „in der Art, wie man sein Kinderspielzeug lange hütet” – aufbewahrt , in den „Sieben Briefen des Doktor Wambach” erfüllt finden? Warum nicht in Nonnenmanns Kurzroman eine schmerzliche, in ihrer jean-paulschen Kompliziertheit so diskrete Hommage auf Obervertrauensarzt Dr. Kafka sehen? Als die Passionswoche des Doktor Wambach vorbei ist, heißt es bei Klaus Nonnenmann: „Und er blieb – mit einem Lächeln, das sich wehrte gegen die Gewalt, die seinen weichen Mund verzerren wollte.” Es ist, pardon, ein Satz über den Mut, der in Anmut steckt.
HERMANN
WALLMANN
KLAUS NONNENMANN: Die sieben Briefe des Doktor Wambach. Klöpfer & Meyer in der DVA, Tübingen 2001. 147 Seiten, 17,38 Euro.
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